Blick hinter die Kulissen: Mit gebündelter Kraft recherchiert

Volkswagen versprach, den größten Wirtschaftsskandal in der Geschichte der Bundesrepublik konsequent und transparent aufzuklären. Im Jahr 2018 erwies sich das Versprechen als Farce. In einer Serie von Artikeln deckte das Handelsblatt auf, wie der Autobauer Kunden täuschte und die Ermittler blockierte.

2018 ging der Dieselskandal in sein drittes Jahr. Als Handelsblatt-Redaktion bündelten wir unsere Kräfte aus verschiedenen Ressorts und berichteten das gesamte Jahr über den Fortgang der Aufarbeitung der größten Betrugsaffäre der deutschen Automobilgeschichte – und die Bemühungen von Volkswagen, sie zu verhindern. Stellvertretend für die Arbeit im ganzen Jahr (und mehr als 100 Artikel) stehen sechs Artikel.

Mit einer Analyse von mehr als 200 Urteilen dokumentierten wir, wie scharf zahlreiche Gerichte mittlerweile das Vorhaben von Volkswagen zurückwiesen, sein eigenes Fehlverhalten und den Schaden für die Kunden kleinzureden. „Verwerflich, arglistig, vorsätzlich und sittenwidrig“ sei das Verhalten des Weltkonzerns, hieß es in den Urteilsbegründungen, aus denen wir zitierten.

Vermutlich als Reaktion ließ sich Matthias Müller zu einem seiner letzten Fettnäpfchen-Besuche hinreißen. Volkswagen habe einfach nicht genug Geld, den Schaden auszugleichen, sagte der Vorstandsvorsitzende. Dann nannte er seinen Konzern „systemrelevant“ – es klang wie eine Drohung. (Artikel „Richter tadeln Volkswagen“, 13.3.2018)

Müller ging, der Ton blieb. Je genauer deutsche Richter beim Dieselskandal nachfragten, desto unwilliger wurden die Volkswagen-Anwälte. Jahrelang hatten sie „vollumfängliche Kooperation mit den Behörden“ versprochen. Als ein Stuttgarter Richter dann akribisch vorbereitete Zeugenladungen verschickte, schlug Volkswagen zurück. Der Richter sei voreingenommen und eitel, beschwerten sich die VW-Juristen. Wir zeichneten ihre Argumente anhand ihrer eigenen Schriftsätze nach – und dann ihr Scheitern. (Artikel „Recht ungeschickt“, 8.6.2018, und „Die Wahrheit soll ans Licht“, 15.6.2018)

Im Laufe der Monate konnten wir die Geschehnisse immer detailreicher dokumentieren. Nicht nur Volkswagen hatte totale Transparenz deklariert, auch die Konzerntochter Audi wollte angeblich alles dafür tun, die Affäre aufzuklären. Dass tatsächlich das Gegenteil betrieben wurde, zeigte das Verhalten der Verantwortlichen nach der Razzia in der Konzernzentrale.

Ermittler hatten den von VW in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht der Kanzlei Jones Day beschlagnahmt. Das Unternehmen klagte dagegen, dass die Behörden diesen Bericht auch lasen. Besonders verheerend war die Rolle von Audi-Chef Rupert Stadler. Der Kronprinz des Konzerns kam 2018 monatelang wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft. Dank der gesammelten Informanten und Unterlagen konnten wir auch seinen Weg in der Affäre offenlegen. (Artikel „Der sauberste Diesel der Welt“, 21.6.2018)

Dabei blieb Verantwortung ein Wort, das Volkswagen 2018 klein schrieb. Denn Konzernchef Martin Winterkorn sprach der Aufsichtsrat schon zu Beginn der Affäre von jeder Schuld frei – dabei gab es zahlreiche Hinweise auf seine frühe Kenntnis des Betrugs (Artikel „Gift in

Winterkorns Wochenendkoffer, 1.3.2018). Auch sonst vermochte die Rechtsabteilung echte Verantwortliche kaum zu finden. Die wenigen hochkarätigen Manager, mit denen Volkswagen die Zusammenarbeit beendete, erhielten Millionensummen.

