Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 18.11.2014

Interview Frank Richter -"Eine Menschenkette als Willkommenszeichen"

Frank Richter, der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, über Herzlichkeit für Asylbewerber und die Notwendigkeit von offenen Armen.

 

Herr Richter, wie viel Asylbewerber verträgt Dresden noch?

Mehr als jetzt in der Stadt sind. Die Not in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen, ist groß. Dresden ist eine reiche Stadt. Ich freue mich auf den Tag, an dem wir auch darüber reden, welch große Bereicherung Menschen aus anderen Kulturen für uns sind. Das heißt nicht, dass es eine grenzenlose Aufnahme geben kann; die Grenzen in dieser Angelegenheit allerdings sind fließend.

Es wird viel von einer Willkommenskultur gesprochen. Was können die Dresdner dafür tun?

Es ist die Aufgabe und die Chance aller, ein Klima zu schaffen, das von Herzlichkeit geprägt ist. Im Alltag heißt das, auf Asylbewerber zuzugehen, ihnen Anteilnahme und Zuwendung zu schenken. Wir können sie zu uns einladen, wir können Patenschaften übernehmen, wir können ihnen Arbeit geben und Deutschkurse organisieren.

Die Landeszentrale hat mit einem Asylbewerber aus dem Irak einen Honorarvertrag abgeschlossen. Kleine Zeichen können große Wirkung entfalten. Jeder Mensch ist moralisch verpflichtet, denen entgegenzutreten, die eine fremdenfeindliche und damit eine menschenfeindliche Stimmung verbreiten.

Aber es gibt Ängste und Vorbehalte in der Bevölkerung. Weshalb, und wie kann man damit umgehen?

Ängste, Sorgen und Missverständnisse sind zunächst einmal ganz normal und nicht zu kritisieren. Sachsen ist ein Land mit einem niedrigen Ausländeranteil. Es gibt wenig Erfahrungen.Wir brauchen viel Zeit, um offen über alle Ängste und Sorgen zu sprechen. Die Probleme der Deutschen sind nicht weniger wichtig als die Not der Flüchtlinge.

Auch die Mitarbeiter in den Behörden stehen vor großen Herausforderungen. Wer kann ihnen verübeln, wenn sie zugeben, gelegentlich überfordert zu sein? Der ehrliche Dialog zwischen den Mitarbeitern auf verschiedenen Verantwortungsebenen ist unverzichtbar.

Meinen Sie damit beispielsweise, dass die Stadt es auch als Last darstellt, die Unterbringung zu finanzieren?

Die Umsetzung des Asylrechts eignet sich gut für das politische Schwarze-Peter-Spiel. Ich habe oft erlebt, dass die Schuld an ungelösten Problemen auf die jeweils anderen geschoben wurde. Mit einer ausweichenden und defensiven Kommunikation verspielt man die Chance, die wohlmeinenden und konstruktiven Kräfte in der Gesellschaft zu wecken.

Würde das nicht zu mehr Unmut führen und das Thema belasten?

Eines ist leider wahr: Asyl wird oft mit falschen Vorzeichen versehen. Schon das Wort verbindet sich allzu schnell mit anderen, fast ausschließlich negativ belasteten Begriffen wie zum Beispiel Probleme, Flut, Missbrauch, Überfremdung, Einwanderung in die Sozialsysteme. Wer öffentlich und politisch redet, sollte zuerst die positiven Bedeutungen nennen: Grundrecht, Mitmenschlichkeit, Anständigkeit und Mitgefühl. Es liegt doch auf der Hand, dass bei der Umsetzung des Asylrechts auch jede Menge Probleme entstehen. Die muss man nicht noch eigens verstärken.

Wird auch wegen der negativen Sprache in den Stadtteilen gegen Asylbewerberheime demonstriert und die Pegida-Bewegung hat weiteren Zulauf?

Wir sprachen eben vom Grundrecht auf Asyl. Menschen, die auf die Straße gehen und demonstrieren, machen ebenfalls von einem Grundrecht Gebrauch. Das hält die Demokratie nicht nur aus, das ist demokratisch so vorgesehen. Eines geht aber nicht: dass dabei die Grundrechte anderer infrage gestellt werden, dass eine menschenfeindliche Stimmung geschürt und zur Gewalt aufgerufen wird. Dann braucht es den offenen Widerspruch der Anständigen und die Mittel der wehrhaften Demokratie.

Wie schätzen Sie Pegida ein? Die Organisatoren sprechen sich gegen Gewalt aus, machen aber gegen Asyl mobil.

Ich kann Pegida im Ganzen nicht beurteilen. Ich habe am vergangenen Montag mit einigen Demonstranten von Pegida gesprochen und sie nach ihrem Anliegen gefragt. Die Antwort lautete: Die Verteidigung des Abendlandes und die Verhinderung von islamistischen Kriegen in Deutschland. Den Begriff "Abendland" konnten sie mir nicht erklären. Besonders erleuchtend war das nicht, was ich zu hören bekam.

Spielen solche Leute nicht schlicht mit den Ängsten der Bürger?

Ängste sind politisch instrumentalisierbar, natürlich. Wenn die Sorgen und Fragen der Bürger von den demokratischen Parteien nicht aufgegriffen werden, suchen sie sich andere Formen. Die Dresdner kennen dieses Spiel. Es braucht eine politische Auseinandersetzung mit dem, was sich da organisiert.

Also fehlt die Aufklärung durch die Parteien und nicht durch die Verwaltung?

Alle sind gefragt: die Medien, die Schulen, die Kirchen, die Arbeitgeber, die Gewerkschaften, die Vereine vom Sport bis zur Feuerwehr und natürlich auch die demokratischen Parteien. Die staatlichen Stellen haben offenbar alle Hände voll damit zu tun, die elementare Hilfe für die Flüchtlinge zu organisieren wie zum Beispiel Unterkünfte und gesundheitliche Versorgung

Sollen die alle montags gegen Pegida auf die Straße gehen?

Warum nicht? Warum nicht eine Menschenkette mit offenen Armen? Das wäre ein schönes Zeichen, eine Selbstvergewisserung unserer Solidarität. Wenn wir Flüchtlinge aufnehmen und deren Kinder nicht im Stall schlafen müssen wie das Jesuskind in der Weihnachtsgeschichte, dann ist das wie im Abendland.

Planen Sie eine Menschenkette?

Nein, weil die Organisation politischer Aktionen nicht zu meinen Aufgaben gehört. Ich bitte um Verständnis. In Dresden gibt es viele starke und versierte Akteure, die dazu in der Lage sind, die Stadtökumene und die AG 13. Februar beispielsweise.

Also ist Dresden aus Ihrer Sicht auf einem guten Weg?

Ja. Ich sehe viele gute Impulse aus der Zivilgesellschaft. Die Verwaltung bemüht sich erkennbar, die anstehenden Probleme zu lösen und sich dem Diskurs zu stellen. Sie ist nicht zu beneiden. Ich plädiere dafür, keine vorschnellen Ausgrenzungen vorzunehmen. Rechtsextremistische Strippenzieher sind das eine. Besorgte Bürger sind das andere. Die Demokraten sollten agieren, nicht reagieren. Auch in der Politik wirkt es lächerlich, wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt.

 


Das Gespräch führte Andreas Weller.