Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 10.01.2015

Pegida etabliert sich

Von Ulrich Wolf und Andrea Schawe

Seit gut drei Wochen sind die "Patriotischen Europäer" ein richtig deutscher Verein. Mit Satzung, Registerauszug und Gründungsprotokoll. So manches aber wurde mit heißer Nadel gestrickt.

Vielleicht wird der 19. Dezember 2014 einmal ein Datum für die Geschichtsbücher: als der Tag, an dem die Rettung des Abendlands in ein deutsches Vereinsregister eingetragen wurde. Es ist der Tag, an dem die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands" zu einer, wie es im Rechtsdeutsch heißt, "juristischen Person" wurden. Es ist der Tag, an dem an Pegida "vollrechtsfähig" wurde, von dem an man vor Gericht klagen, aber auch verklagt werden kann. Alles notariell beglaubigt.

Dieser Tag, er begann für die Pegida-Organisatoren in Pirna. Dort hat in der "Villa Editha", einem im klassizistischen Stil erbauten Unternehmerhaus aus der Gründerzeit, der Notar Dr. Georg Liessem seinen Sitz. In seinen Büroräumen, so ist es dokumentiert, empfing er drei mittlerweile recht bekannte Leute: Pegida-Gründer Lutz Bachmann sowie seine Wegbegleiter Rene Jahn und Kathrin Oertel. "Die Erschienenen wiesen sich durch Vorlage von gültigen Lichtbildausweisen", heißt es in seiner Urkunde mit der Nummer 1286/2014. Die Vorsilbe "aus" fehlt am Satzende.

Das ist nicht das einzige Indiz, das darauf hinweist, dass die Vereinsgründung mit heißer Nadel gestrickt wurde. Dem Dokument zufolge wohnt Lutz Bachmann nahe einer Autowerkstatt im Dresdner Stadtteil Briesnitz. Was nun doch ein wenig verwundert, da bereits Ende November vorigen Jahres die Bewohner der angegebenen Adresse der SZ erzählten, Bachmann wohne gar nicht mehr hier, sondern im Wilsdruffer Ortsteil Kesselsdorf bei seiner Frau.

Der Urkunde beigefügt ist das Protokoll der Gründungsversammlung. Drei Tage nach dem vierten Pegida-Spaziergang durch die Dresdner Innenstadt, an dem sich rund 2 000 Menschen beteiligt hatten, fanden sich am 14. November vorigen Jahres "die in der Anwesenheitsliste aufgeführten 12 Personen ein, um über die Gründung des Vereins zu beschließen".

Das deckt sich mit den bisher von Bachmann gemachten Äußerungen in der Öffentlichkeit, nach denen das Pegida-Organisationsteam aus zwölf Personen "aus unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Religionen" besteht. Jedoch: Die im Gründungsprotokoll erwähnte Anwesenheitsliste enthält nur zehn Namen, nicht zwölf. Und Ausländer oder verschiedene Religionen sind darin auch nicht zu entdecken. Außer dem vorbestraften und bis April noch unter Bewährung stehenden Bachmann stehen diese neun Personen auf der Liste:

Vicky Bachmann: Die 31-Jährige ist seit Juli 2014 die Ehefrau von Lutz Bachmann. Sie hat eine kleine Agentur namens DD-Werbung in Kesselsdorf, läuft an vorderster Front bei Pegida mit, ist aber ansonsten in der Öffentlichkeit noch nicht in Erscheinung getreten. In der Gründungsversammlung des Pegida-Vereins leitete sie die Vorstandswahlen.

Siegfried Däbritz: Der 39-Jährige gehörte zu den Hochzeitsgästen von Vicky und Lutz Bachmann. Er führt eine kleine Pension in der Meißener Altstadt, spielt Football und hat vor Jahren der FDP nahegestanden. Im Juli 2014 verhinderte er durch einen Kauf die Zwangsversteigerung seines Elternhauses. Zudem gehören ihm zwei Immobilien am Theaterplatz in Meißen. Auf Facebook lässt Däbritz als einziger Pegida-Organisator seiner Verachtung für den Islam freien Lauf. Der Motorradfreak kommunizierte im Internet vor allem 2011 und 2012 recht aktiv mit einem Rostocker Juristen, der sich selbst als "Charter-Anwalt der Hells Angels" bezeichnet. Wie in diesem Motorradclub üblich, fährt auch Däbritz eine Harley Davidson.

