Rechtsextreme Polizisten im Bundestag - eine Chronologie

1960er

Eine Handvoll Polizist*innen arbeiten im Bundestag in Bonn

Zu dieser Zeit gehören sie noch zur gleichen Abteilung wie die Reinigungskräfte. Sie wurden zunächst Hausinspektion, dann Ordnungsdienst genannt.

1970er

Bundestagspolizisten dürfen nun Gewahrsamnahmen durchführen

Der Terror der RAF sorgt für strengere Maßnahmen: Bundestagspolizisten ist es nun erlaubt Menschen in Gewahrsam zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt arbeiten ca. 50 Polizist*innen im Bundestag.

1989

Umbenennung in „Polizei- und Sicherungsdienst“

Die Umbenennung erfolgte durch die damalige Bundestagspräsidentin Rita SÜSSMUTH.

1999

Personalprobleme durch den Umzug nach Berlin

Viele der Polizeibeamten wollten in Bonn bleiben, durch den Umzug von Bonn nach Berlin herrschte plötzlich ein Personalmangel. Ein leitender Polizist äußerte sich dazu wie folgt: „Wir haben dann jeden genommen“. Die neuen Angestellten der Bundespolizei seien zum Teil „Problemfälle“ gewesen, die die Land- und Bundespolizei „loswerden“ wollten, somit wurden sie dann im Bundestag eingesetzt. Der andere Teil bestand aus Quereinsteiger*innen, ohne reguläre Polizeiausbildung, die schon in der Vergangenheit im Gebäude beschäftigt waren. Unter anderem ein Schlachter und ein Gasableser. 

2014

Ein Polizist ist Mitglied in Reichsbürgerpartei

Der Bundestagspolizist Michael R. wird Vorsitzender der Splitterpartei „Deutsche Nationalversammlung“, eine Reichsbürgerpartei, die das Grundgesetz nicht anerkennt. Am 11.09 2014 organisierten sie unter dem Motto "Achtung! Wachablösung! Das Grundgesetz geht - die Verfassung kommt! Für ein souveränes Deutschland!“ eine Demonstration vor dem Reichstagsgebäude. 

2015

Rassismus innerhalb der Bundestagspolizei spitzt sich zu

(Ehemalige) Mitarbeiter*innen berichten, dass sich die Beamt*innen besonders in dieser Zeit verdächtig äußerten und zum Beispiel Schutzsuchende als Terroristen bezeichneten. Zudem äußerten sie offen Kritik an der Asylpolitik und dem Umgang der Bundesregierung in dieser Thematik. Mehrere Polizist*innen nahmen an Demonstrationen der rechtsextremen Organisation Pegida teil. 

Gründung einer Spezialeinheit

Gleichzeitig bildete sich 2015 innerhalb der Bundestagspolizei eine Art Spezialeinheit, das „Team besondere Aufgaben“ . Die Mitglieder gehen regelmäßig auf Lehrgänge, unter anderem zur Bundeswehr.

Anfangs war diese Spezialeinheit nicht allen leitenden Beamten und Mitgliedern des Bundespräsidiums bekannt. Die Gründung einer solchen Spezialeinheit erklärten sie durch die Amoktaten in Erfurt und Emsdetten, die zu diesem Zeitpunkt allerdings neun und dreizehn Jahre zurücklagen. 

2015/16

Viele Asylbewerber*innen erreichen Deutschland 

Die Folgen des Bürgerkrieges in Syrien haben, unter anderem zu über einer Million Geflüchteten geführt, die nach Deutschland kamen. Dies löste eine gesellschaftliche Debatte zur Asylpolitik in Deutschland aus und erreichte eine neue Dimension an Fremdenfeindlichkeit.

2017

Wolfgang SCHÄUBLE (CDU) wird Bundestagspräsident

Die Bundestagspolizei bekommt mit Wolfgang SCHÄUBLE einen neuen Vorgesetzten. Laut Grundgesetz (Artikel 40, abs. 2 GG) wird das Hausrecht und die Polizeigewalt im Parlament dem Bundespräsidenten übertragen. Nur mit dessen Zustimmung ist es den Bundestagspolizisten erlaubt Menschen in Gewahrsam zu nehmen oder Räume und Büros zu durchsuchen. Die Bundespolizei oder die Stadt Berlin sind nicht zuständig. 

