Sebastian ERB, taz - die tageszeitung

„DER Experte für Recherchearbeit in der taz“ – Ein Portrait

Ein wütender, unaufhaltsamer Mob stürmt den US-Kongress in Washington, bedroht gewählte Volksvertreter*innen und Sicherheitskräfte. Auf seinem wüsten und chaotischen Zug durch das Kapitol richtet er nicht nur sachlichen Schaden an. Viele Menschen, die sich im Gebäude befinden, bangen um ihr Leben. Es liegt in den Händen von teils rechtsextremen Trump-Anhängern. Es gibt an diesem Mittwoch mehr als 700 Festnahmen, unzählige Verletzte, fünf Tote. Die Szenen, die sich auch schnell in den sozialen Medien verbreiten, gleichen denen aus einem Hollywood-Film. Und selbst für die politisch sehr gespaltenen USA ist dieser direkte Angriff auf die Demokratie ein Novum.

Taz-Journalist Sebastian ERB ist an diesem 6. Januar 2021 knapp 7.000 Kilometer von den Geschehnissen entfernt. Er verfolgt die Bilder vom Kapitol in den Nachrichten, in den vergangenen Jahren hat er sich besonders mit Rechtsextremismus und anderen Problemen in deutschen Sicherheitsbehörden beschäftigt. Für die Aufarbeitung des Sturms auf das Kapitol und besonders des Sicherheitsversagens werden in den kommenden Wochen zwar US-Kollegen zuständig sein, dennoch stellt sich ERB gleich mehrere Fragen. Auch, weil es nur wenige Monate zuvor einen versuchten Sturm auf den Reichstag in Berlin durch Querdenker*innen gegeben hatte: Wer sind eigentlich die Frauen und Männer, die den deutschen Reichstag und seine Mitarbeiter im Notfall verteidigen? Ist er ausreichend geschützt? Und hat das Parlament womöglich ein Problem mit Demokratiefeinden in der eigenen Verwaltung?

"Hitlergruß im Bundestag"

Gut sechs Monate investigative, sorgfältig aufbereitete Recherchearbeit später erfuhren viele Deutsche überhaupt erstmals von der sogenannten Bundestagspolizei, dessen 210 Beamt*innen das Parlament im Notfall mit Waffen verteidigen soll. Die Recherche brachte aber noch viel mehr ans Tageslicht: Hitlergrüße im Pausenraum, das Aufrufen zu Querdenker-Demos oder Engagements in Reichsbürgerparteien. Und das alles inmitten der Polizeibehörde, die den Bundestag im Zweifelsfall auch vor rechtsextremen Angriffen schützen muss. Die Rechercheerkenntnisse schlugen hohe Wellen. Nach etlichen Entlassungen und weiteren weitreichenden Veränderungen in der Struktur der Bundestagspolizei wurde nun auch die Recherche selbst geehrt. Sebastian ERB erhielt gemeinsam mit Kersten AUGUSTIN beim diesjährigen Wächterpreis den zweiten Preis. Es ist nicht seine erste Auszeichnung für außergewöhnliche Recherche-Arbeit. Doch von Anfang an.

Geboren und aufgewachsen in Karlsruhe, widmete sich Sebastian ERB schon früh und in ganz klassischer Weise dem Journalismus. Er schrieb in seiner Jugend für die Schulzeitung, nahm an Projekten der Jugendpresse Deutschland teil und probierte sich bei der Lokalzeitung aus. Schon damals widmete er sich bevorzugt bundespolitischen Themen: „Ich versuchte direkt, kritischen Journalismus zu machen und Dinge anzustoßen“. Sein folgender Freiwilligendienst in Nicaragua entfachte eine Liebe zum südamerikanischen Kontinent, die noch heute tief in seinem Leben und seiner Arbeit verwurzelt ist. Immer wieder berichtet er von dort, von Patagonien bis nach Kuba. Seine Vorlieben aus seiner Jugend prägten also bereits den Recherche-Experten Sebastian ERB grundlegend, den wir heute kennen.

Nach seiner Zeit in Nicaragua studierte der heute 38-Jährige Sozialwissenschaften in Düsseldorf und Brüssel. Seinen Master im Fach Journalismus machte er anschließend in Kombination mit Ausbildung an der deutschen Journalistenschule an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Nur theoretisch gestaltete sich seine Studienzeit aber nicht. Nebenbei machte er diverse Praktika und war als freier Mitarbeiter für eine Nachrichtenagentur tätig. Zudem kamen auch erste Veröffentlichungen von Auslands-Reportagen für die taz dazu. Für die überregionale Tageszeitung aus Berlin machte er damals schon seine ersten Schritte als freier Journalist, unter anderem in Print und Radio.

