Die vielen Berichte der MAIN-POST

Hier finden sich alle rund 70 Artikel zum Thema: chronologisch geordnet:


 

MAIN-POST vom 22.01.2002

CARL DIEM: NAZI ODER SPORTPIONIER?


Gericht bestätigt "Opfer-Rede" vor Hitlerjugend - Wird Halle umbenannt?


Würzburg. Soll die Carl-Diem-Halle wegen der zwielichtigen Rolle ihres Namensgebers im "Dritten Reich" umbenannt werden? Ein Urteil des Landgerichtes Darmstadt hat die Debatte neu angeheizt.

Würzburg und Carl Diem. Das ist eine mehr als schwierige Beziehung. In kontroversen Debatten wurde sie wiederholt auf den Prüfstand gestellt. Anlass zu Streit gibt Diems Haltung und Wirken in der Zeit des Nationalsozialismus. Die einen würdigen den von 1882 bis 1887 in Würzburg aufgewachsenen Diem als großen Sportfunktionär, der Jugendliche begeisterte, als Organisator der Olympischen Spiele 1936 und als "Erfinder" von Sportabzeichen und Bundesjugendspielen. Andere verurteilen ihn als prominenten und aktiven Repräsentanten des menschenverachtenden Nazi-Regimes.

Schon 1989, also gerade einmal acht Jahre nach der feierlichen Eröffnung, forderten die Würzburger Grünen eine Umbenennung der Carl-Diem-Halle. Im Stadtrat fanden sie für ihren Vorstoß aber keine Mehrheit. 1996 dann ein erneuter Anlauf: In der Sendung "Monitor" hatte sich Ex-ZDF-Chefredakteur Reinhard Appel an eine "flammende Rede" Diems in den letzten Kriegstagen erinnert. Der Sportführer habe damit junge Menschen in den Tod geschickt. Vor versammelten Mitgliedern des Volkssturms und der Hitlerjugend soll er zum "finalen Opfergang für den Führer und das Vaterland" aufgerufen haben.

Just diese "Opfer-Rede" ist vergangene Woche vom Landgericht Darmstadt bestätigt worden. Geklagt hatte Diems Sohn Carl-Jürgen (66), und zwar gegen die beiden Vizepräsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Theo Rous und Rüdiger Nickel bezeichnen Diems Grundeinstellung als "undemokratisch, nationalistisch, inhuman und rassistisch" und beziehen sich in ihrer Einschätzung insbesondere auf die "Opfer-Rede". Der DLV hat den von ihm vergebenen Carl-Diem-Schild mittlerweile in einen "DLV-Ehrenschild" umgetauft. Reagiert hat man auch in einigen deutschen Kommunen. Im Berliner Stadtbezirk Steglitz-Zehlendorf heißt die frühere Carl-Diem-Halle in der Zwischenzeit Sochos-Halle, benannt nach der Partnergemeinde. Im hessischen Hanau denkt man über eine Umbenennung des Carl-Diem-Weges nach. Und in Würzburg, das dem "großen Sohn der Stadt" 1957 die Sportplakette in Gold verliehen hatte?

Nach MAIN-POST-Informationen hat Grünen-Stadträtin Benita Stolz die Frage einer Umbenennung vor einigen Monaten in den Sportbeirat gebracht. "Wir sind für eine ernsthafte Prüfung der Geschichte mit allen Argumenten. Würzburg darf sich nicht um das Thema herumdrücken", sagte sie gestern auf Anfrage. Gerne sähe sie einen historisch versierten Fachmann vor dem Sportbeirat, am liebsten einen der beiden Diem-Biografen. Im Rathaus orientiert man sich ganz an der Linie des Deutschen Sportbundes. Und der hat nach dem Urteil erst einmal eine neuerliche Biografie über Carl Diem in Auftrag gegeben. "Wir wollen diese Prüfung abwarten", so Sportreferent Reiner Hartenstein gestern zur MAIN-POST. Sollten sich daraus neue Erkenntnisse ergeben, "sind wir jederzeit zu einer Reaktion bereit." Wie Stolz warnt Hartenstein vor einer Thematisierung der Angelegenheit im emotionsgeladenen Wahlkampf.

Einen neuen Namen bräuchte im Übrigen nicht nur die Carl-Diem-Halle, sondern ebenso die nach ihm benannte Plakette, die von der Stadt für besondere Sport-Verdienste vergeben wird. Wenig von einer Umbenennung hält der Würzburger Historiker Werner Dettelbacher. Er charakterisiert Carl Diem zwar als "verblendet und irregeleitet, aber er war kein Fanatiker". Er habe sich in die Idee verrannt, Deutschland zur Sport-Nation Nummer eins zu machen. Zwar habe er das Hitler-System durch seine Funktion unterstützt, aber in erster Linie sei es ihm um den Sport gegangen. Dettelbacher: "Diem war kein Parteimitglied und politisch nicht sehr beschlagen."

MAIN-POST vom 22.01.2002

AUTORITÄR UND BEWEGLICH



Würzburg (aj). Eine "autoritäre und antidemokratische Grundeinstellung" bei Carl Diem erkennen Achim Laude und Wolfgang Bausch in ihrem Buch "Der Sport-Führer - die Legende um Carl Diem". Als Beleg führen sie Diems Bewerbung um den Posten des Reichssportkommissars 1933 an. Diems Vorstellungen für den Sport im "Dritten Reich": "Gleichschaltung aller Behörden, einheitliche Förderung der Körpererziehung ...Nationale Durchglühung des Sports. Methode: lose Zügelführung bei Gutwilligen, Rücksichtslosigkeit bei Widerspruch und Faulheit ... Überwachung und Beeinflussung der Sportpresse." Der Historiker Hajo Bernett hält die geschichtliche Einordnung Diems aufgrund dessen von "geistiger Beweglichkeit" für problematisch.

MAIN-POST vom 31.01.2002

WÜRZBURGER ANSICHTEN:
WÜRZBURG MUSS AUFARBEITEN



Wer war Carl Diem?

Von Andreas Jungbauer

"Schön ist der Tod, wenn der edle Krieger für das Vaterland ficht, für das Vaterland stirbt." So sprach's der spartanische Dichter Tyrtaios und pries den Opfermut der Spartaner, die sich in der Schlacht bis zum letzten Mann einer persischen Übermacht widersetzt hatten. Aus diesen heldenverklärenden Zeilen würde dem Dichter heute niemand einen Strick drehen.