2018

Beschwerde gegen die Bleibepflicht der Polizist*innen im Bundestag

Die Bundestagspolizist*innen haben im Vergleich zu anderen Polizist*innen einen relativ ruhigen Arbeitsalltag. Die Pflicht besteht zum Teil daraus sich um Fehlmeldungen der Alarmanlagen kümmern zu müssen. Daraus entwickelte sich unter den Beamt*innen viel Frust, denn sie wollten die Bundestagspolizei verlassen, allerdings gilt für Polizeianwärter*innen eine Bleibepflicht von einem Jahr. Eine Gewerkschaft, die im Personalrat des Bundetags sitzt, hat sich über die Pflicht beschwert. Es gab darauf keine Antwort.

Bundespolizist verteilt rechtsextreme Flyer um Mitstreiter anzuwerben

Laut ehemaliger Kolleg*innen hat Michael R. im Pausenraum der Bundestagspolizei Flyer der "Preußischen Gesellschaft", einer nationalistischen Vereinigung, verteilt. Das Ziel der Preußischen Gesellschaft ist es Deutschland "geistig zu erneuern", "Überfemdung zu stoppen"  und einen "Freistaat Preußen" zu errichten. Er versuchte ebenfalls eine Zeit lang, Mitstreiter*innen anzuwerben und verschickte rechte Memes in Dienstgruppen. Michael R. hat sich im Aufenthaltsraum seinen Kollegen gegenüber immer wiederholt: er sei "kein Bürger der BRD, da es keinen Einigungsvertrag gegeben habe. Deutschland sei kein Staat, sondern eine GmbH".

2019

Disziplinarverfahren gegen Michael R.

Wegen verfassungswidriger Äußerungen wurde gegen Michael R. ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Der Verdacht habe sich aber nicht bestätigen können und das Verfahren wurde kurz darauf wieder eingestellt. 

29.08.2020

Am 29. August 2020 artet die Demonstration gegen die Corona- Politik aus

Mehrere hundert Menschen durchbrechen die Absperrung des Reichstagsgebäudes und gelangen bis zum Eingang. Nur drei Streifenpolizisten können das Eindrigen verhindern.

Einer der Teilnehmer ist Thilo S., Bundestagspolizist. Er nimmt an der Demonstration, die von der Querdenken-Bewegung iniiziert wurde teil. Nach eigenen Angaben war "er nicht im Dienst" und die "Demonstration war nicht verboten", "was er in seiner Freizeit machen würde, wäre Privatsache"

Einer der Pförtner, Angestellter einer externen Sicherheitsfirma, arbeitet seit über 10 Jahren im Bundestagsgebäude. Er war zum Zeitpunkt des versuchten Sturms im Dienst und bewachte den Westeingang, genau den Eingang, den die Demonstranten am besagten Tag versuchten zu passieren. Er widerspricht den Aussagen der Streifenpolizisten, die an jenem Tag das Eindringen verhindern konnten "die wollten hier gar nicht rein", sagte er auf Nachfrage aus. 

November 2020

Wirtschaftminister Peter ALTMAIER (CDU) wird bedrängt

Im Novemer 2020 hat eine rechte Aktivistin, die als Gast eines AfD- Abgeordneten in den Reichstag gekommen war, den Minister vor einem Aufzug bedrängt. Mehrere Polizist*innen befanden sich in der Nähe, aber niemand schritt ein. 

Seitdem müssen die Abgeordneten des Bundestags eine Liste mit den Namen ihrer Gäste hinterlegen. Die Beamten, die nicht einschritten, kommen ohne Konsequenzen davon. 

2020 / 2021

Rechte Memes in Dienstgruppen

Es häufen sich rassistische und rechtsextreme Äußerungen in den Chatgruppen der Bundestagspolizist*innen. Auch wenn nicht alle Nachrichten strafrechtlich relevant sind, könnten sie disziplinarrechtliche Konsequenzen darstellen. 

06.01.2021

Sturm des US-Kapitols

Anhänger des abgewählten, aber damals immer noch im Amt sitzenden US- Präsidenten Donald Trump stürmen das US-Kapitol in Washington D.C. Den Angreifern gelang es, anders als in Deutschland, sogar bis ins Gebäude. Der Sturm löste weltweite Empörung aus und viele der Abgeordneten in Berlin stellten sich nun die Frage ob so etwas auch in Deutschland passieren könnte.

Der Referatsleiter der Bundestagspolizei verneint dies gegenüber dem Ältestenrat und den Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen. Es gebe keine Anzeichen für Rechtsextremismus in der Bundestagspolizei.

Der Referatsleiter

Der Referatsleiter der Bundestagspolizei ist laut Taz Recherche Mitglied der rechten Burschenschaft Gothia und kandidierte in der Vergangenheit für die rechte Splitterpartei "Bund Freier Bürger".