Kathrin Oertel: Das Magazin Focus beschreibt die Coswigerin, die in diesem Monat 37 wird, so: Sie "könnte einem Disney-Film entsprungen sein. Ob als Eiskönigin oder Eishexe, ist schwer zu entscheiden." Laut Bild-Zeitung ist sie Mutter dreier Kinder und Wirtschaftsberaterin. Ihr Vater war Geschäftsführer des Elbtalwerks in Heidenau und ist heute Vorstand einer Aktiengesellschaft, die sich auf das Reinigen von Wasser spezialisiert hat, mit Eigentümern in der Schweiz. Oertel führte bei der Gründungsversammlung das Protokoll.

Rene Jahn: Der Eishockey- und Fußballfan arbeitet als Hausmeister in der Dresdner Firma seiner Lebensgefährtin. Das mit 49 Jahren älteste Gründungsmitglied lässt in seinen Pegida-Reden gern DDR-Kenntnisse einfließen. So sagte er am 8. Dezember vorigen Jahres, Dresdens Oberbürgermeisterin Orosz habe die Propagandamaschine gegen Pegida in einer Art und Weise initiiert, die den ehemaligen Chefkommentator des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler, stolz gemacht hätte.

Tom Balazs: Der Dresdner ist Ende 30, Anfang 40 und gut vernetzt in der Party- szene. Im Juli 2014 kommentierte er auf dem Facebook-Account der Dresdner Polizei zu einer Meldung über Schmierereien an der Synagoge: "Wenn die Jungs doch mal bei jeder Beschmierung von Privathäusern zur Stelle wären!!!!" Und dem Grünen-Vorstand Cem Özdemir stellte er auf dessen Facebook-Seite die Frage: "Hast du dein Drogenproblem gelöst?"

Stephan Baumann: Der 42-jährige Dresdner ist Kaufmann. Er taucht als Gesellschafter einer Firma namens "Freizeit und Sport" auf, deren Geschäftstätigkeit jedoch ruht. Er war zudem Geschäftsführer eines Recyclingsunternehmens in Kesselsdorf, das aber im August 2012 pleiteging. In der Gründungsversammlung fungierte er als Beisitzer der Wahlleitung. Größter Gesellschafter der insolventen Recyclingfirma ist übrigens der Dresdner Immobilienunternehmer Thomas Stern. Dieser gibt sich auf Facebook als glühender Pegida-Verehrer zu erkennen, ist mit fast allen Vereinsmitgliedern vernetzt und duzt Bachmann.

Thomas Tallacker: Der Meißener ist als Ex-Stadtrat der CDU das einzige Gründungsmitglied mit kommunalpolitischer Erfahrung. Der 46 Jahre alte Innenausstatter steht vor dem Rausschmiss bei den Christdemokraten, weil er sich schon weit vor der Pegida-Zeit rassistisch auf Facebook äußerte. Im September vorigen Jahres verurteilte ihn das Amtsgericht Dresden wegen gefährlicher Körperverletzung, versuchter Nötigung und Sachbeschädigung zu einem Jahr auf Bewährung. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig.

Thomas Hiemann: Der 44-Jährige arbeitet nach eigenen Angaben als Lackierer, hat zwei Kinder und ist begeisterter Fan des Dresdner Eishockeyclubs Eislöwen. Der Bild-Zeitung sagte er, er habe bislang CDU gewählt.

Frank Ingo Friedemann: Der Reichenberger scheiterte mit seinem Vorhaben, ein türkisches Dampfbad am Einkaufszentrum Elbepark in Dresden zu etablieren. Der 46-Jährige musste Insolvenz anmelden und schlägt sich seitdem mit Hausmeister- sowie Baunebenleistungen durch.

Mit jeweils zehn zu null Stimmen wurde Lutz Bachmann zum Vorsitzenden gewählt, Rene Jahn zu dessen Stellvertreter und Kathrin Oertel zur Kassiererin des Vereins. Ferner beschloss die Versammlung, einen jährlichen Mitgliedsbeitrag sowie eine einmalige Aufnahmegebühr in Höhe von jeweils 20 Euro festzulegen. Wer Mitglied werden darf - oder wer nicht - entscheidet der Vorstand.