Was aber, wenn ein hochrangiger deutscher Sportfunktionär im März des Jahres 1945 - die drohende Kapitulation vor Augen - eine Rede vor der Hitlerjugend hält und darin genau diese Zeilen zitiert? Dann hat der Betreffende zum "finalen Opfergang für Führer und Vaterland" aufgerufen. So befanden es vor wenigen Tagen die Richter des Landgerichts Darmstadt und wiesen damit eine Klage von Carl-Jürgen Diem (66) ab. Er kämpft seit Jahren um das Ansehen seines 1962 verstorbenen Vaters, der vielen Würzburgern als einer der größten Söhne unserer Stadt gilt.

Carl Diem, der bedeutendste deutsche Sportfunktionär des vergangenen Jahrhunderts, wuchs von 1882 bis 1887 am Main auf. In Anerkennung seiner Leistungen für den Sport wurde 1981 die Mehrzweckhalle in der Feggrube nach ihm benannt, ebenso die Sportplakette der Stadt. Doch der Glanz des großen Diem ist verblasst, seit Ende der 80er Jahre seine Rolle im Nationalsozialismus kritisch beleuchtet wurde. Andernorts wurden Straßen und Hallen umbenannt. In Würzburg stellten die Grünen zweimal erfolglos entsprechende Anträge.

Gewiss: Persönlichkeiten müssen im historischen Kontext gesehen werden. Daraus ist aber kein Freibrief für jedwedes Fehlverhalten abzuleiten. Zuhauf sind in den Jahren der Machtergreifung Hitlers führende Köpfe emigriert. Diem dagegen bewarb sich 1933 - vergeblich - als Reichssportkommissar. Dann organisierte er die Olympischen Spiele 1936. Diem war einer der führenden Repräsentanten des Hitler-Regimes. Er vergötterte den Sport, verschloss aber offenkundig die Augen dort, wo sein Einsatz im menschenverachtenden Nazi-Regime politisch instrumentalisiert wurde. Vermutlich hätte einer wie Carl Diem auch in der SED-DDR Karriere gemacht.

In Würzburg hat ihn sein 2001 verstorbener Freund Dr. Josef Göhler stets in Schutz genommen und dabei die Existenz der Rede vom März 1945 bestritten. Nun aber legte Carl-Jürgen Diem dem Gericht das Manuskript vor. Die Stadt Würzburg und der Verband Würzburger Sportvereine hatten das Urteil mit Spannung erwartet. Danach sollte eine Diskussionsrunde die Umbenennung von Carl-Diem-Halle und Carl-Diem-Plakette erörtern.

Nun ist das Urteil da - und man wartet weiter. Auf eine wissenschaftliche Biografie, die jetzt der Deutsche Sportbund in Auftrag gegeben hat. Und auf das Ergebnis der Berufung, die Diem-Sohn Carl-Jürgen einlegen will. Fast könnte der Eindruck entstehen, als wolle man eine unangenehme Wahrheit so lange hinausschieben, bis sie der Zahn der Zeit getilgt hat. Genau dies darf aber nicht passieren. Sonst verkämen Gedenktage an die Opfer des Nationalsozialismus zur Makulatur.

Gerade Würzburg als Heimatstadt Carl Diems sollte die geschichtliche Aufarbeitung seiner Persönlichkeit offensiv, mutig und ehrlich vorantreiben. Man muss gar nicht der Erste sein, der den Stein wirft (andere haben längst umbenannt...). Man muss aber auch nicht zu den Letzten gehören, die eine Neubewertung Diems vornehmen - wie immer sie am Ende ausfallen mag.

MAIN-POST vom 09.04.2003

DIEM-HALLE: NEUER NAME?



Würzburg (aj). Auf Distanz zu dem wegen seiner Nazi-Rolle umstrittenen Würzburger Sportführer Carl Diem ist Oberbürgermeisterin Pia Beckmann gegangen. Sie hat das kritische Diem-Gutachten von Dr. Peter Dohms, Direktor des Düsseldorfer Staatsarchivs, angefordert und will es umgehend prüfen lassen. In Hanau gab Dohms Biografie den Anlass, die nach Diem benannte Sportstätte umzubenennen. Sie trägt jetzt den Namen von Rudi Völler.

Die Verleihung der Carl-Diem-Plakette für Würzburger Sport-Persönlichkeiten hat Beckmann in Abstimmung mit dem Ältestenrat des Stadtrates ausgesetzt. Eigentlich sollte schon am morgigen Donnerstag über die diesjährigen Empfänger der Plakette entschieden werden. Der Punkt wurde nun von der Tagesordnung im Stadtrat genommen. Die OB will laut Rathaus-Sprecher Gunther Kunze erst persönlich Klarheit über die Person Diem gewinnen. Dann werde sie dem Stadtrat einen grundsätzlichen Vorschlag machen. Der gelte auch für die Carl-Diem-Halle.

Unterdessen macht sich in der Würzburger Sportszene Unmut über das Vorgehen Beckmanns breit. Bei einer Präsidiumssitzung des Verbandes der Würzburger Sportvereine (VWS) am Samstag wurde das Thema Diem abgesetzt. "Weil die OB doch ihre Entscheidung in Eigenregie getroffen hat", so VWS-Vorsitzender Karlheinz Frick. Sportbeirat und VWS seien übergangen worden.

MAIN-POST vom 11.04.2003

DIEM: GUTACHTEN FÜR ALLE



OB: "Ablauf war nicht so schön"

Würzburg (aj). Carl Diem und seine NS-Vergangenheit werden den Würzburger Stadtrat in den kommenden Wochen weiter beschäftigen. Zur Meinungsbildung erhalten nun alle Fraktionen das Diem-Gutachten von Dr. Peter Dohms. Wie berichtet, fordert der Direktor des Düsseldorfer Staatsarchivs eine Umbenennung von Diem-Straßen oder Diem-Hallen, weil der in Würzburg aufgewachsene Sportführer als ausgeprägter Nationalist eine aktive Stütze des NS-Regimes gewesen sei. Wenn die Stadtratsmitglieder das Gutachten studiert haben, soll im Plenum ein Beschluss darüber fallen, wie die Stadt Würzburg in Zukunft mit dem Namen Carl Diems umgeht.

Fast 40 Minuten mussten am Donnerstag die Besucher vor dem Ratssaal warten, weil der Stadtrat in geheimer Sitzung die Frage der Tagesordnung klärte. Dabei ging es emotional zur Sache. Fünfmal musste Oberbürgermeisterin Pia Beckmann zur Ruhe klingeln. Sie hatte die Verleihung der Carl-Diem-Plakette in Abstimmung mit dem Ältestenrat vertagt. Die Gründe nannte sie in einer persönlichen Erklärung im öffentlichen Teil. Seit November habe sie sich mit dem Thema Diem befasst, bei einer Durchsicht der vorliegenden Unterlagen aber festgestellt, dass darin "keine wirklich brauchbaren Aussagen" getroffen sind. Also habe sie im Januar das Dohms-Gutachten angefordert, es sei erst Mitte März eingetroffen. Beckmann bedauerte, dass der Sportbeirat in Vorbereitung der Sportler-Ehrungen nicht über die anstehende Diem-Prüfung informiert wurde. Dies sei ihr erst bei Vorlage der Ehrungen im Hauptausschuss klar geworden. Dann habe sie eingegriffen. "Das war vom Ablauf her nicht so schön", so die OB. Ob Anlass zu einer Umbenennung besteht, solle nun "ganz nüchtern" geprüft werden.

