Wie die "taz - die tageszeitung" den Rechten in der Bundestagspolizei auf die Schliche kam

Das Making-of der Journalisten Sebastian ERB und Kersten AUGUSTIN

Wir berichten in der taz schon länger über Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden, insbesondere über das „Hannibal“-Netzwerk, in dem sich Spezialkräfte aus Bundeswehr und Polizei in rechtsextremen Preppergruppen zusammengeschlossen haben – in Vorbereitung auf einen „Tag X“. In diesem Zusammenhang erreichten uns schon vor Jahren vage Hinweise, dass es auch in Reihen der Polizei beim Deutschen Bundestag Probleme in diese Richtung gebe. Das erscheint zunächst überraschend. Denn die Parlamentspolizei, die als eigene Polizeibehörde dem bzw. der Präsidentin des Bundestags untersteht, umfasst nur rund 200 Beamt:innen. Zumindest für diese Posten sollte man ja Personen finden, die sicher auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Könnte man meinen.

Nach dem versuchten “Sturm auf das Reichstagsgebäude” durch Querdenker:innen im August 2020 und dem Angriff auf das US-Kapitol am 06. Januar 2021 fragten wir uns: Ist der Bundestag ausreichend geschützt? Und hat das Parlament womöglich ein Problem mit Demokratiefeinden in der eigenen Verwaltung?

Ende 2020 begannen wir also mit der konkreten Recherche: Wir haben mit aktuellen und ehemaligen Bundestagspolizist:innen gesprochen und Informant:innen gewinnen können, die nicht nur einzelne Vorkommnisse, sondern ein strukturelles Problem beschrieben. Das war nicht leicht, da die berühmte “Mauer des Schweigens” stark zu spüren war. Selbst Polizist:innen, die z.B. aufgrund eigener Diskriminierungserfahrungen ein Motiv für Aufklärung haben könnten, wollten oft nicht mit uns sprechen. Daran mag es auch gelegen haben, dass trotz kritikwürdiger Vorgänge über Jahrzehnte hinweg nur wenig in die Öffentlichkeit gedrungen ist. Die Personen, mit denen wir sprechen konnten, legten teils Wert auf konspirative Umstände der Kommunikation. Eine Sache war für uns immer besonders wichtig: Der Schutz unserer Quellen – und das soweit wir es überblicken können erfolgreich. Das hatte zur Folge, dass wir über manche relevanten und krassen Aspekte nicht berichten konnten, weil sonst womöglich Rückschlüsse darauf hätten gezogen werden können, mit wem wir möglicherweise in Kontakt standen.

Die besondere Herausforderung bei der Recherche war, dass wir offenbar die Ersten waren, die sich systematisch mit der Bundestagspolizei beschäftigten. Es gab keine internen Ermittlungen oder Vergleichbares, auf das wir zurückgreifen konnten. Es gab auch keine Organisationen, die sich von außen mit der Problematik beschäftigt hätten.

Wir haben Mitarbeiterlisten der Bundestagspolizei erhalten und ausgewertet. Ausgeweitet haben wir die Recherche auf Mitarbeiter:innen der Bundestagsverwaltung, wobei wir unter anderem auf relevante Wechsel von Personal aus der Verwaltung zur AfD-Fraktion stießen. Wir haben mit Personalratsmitgliedern, Mitarbeiter*innen von Abgeordneten und Pförtner:innen gesprochen. Außerdem haben wir systematisch Social-Media-Accounts ausgewertet (auch mit speziellen Tools)  und waren auf den Fluren des Bundestags unterwegs. Wir haben teilweise auch Polizist:innen an ihren Wohnorten besucht und angesprochen.

Nachdem die Bundestagsverwaltung von der Recherche erfuhr, wurden wir zu Hintergrundgesprächen mit leitenden Beamten eingeladen.

Wir haben interne Dokumente der Bundestagsverwaltung ausgewertet und konnten Bilder in Chatgruppen der Bundestagspolizei einsehen. Zur besonderen Geschichte der Bundestagspolizei haben wir wissenschaftliche Arbeiten ausgewertet. Hintergründe zu den betroffenen Personen recherchierten wir auch in sozialen Netzwerken und archivierten Internetseiten.

Die Recherche war aufwändig, vom Beginn der Recherche bis zur ersten Veröffentlichung vergingen sechs Monate. Wir brauchten einen langen Atem, um Quellen in der Bundestagspolizei zu gewinnen und waren dafür viel in Berlin und Brandenburg unterwegs. Immer wieder gingen wir auch kleineren Hinweisen nach, standen vor verschlossenen Türen und mussten aufwändig recherchierte Ansätze verwerfen. Zu den Hindernissen, die wir zu überwinden hatten, gehörten auch Hinweise darauf, dass angeblich aus der Polizei des Bundestags Recherchen über uns angestellt wurden. Demnach drohten Polizisten damit, uns zuhause besuchen zu wollen. Es ist selbstverständlich schwierig, solche Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, weswegen wir sie öffentlich auch nicht thematisiert haben. Außerdem wurden wir von einem Mitarbeiter der AfD-Fraktion verklagt, konnten vor Gericht aber durchsetzen, dass wir weiterhin über ihn berichten dürfen.