"Ich kann im Prinzip machen, was ich auch machen würde, wenn ich nicht arbeiten müsste"

Der taz blieb er fortan treu. Nach seinem Studium wurde er fester Redakteur in verschiedenen Ressorts. Während dieser Zeit legte ERB den nächsten Grundstein für heutige Tätigkeiten. Er begann als Dozent für Online-Recherche. Heute gibt er immer wieder Online-Seminare zu verschiedenen Themenbereichen aus der Investigativ-Recherche und gibt dabei jahrelanges Wissen aus seiner spannenden wie vielfältigen Recherche-Karriere an angehende Journalisten weiter.

Seine größten Rechercheprojekte bearbeitete er stets im Auftrag der taz, für die er heute im Ressort Reportage & Recherche mit Schwerpunkt auf investigativen Recherchen zu Rechtsextremismus, Geheimdiensten und anderen gesellschaftlichen Missständen vor allem für die „taz am Wochenende“ tätig ist. Warum für ihn kein anderer Job in Frage kommt und was ihn jeden Tag antreibt? „Ich kann im Prinzip machen, was ich auch machen würde, wenn ich nicht arbeiten müsste. Mich in neue Themenfelder einarbeiten, spannende Dinge herausfinden, Missstände aufdecken, an Orte gehen, an die ich sonst nicht so leicht kommen würde, mit Menschen reden, mit denen ich privat nicht reden würde – und einen gesellschaftlichen Mehrwert haben die meisten Ergebnisse aus. Das ist schon ziemlich cool“. ERB ist eben Journalist durch und durch.

Auf seinem Karriereweg erhielt der gebürtige Karlsruher nicht nur etliche Journalistenpreise, sondern überraschte auch mehrfach durch außergewöhnliche Recherchen. Da wäre zum Beispiel seine Reise nach Abchasien (Georgien) im Jahr 2015, um einer vermessenen Behauptung auf den Grund zu gehen. Laut Wikipedia soll hier, in umkämpftem Territorium, der kürzeste Fluss der Welt sein. Der Reprua hat laut der einzigen Quelle, einer universitären Exkursion, eine Länge von 18 Metern. Doch gibt es ihn überhaupt? Für Erb ist auch möglich: „Vielleicht ist er nur eine Internet-Erfindung wie der zehnte Vorname von Freiherr von und zu Guttenberg.“

Mit dem Maßband zum vermeintlich kürzesten Fluss der Welt – Sebastian ERB unterwegs in Abchasien

Der einzige Weg für Erb, die Wahrheit herauszufinden, ist selbst dorthin fahren. Seine wichtigste Begleitung ist bei dieser Recherche ein Maßband. Der taz-Reporter misst nach: 27 Meter Flusslänge. 50 Prozent länger als behauptet. Damit bleibt der Reprua vielleicht der kürzeste Fluss der Welt. Eine vertrauenswürdige Quelle hat das unbekannte Prachtstück Georgiens jetzt aber allemal, Erb selbst. Und somit haben sich die Einzelnachweise im Wikipedia-Artikel des Repruas schlagartig verdoppelt. Für manche mag die Recherche unbedeutend klingen. Tatsächlich braucht es aber hartnäckige Journalisten wie ERB, um unser Wissen über die Welt weiter zu perfektionieren. Für „Der vermessene Reprua“ erhielt Sebastian Erb unter anderem den „Colombus Autorenpreis 2015“ der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten und den dritten Platz beim „Henry Nonsens Preis 2016“.

Deutlich bekannter dürften dennoch seine Recherchen rund um das „Hannibal“-Netzwerk sein, in dem sich Spezialkräfte aus Bundeswehr und Polizei in rechtsextremen Preppergruppen zusammengeschlossen haben – in Vorbereitung auf einen „Tag X“. Als Beispiele für Erbs Aufdeckungen seien genannt: Die Machenschaften des rechtsextremen und dem Hannibal-Netzwerk verwandten Vereins „Uniter“, der inzwischen auch vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Oder die Ereignisse rund um die private Pistole des damaligen Innenministers von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz CAFFIER, der in Folge von ERBS Recherchen und Veröffentlichungen von seinem Amt zurücktrat. In den weitreichenden und vielzähligen taz-Recherchen über das terrorverdächtige und rechtsextreme hatte ERB entscheidenden Anteil. Dafür wurde er gemeinsam mit dem Recherche- Team als „Team des Jahres“ (Medium Magazin) ausgezeichnet. Außerdem erhielt Erb den zweiten Platz beim Journalistenpreis „Langer Atem“.