MAIN-POST vom 10.04.2003

NEUER STREIT UM REIZFIGUR CARL DIEM



Oberbürgermeisterin will Plakette vorerst nicht verleihen - Viele Umbenennungen

Würzburg. Die Diskussion um die Rolle von Sportfunktionär Carl Diem im Nationalsozialismus ist erneut voll entbrannt. Eine Umbenennung der Carl-Diem- Halle wird wahrscheinlicher.

Von Andreas Jungbauer

Offenbar gegen Widerstand aus den eigenen CSU-Reihen und an den Würzburger Sportgremien vorbei hat Oberbürgermeisterin Pia Beckmann die Vergabe der Carl-Diem-Plakette auf Eis gelegt. Nach MAIN-POST-Informationen sollten der Ruderer Hans Ziegler und der Handballer Helmut Janda in diesem Jahr mit der Ehrung bedacht werden. Während alle weiteren Sportler-Ehrungen an diesem Donnerstag im Stadtrat abgesegnet werden sollen, müssen sich die beiden gedulden. Denn Beckmann möchte sich selbst ein Urteil über den von 1882 bis 1887 in Würzburg aufgewachsenen Diem bilden und will das Gutachten von Dr. Peter Dohms, Direktor des Düsseldorfer Staatsarchivs, studieren. Dieser hat vor sieben Jahren auf 39 Seiten die Stadt Meerbusch zur Umbenennung ihrer Carl-Diem-Straße bewegt. Diem sei beruflich in die Machenschaften des NS-Regimes tief verstrickt gewesen. In dessen Rhetorik fänden sich fatale Anklänge an Hitlers "Mein Kampf".

Wie Dohms am Mittwoch dieser Zeitung sagte, empfehle er der Stadt Würzburg heute "mehr denn je" einen neuen Namen für Halle und Plakette. Schon 70 bis 80 Städte hätten sein Gutachten angefordert. In etlichen Kommunen ist der Name Carl Diem unterdessen von Hallen- und Straßenschildern getilgt worden. Und neue Forschungsergebnisse der letzten Jahren hätten die Kritik an dem Sportfunktionär und Organisator der Olympischen Spiele 1936 verstärkt. "Es ist dringend nötig, dass eine wirklich unabhängige Instanz die Dinge ganz objektiv aufarbeitet", so Dohms.

Das ist nach Auffassung des Würzburger Sportwissenschaftlers Prof. Dr. Peter Kapustin bereits geschehen. Als Vize-Präsident des Deutschen Sportbundes verweist er auf das Gutachten einer Experten-Kommission unter Leitung von Prof. Ommo Grupe, wonach Namensänderungen nicht erforderlich seien. Kapustin: "Diem war kein Nazi, er war nicht in der NSDAP. Er war Patriot, aber kein Chauvinist."

Das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom Januar 2002 (siehe Artikel vom gleichen Tag) liest sich da anders. Danach hat Diem in den letzten Kriegstagen Jugendliche tatsächlich zum finalen Opfergang für den Führer aufgerufen. Würzburgs Sportreferent Reiner Hartenstein hat in den vergangenen Jahren stets auf den Forschungsstand der Deutschen Sporthochschule in Köln verwiesen, dessen Gründer Carl Diem ist. Im Zuge des Darmstädter Urteils wurde in Köln eine weitere Diem-Biografie in Auftrag gegeben. Von ihr erhofft sich Hartenstein neue Erkenntnisse. Sollten solche vorliegen, hat auch Alt-OB Jürgen Weber nach eigenen Worten "kein Problem" mit einer Namensänderung. "Ich bin da leidenschaftslos. Jedenfalls sollte die Sache nicht zum Politikum gemacht werden", sagte er gestern.

Treibende Kraft für eine kritische Auseinandersetzung mit Diem in dessen Heimatstadt sind die Grünen. Sie hatten schon zweimal - ohne Erfolg - die Umbenennung der Halle beantragt. Stadträtin Benita Stolz ärgert, dass sie vom Verband der Sportvereine unter Federführung von Karlheinz Frick ständig vertröstet worden sei. "Passiert ist nichts", obwohl sie längst einen runden Tisch mit Diem-Biografen angeregt hatte. Um so zufriedener hat Benita Stolz registriert, "dass die Oberbürgermeisterin das Thema jetzt ernsthaft anpacken will."

MAIN-POST vom 10.04.2003

WÜRZBURGER ANSICHTEN:
RAN AN DIE AUFARBEITUNG!



Carl Diem und Würzburg

Von Andreas Jungbauer

Es sind Fragen, die in periodischer Regelmäßigkeit die Würzburger Gemüter erhitzen: War Carl Diem ein Vorzeige- Nazi? War er ein ideologisch verblendeter Funktionär, der nur eines kannte - seinen Sport? War er ein Barbar, der Hitlerjungen kurz vor Kriegsende ohne Not in den sicheren Tod hetzte? Oder ist er als Gründer der Sporthochschule, des Sportabzeichens und der Bundesjugendspiele der größte deutsche Sport-Vater des letzten Jahrhunderts? Bis dato vorliegende Gutachten liefern ganz unterschiedliche Antworten.

Allein schon deshalb bleibt den Würzburgern nichts anderes übrig, als sich ihr ganz eigenes Bild von einem ihrer bekanntesten - und umstrittensten - Söhne zu machen. Doch um eine ehrliche und konsequente Auseinandersetzung mit der Person Carl Diem drückt man sich in Würzburg seit Jahren herum. Man beruft sich auf biografische Erkenntnisse der Sporthochschule - wohlwissend, dass diese die Vita ihres Gründers Diem gar nicht unbefangen aufarbeiten kann. Wenn die Würzburger Sportgremien jetzt jaulen, weil die Oberbürgermeisterin die Verleihung der Carl-Diem-Plakette erstmal aussetzt, unterstreichen sie damit auch eigene Versäumnisse. Schon längst hätte der Sportbeirat oder der Verband der Würzburger Sportvereine mit wissenschaftlicher Unterstützung die Beschäftigung mit Diems Biografie vorantreiben können. Während andere Städte Gutachten einholten, herrschte in Diems Heimatstadt Funkstille. Und die politische Führung unter Alt-Oberbürgermeister Jürgen Weber war scheinbar allzu sehr den Sportverbänden verpflichtet, um das Thema offensiv anzugehen.

