Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 13.12.2014

Willkommen im Abendland

Das umstrittene Bündnis Pegida hat ein erstaunlich gemäßigtes Positionspapier vorgelegt, das Kritiker und Befürworter gleichermaßen irritiert.


Was genau will Pegida?, fragen sich viele angesichts der Vorgänge in Dresden. Nun haben die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" ein Positionspapier veröffentlicht. Und viele Anhänger sind offenbar enttäuscht. Heftigst wird auf Facebook diskutiert. "Ich verstehe nicht mehr, wofür ich nach Dresden kommen soll", liest man da etwa. Oder deutlicher: "Euer Papier taugt zum Arsch abwischen, aber nicht mehr". Andererseits sind auch viele Pegida-Kritiker irritiert, denn was da in 19 Punkten aufgeschrieben wurde, liest sich so gemäßigt, dass man sich angesichts sonstiger Äußerungen fragt: War das schon alles? Bleibt da was ungesagt? Warum protestieren die so wütend und fordern, dass man ihnen endlich zuhört? Tut man doch. Unabhängig davon, wie man die Forderungen bewertet, werden diese ja seit Langem in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert, manches ist sogar bereits beschlossen. Selbstverständlich ist indes, dass nicht jede Position, die eine Gruppe äußert, auch politisch umgesetzt wird. Das ist immer eine Frage von Mehrheiten. Darum geht es im Einzelnen:

Mehr Engagement für Asylbewerber

Punkt 1 des Positionspapiers betont: "Pegida ist für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch oder religiös Verfolgten." Eine gute Voraussetzung, um über die Einrichtung von Unterkünften zu diskutieren. "Dezentrale Unterbringung" heißt es weiter in Punkt 3 - genauso, wie es zuletzt Sachsens neue Integrationsministerin Köpping forderte. Von "teilweise menschenunwürdigen Heimen" ist dann noch die Rede. Aber wurde nicht auf den Kundgebungen die "Vollausstattung" der Unterkünfte kritisiert? Auch fordert Pegida mehr Sozialarbeiter und Betreuer für Asylbewerber. Die "Verfahrensdauer der Antragstellung und Bearbeitung" müsse "massiv" gekürzt werden, verlangt Punkt 6. So wie es auch viele Politiker und Initiativen immer wieder anmahnen. Pegida möchte zudem die Mittel für das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufstocken. Nach holländischem Modell sollen Verfahren gestrafft und vereinfacht werden.

Mehr Geld für die Polizei

"Für die Aufstockung der Mittel für die Polizei und gegen den Stellenabbau bei selbiger", heißt es in Punkt 7. Genau das sieht der Koalitionsvertrag der neuen sächsischen Regierung vor. Lange bevor Pegida auftauchte, wurde beschlossen, jährlich 400 Polizeianwärter einzustellen, 100 zusätzliche IT-Spezialisten gegen Cyber-Kriminalität einzusetzen und den geplanten Stellenabbau bei der Polizei zu stoppen.

Integration muss sein

Das Recht auf und die Pflicht zur Integration soll ins Grundgesetz aufgenommen werden, so Punkt 2. Für Grundgesetzänderungen braucht es eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Sprachkurse für Asylbewerber wären wünschenswert, viele Flüchtlingsinitiativen engagieren sich dafür. Wer aber definiert, kontrolliert und entscheidet, wann jemand "integriert" ist? Was droht bei Nichtbeachtung? Völlig unvereinbar ist die Pegida-Forderung übrigens mit der NPD. Die ruft zwar zur Teilnahme an deren Kundgebungen auf, in ihrem Programm heißt es aber "Integration ist gleichbedeutend mit Völkermord."

Flüchtlinge gerecht verteilen

Ein "gesamteuropäischer Verteilungsschlüssel" für Flüchtlinge und eine gerechte Verteilung auf alle EU-Staaten wird in Punkt 4 gefordert. Ganz im Sinne des Bundesinnenministers, der die EU-Staaten zu mehr Engagement aufgefordert hat: "Es ist nicht in Ordnung, dass zum Beispiel Schweden und Deutschland 50 Prozent der in Europa ankommenden Asylbewerber aufnehmen." Von Januar bis Juli dieses Jahres wurden in Deutschland laut EU-Statistik 94 200 Anträge gestellt, in Schweden 41 250, in Polen 4 445, in Tschechien nur 560. Gemessen an der Bevölkerungszahl hatte Schweden die meisten Asylbewerber, gefolgt von Luxemburg. Deutschland lag nach Malta an vierter Stelle in der EU.

Das Modell der anderen

Genau wie die AfD fordert Pegida "Zuwanderung nach dem Vorbild der Schweiz, Australiens, Kanadas" zu regeln. In der Schweiz ist die Zuwanderung limitiert. Es wird - mit Ausnahmen - auf Asylgesuche ohne gültige Papiere nicht eingegangen. Australien hat einen Punktetest für Einwanderer, diese sind in den ersten beiden Jahren nach Ankunft von Sozialleistungen ausgeschlossen. Die meisten Einwanderer sind jung, gut ausgebildet und eher wohlhabend, sie müssen vorab einen Englischtest ablegen und prüfen lassen, ob ihre berufliche Qualifikation anerkannt wird. Seit Oktober geht Australien radikal gegen Bootsflüchtlinge vor, zwingt sie auf See zur Umkehr. Alle "illegalen Ankömmlinge" leben in Auffanglagern. Auch Kanada wählt mit einem Punktesystem Zuwanderer nach Ausbildung, Sprache und dem Alter aus.

