Die einzelnen Artikel des SZ-Spezials "Die Waffenrepublik", 30.06.2012

Die wollen nur zielen

 

In einer Vitrine des Militärhistorischen Museums Dresden liegt ein zarter Ast. Man könnte das für eine Nachlässigkeit des Kurators halten, aber der Ast ist tatsächlich ein Ausstellungsstück, genauso wie der Papierflieger neben ihm und die gebackene Waffel in Form einer Pistole. Es geht in diesem Teil der Ausstellung um „Militär und Gesellschaft“ und zu dieser Gesellschaft gehört auch das Kinderzimmer. Der Ast soll zeigen, dass Gewalt ist, was man daraus macht. Dass die Gewalt schon in uns steckt, wenn wir als Kinder zum Stock greifen und im Spaß miteinander fechten.

Viele Erwachsene möchten diesen Impuls in Kindern gern unterdrücken. Oder wegdiskutieren. Der Streit um den Sinn von Kriegsspielzeug wird unter Eltern und Pädagogen mindestens so hitzig geführt wie der Kampf zwischen kindlichen Räubern und Gendarmen, die sich ungeachtet erwachsener Debatten auf der Wäschewiese bekämpfen. Teufelszeug, finden die einen. Gehört zur Entwicklung, entgegnen die anderen.

In kirchlichen oder pazifistischen Kreisen wird Kriegsspielzeug häufig aus moralischen Gründen grundsätzlich abgelehnt. Es ist genauso verboten wie Prügeln und Raufen, man setzt auf Diskussion und verbale Auseinandersetzung. Macht man den Feldversuch und bringt fünf Jungen zwischen sieben und zehn Jahren Plastikpistolen mit, zeigt sich: Wem sie zu Hause verboten sind, der stürzt sich umso begeisterter darauf.

Eigentlich interessieren sich die Jungen vor allem für Fußball. Mit dem Wassergewehr aber werden sie für den Moment zu Heckenschützen. Der Plastikrevolver ist nicht so interessant. Der knallt ja bloß. Mit der Plastikvariante der Zwille – eigentlich eine Jagdwaffe aus der Urzeit – kann man immerhin Wasserbomben schießen. Viel interessanter ist aber das Nerf-Gewehr, von dem Eltern meinen, dass es so heißt, weil es nervt. Das Wasserluftdruckgewehr spritzt über Meter hinweg den Gegner nass. An einige der sogenannten Super Soaker lässt sich gar ein 1,5-Liter-Tank anschließen. Manche Gewehre haben dazu Magazine mit Schaumstoffpatronen und Hülsen. Wissenschaftler haben Hormonwerte von Kindern gemessen, die mit Plastikwaffen spielten: Die Testosteronwerte stiegen nicht, die Kinder wurden nicht aggressiver. Also kein Grund zur Besorgnis?

Aus der Sicht einiger Pädagogen sind Kinder schlicht zu schlau, um sich von kriegerischem Spielzeug verführen zu lassen. Sie unterscheiden demnach sehr wohl zwischen Spiel und Ernst, erklärte die Kölner Professorin Gisela Wegener-Spöhring schon in den 80er-Jahren. Kriegspielen ist spannend, Kriegführen hingegen furchteinflößend, so ihr Fazit. Nicht zuletzt ist das bei Erwachsenen latent ungeliebte Kriegspiel eine kindliche Art, sich abzusetzen und aufzulehnen. Verbote bringen bekanntlich nicht viel und können sogar dazu führen, dass Kinder sich durch die scharfe Ablehnung ihres Spiels verunsichert und zurückgewiesen fühlen.

Längst allerdings hat sich das Spiel mit den Waffen von der Wiese auf den Computer verlagert. Wessen Computer-Alter-Ego in Spielen wie Ego-Shooter, Counterstrike und World of Warcraft am Ende am meisten Gegner getötet hat und überlebt, der gewinnt. In die Kritik sind die Spiele gekommen, weil sie auf den Computern jugendlicher Amokläufer gefunden wurden. Studien legen nahe, dass die Spiele unempfindlich gegenüber menschlichem Leid machen.Der Gehirnforscher Manfred Spitzer erklärte einmal, dass die Spiele zu Konzentrationsstörungen führten und damit das Lernen behinderten. Viele jugendliche und erwachsene Spieler verwahren sich gegen diese Kritik und wollen nicht in einen Topf mit Gewalttätern geworfen werden. Die Spiele könnten das räumliche Vorstellungsvermögen und die Geschicklichkeit schulen, argumentierten Befürworter. Nicht anders also als das harmlose Holzschwert, um dessen Anschaffung meist selbst extrem pazifistisch eingestellte Eltern nicht herumkommen. Es siegt derjenige, der beweglicher ist und ausdauernder mit seiner Waffe umgehen kann. Doch sollen Kinder sich durch Kriegspielen auf die Anforderungen eines Lebens im Frieden vorbereiten?

Die zehnjährigen Fußballfans haben sich nach drei Stunden mit Nerf und Super-Soaker satt gespielt. Eines der Plastegewehre ist kaputt, die Kinder sind nass und haben Hunger. Morgen spielen sie wieder Fußball. Letztlich ist für Erwachsenenhirne die entscheidende Frage: Macht Kriegsspielzeug Kinder zu Kriegern? Die Antwort ist banal: Es geht um das richtige Maß. Kinder setzen sich die Grenzen oft selbst, weil nach einiger Zeit das Interesse auch am buntesten Gewehr nachlässt. Sicher ist eines: Lebensgefährlich sind nur echte Waffen. Wenn Kinder sie in die Hände bekommen, dann ist das kein Spiel mehr.