Pia Beckmann ist da in einer anderen Lage: Erstens muss sie aktuell keine wahltaktischen Rücksichten nehmen. Zweitens gehört sie einer Generation an, die aufgrund der zeitlichen und persönlichen Distanz viel freier mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte umgehen kann. Und drittens bietet sich offenbar eine Gelegenheit, ihr konservatives Image weiter zu korrigieren. Gewiss: Der Würzburger Sport wäre weniger verprellt, wenn Beckmann vorher das Gespräch in Sachen Diem gesucht hätte. Mit ihrer Notbremse hat sie aber unwiderruflich eine längst fällige Debatte in Gang gesetzt. Die Fragen nach dem Wesen und Wirken von Carl Diem lassen keine einfachen Antworten zu. Sie zu finden, braucht Zeit, die sich die politisch Verantwortlichen jetzt nehmen sollten. Da gilt es auch, nicht nur die Diem-Kritiker zu lesen und zu hören - und: die Öffentlichkeit nicht von den Stadtratsberatungen auszuschließen.

MAIN-POST vom 10.04.2003

FÜR DEN FÜHRER



Rede vor der Hitlerjugend

Würzburg (aj). Vor einem Hitlerjugend-Volkssturm-Lehrgang hielt Carl Diem am 18. März 1945 auf dem Berliner Reichssportfeld eine Rede, in der er den spartanischen Dichter Tyrtaios zitierte: "Schön ist der Tod, wenn der edle Krieger für das Vaterland ficht, für das Vaterland stirbt." Nach dem Urteil des Landgerichts Darmstadt vom Januar 2002 kann die Rede Diems pointiert in dem Satz zusammengefasst werden, er habe zum "finalen Opfergang für Führer und Vaterland" aufgerufen. Dagegen hatte Diem-Sohn Carl-Jürgen geklagt. Seine Berufung zog er wenige Wochen nach dem Urteil zurück

MAIN-POST vom 10.04.2003

AUSSAGEN...



von Carl Diem:

  • "Die deutsche Rasse wird unüberwindbar sein." (1917)
  • "Wehrtüchtigkeit ist die Voraussetzung jeder Volksleistung." (1925)
  • "Sport und Krieg fliehen auseinander in volle Gegensätze. Das eine ist Ernst, blutiger Ernst, das andere ist Spiel, heiteres Spiel." (1931)
  • "Germanen können nur von Germanen besiegt werden." (1932)
  • "Ist das Zielbild des Mannes der Soldat, so ist das Zielbild der Frau die kinderreiche und verständige Mutter." (1939)


über Carl Diem:

  • "Eine autoritäre und antidemokratische Grundeinstellung" (Achim Laude, Wolfgang Bausch)
  • "Die geschichtliche Einordnung Diems ist aufgrund seiner geistigen Beweglichkeit problematisch." (Hajo Bernett)
  • "Diem stellte sich auch dann noch zur Verfügung, wenn er besser geschwiegen, sich zurückgezogen oder verweigert hätte." (Hans-Joachim Teichler)
  • "Diem hat sich dem Regime ‚angedient' und damit den Grundstock seiner Karriere im Dritten Reich gelegt." (Peter Dohms)


MAIN-POST vom 26.04.2003

VOM KRIEGSFREIWILLIGEN ZUM ÜBERZEUGTEN PAZIFISTEN



Warum sich Karl-Heinz Klaiber intensiv mit Carl Diem befasst

Würzburg. Wenn an diesem Samstag braune Populisten durch Würzburg marschieren, machen Pazifisten mit einer Demo dagegen mobil. Doch einer reiht sich nicht mehr ein: Karl-Heinz Klaiber. Einer, der ansonsten scharfzüngig jede Form von Fremdenfeindlichkeit oder kriegerischer Gewalt verurteilt. Und einer, der sich wohl wie kein anderer in Würzburg mit der Person des umstrittenen Nazi-Sportführers Carl Diem auseinandergesetzt hat.

Von Andreas Jungbauer

Aus MAIN-POST und "Spiegel" kennt man ihn als kritischen Leserbrief-Schreiber. Doch was Demonstrationen angeht, macht sich bei Klaiber eine gewisse Resignation breit. Nach eigenen Erfahrungen in Wackersdorf oder Mutlangen ist der 79-Jährige heute überzeugt: "Diese Demonstrationen haben leider nie was bewirkt." Dennoch steigt Groll in ihm hoch, wenn die Nationalen ihre Parolen grölen und über das Unrecht des Nationalsozialismus der Mantel des Schweigens gelegt werden soll. Umso zufriedener registriert er, der als Jüngling von knapp 17 Jahren freiwillig in den Zweiten Weltkrieg stürmte, dass die Stadt Würzburg nun ernsthaft die Benennung ihrer Sportplakette und ihrer größten Halle nach Diem überprüfen will.

Es war im Jahre 1985, als Klaiber in Sachen Diem hellhörig wurde. Damals hatte ZDF-Chefredakteur Reinhard Appel vor dem Olympischen Komitee mit einer Augenzeugen- Schilderung die Rolle des in Würzburg geborenen Sportführers und Gründers der Sporthochschule in Frage gestellt. Appel hatte in den letzten Kriegstagen als 18-Jähriger erlebt, wie Diem in einer Rede Hitlerjungen zum Tod für das Vaterland ermutigte. Als die Wochenzeitung "DIE ZEIT" Appels Augenzeugenbericht dokumentiert, ist Antifaschist Klaiber erschüttert. Er forscht, studiert Unterlagen und Gutachten, schreibt alle deutschen Städte mit Diem-Straßen an - und kommt zu einem klaren Befund: Carl Diem war nicht nur Mitläufer, sondern ein aktiver Repräsentant des Nazi-Regimes, der Propagandareden bei den Frontsoldaten hielt. Daher sei es beschämend, Einrichtungen oder Ehrungen mit dem Namen Diems zu versehen. Trotzdem konnten sich die Würzburger Grünen, für die Klaiber 1987 als Bundestagskandidat antrat, zweimal nicht mit einem Antrag auf Umbenennung durchsetzen.