Nach unserer ersten Veröffentlichung war klar, dass uns das Thema weiter beschäftigen wird. Denn im Bundestag wurden interne Ermittlungen angestoßen, von denen unklar war und ist, wohin sie führen würden. Wir berichteten immer wieder über neue Entwicklungen bei der Bundestagspolizei, auch nach dem Regierungswechsel. Wir begleiteten nicht nur die von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble versprochene Aufklärung, sondern trieben diese durch neue Veröffentlichungen voran.

Zuletzt konnten wir zeigen, dass es trotz der breiten öffentlichen Aufmerksamkeit für das Thema nach wie vor in der Bundestagsverwaltung mindestens an Sensibilität mangelt. Denn der neue Sicherheitschef im Parlament, der direkt für die Bundestagspolizei und die Einlasskontrollen zuständig ist, steht selbst politisch rechts außen. Direkt nachdem wir die Bundestagsverwaltung mit dem Sachverhalt konfrontiert haben, wurde der leitende Beamte von seinen Aufgaben entbunden, zunächst vorläufig, dann endgültig.

Folgen unserer Recherche:

  • Die damalige Vizepräsidentin des Bundestags Claudia ROTH forderte eine externe Untersuchung der Vorfälle und ein Polizeigesetz für den Bundestag
  • Der damalige Bundestagspräsident Wolfgang SCHÄUBLE, führte – offenbar erstmals – Gespräche mit Polizist:innen aller Dienstgrade.
  • Eine umfangreiche interne Ermittlung wurde begonnen: 200 aktive und ehemalige Bundestagspolizist:innen wurden einzeln zu unseren Recherchen befragt.
  • Eine Vertrauensperson im Bundestag wurde eingesetzt, an die sich Mitarbeiter:innen wenden können, um extremistische Vorfälle melden zu können.
  • Fünf Disziplinarverfahren wurden eröffnet und zwei Polizist:innen vorläufig vom Dienst suspendiert. Einer von beiden soll im Bundestag den Hitlergruß gezeigt haben, der andere war Mitglied einer Reichsbürgerpartei. Beide Fälle hatten wir als erste thematisiert. Im ersten Fall laufen auch strafrechtliche Ermittlungen. 
  • Die Bundestagsverwaltung räumte ein, dass sie widersprüchliche Angaben über spezielle Bewaffnung gemacht hatte. Sie hatte keine Informationen darüber, dass die Bundestagspolizei Scharfschützengewehre besaß, die eigentlich zur Ausrüstung von Spezialeinsatzkommandos gehören; diese Gewehre wurden nach unserer Recherche ausgemustert
  • Alle Mitarbeiter:innen der Bundestagspolizei erhalten nun verpflichtende Schulungen zur Prävention von Rechtsextremismus
  • Diese und weitere Maßnahmen, die nach unserer Recherche getroffen wurden, werden im im Mai 2022 veröffentlichten Lagebericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu „Rechtsextremisten, ,Reichsbürger' und ,Selbstverwalter' in Sicherheitsbehörden“ genannt. Die Verdachtsfälle tauchen hingegen dort nicht auf, weil sie erst nach Ende des Erhebungszeitraums offiziell registriert wurden.
  • Die Bundestagspolizei erhielt einen neuen Referatsleiter. Nachdem wir berichteten, dass dieser Mitglied der äußerst rechten Burschenschaft Gothia ist und in der Vergangenheit für die rechte Splitterpartei Bund Freier Bürger kandidiert hatte, wurde der Beamte von seinen Aufgaben vorerst entbunden und dann endgültig auf eine andere Referatsleitungsposition versetzt.
  • Ein Pförtner am Westtor des Bundestags, der Mitarbeiter einer externen Sicherheitsfirma ist, wird nicht mehr im Bundestag eingesetzt, nachdem wir über dessen rechtsextreme Aussagen berichtet hatten
  • Gremien des Bundestags beschäftigten sich immer wieder mit den Ergebnissen unserer Recherchen: Unter anderem der Ältestenrat, das Bundestagspräsidium sowie das Gremium der Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen
  • Andere Medien griffen unsere Recherchen auf

Die aufwändige Recherche hat sich gelohnt.

Sebastian ERB und Kersten AUGUSTIN