Die einzelnen Artikel des SZ-Spezials "Die Waffenrepublik", 30.06.2012

Zum Abschluss freigegeben

Es ist der 28. September 2009, als der deutsche Putschist in Conakry, der Hauptstadt Guineas, seine Macht demonstriert. Seine Truppen pferchen Tausende Menschen in einem Stadion ein, schießen wahllos in die Menge und vergewaltigen Dutzende Frauen. Mindestens 157 Menschen sterben, schreiben UN-Mitarbeiter später in ihrem Report. Etwa ein Jahr hielt sich Moussa Dadis Camara im westafrikanischen Guinea an der Macht. Im Staatsfernsehen präsentierte er sich mit einem roten Barett, daran ein Abzeichen, das dem der deutschen Fallschirmjäger ähneln soll. In den Medien wurde Camara deshalb der „deutsche Putschist“ genannt, in Interviews schwärmte er von den Jahren, als er von der Bundeswehr ausgebildet wurde – zunächst zum Logistiker, später zum Kompaniechef und Hauptmann. Eigentlich sollte er dabei auch lernen, welche Rolle eine Armee in einer Demokratie hat und wie sie helfen kann, Konflikte demokratisch zu lösen.

Regenwolken hängen über Hamburg, 14 Grad, mitten im Juni. „Unsere Bundeswehr hat sich von unseligen militärischen Traditionen gelöst, sie ist fest verankert in einer lebendigen Demokratie“, sagt Joachim Gauck. Für seinen Antrittsbesuch bei der Bundeswehr hat sich der Bundespräsident die Führungsakademie in Hamburg ausgesucht. Eine Armee mit Soldaten aus der Mitte der Gesellschaft, sagt Gauck, Staatsbürger in Uniform, die nach demokratischen Werten handeln, das sei ein Teil des deutschen „Demokratiewunders“. Im Publikum sitzen auch Offiziere aus dem Ausland: aus der Ukraine, aus China, Weißrussland, Afghanistan, Jemen – aus Ländern also, die es mit demokratischen Werten nicht so genau nehmen. Zehn Monate wurden sie an der Führungsakademie ausgebildet. Diese militärische Ausbildungshilfe bietet die Bundesrepublik seit 50 Jahren an. Die Idee: Deutschland vermittelt den Soldaten ein wenig militärisches Know-how und viel demokratisches Gedankengut. Mit Gauck könnte man sagen: Es ist der Versuch, das deutsche Demokratiewunder zu exportieren.

Zwei kleine Jungen toben vor dem Hauptgebäude der Führungsakademie, ihre Mütter haben sie gerade vom benachbarten Kindergarten abgeholt; ein Gärtner harkt ein Blumenbeet, Männer in Uniformen schlendern vorbei. Die höchste deutsche Militärschule wirkt friedlich, nicht wie ein Ort, an dem das Kriegshandwerk gelehrt wird. Ein paar Wochen vor dem Gauck-Besuch steht bei den Heeressoldaten des Internationalen Generalstabslehrgangs Lagebeurteilung auf dem Lehrplan. Gut ein Dutzend große Karten der Region Göttingen sind im Seminarraum verteilt, rote Linien kennzeichnen die Grenze zwischen zwei fiktiven Volksstämmen. Das Szenario: Es herrscht Bürgerkrieg, Hunderttausende sind auf der Flucht, immer wieder greifen Aufständische die Friedenstruppen aus dem Hinterhalt an.
„Was ist jetzt das Wichtigste für uns als Armee?“, fragt der Dozent, ein älterer Oberst mit tiefer Stimme.

„Wir müssen den Überblick bewahren und vor allem das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen“, sagt ein Hauptmann mit osteuropäischem Akzent.

Ihm gegenüber kippelt ein hagerer Asiate auf seinem Stuhl, er sagt: „Wir müssen den Dialog zwischen den Volksstämmen fördern.“ Hier im Hörsaal scheinen die demokratischen Werte angekommen. Doch in der Vergangenheit wurden Ex-Azubis zu Kriegsverbrechern, Massenmördern, Despoten.

Fälle, die man nicht einfach abtun darf, sagt Heinz Dieter Jopp. Er ist seit drei Jahren pensioniert, Kapitän zur See außer Dienst. Als Treffpunkt hat er ein Bistro in Sankt Georg ausgesucht, gleich hinter dem Hamburger Hauptbahnhof. Er trägt einen schwarzen Ledermantel, selbst mit Aktentasche unter dem Arm bewegt er sich mit dem strammen Schritt eines Soldaten. Die letzten acht Jahre seines Berufslebens war er an der Führungsakademie, erst als Leiter des Stabes, dann als Verantwortlicher für die Lehre im Fachbereich Sicherheitspolitik. Irgendwann kamen ihm Zweifel an der Ausbildung der ausländischen Soldaten. Heute ist Jopp einer der wenigen Insider, die das System öffentlich kritisieren. Im Prinzip, sagt er, glaube er an den Erfolg der Ausbildungshilfe. Wenn da nicht die ständigen strategischen Entscheidungen wären. „Es geht zu oft um Realpolitik“, sagt er. „Nehmen wir das Beispiel Usbekistan.“

