Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 11.06.2015

In Pegida-Land

Nirgends in Dresden haben so viele Menschen für Tatjana Festerling gestimmt wie in Gorbitz. Ein Dienstagsspaziergang

Nirgends in Dresden haben so viele Menschen für Tatjana Festerling gestimmt wie in Gorbitz. Ein DienstagsspaziergangDas also soll Pegida-Land sein? Dieses grüne Fleckchen, wo selbst die Plattenbauten idyllisch wirken inmitten saftig grüner Wiesen? Wo man Menschen ansprechen kann, die gerade auf ihrem Balkon Kaffee trinken und sich nach dem Gespräch höflich bedanken? Wo die Straßen sauber sind und die Spielplätze nagelneu und gepflegt? Wo viele Menschen im Vorbeigehen grüßen? Liegt es an der Sonne, dass sie alle so gute Laune haben? Wo sind sie, die "Lügenpresse"-Rufer?

Blick auf den Stadtplan. Nein, man ist schon richtig hier, im Wahlbezirk Gorbitz-Süd (Wilsdruffer Ring). 1 105 Wahlberechtigte, ohne Briefwähler. Gültige Direktstimmen: 347. Nicht einmal jeder Dritte ist hier also am vergangenen Sonntag wählen gegangen. Die eigentlich interessante Zahl aber ist eine andere: 28,53 Prozent derjenigen, die zur Wahl gegangen sind, haben für Tatjana Festerling gestimmt, die von Pegida unterstützte Kandidatin. 99 Stimmen hat sie bekommen in dem L-förmigen Areal, das im Westen durch den Altgorbitzer Ring, im Süden durch den Wilsdruffer Ring, im Osten durch die Hirtenstraße und im Norden durch den Weideweg und die Ebereschenstraße begrenzt ist.

99 Stimmen. Exakt dreimal so viele wie der CDU-Kandidat Markus Ulbig (33 Stimmen, 9,51 Prozent). Nimmt man alle Wahlbezirke in Gorbitz-Süd zusammen, sind es immer noch 16,8 Prozent für Tatjana Festerling, die im Wahlkampf schon mal damit warb, wieder eine Mauer bauen zu wollen. Wie konnte das passieren?

Erste Szene, das Balkongespräch. Verblichener roter Sonnenschirm, weiße und rote Geranien. Rumoren, Tassenklappern, Radiogedudel. Hallo, ist da jemand? Ein Kopf taucht auf, freundlich lächelnd, dann der Mann zum Kopf. Nein, man störe ihn nicht. Ja, er sei wählen gewesen, für den AfD-Kandidaten Stefan Vogel habe er gestimmt. Seine zweite Wahl wäre Pegida gewesen, er habe länger überlegt. Wolfgang Blaas heißt er, 65 Jahre alt, Bäcker von Beruf, seit einem Jahr Rentner. 950 Euro monatlich, nach 48 Arbeitsjahren. "Aber nur, weil ich in der Bundesrepublik zehn Jahre lang mehr verdient habe als hier." Im Juni 1989 war er rübergegangen, in Radolfzell am Bodensee hatte er als Casino-Aufsicht gearbeitet. Seit 2000 ist er wieder in Dresden. "Wegen der Heimatliebe, ich wusste, dass ich hier weniger verdiene."

Für seine teilsanierte Genossenschaftswohnung, 52 Quadratmeter, bezahlt er 311 Euro warm. "Ich bin zufrieden", sagt Wolfgang Blaas, und so sieht er auch aus. Aber: Asylbewerber belasten unser Sozialsystem zu stark, meint er. Einmal ist er bei einem der sogenannten Spaziergänge von Pegida gewesen. Er setzt an, etwas zu sagen gegen Wirtschaftsflüchtlinge, dann stutzt er. Vielleicht denkt er an die eigene Biografie, vielleicht denkt er an seinen Sohn, der in der Schweiz lebt. Also sagt er: "Die Welt ist für alle da. Aber so geht's nicht weiter."

Ein Stück weiter die Straße hinunter liegt vor dem Gebäude der Volkssolidarität ein Wahlplakat am Boden. Auf dem Schriftzug "Die Linke" pappt ein Aufkleber der rechtsextremen Kleinpartei "Pro Deutschland". Darauf zu sehen sind ein übervolles Flüchtlingsboot und der Slogan "Asylmissbrauch stoppen". Gefühlt hängen in den Straßen von Gorbitz-Süd sehr viele AfD-Plakate und nur sehr wenige von Pegida.

Zweite Szene, beim Bäcker, der damit wirbt, dass er Brötchen hat, "die noch Semmeln sind". Davor sitzt an einem Tisch ein Mann mit Hund. Jeden Mittwoch, so erzählt der 61-Jährige, der seit drei Jahren arbeitslos ist, hole er sich auf dem Markt eine Fischsemmel und beim Bäcker einen Kaffee. Den Namen des Jack Russells - Sina - verrät er gern, ebenso, dass er für Markus Ulbig gestimmt habe. Seinen eigenen Namen will er nicht preisgeben. "Pegida ist nicht mein Ding", sagt er. "Aber Ausländer sind auch nicht mein Ding." Seine Tochter, die in Bayern lebt, habe einen Tunesier geheiratet und seitdem zu Hause nicht viel zu sagen. "Kennen Sie die Tunesier?"

Neben dem Bäcker gibt es einen Asia-Imbiss, einen Dönerladen und einen Asia-Imbiss, der auch Döner verkauft. Gegen Vietnamesen, sagt der Mann, habe er nichts, die seien fleißig und arbeiteten von morgens um zehn bis abends um acht.

Drinnen, hinter der Theke, verkauft Maria Beck, 25, Brot, Zeitungen und Postkarten von Gorbitz bei Nacht. Sie lebt in Löbtau, ist Bürokauffrau und arbeitet aushilfsweise in der Bäckerei. Maria Beck lacht gern und viel, sie ist nicht wählen gewesen, weil sie nicht in der Stadt war, "Asche auf mein Haupt". Sie wundert sich nicht über das Wahlergebnis. "Die Leute hier oben haben nur zu motzen." Viele kauften bei ihr die Zeitung, sähen eine Schlagzeile und regten sich auf. Sie selbst steht Pegida kritisch gegenüber, anders als eine Kollegin von ihr, die an diesem Tag einen Bäckerwagen auf dem Markt geparkt hat. Die Kollegin, Maria Hackenberg, 22, hat gerade bei der Landratswahl im Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge den Pegida-Kandidaten gewählt. Bei den Demos in Dresden war sie von Anfang an dabei, inzwischen auch in Freital und Dippoldiswalde. "Weil das richtig ist, die Meinung." Nur Tatjana Festerling ist ihr zu rabiat. "Die benutzt Ausdrücke, die würde ich nicht in den Mund nehmen." Pegida-Chef Lutz Bachmann drücke sich gewählter aus.

Dritte Szene, Thy Phan ist gerade auf dem Weg nach Hause. Die arbeitssuchende Bürokauffrau, 32, lebt seit fünf Jahren in Gorbitz, als vietnamesische Staatsbürgerin darf sie nicht wählen. Sie bekomme Gänsehaut, sagt sie, wenn sie höre, wie viele für Pegida gestimmt haben. Außer ihr ist in dreieinhalb Stunden an diesem Vormittag auf den Straßen von Gorbitz-Süd kein einziger erkennbarer Ausländer zu sehen.