Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 26.01.2015

Zwischen allen Stühlen

Der Dresdner Politprofi und Theologe Frank Richter bekommt Kritik und Beifall von sehr verschiedenen Seiten. Er kann vor allem eines: zuhören.


Würde Frank Richter Poker spielen, hätte er Chancen auf einen Meistertitel. Sein Gesicht zeigt keine Regung, als er an diesem Abend in ein Gewitter aus Vorwürfen und Anschuldigungen gerät. Es ist ihm nicht anzumerken, was ihn trifft und was nicht. Er gestattet sich kein entrüstetes Kopfschütteln und kein Lächeln. Manchmal neigt er den Kopf zur Seite. Das ist alles. Richter beobachtet nicht nur den, der gerade spricht, sondern auch jene, die zuhören. Ein aufmerksamer, gespannter Blick aus tief liegenden dunklen Augen.

Der Chef der Sächsischen Landeszent rale für politische Bildung gerät nicht irgendwie in das Gewitter. Er hat es selbst inszeniert. Diese Auseinandersetzung hat er gewollt: "Kritik(er/innen) erwünscht!" Unterstützer sind auch gekommen, und sie stammen nicht nur aus dem eigenen Haus.

Wer sich für oder gegen Pegida ins Zeug legt, eckt in jedem Fall an. SPD-Chef Gabriel erlebt das gerade nach seinem Dresden-Gastspiel. Freundeskreise zerbrechen. Überraschende Allianzen entstehen. Personen, von denen man es nie für möglich gehalten hätte, tauchen plötzlich auf der einen oder auf der anderen Seite auf. Ein Dazwischen gibt es nicht. Es ist dieser Ort, den Richter besetzt, theoretisch und praktisch. Deshalb eckt der 54-jährige Theologe und Politprofi in besonderer Weise an. "Distanzlos" ist noch der geringste Vorwurf. Richter würde das Wort übersetzen mit: überparteilich. Darüber lässt sich streiten.

Der Chef der Landeszentrale wurde anfangs gefeiert als einer, der in den jüngsten Demonstrationstagen die Ölkannen aus dem Feuer holte; einer, der mäßigend und ausgleichend wirkt; einer, der in seiner fast grenzenlosen Toleranz weiter geht als viele andere. Beinahe eine Heilsfigur. Mancher braucht so was. Richter selbst sicher nicht. Aber gefallen hat ihm die Rolle wohl. "Es gibt Konfrontationssituationen, da braucht es Menschen, die sich zwischen den Fronten aufhalten", sagt er. "Und es liegt in der Natur der Sache, dass sie von beiden Seiten beargwöhnt werden." Diese Erfahrung macht er nicht zum ersten Mal. Umso plötzlicher der Absturz.

In den Augen seiner Kritiker hat sich der Meinungsmoderator einer doppelten Verfehlung schuldig gemacht: Er habe in der Fernsehsendung von Günther Jauch der Vertreterin von Pegida nicht nur nicht energisch widersprochen, sondern ihr "windelweiche Schützenhilfe" geleistet. Und er stellte ihrem Verein sein Dienstgebäude für eine Pressekonferenz zur Verfügung - samt Infrastruktur und Presseverteiler, so ein neuerer Vorwurf. Außerdem: Pressekonferenzen sind kein Dialog; die Pflicht zur Neutralität wurde verletzt; es gab kein Angebot an die Gegenseite; wenn Pegida stolz auf 155 000 Internet-Mitläufer verweist, hätten sich Informationen auch ohne Pressekonferenz verbreiten oder andere Räume finden lassen; das Ganze war ein Geschenkbonbon für Pegida - in der Diskussion mit den erwünschten Kritikern geht es hoch her.

Frank Richter habe eine rote Linie überschritten, rügte selbst der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Grüne Jugend Sachsen forderte die Absetzung von Richter, der seit 2009 im Amt ist. Er sei, heißt es in Internetkommentaren, ein "Sympathisant von Fremdenfeindlichkeit" und "Steigbügelhalter der Rassisten". Richter sagt: "Das ist die einzige Bemerkung, die mich wirklich kränkt."

Der schmächtige Schlipsträger mit den grauen Strähnen im dunklen Haar hat offenbar eine Ekelgrenze überschritten. Auf dem Grenzschild steht: Mit denen spricht man nicht.

Seine eigene Grenze, sagt er, verläuft dort, wo es strafrechtlich relevant wird: bei rassistischen, volksverhetzenden, antisemitischen Positionen. Solche würde er des Hauses verweisen. "Aber bis zu dieser Grenze darf alles gesagt werden. Ich bin Demokrat. Die Ausgrenzeritis ist undemokratisch. Was hat sie denn seit zehn, fünfzehn Jahren bewirkt? Das Nicht-Reden hat gar nichts bewirkt. Wir haben kein Nachlassen von Extremismen, sondern eher ein Anwachsen."

Als er dem Pegida-Verein vor einer Woche sein Haus öffnete, habe er nicht gewusst, dass auch Lutz Bachmann kommen würde - und was man inzwischen über den Ex-Vereinschef weiß. "Ich bin nicht Leiter des Amts für Verfassungsschutz."

