Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 21.11.2015

Interview Christian Behr - "Ich bekomme Mails, die nicht mehr auszuhalten sind"

Superintendent Christian Behr sorgt sich um die Stimmung in der Stadt. Er hält Pegida-Parolen und Glauben für unvereinbar. Dresdner sollten wieder aufeinander zugehen und zuhören.

 

Herr Behr, in Dresden wird bei Pegida-Demonstrationen Woche für Woche Hass auf Flüchtlinge propagiert. Haben Sie sich schon daran gewöhnt?

 

Ich habe mich nicht daran gewöhnt und werde es auch nicht. Ich habe hin und wieder bei Pegida zugehört. Was dort geredet wird, ist in Wortwahl und Art und Weise schwer erträglich. Die Leute werden aufgefordert, Lügenpresse und Volksverräter zu skandieren - Begriffe, die in der NS-Zeit gebraucht wurden. Die Parallelen muss jeder kennen. Man kann unzufrieden sein mit der Presse, Volksvertretern oder der Politik. Aber jeder sollte nachdenken, welche historischen Hintergründe er transportiert.


Sind Sie schon persönlich angegriffen oder angepöbelt worden?


Angepöbelt nicht, aber ich bekomme E-Mails, die nicht nur grenzwertig, sondern nicht mehr auszuhalten sind. Das geht bis zu Aussagen wie: Du solltest nicht mehr auf dieser Welt sein. Im April sind Kirchenmitarbeiter von Pegida-Teilnehmern angegriffen worden, verbal, nicht handgreiflich. Sie sind nicht ängstlich geworden. Ich habe das Gefühl, dass der Kirchenraum relativ geschützt ist und wir uns bisher keine Sorgen machen müssen.

Warum gibt es in Dresden so eine fremdenfeindliche Stimmung?


Es gibt solche Einstellungen der Einwohner und der Pegida-Demonstranten, die ja nicht auf Dresden allein konzentriert sind. Teilnehmer kommen auch aus Pirna oder dem Erzgebirge. Die jahrelange Abschottung in Ostdeutschland erschwert auch heute noch den Umgang mit Fremden. Erst durch anderweitige Erfahrungen entsteht eine Welt-Weitsicht. Die in sich ruhende Residenzstadt, die nicht so sehr viel mit Außen zu tun hat, scheint sich hier noch etwas fortzusetzen.

Stadtteile wie Blasewitz gelten als weltoffen. Die Gesellschaft quittiert Pegida aber oft nur mit Schweigen. Warum?


Dafür habe ich keine Erklärung. Vielleicht warten viele wie im Januar darauf, dass der Ministerpräsident oder das Stadtoberhaupt etwas machen. Die Zivilgesellschaft hat noch nicht ganz klar herausgefunden, dass sie selbst etwas tun muss, anstatt auf die Politik zu warten. Blasewitz ist eine relativ milieuabgeschlossene Gesellschaft. Nicht alle können sich die Mieten dort leisten. Klar ist aber: Unser Blasewitzer Kirchenvorstand lehnt Fremdenfeindlichkeit strikt ab und fordert in einem öffentlichen Votum direkt zum Handeln für Flüchtlinge auf - Christen und Nichtchristen.

Haben die Dresdner eine obrigkeitshörige Haltung und brauchen immer erst einen Aufruf von oben?


Das würde ich nur zum Teil in Bezug auf Pegida sagen. Ansonsten gibt es wie in anderen Städten eine Bürgergesellschaft, die aktiv ist. Sie blickt aber oft auf das, was es gibt und will das bewahren, und ist nicht so sehr dazu zu bewegen, einfach loszugehen.

Es gibt Christen, die sich asylfeindliche Pegida-Parolen anhören. Ist das christliche Bekenntnis damit vereinbar?


Ich hatte kürzlich eine offene Diskussion mit einem kirchlichen Pegida-Anhänger, die in unserer Kirchenzeitung abgedruckt wurde. Mein Nichtverstehen habe ich klar ausgedrückt. Am Jahresanfang war offen, wo das hingeht. Da war viel Politikverdrossenheit. Mitte des Jahres war die Ausländerfeindlichkeit offensichtlicher. Das muss jeden Christen dazu bewogen haben, zu sagen: Da kann ich nicht mehr mitgehen. Was dort geredet wird, ist mit dem Glauben nicht vereinbar. Es gibt Aussagen von Jesus und an anderen Stellen der Bibel: "Den Fremden in deinem Land sollst du nicht unterdrücken, sondern ihm Zuflucht gewähren."

Nehmen Sie eine zunehmende Radikalisierung der Bewegung wahr?


Radikalisierung ist das eine. Ich sehe auch eine Polarisierung der Stadtbevölkerung. Das Schwierige, aber auch Gute ist, dass darüber diskutiert wird, wie wir mit Pegida aber auch mit Flüchtlingen umgehen. Es gibt niemanden, der sagt, wir müssten alle Menschen der Welt aufnehmen. Leider steht eine zunehmende politische Ratlosigkeit neben einem hohen ehrenamtlichen Engagement.