Das Regime in dem zentralasiatischen Land ist brutal. Im Mai 2005 töteten usbekische Soldaten in der Stadt Andischan mehr als 700 Demonstranten. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass die Behörden mehr als 6000 politische Gefangene festhalten. Grund genug, die Kooperation einzustellen, doch Deutschland ist auf Usbekistan angewiesen. Fast jeder deutsche Soldat legt auf dem Weg nach Afghanistan einen Zwischenstopp auf der Militärbasis Termes ein. Die Reichweite der Transall-Maschinen der Luftwaffe ist zu gering für einen Direktflug nach Afghanistan. Und die ungeschützten Airbusse, die nur bis Termes fliegen dürfen, könnten über afghanischem Boden leicht von einer primitiven Rakete abgeschossen werden. Jedes Jahr zahlt Deutschland der usbekischen Regierung mehrere Millionen Dollar Pacht für den Flughafen. Für jede Landung kommen Gebühren hinzu. Einmal die Gangway ans Flugzeug schieben kostet 400 Dollar, berichten Soldaten. Doch das Regime will noch mehr: Zum Beispiel die Militärische Ausbildungshilfe, denn sie verheißt internationales Prestige.

Im Verteidigungsministerium, im Büro, in dem entschieden wird, für welche Länder Deutschland Soldaten ausbildet, hängt eine Weltkarte. Nach jeder Dienstreise bohrt ein Hauptmann eine Stecknadel in die Wand. In Zentralasien waren die Emissäre aus Berlin oft. Auch in vielen afrikanischen Städten stecken Pins. Brigadegeneral Hans-Werner Wiermann ist seit einigen Monaten Chef der Unterabteilung Sicherheitspolitik. Seine Vorgänger, sagt er, seien beim Thema Ausbildungshilfe oft verschlossen gewesen, ihm könne man jede Frage stellen.

Warum bildet die Bundeswehr also Militärs aus Ländern aus, die autoritär oder diktatorisch regiert werden?
„Wir wollen den Armeen dieser Länder beim Aufbau demokratischer Streitkräfte helfen.“ Deutschland habe das nach zwei Diktaturen geschafft und sei daher sehr glaubwürdig. Außerdem könnten durch die Ausbildung Auslandseinsätze vermieden werden, wenn Länder in Afrika ihre Konflikte künftig selbst auf „demokratische Weise“ regeln.

Und Usbekistan?
In den vergangenen Jahren seien strategische Fragen um die Auslandseinsätze der Bundeswehr wichtiger bei der Auswahl geworden, sagt Wiermann und wird lieber allgemein: „Wir stecken immer in diesem moralischen Dilemma: Wenn die demokratischen Werte schon da sind, braucht man sie nicht mehr zu vermitteln.“ Daher kämen für das Programm vor allem Staaten mit strittigem Demokratieverständnis infrage. „Wenn es in einem Land aber schwere Menschenrechtsverletzungen gibt, fällt es aus der Kooperation heraus.“

Im Fall von Usbekistan legt die Bundesregierung die Vorgaben offenbar recht flexibel aus. Kapitän a.D. Jopp sieht noch einen zweiten Fehler: „Das Problem ist die Rekrutierung der Teilnehmer.“ Deutschland lädt jährlich bis zu 90 Nationen ein, Soldaten zur Ausbildung zu schicken. Auf die Auswahl dieser Soldaten nimmt Berlin keinen Einfluss. „Natürlich sind das nicht die Vorzeige-Demokraten, sondern regimetreue Militärs, die mit der Ausbildung in Deutschland belohnt werden.“
Besteht also die Gefahr, systematisch Soldaten auszubilden, die später Kriegsverbrecher oder Massenmörder werden?

General Wiermann stockt einen Augenblick. „Wir stecken nicht in deren Köpfen.“ Es könne immer passieren, dass einer auf die schiefe Bahn gerate. „Aber das sind vielleicht fünf prominente Fälle bei 16 000 Ausgebildeten.“ Die Frage könne man auch anders stellen: „Wo hat es dazu geführt, dass Menschenrechtsverletzungen verhindert wurden?“ Vielleicht hätten in Tunesien und Ägypten Streitkräfte während des arabischen Frühlings nicht auf Demonstranten geschossen, weil viele hohe Militärs in Deutschland ausgebildet wurden.