Der Spagat zwischen Beweisfindungen über den kürzesten Fluss der Welt in Georgien, der Suche nach einem untergetauchten taz-Spion (zur Recherche) und einem gewaltbereiten, rechtsextremen Netzwerk in Deutschland ist groß. ERB hat sich allem angenommen und mit den Recherchen nicht nur Leser beeindruckt, sondern auch für handfeste Ergebnisse und nachhaltige, positive Veränderungen gesorgt. Am wohl erkenntnisreichsten und auch schockierendsten sind aber wohl seine Aufdeckungen zu rechtsextremen Strukturen in der Bundestagspolizei.

Die ganze Geschichte lesen Sie hier unter "Feind und Helfer im Bundestag".

Mehrere, selbst undemokratische Polizisten und Mitarbeiter, die für den direkten Schutz des demokratischen Parlaments in Deutschland zuständig sind. Und jahrelang haben die, die davon wussten, das Problem ignoriert. Erb selbst ist heute noch schockiert: „Ich dachte, es müsste doch möglich sein, zumindest 210 Polizist*innen zu finden, die wirklich zu 100prozentig auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Dass dem nicht so ist und die Bundestagspolizei in Teilen ein bedenkliches Eigenleben entwickelt hat, finde ich nach wie vor krass“. Die Recherche war zäh und zum Teil frustrierend, wie er sagt. „Das war nicht leicht, da die berühmte 'Mauer des Schweigens“'stark zu spüren war. Wir brauchten einen langen Atem, um Quellen in der Bundestagspolizei zu gewinnen“.

"Es geht darum, herauszufinden, was wirklich stimmt" – Sebastian ERB, DER Experte für Recherchearbeit in der taz

Doch er und taz-Kollege Kersten AUGUSTIN blieben dran. Erneut ging ERB mit dem Maßband vor und ging jedem noch so kleinen Hinweis über rechtsextreme Andeutungen nach. Mit Erfolg: Sechs Monate später deckte er ein bis dato der Öffentlichkeit und hochrangigen Politiker*innen völlig unbekanntes Problem auf. „Und die Geschichte ließ sich auch noch besonders anschaulich an einem symbolträchtigen Ort erzählen“, dem Reichstag in Berlin. Nach der Veröffentlichung lösten die Recherche-Ergebnisse diverse Untersuchungen und Maßnahmen des Bundestagspräsidiums aus. ERB traf genau ins Schwarze und machte den Bundestag damit ein Stück weit demokratischer.

Für die Recherche-Arbeit mit dem Namen „Hitlergruß im Bundestag“ wurde ERB nun (31. Mai 2022) gemeinsam mit Kersten AUGUSTIN nun mit dem zweiten Platz beim Wächterpreis 2022 ausgezeichnet. „Recherchen innerhalb der Polizei sind nie leicht – es ist daher herausragend, dass es Kersten Augustin und Sebastian Erb gelungen ist, das Vertrauen von Beamten zu gewinnen“, kommentierte die Jury (Dr. Anna SAUERBREY / Zeit) die Vergabe des Preises. Wer weiß, ohne ERBS Recherche-Arbeit wäre vielleicht auch in den nächsten zehn Jahren niemand auf rechtsextreme Probleme mitten in der Bundestagspolizei aufmerksam geworden. Somit hat es der taz-Reporter erneut geschafft, die Gesellschaft ein bisschen schlauer und auch besser zu machen. Und dafür ist er auch Investigativ- Journalist geworden: „Es geht nicht, nur zu verlautbaren, was verschiedene Akteure sagen. Es geht darum, herauszufinden, was wirklich stimmt. Man muss sich der Wahrheit zumindest annähern, soweit das eben geht. Das kann sonst niemand, außer wir Journalisten“. Und genau das hat er wieder einmal in beeindruckender Weise geschafft.

Mehr Informationen über Sebastian ERB und seinen Recherche-Arbeiten finden Sie hier:

Erreichbar unter erb [at] taz.de

(Jonas WAHL)