Main-Post, 10.01.2016
Mieter verstehen Welt nicht mehr
MAIN-POST , 06.03.2004
von Thomas FRITZ
Mieter des gemeindlichen Wohnblocks in der Hauptstraße verstehen die Welt nicht mehr. Anfang Februar haben sie neue Kündigungsschreiben von der Gemeinde bekommen. Bis zum 31. Januar 2005 haben einige Mieter demnach Zeit, auszuziehen. Die Gemeinde will aber bereits im Juli mit den Abbrucharbeiten beginnen. Anstelle des Wohnblocks plant ein privater Investor für 6,5 Millionen Euro eine Service- Wohnanlage zu bauen. Ist da der Zeller Gemeindeverwaltung ein Fehler unterlaufen?
Die acht Parteien, die derzeit noch in der Hauptstraße 116 bis 122 wohnen, können nur rätseln. Je nach Abschluss des Mietvertrages haben sie nach dem neuerlichen Kündigungsschreiben Zeit, sich bis Ende Oktober oder Januar 2005 eine neue Bleibe zu suchen. Ursprünglich hätten alle Mieter bis zum 30. Juni das Haus verlassen sollen. Trotz dieser neuen Gnadenfrist möchte die Gemeinde aber noch im Juli mit den Abbrucharbeiten beginnen. So steht es in den Kündigungsschreiben. Den Mietern wird sogar ein geringer Obolus von der Gemeinde angeboten, sollten sie noch im Juni ausziehen.
Indes bemühen sich die Mieter darum, neue Wohnungen in Zell zu finden. Doch das ist nicht so einfach. Das Wohnungsangebot in der Gemeinde ist rar, die Mieten teilweise sehr hoch. Unter den Suchenden aus dem Gemeindehaus ist eine 91-jährige Frau, die in eine betreute Wohnung in Würzburg ziehen möchte. Die Wartelisten jedoch sind lang. Und das Angebot, in einem Altenheim in Zell unterzukommen, sagt ihr nicht zu. Eine andere Frau, die an Lungenkrebs leidet, liegt derzeit im Krankenhaus und kann sich nicht nach neuen Wohnungen umsehen. Hinzu kommt, dass sich einige Mieter einen teuren Umzug nicht leisten können. Hier springt die Gemeinde ein. "Je nach Einzelfall bieten wir in sozialen Härtefällen eine Umzugsbeihilfe an", sagt Bürgermeister Nagelstutz. Diese liege bei etwa 500 Euro. Für Rechtsanwalt Uwe Lehman aus Würzburg, der die Interessen einer Mieterin vertritt, ist dies viel zu wenig. "Umzugspauschalen sind grundsätzlich Verhandlungssache", sagt er. "Mindestens 4000 Euro kostet ein Umzug heutzutage."
Warum die Mieter des Wohnblockes, auf dessen Areal eine Service-Wohnanlage entstehen soll, neue Kündigungsschreiben bekommen haben, ist unklar. Wahrscheinlich, so vermutet der Würzburger Anwalt, hätten die ursprünglichen Kündigungen, nach denen die Mieter bis zum 30. Juni ausziehen sollten, einer gerichtlichen Überprüfung nicht standgehalten. Nach "Gutsherren-Art" seien diese von der Gemeindeverwaltung geschrieben worden - "ohne Begründung und ohne Hinweis auf einen möglichen Widerspruch", sagt Uwe Lehmann, ein Experte für Mietrecht. Bürgermeister Franz Nagelstutz hält sich bedeckt. "Vor Gericht und auf hoher See bist Du in Gottes Hand", sagt er. Nachdem ein Anwalt im Auftrag der Gemeinde die "alten" Kündigungen überprüft hatte, seien vorsorglich "neue" ausgestellt worden. "Damit soll", so Nagelstutz, "jeder Zweifel an einer nicht rechtmäßigen Kündigung vorgebeugt werden." Indessen hofft Nagelstutz darauf, dass die Mieter demnächst freiwillig ausziehen.
Online am: 10.01.2016
Aktualisiert am: 10.01.2016
Inhalt:
- Die Putzfrauenaffäre von Zell am Main in Kurzform
- Making-of: die Putzfrauenaffäre
- Chronologie der Putzfrauenaffäre
- Das Urteil, die Konsequenzen
- Auskunftsansprüche der Medien
- Zell am Main
- Die Autoren Thomas FRITZ und Rainer STUMPF
Tags:
Bayern | CSU | Main-Post | Pressefreiheit | Selbstbedienung
Auszeichnungen:
"Wächterpreis der Tagespresse" 2005