Die Berichte des Tagesspiegels, 28.06.2015

von Matthias MEISNER

Neues Flüchtlingsheim in Meißen in Brand gesteckt

In Meißen rotten sich Neonazis zusammen, in der Nacht danach brennt eine noch unbewohnte Asylunterkunft. "Das war ein Anschlag mit Ansage", sagt der Heimbetreiber.

In einem vor der Eröffnung stehenden Flüchtlingsheim in Sachsen hat es in der Nacht zum Sonntag gebrannt. Die Polizei bestätigte auf Anfrage von MDR Sachsen, dass das Feuer kurz nach Mitternacht in dem Gebäude auf der Rauhentalstraße ausbrach. Bei der Ankunft der Feuerwehr brannte es in einem Raum in der ersten Etage. Die Feuerwehr konnte den Brand zügig löschen. Dennoch brannte das Zimmer vollständig aus.

Der Eigentümer der Asylunterkunft sagte dem Sender: "Das war ein Anschlag mit Ansage, die Polizei hat meine Anzeige nicht angenommen."

Am Vorabend hatten sich etwa zwei Dutzend Neonazis in der Stadt an der Elbe zusammengerottet. Sie versammelten sich zu einer Demonstration auf einer Eisenbahnbrücke, um gegen eine angebliche Gefährdung durch steigende Ausländerkriminalität zu protestieren. Die Aktion wurde von der unter dem Einfluss von Rechtsextremisten stehenden Organisation "Initiative Heimatschutz" gestartet.

Die Demonstranten hängten an der Brücke ein großes Transparent auf: "Schweigen heißt zustimmen. Es ist unser Land!!!" Auf der Facebook-Seite der "Initiative Heimatschutz" hieß es dazu: "Sooooo.... damit ihr nicht denkt, in Meißen passiert nix. Weit gefehlt." Die Initiative macht seit Monaten im Landkreis Stimmung gegen Flüchtlinge. 

Direkt erwähnt wird das neue Flüchtlingsheim in der Rauhentalstraße in dem Demonstrationsaufruf der Anti-Asyl-Initiative nicht. Anhänger der "Initiative Heimatschutz", die den Anti-Asyl-Protest auf der Eisenbahnbrücke verpasst haben, werden beruhigt: "Keine Sorge, es ist nicht das letzte Mal."

Mutmaßlich fremdenfeindliche Straftat


Auf der Rauhentalstraße sollten nach Planungen des Landkreises Meißen 32 Asylbewerber untergebracht werden. Auch weitere Teile des Gebäudes in Meißen wurden in Mitleidenschaft gezogen, wie die Polizei weiter mitteilte. Ob das Haus noch bewohnbar ist, war zunächst unklar.

Laut Augenzeugen in Meißen rannten drei Personen mit einem Benzinkanister aus dem Haus flüchteten mit einem Pkw, wie dem Tagesspiegel aus zuverlässiger Quelle berichtet wurde. Sekunden später habe es bereits gequalmt. Demnach wurden auch Wohnungstüren eingetreten. Im Treppenhaus habe es Benzin gegeben, welches sich aber nicht mehr habe entzünden können.

Das Operative Abwehrzentrum (OAZ) der Polizei in Leipzig übernahm am Sonntagvormittag die Ermittlungen in dem Fall, wie der Tagesspiegel erfuhr. Es ist für extremistische Straftaten zuständig. Die Ermittler gehen von Brandstiftung aus. OAZ-Sprecherin Kathleen Doetsch sagte dem Tagesspiegel, die bisher unbekannten Täter hätten an zwei Stellen Feuer gelegt, in einem Fall mit Erfolg. Vier Ermittler des OAZ seien vor Ort. Doetsch bestätigte, dass sich die Täter gewaltsam Zutritt zu dem Haus verschafft hätten.

Auch ein möglicher Zusammenhang mit der Zusammenrottung der Neonazis am Vorabend auf der Eisenbahnbrücke wird demnach vom Operativen Abwehrzentrum der Polizei untersucht. "Wir prüfen, ob es Zusammenhänge gibt", sagte die OAZ-Sprecherin. "Es wird in alle Richtungen ermittelt."

Die "Initiative Heimatschutz" distanzierte sich auf Facebook von "jeglichen Brandstiftungen, Anschlägen und sonstigem". Sie versicherte: "Wir sind weder rechtsextrem, noch rassistisch!"

Tillich und Ulbig fahren nach Meißen


Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich und Landesinnenminister Markus Ulbig (beide CDU) fuhren am Sonntagnachmittag nach Meißen. Sie besichtigten den Tatort in der Rauhentalstraße und verurteilten dort den "feigen Anschlag", wie der Sprecher des sächsischen Innenministeriums, Martin Strunden, mitteilte.