Dass ausgerechnet eine CSU-Oberbürgermeisterin die Akte Diem offensiv anpackt, erstaunt den Pensionär, der bis 1986 als Verkaufsleiter eines Nahrungsmittel-Unternehmens beschäftigt war. Wenn der Stadtrat speziell das Diem-Gutachten von Peter Dohms - er hat auch die Sammlung Klaibers ausgewertet - studiert, erfüllt ihn das mit Genugtuung. Klaiber bleibt aber bescheiden: "Sollte ich ein Quäntchen beigetragen haben, die Meinung in der Diem-Frage umzupolen, verspüre ich eine gewisse Zufriedenheit." Karl-Heinz Klaibers Biografie ist gekennzeichnet von der Wandlung eines Kriegsfreiwilligen - er greift als Marinesoldat in Italien zur Waffe und erlebt, wie Unschuldige erschossen werden - hin zu einem überzeugten Pazifisten, der sich in den 50er Jahren den ersten Ostermärschen anschließt und beim Volkstrauertag am Würzburger Kriegerdenkmal Blumen zum Gedenken an die Deserteure niederlegt.

Vor dem Hintergrund dieser persönlichen Läuterung ist auch sein Fazit zu Carl Diem zu lesen: "Für mich ist dieser Carl Diem einer der hervorstechendsten Vertreter unserer Vätergeneration, die uns Söhne in die Rolle der Täter der Jahre 1939 bis 1945 ideologisch hineinmanövriert haben und viele von uns zu 'Hitlers willigen Vollstreckern' machten."

MAIN-POST vom 12.05.2003

WÜRZBURGER SPORT ZU CARL DIEM



Spannung vor Verbandstag - Beschluss über Umbenennung noch im Sommer

Würzburg (aj). Für Brisanz ist beim diesjährigen Verbandstag des Würzburger Sports am kommenden Mittwoch (19 Uhr im Felix-Fechenbach-Haus) gesorgt: Es geht unter anderem um die Bewertung Carl Diems und eine mögliche Umbenennung von Halle und Ehrenplakette. Wie mehrfach berichtet, hat Oberbürgermeisterin Pia Beckmann die Verleihung der Diem-Plakette ausgesetzt, bis sich der Stadtrat ein Urteil über das Wirken des in Würzburg geborenen Sportführers in der Zeit des Nationalsozialismus gebildet hat. Eine Entscheidung soll nach Auskunft von Rathaus-Sprecher Ole Kruse noch vor den Sommerferien fallen.

Neben dem Diem-kritischen Gutachten des Düsseldorfer Staatsarchiv-Direktors Dr. Peter Dohms wurden für die Fraktionen nun auch Informationen der Kölner Sporthochschule angefordert. Sie hat ihren Gründer Diem in den vergangenen Jahren stets verteidigt. In einer Pressemitteilung zeigt sich Karlheinz Frick, Vorsitzender des Verbandes der Würzburger Sportvereine, irritiert darüber, dass inzwischen nicht nur die Diem-Plakette, sondern angeblich die gesamte Würzburger Sportler-Ehrung auf Eis gelegt sei. Traditionell endet der Verbandstag am Mittwoch mit den MAIN-POST-Aktionen "Vorstand des Jahres" - in diesem Jahr der Gehörlosen-Sportverein - und die "Guten Seelen im Verein".

MAIN-POST vom 16.05.2003

SPORTVEREINE STEHEN ZU CARL DIEM



Gegen Umbenennung in Geburtsstadt

Würzburg. Der Würzburger Sport steht zu Carl Diem. Als Dachorganisation sprach sich am Mittwoch der Verband Würzburger Sportvereine (VWS) gegen eine Umbenennung von Diem-Plakette und Diem-Halle aus.

Von Andreas Jungbauer

Wie berichtet, ist der Streit um die Rolle des in Würzburg geborenen Sportführers Carl Diem während des Nationalsozialismus neu aufgeflammt. Den Anlass lieferten Oberbürgermeisterin Pia Beckmann und der Stadtrat mit ihrer Entscheidung, die Verleihung der Carl-Diem-Plakette auszusetzen. Man will erst mehrere Gutachten studieren. Noch vor der Sommerpause soll dann eine Entscheidung fallen, wie die Stadt in Zukunft mit dem Namen Diem umgeht.

Unverständnis äußerte VWS-Vorsitzender Karlheinz Frick beim Verbandstag am Mittwoch über den Beschluss des Stadtrates, nicht nur - wie zunächst vorgesehen - die Diem-Plakette auszuklammern, sondern die komplette Sportler-Ehrung auf Eis zu legen. Laut CSU-Stadtrat Volker Thein habe man die Ehrung nicht "auseinander reißen" wollen - vor allem aus Rücksicht auf jene beiden Sportler, die in diesem Jahr die Diem- Plakette erhalten sollen. Nach MAIN-POST-Informationen sind dies der Ruderer Hans Ziegler und der Handballer Helmut Janda.

Für Frick wäre es "wissenschaftlich und moralisch ein schwerwiegender und unverzeihlicher Fehler, den Würzburger Carl Diem in der Versenkung seiner Heimatstadt verschwinden zu lassen". Der VWS-Vorsitzende kritisierte, dass der Sportbeirat aktuell nicht eingebunden worden sei und sprach von einem "misslungenen Krisenmanagement". Dieses Hickhack habe dem Würzburger Sport geschadet. Frick machte in erster Linie die Würzburger Grünen dafür verantwortlich, dass die Frage einer Umbenennung von Halle und Plakette regelmäßig wiederkehrt.

Gegen das Votum einiger Tagungsteilnehmer setzte sich Frick mit seinem Wunsch nach einer Abstimmung durch. Mit großer Mehrheit sprach man sich für eine Beibehaltung von Plakette und Halle aus. Allerdings waren von den 115 Sportvereinen im Verband nur rund 30 vertreten. Würzburgs Sportreferent Reiner Hartenstein widersprach der Kritik, man habe am Sportbeirat vorbei gehandelt. Er machte auf eine öffentliche "Aussprache" zum Thema Carl Diem am 30. Juni um 19 Uhr im Ratssaal aufmerksam.

MAIN-POST vom 16.05.2003

STANDPUNKT:
VORBILD IN SCHIEFLAGE



NS-Karrierist Carl Diem

Von Andreas Jungbauer

Die Würzburger Sportfunktionäre wollen das leidige Thema endlich loswerden. Sie honorieren die Verdienste Carl Diems um den Sport, werten seine Rolle im Dritten Reich aber im "Kontext seiner Zeit". In diesem Kontext gab es Männer und Frauen, die ihr Leben aufs Spiel setzten, weil sie sich der Barbarei des Regimes widersetzten. Felix Fechenbach wurde dafür von den Nazis ermordet. Nach ihm ist jenes Stadtteilzentrum benannt, wo am Mittwoch die Sportler ihren Diem in Schutz nahmen. Richtig ist: Die Debatte um seine Person ist 15 Jahre alt. Aber wirklich substanziell scheint sie in Würzburg nie geführt worden zu sein. Die Belege sind mittlerweile erdrückend: Carl Diem vertrat als ranghoher Repräsentant die menschenverachtende Ideologie des NS-Regimes. Er drängte freiwillig an die Spitze, ging seinen Weg als Karrierist und Opportunist. Man muss dafür heute keinen Schauprozess gegen ihn führen. Man sollte ihn den Sportlern der Nachfolge-Generationen aber auch nicht als leuchtendes Ideal vorgaukeln und Hallen, Straßen oder Plaketten nach ihm benennen. Geschichtsklitterung schadet dem Würzburger Sport - nicht die Diskussion als solche.