Dresden muss derzeit gut 100 Flüchtlinge pro Woche unterbringen. Wie kann die Kirche dabei helfen?


Wohnmöglichkeiten gibt es bisher nicht. Das liegt daran, dass viele Gemeindehäuser und Kirchen im Stadtzentrum im Krieg zerstört wurden. Im Umland gibt es aber unbewohnte Pfarrhäuser, um Flüchtlinge unterzubringen. Dazu haben wir in den Kirchen nicht genügend Sanitärräume und parallel seit Jahren das Nachtcafé für Obdachlose.

Wo engagieren sich evangelische Christen in der Flüchtlingsarbeit?


Unsere Gemeinden sind vielfältig in der Betreuung engagiert, lange, bevor das ein großes Thema war. Wir öffnen Kirchenräume, auch für Diskussionen. Überall, wo Flüchtlinge untergebracht werden, sind wir dabei. In der Gorbitzer Philippus-Gemeinde wurde die Begegnungsstätte "Go-in" neu eröffnet. Die Initiative "Willkommen in Löbtau" geht auf die Gemeinde zurück. In Blasewitz gibt es ein Willkommenscafé. Fast alle Gemeinden investieren in Deutschkurse und Bildungsarbeit. Viele Menschen unterstützen uns. Sie sollten das aber nicht allein tun, sondern die Gemeinschaft und Verbündete suchen. Es gibt viele, die die Grenze der Belastbarkeit erreicht haben. Sie müssen geschützt werden, um nicht Schaden zu erleiden. Das Ökumenische Informationszentrum (ÖIZ) leistet seit 25 Jahren Bildungsarbeit für Integration und das gute Zusammenleben in Dresden.

Arbeiten Sie mit Katholiken, Juden oder Muslimen zusammen?


Im Stadtökumenekreis tauschen sich die christlichen Konfessionen aus. Das ÖIZ befördert schon seit Jahren den religiösen "Trialog". Bei Aktionen wie am 9. November arbeiten wir mit der jüdischen Gemeinde eng zusammen. Nicht einfach ist zurzeit der Kontakt zu Muslimen. Sie haben viel zu tun, Ordnung in den drei Dresdner Moscheen zu finden, die viele besuchen. Die Muslime dort sind sehr offen. Es gibt Moscheen im Land, wo eine Radikalisierung spürbar ist - in Dresden ist das nicht so.

Die CDU will die Grenzen wieder schließen. Steht das C noch für christlich?


Abgrenzung ist unchristlich. Wer unterwegs ist, sollte nicht nur bei christlichen Geschwistern unterkommen. Wer Not hat, ist willkommen. Das Christentum muss über Grenzen hinweg offen sein. Wir sind auf der anderen Seite aber auch nicht für Recht, Ordnung und Terrorismusbekämpfung zuständig. Dass die Grenzen nicht geschlossen werden, ist auch eine funktionelle Frage. Wollen wir wieder zur Abschottung, auch im Schengen-Raum, zurück? Damit gäben wir dem Terrorismus nach. Der Gesellschaft würde das nicht guttun.

Wie kann Dresden aus Ihrer Sicht befriedet werden?


Indem wir hoffentlich besser lernen, aufeinander zuzugehen und zuzuhören. Der Start von Pegida war vielleicht so schwierig, weil mit anderen nicht geredet wurde. Ich habe versucht, ins Gespräch zu kommen. Bei 20, 30 Leuten klappte das. Wir wollen offensiver mit den Friedensgebeten montags um 17 Uhr in der Kreuzkirche umgehen. In der Frauenkirche ist 18 Uhr Gebet und in der Kathedrale um 18 Uhr Abendmesse. Nicht jeder kann öffentlich reden, was er gerade will, aber wir wollen im geschützten Raum zusammenkommen, um uns auszutauschen. Zu 10 000 Pegidisten kann man nicht sagen: Ich will jetzt mit euch allen diskutieren. Gerade, weil sie oft nicht diskussionsbereit sind.

 


Das Gespräch führten Peter Hilbert und Tobias Wolf.


Zur Person

Christian Behr stammt aus Döhlen bei Zeulenroda in Thüringen.

Der 54-Jährige ist gelernter Baufacharbeiter mit Abitur und hat Theologie in Jena studiert.

Seine erste Pfarrstelle war in Kayna bei Zeitz. Später arbeitete Behr 18 Jahre als Pfarrer in Grimma. Dort erlebte er auch die verheerende Jahrhundertflut 2002.

Seit April 2012 ist er Superintendent für den Kirchenbezirk Dresden-Mitte.

Der Familienvater hat drei erwachsene Töchter und lebt in Friedrichstadt.