Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 07.11.2015

Interview Dirk Hilbert - "Die in Dresden, das sind alles Nazis"

Meinungen wie diese hört Oberbürgermeister Dirk Hilbert täglich. Er will die Stadt in ein besseres Licht rücken.

Mit Aufklärungsarbeit und mehr Informationen zum Thema Asyl will das Stadtoberhaupt einen Teil der Dresdner von Pegida zurückgewinnen.

 

Herr Hilbert, zum Jahrestag von Pegida hatten Sie eine Erklärung gegen die Bewegung initiiert. Am Tag selber waren Sie im Urlaub. War das im Nachhinein nicht etwas unglücklich?


Ich habe darüber nachgedacht, den Urlaub zu verschieben, der lange geplant war. Andererseits ist ein Jahr Pegida kein Gedenktag, den ich durch meine Anwesenheit aufwerten will. Am 8. Oktober war ich da und am 13. Februar bin ich auch da, das sind wirklich wichtige Gedenktage.

Was bedeutet die Entwicklung von Pegida für Dresden?


Pegida vernichtet Arbeitsplätze und ist für das Image dramatisch negativ. Pegida hat hier seinen Hort und den größten Zulauf. Wenn ich meine Post lese, läuft es mir manchmal kalt den Rücken runter. Da sind Montagsdemonstranten, die übelste Dinge von sich geben. Aber auch Briefe, die Dresden und Sachsen pauschal in eine unrühmliche Ecke stellen. Das liegt natürlich auch daran, dass Pegida sich mit nicht tolerierbaren Bemerkungen immer stärker extrem rechtspopulistisch positioniert.

Heißt das, Pegida schadet Wissenschaft und Wirtschaft in der Stadt?


Gravierend! Die Berichterstattung über Dresden ist fast ausschließlich darauf fokussiert. Wir haben rückläufige Tourismuszahlen im Inland. Man merkt auch, wie außerhalb über Dresden gedacht wird. Das ist ein nachhaltiger Imageschaden für uns. Das ärgert mich. Einige machen es sich zu leicht, gerade Externe. Wir bekommen einen Stempel aufgedrückt: Die da im Osten, die in Dresden, das sind alles braune Nazis.

Sehen Sie die Sicherheitslage durch die ständigen Demos gefährdet?


Es gibt eine unterschwellige Unsicherheit in der Bevölkerung, nicht nur wegen der Pegida-Demonstrationen, aber Migranten in Dresden haben gerade montags Angst, sich frei in der Stadt zu bewegen. Ähnliche Ängste gibt es, wenn es Beschimpfungen von Flüchtlingen und Übergriffe auf Unterkünfte gibt. In letzter Zeit haben in Dresden aber auch sexuelle Übergriffe durch Asylbewerber eine Rolle gespielt. Ich hoffe sehr, dass der Freistaat die Polizei ausreichend ausstattet, um den Bürgern das Sicherheitsgefühl wiederzugeben.

Einige Asylgegner behaupten, Flüchtlinge seien in hohem Grade kriminell.


Ich glaube, Asylbewerber sind nicht krimineller als ein Querschnitt der Gesellschaft. Es gibt Vorfälle, die nicht zu tolerieren sind. Ich toleriere keine Angriffe auf Flüchtlinge, aber ich toleriere auch nicht, wenn sich Asylbewerber nicht rechtskonform verhalten. Unser Recht gilt für alle.

Montag läuft wieder Pegida, und es gibt Gegenprotest. Womit rechnen Sie?


Der 9. November ist ein denkwürdiges Datum. Ich gehe davon aus, dass es bei Pegida und Anti-Pegida zahlreiche Demonstranten geben wird. Ich hoffe, dass es friedlich bleibt und nicht zu Übergriffen kommt.

Wie ist das mit der Pegida-Führung, Bachmann/Festerling, wäre es als OB sinnvoll, mit denen zu reden?


Ich habe keine Lust, mich mit Menschen zusammenzusetzen, die dieser Art von Populismus frönen und auf der Bühne sagen, was nicht mehr mit unserem Grundgesetz vereinbar ist.

Nicht alle, die mitlaufen, sind rechtspopulistisch. Sehen Sie da einen Zugang?


Demonstrationen lösen kein Problem. Wir müssen an die Ursachen ran und bereiten gerade eine Kommunikationsoffensive vor. Wir wollen erklären, wie wir mit dem Flüchtlingsstrom umgehen, den Bürgern die Angst nehmen, Lösungen für Unterbringung und Integration anbieten und zeigen, dass wir Herr des Verfahrens sind.

Ihr Konzept lautet also: Wir sind Herr des Verfahrens? Ist das alles?