MAIN-POST vom 17.05.2003

STREIT UM CARL DIEM: OB WILL "SACHLICHE DISKUSSION"



Kritik am Verband Würzburger Sportvereine - Verschiedene Gutachten zur Information angeboten

Würzburg (aj). In der Auseinandersetzung um den in Würzburg geborenen Sportfunktionär Carl Diem und seine Rolle in der Nazi-Zeit setzt Oberbürgermeisterin Pia Beckmann auf eine "offene und sachorientierte Diskussion". Dies sagte sie am Freitag in einem Pressegespräch. Sie kritisierte, dass der Verband der Würzburger Sportvereine (VWS) eine Abstimmung herbeigeführt habe, ohne die angebotenen Informationsunterlagen zu nutzen.

Beckmann und Sportreferent Reiner Hartenstein haben ein ganzes Paket von Gutachten, Stellungnahmen und Artikeln mit unterschiedlichen Positionen zum Wirken Carl Diems zusammengetragen. Es ist Fraktionen und Sportvertretern zugänglich. Die Materialien können im Sport- und Schulreferat ausgeliehen werden. Ferner bedauerte Beckmann, dass sie beim VWS-Verbandstag nicht persönlich zur Diem-Problematik Stellung nehmen konnte. Weil sie selbst an dem Tag ihren 40. Geburtstag feierte, hatte Beckmann den VWS um eine Verschiebung des Verbandstages gebeten - ohne Erfolg.

Für eine unglückliche Entscheidung hält die Oberbürgermeisterin die Vertagung der kompletten Sportlerehrung per Stadtratsbeschluss. Nach ihrem Vorschlag sei es lediglich um eine Aussetzung der Carl-Diem-Plakette gegangen. Dass dann aufgrund einer Kommunikationspanne im Rathaus trotzdem zur Sportlerehrung am 7. Mai eingeladen wurde, um die Angeschriebenen kurz darauf wieder auszuladen, setzte dem Wirrwarr die Krone auf.

Laut Beckmann sollen zur öffentlichen Diem-Aussprache am 30. Juni im Ratssaal nun doch externe Experten geholt werden. Klar machte sie, dass sich die Entscheidungsfindung sowohl auf die Diem-Plakette wie auch auf die Diem-Halle beziehe.

MAIN-POST vom 28.05.2003

DIEM-SOHN SCHALTET SICH IN DEBATTE EIN



Frick mobilisiert gegen Umbenennung

Würzburg (aj). In der Auseinandersetzung um eine mögliche Umbenennung der Carl-Diem-Plakette und der Carl-Diem-Halle lässt Karlheinz Frick, Präsident des Verbandes Würzburger Sportvereine, nichts unversucht.

Wie berichtet, kämpft Frick gegen eine Neubewertung der Rolle Diems als Sportfunktionär während der Nazi-Zeit. Dagegen will Würzburgs Oberbürgermeisterin Pia Beckmann noch vor der Sommerpause eine endgültige Entscheidung des Stadtrates in der Frage des Umgangs mit Diem erwirken. Dazu findet am Montag, 30. Juni, eine öffentliche Diskussion im Ratssaal statt, zu der zwei Diem-Experten eingeladen werden sollen. Unterdessen hat Frick erneut Kontakt zu Carl-Jürgen Diem, dem Sohn des von 1882 bis 1887 in Würzburg aufgewachsenen Sportführers, aufgenommen. Dieser kämpft ebenfalls um die Reputation seines Vaters, war aber vor gut einem Jahr gerichtlich mit einer Klage am Landgericht Darmstadt unterlegen.

Laut Urteil darf auch weiterhin behauptet werden, dass Carl Diem im März 1945 auf dem Berliner Reichssportfeld Hitlerjungen zum "finalen Opfergang" aufgerufen hat. In seiner Antwort an Frick lehnt der Diem-Sohn eine Teilnahme an Veranstaltungen in Würzburg ab. Er könne nicht neutral sein und diene leicht für "subtile Anwürfe" aus dem linken Spektrum. Andererseits hat sich Carl-Jürgen Diem mit einem Schreiben an die Oberbürgermeisterin gewandt. Darin bittet er, die geplante Anhörung am 30. Juni auszusetzen und eine "historisch und wissenschaftlich gesicherte Aufarbeitung" der Rolle seines Vaters abzuwarten. Derzeit lägen keine neuen Erkenntnisse gegenüber 1995 vor.

Um weiter gegen eine mögliche Umbenennung zu mobilisieren, hat Karlheinz Frick für den Verband der Sportvereine alle Träger der Carl-Diem-Plakette zu einer Aussprache eingeladen. Sie seien unter Umständen "direkt von einer Änderung betroffen" und sollten ihre Gefühle äußern. Geschehen soll dies am kommenden Montag, 2. Juni, ab 19 Uhr in der Gaststätte "Jahnwiese".

MAIN-POST vom 04.06.2003

DIEM-STREIT: SPORTVERBAND WILL GUTACHTEN ABWARTEN



Von Andreas Jungbauer

Würzburg. In der Auseinandersetzung um die NS-Vergangenheit von Sportfunktionär Carl Diem wird der Ton schärfer. Auf Einladung des Verbandes Würzburger Sportvereine (VWS) hatten am Montagabend mehr als 20 Träger der Carl-Diem-Plakette den in Würzburg geborenen Gründer der Deutschen Sporthochschule verteidigt - darunter auch Willi Krämer, Ex-Sportchef des ZDF. Er hatte Diem nach dem Krieg als Erstsemester kennen gelernt. Krämer würdigte wie andere Redner an diesem Abend die Verdienste Diems um den Sport, national wie international.

Seine führende Rolle während des Nationalsozialismus wollten die Anwesenden nicht überbewerten. Diem sei auch heute noch ein Vorbild für die Jugend, sagte etwa Rudolf Herget. "Unerfreuliche Dinge" in der Nazi-Zeit gelte es als "gewisse Zeiterscheinung" zu sehen. In einer Abstimmung sprachen sich alle Teilnehmer der Runde gegen eine Namensänderung von Carl-Diem-Halle und Diem-Plakette aus. Vor einer Entscheidung des Stadtrates solle ein "neutrales Gutachten" abgewartet werden, wofür Deutscher Sportbund und das Nationale Olympische Komitee laut VWS-Präsident Karlheinz Frick 180 000 Euro zur Verfügung stellen. Bis in einigen Jahren das Ergebnis dieser Studie vorliegt, solle am Namen Diems in Würzburg nicht gerüttelt werden, so das einhellige Votum.

