Inwieweit betrifft Sie als Unfallchirurg die Diskussion um die Fallpauschale?
Gar nicht, da meine Patienten praktisch immer eine sogenannte "Vitale Indikation" erhalten und dementsprechend zwingend operiert werden müssen. Internistische Ärzte hingegen haben die Möglichkeit "Relative Indikationen" zu erteilen, das bedeutet, die empfohlene Operation ist zwar, hilfreich aber nicht zwingend notwendig. Wann eine relative Indikation vorliegt, liegt allerdings im Ermessen des Internisten, der Übergang von überflüssigen Indikationen ist hier fließend.
Laut Artikel werden viele unnötige Operationen an Krankenhäusern durchgeführt. Fallzahlen müssen erreicht werden und durch die Fallpauschale soll mehr Geld in die Kasse des Krankenhauses gelangen. Haben Sie auch diese Erfahrung gemacht?
Das passiert sehr häufig und fast überall in Deutschland. Nicht selten enthalten Chefarztverträge Klauseln, die das Erreichen von Fallzahlen vorschreiben.
Gibt es solche Vorgaben auch an Ihrem Krankenhaus?
Ja.
Ziehen Ärzte die Patienten damit nicht quasi über den Tisch?
Nein, der Arzt stellt nach ICD-10 eine Diagnose, diese kann jederzeit nachgelesen und belegt werden. Solange die Diagnose nicht völlig an den Haaren herbeigezogen ist, gibt es ja eine Ursache der Beschwerden, die operiert werden kann, aber nicht muss. Das Problem ist vielmehr die Unwissenheit der Patienten.
Welche Unterschiede haben Sie seit der Einführung der Fallpauschale im Jahre 2004 festgestellt?
Vorher wurden Krankenhäuser von den Krankenkassen nach Tagessätzen bezahlt und nicht nach einzelnen Operationen. Die Möglichkeit, durch viele Operationen die Bilanz eines Krankenhauses zu "verbessern", war nicht gegeben. Das damalige Problem lag darin, dass Patienten länger als nötig in Krankenhäusern verblieben, damit weitere Tagessätze abgerechnet werden konnten.
Patienten werden nach einer Operation möglichst schnell wieder nach Hause geschickt, da nur eine bestimmte Anzahl an Krankenhaustagen durch die Pauschale abgedeckt ist. Was halten Sie davon?
Das ist absolut gerechtfertigt. Treten nach einer Operation keine Komplikationen auf und ist der Patient stabil, gibt es keinen Unterschied, ob er sich im Krankenhausbett auskuriert oder zu Hause. Außerdem gibt es eine erschreckend hohe Anzahl an Angehörigen, die froh sind, wenn ein Patient nicht von ihnen versorgt werden muss und länger im Krankenhaus bleibt als notwendig. Hier hilft die Pauschale tatsächlich einer Überbelegung entgegenzuwirken und Krankenhausbetten für wirklich bedürftige Patienten freizuhalten.
Gäbe es Ihrer Meinung nach eine bessere Lösung, um Krankenhäuser zu bezahlen als die derzeitige?
Da derartige Gesetze von medizinischen Laien verabschiedet und Krankenhäuser nach ihrer Wirtschaftlichkeit beurteilt werden, liegt das Problem im System. Diejenigen, die diese Gesetze auf den Weg bringen, haben kaum Bezug zum Krankenhausalltag und der Realität. Krankenhäuser sind keine gewinnorientierten Unternehmen, sie kosten nur Geld. Seit die Privatisierung der Krankenhäuser immer mehr Einzug in Deutschland hält, achtet die Krankenhausleitung aber immer mehr auf die Wirtschaftlichkeit eines Krankenhauses. Heutzutage werden Krankenhäuser von Finanzberatern und Betriebswirten geführt, nicht von Ärzten, dadurch hat sich der Betrieb "Krankenhaus" sehr verändert.
(Interview: GD)