Ich möchte den Dresdnern sagen, was auf uns zukommt. Pegida muss nicht das Instrument sein, Ängste zu äußern. Wir werden die Aufgabe bewältigen. So kann man Mitläufer wieder für einen normalen demokratischen Prozess zurückgewinnen und den Zulauf stoppen. Man wird aber damit Pegida nicht insgesamt lösen. So etwas kann man nicht auf Knopfdruck beenden.

Wie Dresden mit Flüchtlingen umgeht, haben Sie zur Nagelprobe erklärt. Wie wollen Sie diese bestehen?


Das ist ein Thema, wo wir uns jeden Tag neu zu beweisen haben. Mir ist wichtig, dass wir einfachen Kontakt zu Flüchtlingen ermöglichen, damit sich Menschen kennenlernen. Ich bin sehr dankbar, dass eine unglaublich engagierte Bewegung entstanden ist, die sich um Flüchtlinge kümmert.

Sie wollen Dresden zur Asyl-Vorzeigestadt machen. Wie weit sind Sie damit?


Die größte Aufgabe im Moment ist: Wir brauchen mehr Sprachkurse. Ich bin im Gespräch mit vielen großen und mittelständischen Firmen. Wir haben schon erreicht, dass dort Kurse angeboten werden. Der wichtige Effekt dabei ist, dass es Begegnungen zwischen Flüchtlingen und Mitarbeitern gibt. Für Arbeit ist Sprache die Grundlage. Viele Unternehmen würden anerkannte Flüchtlinge beschäftigen. Es gibt auch eine Initiative der Wissenschaft. Dort wird vor allem Englisch gesprochen, Praktika und Deutschkurse können parallel laufen. Dazu bemühen sich Hochschulen, dass Flüchtlinge ihr Studium hier fortsetzen. So entwickelt sich die Basis, Flüchtlinge in Lohn und Brot zu bringen.

Flüchtlinge warten gut ein Jahr auf Kurse. Wie soll das schneller werden?


Die Volkshochschule wird mehr Kurse anbieten. Das wichtige ist: In diesen Integrationskursen werden auch die deutsche Gesellschaft und Politik behandelt. Die Absolventen wissen häufig mehr, als wenn ich hier auf die Straße gehen würde und die Bürger abfrage. In Sachsen können 4 000 Kursteilnehmer noch 2015 beginnen. Davon will ich für Dresden einen großen Teil in Anspruch nehmen.

Die Stadt bietet 200 Minijobs für 1,05 Euro pro Stunde an. Reicht das?

Ich will 2016 auf 500 solcher Stellen kommen. Sie sollen vor allem im Umfeld von Asylheimen entstehen. So wird die Stadt sauberer und Plätze werden aufgewertet, Dinge, die bisher liegen geblieben sind. Dann spüren die Anwohner, da kommen nicht nur Fremde, sondern sie bewirken etwas in unserer Stadt.

Zur Vorzeigestadt gehören gute Unterkünfte. Woher sollen die kommen?


Wir haben seit September eine Projektgruppe dafür. Ich will schnell in einen Vorlauf von drei oder vier Wochen kommen. Wir richten Containerstandorte ein und sind im Gespräch, um ehemalige Hotels zu nutzen. Entweder kaufen wir sie wie beim "Prinz Eugen" oder belegen Teile davon. Auch derzeit nicht genutzte Bürogebäude kommen infrage.

Mehr Vorlauf, frühere Kommunikation: Bedeutet das nicht mehr Protest?


Diskussionen gibt es überall. Nach dem Motto: Ja, wir sind für Integration, aber nicht vor meiner Haustür. Vor irgendeiner Haustür muss es aber sein. Wir wollen eine möglichst gleiche und damit ausgeglichene Verteilung über die Stadt erreichen.

Sind die Messe, Schulen, Kitas und Schulsporthallen weiterhin tabu?


Turnhallen, Verwaltungsgebäude, Kulturstätten, Messen als Unterkünfte können nicht unser Ziel sein. Aber: Im Notfall kann sich das ändern. Wir haben 400 Flüchtlinge zusätzlich aus der Bremer Straße aufgenommen, damit sie bei der Kälte nicht in unbeheizten Zelten wohnen müssen. Da mussten wir einige Vereinssporthallen belegen. Das soll aber nicht Dresdner Standard sein.

Müssen die Dresdner damit rechnen, dass Wohnungen beschlagnahmt oder ihnen Flüchtlinge zugewiesen werden?


Das ist Blödsinn. Es gibt kein Szenario, bei dem wir mit Zwangseinweisungen planen.

 

Das Gespräch führten Andreas Weller und Tobias Wolf.