Was bewirkt die Ausbildungshilfe? Diese Frage ist die entscheidende. Es lässt sich nicht endgültig nachweisen, ob deutsches Militärwissen Putschisten wie Camara geholfen hat – oder ob die Erfahrungen demokratischer Werte die ausländischen Soldaten zu friedlicheren Entscheidern macht, zu Staatsbürgern in Uniform.
Wo vor wenigen Stunden noch Gauck über die Rolle einer Armee in einer Demokratie gesprochen hat, steht nun ein Oberst aus Afghanistan, er ist der Sprecher des Internationalen Generalstabslehrgangs: „Wir haben gelernt, wie eine demokratische Gesellschaft funktionieren kann.“ Mit einer Feierstunde werden die ausländischen Offiziere aus Hamburg verabschiedet. Der Oberst sagt, er wünsche jedem seiner Kameraden, dass er das Gelernte in seiner Heimat auch anwenden könne. In der dritten Reihe sitzt ein afrikanischer Oberstleutnant. Aus welchem Land er stammt, darf aus Sicherheitsgründen nicht geschrieben werden. Nachdenklich hat er seine Finger an die Unterlippe gelegt. Als er vor einem Jahr nach Deutschland kam, galt sein Land als halbwegs stabile Demokratie, manchen gar als Vorbild für andere afrikanische Staaten. Inzwischen hat sich das Militär an die Macht geputscht, Rebellen erklärten einen Teil des Staates für unabhängig. Der Oberstleutnant versichert: „Ich werde das Gelernte anwenden.“ Aber wie? Mit dieser Unsicherheit muss Deutschland leben.


Kim Kwan Jin, 62 
Der Minister
Im November 2010 ist die Lage in Korea so angespannt wie seit Jahren nicht mehr: Nordkoreas Streitkräfte haben gerade eine Insel beschossen, auf der südkoreanische Truppen stationiert sind. Mehrere Menschen sterben. Bereits im Frühjahr hat ein Torpedo eine Korvette des Südens versenkt. Nach dem zweiten Angriff zögert Präsident Lee Myung Bak nicht lange, er entlässt seinen Verteidigungsminister und beruft den ehemaligen Generalstabschef Kim Kwan Jin. Kim sei der richtige Mann, er habe „Fachkenntnis und Einblicke in die Politik und strategischen Bereiche“, erklärt der Präsidentensprecher. „Er wurde als typischer Soldat mit Vernunft und starken Führungsqualitäten bewertet.“ Fast 40 Jahre hatte Kim seinem Land bereits gedient. Von 1969 an durchlief er eine Offiziersschulung der Bundeswehr. Damals war Südkorea noch ein diktatorischer Staat. Erst Ende der 1980er Jahre, kurz vor den Olympischen Spielen in Seoul, öffnete sich das Land. Zum ersten Mal fanden freie Wahlen statt. Mit der Demokratie florierte auch Kims Karriere bei den Streitkräften. Rasch wurde er General, 2006 stieg er schließlich zum Generalstabschef auf. Nun ist er Verteidigungsminister in einer demokratisch legitimierten Regierung.

Lino Oviedo, 68
Der Putschist
Lino Oviedo spricht leidlich Deutsch. Gelernt hat er es während eines Offizierlehrganges bei der Bundeswehr. Militärisch hat er offenbar mehr mitgenommen: Mit einer Granate in der Hand jagte Oberst Oviedo 1989 den deutschstämmigen Diktator Paraguays, Alfredo Stroessner, aus dem Amt. 35 Jahre lang hatte der das Land regiert. Nach der Wahl des Unternehmers Juan Carlos Wasmosy zum Präsidenten wurde Oviedo zum General befördert und zum Oberbefehlshaber ernannt. Als Wasmosy 1996 General Oviedo als Chef des Heeres absetzen wollte, versuchte dieser erneut, einen Staatsstreich zu organisieren. Diesmal scheiterte er, landete im Gefängnis und wurde zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. 1998 begnadigte ihn sein Verbündeter, der neue Präsident Raúl Cubas Grau. Oviedo ging ins Exil nach Argentinien. Als er 2004 nach Paraguay zurückkehrte, griff ihn die Militärpolizei auf und steckte ihn in das berüchtigte Gefängnis Viñas Cué unweit der Hauptstadt Asunción, wo er den Rest seiner Strafe verbüßen sollte. 2007 kam er schließlich frei und kandidierte für das Präsidentenamt, diesmal völlig legal. Er erhielt jedoch nur 22 Prozent der Stimmen.


Tharcisse Renzaho, 67
Der Völkermörder
Tharcisse Renzaho stammt aus Ruanda und gehört der Bevölkerungsmehrheit der Hutu an. Er war einer der maßgeblichen Beteiligten des Völkermords an den Tutsis 1994 in seiner Heimat. 2009 wurde er vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Gerichtshof vernahm 53 Zeugen und sah es danach als erwiesen an, dass Renzaho an einem Massaker in einer Kirche beteiligt war, bei dem mehr als hundert Angehörige der Tutsi-Minderheit getötet wurden. Zudem soll er zur Vergewaltigung von Frauen und Mädchen aufgerufen haben. 1986 hatte er an einem Offizierslehrgang der Bundeswehr teilgenommen. In der ruandischen Armee stieg er bis zum Oberst auf. Zusätzlich zur Ausbildung in Deutschland besuchte Renzaho auch Militärakademien in Belgien und in Frankreich. 1990 wechselte er in die Politik und wurde Präfekt in der Hauptstadt Kigali. Nach dem Genozid flüchtete er ins Exil, zunächst nach Kenia, 1997 zog er weiter nach Sambia. Im September 2002 wurde er schließlich im Kongo verhaftet und dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überstellt.