Für sexuelle Selbstbestimmung

Der Punkt ist neu und bleibt unklar. Ist Pegida etwa für die Homo-Ehe? Die "wahnwitzige Genderisierung", "die nahezu schon zwanghafte, politisch korrekte Geschlechtsneutralisierung unserer Sprache" wird an anderer Stelle gerügt. Und in einem weiteren Punkt wird "Widerstand" gegen "frauenfeindliche Ideologien" verlangt, womit offenbar der Islam gemeint ist. Feministinnen dürften nichts dagegen haben.

Das Abendland retten

"Erhaltung und Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur" - der Spruch ist zum Pegida-Markenzeichen geworden. Was "Abendland" heißt, wäre zu klären, dass es auch aus dem Morgenland beeinflusst wurde, etwa mit dem Kaffee oder den arabischen Zahlen, versteht sich. Die bislang oft benutzten Begriffe "Stellvertreterkriege" oder "Islamisierung" tauchen im Positionspapier überhaupt nicht mehr auf. Auch das Wort Salafisten nicht. Konkrete Beispiele wie Moscheebau, Burkaverbot, Religionsunterricht, über die man diskutieren könnte, werden nicht genannt. Ebensowenig fällt der Begriff Patriotismus. In einem früheren Flugblatt hatte Pegida geschrieben: "Wir wollen, dass es wieder normal ist, öffentlich die Liebe zu seinem Vaterland zum Ausdruck zu bringen." Auch stand dort: "Wir wollen, dass Weihnachten Weihnachten bleibt und Sonntag nicht Freitag wird."

Null-Toleranz-Politik

Gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten fordert Pegida ein hartes Durchgreifen: "Ausschöpfung und Umsetzung der vorhandenen Gesetze zum Thema Asyl und Abschiebung." Auch das fordern viele Politiker immer wieder und kritisieren die gängige Praxis. Sachsen gehört nach Angaben seines Innenministeriums zu den Ländern mit den meisten Abschiebungen. Ein Drittel der Abschiebungsversuche werde aber aus ganz unterschiedlichen Gründen abgebrochen. Zuletzt hat der Bund das Asylrecht im September verschärft. Drei Balkanstaaten wurden zu sicheren Drittstaaten erklärt, in die Antragsteller zurückgeschickt werden können.

Einführung von Bürgerentscheiden

Auch das wird von verschiedenen Seiten, etwa der Linken, immer wieder propagiert. Vom Schweizer Vorbild ist hier die Rede. In der Schweiz, die oft als Zufluchtsort für Steuerflüchtlinge geschmäht wird, votierten im Februar 50,3 Prozent der Wähler für eine Initiative "Gegen Masseneinwanderung" und damit für Zuwanderer-Höchstquoten. Im November stimmte die Mehrheit bei einer Volksabstimmung gegen noch striktere Regeln für Zuwanderung.

Frieden schaffen ohne Waffen

Sollen Kurden, die in Syrien gegen den Islamischen Staat kämpfen, mit Waffen unterstützt werden? Das Thema wird seit Monaten hitzig diskutiert. Pegida stellt sich "gegen Waffenlieferungen an verfassungsfeindliche, verbotene Organisationen wie z. B. PKK". Die Bundesregierung unterstützt irakische Kurden mit Waffen im Kampf gegen den IS. Aber auch Bundeskanzlerin Merkel lehnt eine Bewaffnung der in Deutschland verbotenen PKK ab.

Parallelgesellschaften

Scharia-Gerichte, Scharia-Polizei und Friedensrichter werden als Beispiele für Parallelgesellschaften angeführt, die nicht zugelassen werden dürften. Punkt 19 wendet sich schließlich gegen "Hassprediger, egal welcher Religion zugehörig". Das sieht der Staat ebenso. Behörden und Politiker warnen permanent vor gewaltbereiten Salafisten. Gerade erst wurde in Bremen eine Moschee geschlossen und ein Verein verboten. Als sich vor Monaten einige junge Männer als "Scharia-Polizei" aufspielten, gab es allseits Empörung. Der Bundesinnenminister stellte klar: "Die Scharia wird auf deutschem Boden nicht geduldet ." Der Justizminister ergänzte: "Eine illegale Paralleljustiz werden wir nicht dulden. "

Gegen Radikalismus

"Egal ob religiös oder politisch motiviert", Pegida verurteilt Radikalismus. Das sollte auch gewaltbereite Hooligans einschließen. Am Montag wird wieder marschiert. Erneut sind Gegendemos geplant. Bisher verliefen alle Veranstaltungen weitestgehend friedlich. So sehr man über alle Punkte streiten kann - hoffentlich bleibt das so.