Womöglich hätte der Chef der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung anders entschieden ohne die Erfahrung aus dem Wendeherbst '89. Frank Richter stand bei jenen, die sich Gehör verschaffen wollten. Sein Mantra hieß und heißt Dialog. Am dramatischen Abend des 8. Oktober in Dresden vermittelte er zwischen Demonstranten und Polizei. Die Positionen lagen weit auseinander. Doch er hatte Erfolg. Damals war er 29 und Kaplan an der katholischen Hofkirche. "Wir wissen ja", sagt Richter, "solche hoch emotionalisierten Situationen graben sich tief in unsere Denkstrukturen ein und in die Muster, die wir im Kopf haben."

Ähnliches erlebte er vor drei Jahren noch mal. Er versuchte bürgerliche, linke und andere Gruppen zu einigen im Protest gegen rechtsextremistische Märsche zum 13. Februar. Richter plädierte für "mentales und verbales Abrüsten", für Kompromisse statt Dogmen. Man müsse die Meinung des anderen respektieren, auch wenn man sie nicht akzeptiere. Für solche Sätze wurden die Gebetsmühlen erfunden. Sie müssen deshalb nicht falsch sein.

Frank Richter arbeitete als Jugendseelsorger, er war Pfarrer in Aue und Offenbach, Referent für Religion und Ethik in Radebeul. Dass er von der katholischen zur offeneren altkatholischen Kirche wechselte; dass er seine Priesterweihe ruhen ließ, um zu heiraten; dass er einen Teil seines Kästner-Preises für die evangelische Frauenkirche in Dresden spendete - das alles zeigt wohl einen Charakter, der Widersprüche nicht bagatellisiert, sondern aushalten kann und sogar als bereichernd empfindet. Es ist ungefähr das, was Richter in den aktuellen Auseinandersetzungen erwartet.

Mit einem schnellen Ende rechnet er nicht. Zu viel Zorn hat sich angestaut. Aber irgendwann, sagt Richter, müsse der Dialog qualifiziert und strukturiert werden: Welche Probleme sind vor Ort zu lösen, welche in Berlin, welche in Brüssel? Das Verfahren kennt er schon.

"Es ist noch viel Dampf unter dem Deckel des Kessels, und das darf auch sein", sagt er bei einer nächsten Diskussionsrunde am Freitagabend im Dresdner Stadtmuseum. Auch da hält er sich wieder zurück. Er beobachtet und hört zu. Ab und an gibt er einer Kollegin ein Zeichen. Sie läutet ein Glöckchen, wenn einer der Redner seine Zeit überschreitet. Frank Richter reagiert ohne Ansehen der Person. Er mischt sich nicht kommentierend ein, auch wenn ihm das vielleicht schwerfällt, als die Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld in ihrer Bewerbungsrede für die AfD meint, Pegida missbrauche den Ruf "Wir sind das Volk!" nicht.

Selbst wenn Frank Richter etliche Gemeinsamkeiten zwischen den Montagsdemos von '89 und den sogenannten "Abendspaziergängen" von heute konstatiert - zwei Unterschiede liegen für ihn klar auf der Hand: "Wir leben in einer repräsentativen Demokratie. Die Ordnung ist in Ordnung. Damals fehlten viele Elemente des Demokratischen. Und: Es ging gezielt gegen die Machtelite. Das geht es heute bei manchen auch, doch daneben gibt es einen Zug von Fremden- und Flüchtlingsfeindlichkeit." Es tue ihm weh, wenn der Ruf "Wir sind das Volk!" in diesem Zusammenhang ertöne.

Frank Richter ist nicht so selbstkontrolliert, wie er oft wirkt. Es dürfte ihn nicht kalt lassen, dass er an diesem Sonntag auf dem Dresdner Theaterplatz von der Pegida-Sprecherin öffentlich gelobt wird, unterm Beifall der Menge.

Seine Kritiker werden sich bestätigt fühlen. Im Gespräch mit ihnen rechtfertigt sich Frank Richter nicht. Er versucht zu erklären. Dass er Pegida einen Raum gab, sei "eine höchst problematische Entscheidung in einer Ausnahmesituation" gewesen. Wegen angekündigter Morddrohungen hatte der Verein seine Anhänger bitten wollen, der Montagsdemonstration fernzubleiben. "Vielleicht hat Frank Richter Tote verhindert!", sagt ein Polizeiseelsorger.

Ein anderes Argument gibt dem Politprofi zu denken. "Es wäre richtig gewesen, auch der Gegenseite zeitnah ein Podium anzubieten. Das hätte ich tun sollen. Es ist mir nicht eingefallen."

Wenn er beschreiben sollte, was er gerade erlebt, würde er von einer großen, politischen Bildungsveranstaltung reden. Die Kritik an seiner eigenen Arbeit ist darin eingeschlossen. "Vielleicht haben wir in der Politik uns mehr für Bananenanbau am Südpol interessiert als für die wirklichen Probleme der Leute."