08.01.2021

Bundestag soll besser geschützt werden

Als Antwort auf den Sturm des US-Kapitols und auch auf den versuchten Sturm auf den Reichstag kündigt Wolfgang SCHÄUBLE an, dass der Bundestag in Zukunft besser geschützt werden soll. Die Bundestagspolizei arbeitet unverändert weiter, die Berliner Landespolizei hat ihre Präsenz vor dem Gebäude verstärkt. 

Frühjahr 2021

Reichsbürger*innen in Uniform

Die Taz Reporter, Sebastian ERB und Kersten AUGUSTIN beginnen eine intensive Recherche zur Bundestagspolizei, sie sprechen mit dutzenden Beamt*innen und stoßen auf "eine Gefahr von innen":

Drei rechtsextreme Verdachtsfälle hat es bereits seit 2013 gegeben,  von denen aber keiner bestätigt werden konnte. Die Pressestelle des Bundestags teilte der taz mit, man handle bei rechtsextremen Verdachtsfällen „klar und konsequent“. 

Bei einem der Fälle ging es um einen Polizeihauptmeister und Mitglied einer Reservistenkameradschaft. Dieser hat laut den ehemaligen Kolleg*innen nicht nur regelmäßig rassistische Äußerungen von sich gegeben, sondern zur Begrüßung auch den Hitlergruß gezeigt. Wolfgang SCHÄUBLE wollte sich auf Anfrage der taz nicht dazu äußern.

2021

Personalwechsel: Vom Bundestag zur AfD und wieder zurück

  • Pförtner: Patrick S. ist Leiter des Fraktionsdienstes der AfD und sitzt für die Partei in einer Gemeindevertretung in Brandenburg. S. ist aber auch bekannt für seine rechten Facebook Posts, er wünscht zum Beispiel zu Weihnachten "ein schönes Julfest!". Im Juni 2021 sind außer Patrick S., zwei weitere Pförtner beurlaubt um für die AfD Fraktion zu arbeiten. Es ist nicht unüblich, dass Mitarbeiter*innen der Bundesverwaltung für andere Fraktionen arbeiten, allerdings ist es bei den Fraktionsmitarbeiter*innen der AfD problematisch, da sie zum Teil rechtsextrem sind. Mitarbeiter*innen der Bundestagsverwaltung ist es zudem grundsätzlich erlaubt auf ihre vorige Position zurückzukehren.
  • Der Besucherdienst des Bundestags bietet Touristen und Besuchergruppen zweimal wöchentlich Spiele an „Parlamentarische Demokratie spielerisch erfahren“. Einer der ehemaligen Mitarbeiter des Besucherdienst ist Phillip RUNGE, Verwaltungsleiter der AfD-Bundestagsfraktion. Seit Gründung des Besucherdienstes finden sich unter den Mitarbeitern auch Mitglieder der Berliner Burschenschaft Gothia, einer rechts orientierten Verbindung, die seit 1877 exisitiert. Sie bietet ihren Mitgliedern Veranstaltungen an, bei denen konservative bis extrem Rechte Vertreter als Referenten geladen werden, darunter auch Holocaust Leugner Horst MAHLER.
  • Anzahl der Bundestagspolizist*innen steigt auf rund 200. Im Vergleich lag die Anzahl in den 1970ern noch bei ca. 50 Polizist*innen. Zudem finden sich 150 Pförtner und ca. 400 weitere Security-Mitarbeiter, die von der extrernen Sicherheitsfirma PIEPENBROCK im Bundestag eingesetzt werden.

16.06.2021

Veröffentlichung des taz-Artikels

In der taz wird der Artikel von Kersten AUGUSTIN und Sebastian ERB zur Recherche des Rechtsextremismus in der Bundestagspolizei veröffentlicht. Schon eine Woche später reagiert der Bundestag darauf.

21.06.2021

Gremium beschäftigt sich mit Problematik

Das Gremium der Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen im Bundestag befasst sich mit dem taz Artikel. Die Mitglieder kritisieren das Verhalten der Referatsleitung.

Konsequenzen werden gefordert

Vizepräsidentin, Claudia ROTH fordert Konsequenzen und plädiert für eine externe Untersuchung und eine unabhängige Studie. Um die  Glaubwürdigkeit und Transparenz wieder herzustellen sollen: die Hintergründe von Personen besser überprüft werden, ein unabhängiger Polizeibeauftragter eingesetzt werden und die Polizei soll ein eigenes Polizeigesetz erhalten. 