Offensichtlich fühlte sich Pegida damit gut genug gerüstet, um das einzurichten, was jeder Verein zur existenziellen Absicherung benötigt: ein Spendenkonto. Doch der Vorsitzende Bachmann unterschätzte wohl die Rechtsvorschriften. Wütend notierte er auf Facebook: "Das System funktioniert." Vier Banken hätten Pegida ein Konto verweigert. Auch die Sparkasse Dresden, in der die Oberbürgermeisterin im Vorstand sitze (was nicht korrekt ist, sie sitzt im Verwaltungsrat). Tatsächlich, so das Geldhaus, sei Bachmann nicht in der Lage gewesen, alle notwendigen Unterlagen für die Eröffnung eines Vereinskontos vorzulegen. Seit dem womöglich historischen 19. Dezember existiert das Konto bei der Sparkasse jedoch, prompt rief der 41-Jährige danach im Internet zur finanziellen Unterstützung für die Bewegung auf.

Basis für das Vereinsleben von Pegida ist die Satzung. Bachmann und Co. wählten dafür ein weitgehend standardisiertes Musterformular, das man im Internet herunterladen kann. Ziel des Vereins ist "die Förderung politischer Wahrnehmungsfähigkeit und des politischen Verantwortungsbewusstseins". Dies soll unter anderem durch Bürgerbegegnungen "zum Gedankenaustausch", durch Kultur- und Weiterbildungsveranstaltungen, Initiativen, Aufklärungsaktionen und Diskussionen geschehen. Der Verein erklärt sich für unabhängig von Parteien und Konfessionen und bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik. Ausdrücklich erklärt Pegida in der Satzung, die Mitarbeit antidemokratisch eingestellter Personen oder Organisationen "am Projekt" nicht zuzulassen.

Interessant ist, dass der Verein auf die Bezeichnung "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" in der Satzung komplett verzichtet. Der Vereinsname lautet schlicht: Pegida. Nicht dumm, denn es darf bezweifelt werden, ob das Finanzamt eine wie auch immer geartete Arbeit gegen die drohende Islamisierung als gemeinnützig anerkannt hätte. Sehr fragwürdig für einen politisch tätigen Verein, der sich auf die Demokratie beruft, ist der Paragraf elf. Der regelt die Modalitäten rund um die Mitgliederversammlungen. Demnach ist dieses Gremium "ohne Rücksicht auf die Zahl der erschienenen Mitglieder beschlussfähig". Faktisch also könnte in Zukunft der Vereinsvorsitzende Bachmann sich allein mit sich versammeln und entscheiden.

Paragraf 14 der Pegida-Satzung regelt schließlich, was mit dem Vereinsvermögen geschehen soll, wenn der Verein sich auflöst. Das Geld ginge in diesem Fall an einen von einem ehemaligen Stern-Reporter gegründeten Verein in Hamburg namens Dunkelziffer, der mit diversen Projekten sexuell missbrauchte Kinder unterstützt. Dessen Geschäftsführerin Vera Falck sagt, bis zum vergangenen Mittwoch habe sie davon gar nichts gewusst. Erst ein Journalist habe sie darauf aufmerksam gemacht. "Wir sind darüber nicht erfreut. Sollte sich der Verein auflösen, werden wir das Geld nicht annehmen", sagt sie.

Der frisch gekürte Vereinsvorsitzende Lutz Bachmann scheint sich derweil aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Beim Pegida-Spaziergang am vorigen Montag überließ er vor allem Kathrin Oertel das Feld. Sie zeichnete auch für die ersten beiden Pressemitteilungen des Vereins verantwortlich - telefonische wie schriftliche Anfragen der SZ beantwortet sie - wie zuvor schon Bachmann - nicht. Sieben Vereinsmitglieder haben sich in dieser Woche mit der Landtagsfraktion der AfD getroffen, bei der nachfolgenden Pressekonferenz aber war vom Pegida-Vereinsvorstand niemand da. Der Bewegung fehlt ein Gesicht.

Die Suche danach läuft. Ein junger Mann, der am Abend des 2. Januars in einem Dresdner Fitnesscenter war, versichert der SZ: "Ich habe ein lautstark geführtes Telefonat eines Pegida-Organisatoren mitbekommen, in dem es um eine möglichst integre Persönlichkeit als Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl im Juni ging." Ein OB von Pegidas Gnaden? Dann wäre der 19. Dezember 2014 tatsächlich zum historischen Datum geworden.