Noch mehr Geld kassierten Führungskräfte, die mit ihren ersten Trennungsmodalitäten nicht zufrieden waren. Stand ein Gerichtstermin mit einem solchen Manager an, unterband Volkswagen eine öffentliche Verhandlung mit einer Sonderzahlung. Alles, was der Wahrheitsfindung hätte dienen können, wurde mit Geld verhindert. Beobachtern viel nur ein Wort ein: Schweigegeld. (Artikel „Teurer Abschied“, 4.7.2018)

Je besser wir den Skandal verstanden, desto leichter fiel uns der Umgang damit. Im Herbst 2018 stießen wir sogar auf eine komische Seite von Dieselgate. Ausgerechnet an dem Tag, an dem die ganze Wucht der Dieselaffäre auf den so genannten Schadenstisch in der Konzernzentrale kam, fühlte sich ein Hauptverantwortlicher von dem Thema gestört – beim Flirt mit seiner Sekretärin. Die entsprechenden E-Mails waren uns beim Studium der 80 Aktenordner aufgefallen, die aus dem Fundus der Staatsanwaltschaft Braunschweig stammten. (Artikel „Schadenstisch? Das braucht kein Mensch“, 28.9.2018)

Normalerweise war anzüglicher Mailverkehr kein Thema für das Handelsblatt. Dass ein hochkarätiger Diesel-Manager aber ausgerechnet beim Ausbruch der Krise nichts Besseres zu tun hatte, als Erotikmails zu verfassen, passte unserer Ansicht nach ins Bild eines Konzerns, in dem die Belange der Kunden kaum noch eine Rolle spielten.

Das änderte sich auch nicht durch die Enthüllung des millionenfachen Betrugs mit Dieselmotoren durch eine Umweltbehörde in den USA. Wir beschrieben anhand von Originaldokumenten nicht nur, wie Volkswagen die Kunden und die Zulassungsstellen täuschte, sondern auch, wie der Konzern die Aufarbeitung der Affäre unterlaufen wollte. Als dabei ein Mitarbeiter nicht mehr mitspielte und entgegen der Anweisung seines Vorgesetzten der US-Behörde von illegale Manipulation der Motoren berichtete, gaben wir die Einschätzung eines Ingenieurs aus August 2015 wieder: „Shit. Voll schiefgelaufen.“

Es war ein Satz, der auch ins Jahr 2018 gepasst hätte. Statt den Abgas-Skandal aufzuklären, versuchte Volkswagen alles, um ihn zu verzerren. Vorstandschef Müller („Wir haben nicht betrogen!“) ging, sein Nachfolger Herbert Diess setzte die Blockadehaltung fort. Die Aufarbeitung der Affäre lag weiterhin den Händen von Aufsichtsratschef Hans-Dieter Pötsch – ausgerechnet dem Mann also, der zum Tatzeitpunkt selbst im VW-Vorstand saß und als seinerzeit Hautverantwortlicher für die Finanzen bald wegen Marktmanipulation angeklagt werden könnte.

Dass bei Volkswagen die Transparenz und der Wille zur Kooperation mit den Ermittlungsbehörden nur Lippenbekenntnis war und ist, lässt sich auch an der gescheiterten Blockade der Auswertung des eigenen Ermittlungsberichts durch die Behörden zeigen. Volkswagen mandatierte schon 2015 mit großem Brimborium die US Kanzlei Jones Day und kündigte an, deren Ermittlungsbericht zur Dieselaffäre würde selbstredend den Behörden zur Verfügung gestellt, wahrscheinlich sogar der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Als nach einem Jahr die ersten Nachfragen zur Arbeit von Jones Day aufkamen, wiegelte Volkwagen ab. Der Bericht sei noch nicht fertig. Dann hieß es, er würde auch nie fertig, und die US-Behörden ließen Veröffentlichungen von Zwischenberichten nicht zu. Als die Staatsanwaltschaft München die Unterlagen von Jones Day 2017 bei einer Razzia beschlagnahmte, klagte Volkswagen gegen die Auswertung. Volkswagen verlor, ging in die nächste Instanz, verlor auch dort und trug den Fall schließlich bis zum Bundesverfassungsgericht. Auch dort unterlag der Konzern. Immerhin: er hatte ein Jahr Zeit gewonnen – wenn auch die letzte Glaubwürdigkeit verloren. (Artikel „VW und die Diesel-Dokumente – Chronik einer blockierten Aufklärung, 5.7.2018)

Online am: 23.05.2019
Aktualisiert am: 05.06.2019


Inhalt:

Der VW-Abgasskandal - eine Recherchereihe


Tags:

Umwelt | wirtschaftliche Macht

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2019