Zeitgleich fand in der Domstadt eine Solidaritätskundgebung mit Flüchtlingen statt, zu der verschiedene Initiativen aufgerufen haben. Rund 100 Menschen beteiligten sich. Der Anschlag auf die neue Unterkunft sei für die Asylsuchenden ein "harter Schlag", hieß es im Aufruf zu der Demonstration: "Um diese Menschen zu unterstützen und ein Zeichen für Toleranz und gegen rechtes Gedankengut zu setzten, findet heute eine Spontandemonstration statt. Damit Meißen nicht zum zweiten Freital wird, kommt alle vorbei und unterstützt uns."

Der Besitzer des Hauses, in dem die Flüchtlinge unterkommen sollen, sagte auf der Kundgebung: "Das haben nicht drei einzelne geplant. Wir haben hier ein gesellschaftliches Problem in Meißen." Er kündigte, das teilweise ausgebrannte Haus so rasch wie möglich wieder herzurichten. Tillich und Ulbig nahmen an der Solidaritätskundgebung nicht teil.

Thomas de Maizière: Ich toleriere keine Form von Gewalt oder Hass


Meißen ist auch der Bundestagswahlkreis von Thomas de Maizière (CDU). Der Bundesinnenminister hatte sich zu dem Thema mehrfach öffentlich geäußert und klargestellt, dass er keinen Hass und keine Gewalt gegen Asylbewerber oder Flüchtlinge toleriere. Am Sonntag sagte er dem Tagesspiegel auf Anfrage: "Die Aufnahmebereitschaft in Deutschland ist weiter groß – das macht mich zufrieden und stolz. Aber wir dürfen nicht übersehen, dass bei einem kleinen Teil der Bevölkerung Frust und sogar Wut steigen."

Er habe sich, so de Maizière weiter, "in den vergangenen Monaten der Diskussion mit der teilweise zurecht verunsicherten Bevölkerung gestellt. Diese Gruppe müssen wir mitnehmen und Ängste und Sorgen durch Diskussionen nehmen. Das ist meine Pflicht als Politiker. Aber eins muss auch klar sein: Ich toleriere keine Form von Gewalt oder Hass. Die Zahl der Straftaten gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte ist gestiegen. Dem müssen wir entschlossen und hart entgegentreten."

Sachsens Linken-Landes- und Fraktionschef Rico Gebhardt fuhr am Sonntag nach Meißen. Er sagte: "Ganz egal, wer das Gebäude angesteckt hat: Wenn zukünftige Asylheime brennen, dann müssen wir Gesicht zeigen und dürfen nicht schweigen. Denn von einem solchen Anschlag ist es nur noch ein sehr kleiner Schritt, bis bewohnte Heime brennen. Das hat auch der versuchte Sprengstoffanschlag auf die Unterkunft in Freiberg gezeigt."

"Rassistische Hetze in Meißen"


Martin Oehmichen, Kreisrat der Grünen in Meißen, äußerte sich "entsetzt und schockiert". Er sagte dem Tagesspiegel: "Ich erwarte eine schnelle Klärung der Brandursache durch die Polizei. Sollte sich die Vermutung einer vorsätzlichen Brandstiftung aus rassistischen Motiven bestätigen, hoffe ich, dass der oder die Täter schnell zur Verantwortung gezogen werden."

Rassistisch motivierter Hass, das Schüren von Angst vor Flüchtlingen und die pauschale Diskriminierung aller Gläubigen einzelner Religionen nähmen auch im Kreis Meißen beängstigende Formen an, sagte der Grünen-Politiker weiter. "Wenn man Kommentare in den sozialen Netzwerken wie beispielsweise Facebook liest, bekommt man einen Eindruck davon, warum sich im Kreis Meißen viele Menschen aufgrund von dem gelebten offenen Rassismus nicht mehr ohne Angst vor die Türe trauen."

Zur Facebook-Seite "Initiative Heimatschutz" erklärte Oehmichen, dort werde "vollkommen widerspruchslos diskriminiert, beleidigt, menschenfeindlich gehetzt und offen zur Gewalt aufgerufen". Und: "Sollte sich der Verdacht weiter erhärten, dass in einem solchen Klima auch ein Brandanschlag gegen eine geplante Unterkunft für asylsuchende Menschen stattfand, wäre dies ein schrecklicher Höhepunkt der rassistischen Hetze, die in Meißen in den vergangenen Monaten stattfand."

Sören Skalicks, Kreisrat der Piraten Meißen, sagte: "Es ist entsetzlich zu sehen zu was Menschen fähig sind. Sollten sich die Zeugenaussagen bewahrheiten, dann muss nun auch dem Letzten hier vor Ort klar werden, dass wir ein massives Rassismus-Problem haben. Auch wenn die Unterkunft leer war, wurden hier Menschenleben gefährdet und es zeigt, mit welchen Mitteln hier verhindert werden soll, dass Menschen Schutz finden können."

Meißen liegt nicht weit von Freital, wo es seit knapp einer Woche Auseinandersetzungen um eine neue Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber gibt. Dort hatte sich Tillich mehrere Tage lang Zeit gelassen, bevor er zu einem Besuch im Flüchtlingsheim aufbrach.