Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 27.11.2014

Ein Linksextremist namens Hitler

Das Bündnis Pegida unterlegt seine Aktionen gegen die Asylpolitik mit eigenwilligen Ansichten deutscher Geschichte. Eine kleine Hilfestellung.


Wöchentlich gehen sie in Dresden auf die Straße und demonstrieren "gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden". Genauer: gegen eine in ihren Augen verfehlte Asylpolitik und diverse geplante Asylbewerberheime. Den Organisatoren der Interessengemeinschaft Pegida schlossen sich am Montag bereits 5 500 Menschen an. Immer wieder wird ihnen von Teilen der Andersdenkenden vorgeworfen, sie seien rechts bis rechtsextrem, gar ein Haufen Nazis. Letzteres ist in dieser pauschalen Form fraglos grober Unfug.

Dennoch halten es die Organisatoren aus guten Gründen für nötig, sich nicht nur gegen "den Mainstream" und "Links faschisten" abzugrenzen, sondern auch gegen "rechts". Besonders prägnant formulierte den Versuch eines ideologischen Halb-Selbstverständnisses in der vergangenen Woche der Pegida-Wortführer René Jahn: "Wir lieben unsere Nation und sind gegen Sozialismus - also sind wir keine Nazis." Diesem interessanten Bekenntnis schloss sich die Menge mit tosendem Applaus an. Können Tausende irren?

Sie können. Denn in jenem Bekenntnis offenbart sich eine Logik, die gar keine ist. Ebenso gut ließe sich die Folgerung aufstellen: Wir fahren gerne Fahrrad, also fahren wir kein Auto. Oder, um beim Thema zu bleiben: Wir essen gerne Fleisch, folglich sind wir gegen den Vegetarier Hitler. Um René Jahns Aussage-Nullnummer zu erkennen, muss man deren Inhalt freilich genau verstehen, überprüfen und sich die tatsächliche Faktenlage gründlicher erschließen wollen. Sicher, das kostet Mühe. Vielleicht weniger Mühe als das Erschließen der tatsächlichen Faktenlage des "Asylantenproblems". Aber sicher mehr Mühe, als dem zackigen Satz "Wir lieben unsere Nation und sind gegen Sozialismus - also sind wir keine Nazis" zackig zuzustimmen.

Bemerkenswerter Bildungssturzflug

Abgesehen von den Pegida-Forderungen zur Asylpolitik: Einige Köpfe des Bündnisses propagieren ein Geschichtsbild, das auf dem Erkenntnisstand der frühen Dreißiger stagniert, dezent ausgedrückt. Schon vor Jahns Spruch hatte einer ihrer Führer im Internet behauptet, Hitler sei bekanntlich bekennender Linker gewesen, was man schon am Begriff National-Sozialismus erkenne. Dass sich ausgerechnet ein laut Selbstauskunft bekennender Verteidiger der Kultur des aufgeklärten "Christlich-Jüdischen Abendlandes" auf einen derart steilen Bildungs sturzflug begibt, ist einigermaßen kurios. Womöglich hat der Verfasser schon während seiner Schullaufbahn im Geschichtsunterricht ständig gefehlt und sich seither nicht schlauer gemacht: Tatsächlich steht in Forschung und Allge meinbildung spätestens seit 1933 außer Frage, dass Adolf Hitler mitnichten ein Linker war.

Vielmehr führte er den Doppelbegriff Nationalsozialismus anfangs nur ein, um auch unter Sozialisten Anhänger zu finden, sozusagen als Köder. Zwar gab es in der NSDAP zeitweise einen teils sozialistischen Flügel mit den Brüdern Otto und Gre gor Strasser an der Spitze. Doch wurden die NS-"Sozialisten" 1930 von Hitler entmachtet, Otto Strasser vertrieben, Gregor Strasser 1934 auf "Führerbefehl" ermordet.

Einmal im sicheren Machtsattel, ließ der seither auch offen bekennende Linkenhasser Adolf Hitler das taktische Sozi-Fähnchen endgültig fallen. Auch in seinem diktatorischen NS-System war nichts sozialistisch oder klassenkämpferisch, stattdessen alles kapitalistisch und rassenkämpferisch. Sozialdemokraten, Sozialisten und Marxisten wurden ausgegrenzt, bedroht, verfolgt, verhaftet und massenhaft umgebracht.

Es mag manchen Pegida-Führer oder Applaudierer zwar überraschen, aber ohne jeden Zweifel liebten Hitler und Millionen Gefolgsleute ihre Nation und waren gegen Sozialismus - und zugleich Nazis. Insofern ist die tausendfach beklatschte Phrase von René Jahn nicht nur eine inhaltliche Nullnummer. Sie ist obendrein als versuchte Abgrenzung des Pegida-Bündnisses "gegen rechts" leider gänzlich ungeeignet.