Frick bezeichnete die Diem-Diskussion als "Nebenkriegsschauplatz, weil in der Kommunalpolitik nicht mehr viel gestaltet werden kann". Oberbürgermeisterin Pia Beckmann warf er vor, auf Gesprächsangebote des Sportes nicht eingegangen zu sein. "Das stimmt nicht", stellte die OB am Dienstag auf Anfrage richtig. Nach einer VWS-Bitte hatte bereits am 5. November ein Gespräch zwischen ihr und dem VWS-Präsidium in Sachen Diem stattgefunden. Eine angebliche Einladung Fricks zu einer Aussprache am 5. April ist im OB-Büro nicht bekannt.

Beckmann hatte die Runde der Diem-Plaketten-Träger mit einem Kurzbesuch überrascht. Dabei unterstrich sie ihre Forderung nach einer ausgewogenen Diskussion über Diem und verteilte ein vierseitiges Papier mit Diem-Zitaten (Auszüge siehe Artikel vom gleichen Tag). In einem deftigen Brief schrieb Frick der OB am Dienstag seine Empörung über ihr Vorgehen und das "Anti-Diem-Pamphlet". OB-Ehemann Rainer Beckmann, der am Montag interessehalber der Versammlung lauschen wollte, hatte Frick des Saales verwiesen. Das Treffen sei eine "geschlossene Veranstaltung".

MAIN-POST vom 04.06.2003

DATEN UND FAKTEN



Zitate von Carl Diem:

  • "Der Krieg lehrt uns die Notwendigkeit des deutschen Sports. Das Blühen des Vaterlandes hängt ab von seiner Bereitschaft zum Kriege." (Erster Weltkrieg)
  • "Die deutsche Rasse wird unüberwindbar sein." (1917)
  • "Im empfehle dem Führer die Gründung eines ‚Großdeutschen Olympia' als ewige Feier zur Wiederaufrichtung des Großdeutschen Reiches..." (1939)
  • "...Freude am Kampf, Freude an Entbehrung, Freude an der Gefahr. Nur in solcher Lebenshaltung kann Norwegen erobert, Frankreich durchstürmt werden." (1940)
  • "Der Tod ist schön, wenn ein Mann ihn als Held erleidet, als Held im Tod fürs Vaterland." (1941)
  • "Wenn Sport und Olympische Spiele uns etwas zu Nutzen gewesen sind, dann haben sie uns diesen Geist des Angriffs und der blitzschnellen Entschlusskraft gelehrt." (1943)


MAIN-POST vom 06.06.2003

KAPUSTIN: DIEM AN LEBENSWERK MESSEN



Würzburg (aj). Eine "umfassende und ausgewogene Betrachtung" von Sportfunktionär Carl Diem hat Prof. Dr. Peter Kapustin, Präsident des Bayerischen Landessportverbandes (BLSV) und Vize-Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB), angemahnt. Der in Würzburg geborene Gründer der Deutschen Sporthochschule dürfe nicht auf sein Verhalten während der Nazi-Zeit reduziert werden, sagte Kapustin gegenüber der MAIN-POST. Er kritisierte in diesem Zusammenhang eine Kommentierung in dieser Zeitung. Die enormen Leistungen Diems für die Sportentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seien zu würdigen.

Diem habe zwar nicht öffentlich Widerstand geleistet, sondern versucht, dem Sport im Nazi-Regime Freiräume zu schaffen und die Brücken zur internationalen Sportwelt stabil zu halten. Kapustin: "Carl Diem war aber nie Mitglied der NSDAP, er hat keine Menschen verraten und niemanden in seiner Würde verletzt. Vielmehr galt er als 'weißer Jude', der mit einer Frau befreundet und später verheiratet war, die jüdisches Blut in sich hatte."

Kapustin beruft sich auf die vom DSB beauftragte Expertenkommission unter Leitung von Prof. Dr. Ommo Grupe. Sie kommt zu dem Urteil, dass sich Carl Diem der jeweiligen Epoche (Kaiserzeit, Weimarer Republik, Nazi-Regime, und Bundesrepublik) anpasste, um die Verbreitung des Sports zu fördern. Ambivalenzen und Widersprüche in Diems Biografie wertet Kapustin nicht als hinreichende Gründe für eine Umbenennung von Hallen oder Auszeichnungen.

In der Auseinandersetzung um eine Umbenennung zwischen Oberbürgermeisterin Pia Beckmann und Karlheinz Frick, Präsident des Verbandes Würzburger Sportvereine, nahm man im Rathaus gestern eine Richtigstellung vor: Anders als in der MAIN-POST berichtet, sei es im Gespräch zwischen der OB und dem VWS Anfang November nicht um Carl Diem gegangen. Aussage gegen Aussage steht hinsichtlich einer vom VWS anberaumten Aussprache am 5.April. Frick will Beckmann eingeladen haben. "Es lag keine Einladung vor", heißt es dagegen aus dem OB-Büro.

MAIN-POST, 11.06.2003

"MIT SINNLOSEM OPFERBLUT BEFLECKT"



Ex-ZDF-Chefredakteur Reinhard Appel: Carl Diem hat das Nazi-System gestützt

Von Andreas Jungbauer

Würzburg/Bonn Wenn über die Rolle von Sportführer Carl Diem in der NS-Zeit und eine Umbenennung von Diem-Plakette und Diem-Halle in Würzburg diskutiert wird, steht immer wieder seine "Opfer-Rede" vor der Hitlerjugend im März 1945 im Blickpunkt. Der frühere ZDF-Chefredakteur Reinhard Appel hat sie als Augenzeuge miterlebt und mit seiner Schilderung in den 80er Jahren die kritische Auseinandersetzung mit " Diem " angestoßen. Wir sprachen mit dem heute 76-Jährigen.