26.06.2021

Wolfgang SCHÄUBLE kündigt Maßnahmen an

Die Maßnahmen beinhalten u. a. eine Ansprechperson für extremistische Vorfälle und verpflichtenden Schulungen für die Bundestagspolizist*innen. Die Haltung von Claudia ROTH wird nicht von allen Personen im Bundestag unterstützt, kritik erntete sie beispielsweise von Wolfgang KUBICKI (FDP) oder Dagmar ZIEGLER (SPD), allerdings unterstützen sie die Forderungen nach einem Polizeigesetz. Mitglieder*innen des Gremiums der Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen kritisierten das Verhalten der Referatsleitung der Bundestagspolizei, denn relevante Informationen wurden nicht übermittelt.

23.10.2021

Umsetzung der angekündigten Maßnahmen 

  • Eine interne Ermittlung hat begonnen: 200 aktive und ehemalige Bundestagspolizist*innen werden einzeln befragt
  • Eine Vertrauensperson wird im Bundestag eingesetzt
  • Zwei Polizist*innen werden vorläufig vom Dienst suspendiert
  • Alle Mitarbeitenden der Bundestagspolizei erhalten verpflichtende Schulungen zur Prävention von Rechtsextremismus

Dezember 2021

Norman P. wird Leiter des Sicherheitsrats

Trotz der Mitgliedschaft in der Berliner Burschenschaft Gothia wurde Norman P. vom Personalreferatsleiter zum Leiter des Sicherheitsrats ernannt worden. Somit ist er nicht nur für Polizeibeamt*innen, sondern auch für Pförtner*innen verantwortlich.

22.01.2022

Kritik der Reporter an den Maßnahmen: 

Die taz kritisiert die erbrachten Maßnahmen. Eine ausschließlich interne Aufarbeitung sei nicht genug.

Laut taz-Recherche waren die Befragungen suggestiv und lieferten deswegen keine wahrheitsgemäßen Antworten. Zudem könnte versucht worden sein mit der Befragung Whistleblower herauszustellen. Die Referatsleiterposition, die mit Norman P. gedeckt wurde, stand ebenfalls in der Kritik. Er wurde erst von seinen Aufgaben entbunden und dann endgültig auf eine andere Referatsleiterposition versetzt.

01.03.2022

Erneut Wechsel: Neuer Leiter des Sicherheitsrats

Der neue Leiter war vorher Leiter eines Personalreferats, das für die internen Ermittlungen rechtsextremer Vorfälle in der Bundestagspolizei verantwortlich war. Jetzt hat er die Leitung des Sicherheitsreferats und damit der Parlamentspolizei und des Einlasskontrolldienstes übernommen.

Norman P. leitet nun ein Referat der Wissenschaftlichen Dienste.

27.04.2022

Druck durch die taz

Die taz kritisiert weiterhin den Umgang mit rechten Burschenschaftlern in eigenen Reihen, denn Norman P. war kein Einzelfall und gegen weitere Fälle wird nicht vorgegangen. Dazu hinterfragt die taz wieder die Neubesetzung des Sicherheitsratsposten.

Die Bundestagsverwaltung teilt der taz mit, dass sie nach wie vor keine Notwendigkeit für externe Untersuchungen sieht.

Resümee

Was hat sich seit Veröffentlichung der Recherche verändert?

  • Wolfgang SCHÄUBLE (damaliger Bundespräsident) führt erstmals Gespräche mit Polizist*innen aller Dienstgrade
  • Claudia ROTH fordert eine externe Untersuchung der Vorfälle und ein Polizeigesetz.
  • Interne Ermittlungen: 200 aktive und ehemalige Bundestagspolizist*innen werden einzeln befragt
  • Eine Vertrauensperson, an die sich Mitarbeiter*innen der Bundestagspolizei wenden können, um extremistische Vorfälle zu melden, wird eingesetzt.
  • Zwei Polizist*innen werden vorläufig vom Dienst suspendiert, einer von beiden soll den Hitlergruß gezeigt haben (es folgten ebenfalls strafrechtliche Verfahren) der andere war Mitglied einer Reichsbürgerpartei. Fünf weitere Disziplinarverfahren wurden eröffnet
  • Alle Mitarbeitenden der Bundestagspolizei erhalten verpflichtende Schulungen zur Prävention von Rechtsextremismus
  • Diverse Mitarbeiter*innen des Bundestags werden von ihren Positionen entbunden oder Versetzt: einer der Pförtner (angestellter einer externen Sicherheitsfirma) wird nicht mehr im Bundestag eingesetzt und die Bundestagspolizei erhält einen neuen Referatsleiter, da der ehemalige Leiter Mitglied der rechten Burschenschaft Gothia ist und in in der Vergangenheit für die rechte Splitterpartei „Bund Freier Bürger“ kandidiert hatte. Er wird erst von seinen Aufgaben entbunden und dann endgültig auf eine andere Referatsleiterposition versetzt