MP: Herr Appel, wie lebhaft haben Sie den 18. März und den Auftritt Carl Diems vor der Hitlerjugend auf dem Berliner Reichssportfeld heute noch in Erinnerung? Reinhard Appel:

Je mehr über Carl Diem diskutiert wird, desto lebendiger habe ich alles vor Augen und desto zorniger werde ich, wenn ich die undifferenzierten, bewundernden Stimmen über den angeblich größten Sportführer des Jahrhunderts höre. Ich war im Januar 1945 in Berlin als Siebzehnjähriger in das Hitlerjugend-Regiment gekommen. Dort wurden wir von Wehrmachtssoldaten an Panzerfäusten ausgebildet. Im März kam es dann zu dieser sonntäglichen Feierstunde im Reichskuppelsaal auf dem Reichssportfeld, wo wir untergebracht waren. Auch Reichssportführer Ritter von Halt war dabei. Er übergab an den befreundeten Carl Diem das Wort. Seine Rede war ein eindeutiger Durchhalte-Appell, den wir als idealistisch eingestellte Jugendliche gläubig aufgenommen haben. Ich kann das heute nur mit dem Versuch von Hamas-Leuten vergleichen, junge Selbstmord-Attentäter in Palästina zu gewinnen. Wir Jugendlichen sollten moralisch aufgerüstet und für den Opfertod bereitgemacht werden. Das war der Sinn der Rede von Carl Diem. Er berief sich auf das tapfere Volk von Sparta und glorifizierte den Heldentod in einer Situation, wo er genau wusste: Es geht jetzt um die Verteidigung Berlins, um den letzten Opfergang im Zweiten Weltkrieg, denn die Russen standen ja bereits an der Oder.

MP: Diem-Befürworter werten diesen Ausflug in die griechische Mythologie als Versuch Diems, direkte nationalsozialistische Propaganda zu umgehen . . .

Appel: Eine solche Missinterpretation ist eine Unverschämtheit. Hier wird eine menschenverachtende Rede schöngefärbt. Man muss sich doch einmal die konkrete Situation von damals vergegenwärtigen: Goebbels und Axmann hatten zum Endkampf um Berlin aufgerufen. In dieser Situation vom Opfertod als Heldentod zu reden - das war ein eindeutiger moralischer Appell, uns dafür bereit zu machen. Und es sind dann ja auch Hunderte meiner Altersgenossen im Reichssportfeld und an den Havel-Brücken im wahrsten Sinne des Wortes geopfert worden.

MP: Wie kam es, dass Sie erst 40 Jahre später, über zwei Jahrzehnte nach Diems Tod, den Streit ins Rollen brachten?

Appel: NOK-Präsident Willi Daume forderte mich 1984 als Chefredakteur des ZDF auf, eine Rede vor Sportfunktionären und Wissenschaftlern über die Entwicklung der Olympischen Spiele und das Fernsehen zu halten. Die Veranstaltung fand in Berlin statt. Meine ganze Erinnerung an das Kriegsende in Berlin kam wieder hoch und ich habe den Sportführern mein Erlebnis mit Carl Diem erzählt und darüber reflektiert, welche große Verantwortung auch Sportführer für die junge Generation haben. Dann habe ich zehn Jahre lang nichts mehr gehört und von mir aus auch nichts unternommen. Bis Studenten der Sporthochschule in Köln (am Carl-Diem-Weg) mich zu einer Diskussion über Diems Verhalten bei Kriegsende eingeladen haben und ich dort über meine Erinnerungen berichtete. Seitdem hält die Diskussion an, wobei mich die blinden Diem-Verehrer auch dadurch provozierten, dass Sie meine Glaubwürdigkeit in Frage stellen wollten.

MP: Warum schwiegen Sie 40 Jahre lang?

Appel: Ich bin kein nachträglicher Entnazifizierer. Aber es ist doch verständlich, dass meine Erinnerungen wach werden, wenn ich als ZDF- Chefredakteur - damit verantwortlich auch für den Sport - in Berlin eine Rede über die Olympischen Spiele halten soll, die historisch eng mit dem Namen Carl Diem verbunden sind. Wenn mir vorgeworfen wird, das sei zu spät gewesen, dann muss ich das in Kauf nehmen.

MP: Vor dem Hintergrund dessen, was Sie am Kriegsende erlebten: Betrachten Sie Diem nicht zu emotional und zu ausschnitthaft?

Appel: Ich bestreite nicht seine Verdienste um den Sport, beispielsweise als Begründer des Sportabzeichens oder als Organisator der Olympischen Spiele, obwohl man hier schon seinen Devotismus gegenüber Hitler klar erkennen kann. Er war kein Parteimitglied, aber er war ein ideologischer Trittbrettfahrer. Und wenn antisemitische Tendenzen bei Diem immer bestritten werden, muss ich fragen: Weshalb hat er als NS-Sportgauleiter für das Ausland nach Beendigung des Frankreich- Feldzuges die Franzosen zu der Mitteilung aufgefordert, ob in ihrer Sportführung Juden vertreten sind?

MP: Damit sind wir mitten in seiner Einordnung. Würden Sie Diem als Mitläufer oder aktiven Repräsentanten des NS- Regimes beurteilen?

Appel: Er war ein Sportbesessener. Das hat ihm in diesem Regime insofern geholfen, als er den Sport immer auch als vormilitärische Erziehung sah. Da gibt es viele Stellen in seinen Reden und Texten, die das belegen, und das passte in das Aufrüstungskonzert des Hitler-Staates. Er war ein Nationalkonservativer, dem die ideologische Orientierung der Nazis entgegengekommen ist. Seine Schriften weisen ihn als ideologischen Mitvorbereiter des Nationalsozialismus aus. Da gibt es Formulierungen, die hätte sich kein Nazi besser ausdenken können.

MP: War Diem Karrierist und Opportunist?

Appel: Ja. Eindeutig. Er hat alles für den Sport getan - sogar seine Tochter mit Blumen zum Führer auf das Reichssportfeld geschickt. Er wollte unbedingt Reichssportführer werden. Menschlich war Diem am Schluss ein großer Versager: Sechs Wochen vor Kriegsende zu sagen, es sei eine Ehre für das Vaterland zu sterben . . . Wusste er nicht, dass das Vaterland ein KZ-Staat war? Wir Jungen wussten das in dem Maße nicht. Diem hat sich dem System angedient und ideologische Formeln zur Stützung des Systems geliefert. Und wenige Tage nach Kriegsende ist er zu den Russen - die wir bekämpfen sollten - gelaufen und hat unter dem kommunistischen Magistrat die Zuständigkeit für das Reichssportfeld zurück erbeten, um es von den Hitlerjugend-Leichen zu befreien und wieder spielfähig zu machen. Später hat er sich Adenauer angedient und wurde Sportreferent im Innenministerium. Diem war ungeheuer wandlungsfähig.

MP: Sie haben mit Ihrer Schilderung der Rede eine folgenschwere Debatte über viele Jahre ausgelöst. Bedauern Sie das im Nachhinein betrachtet?

Appel: Ich kann das nicht bedauern, wenn ich an die vielen Toten am Reichssportfeld und an den Havel-Brücken denke. Was hatte das noch für einen Sinn? Der Krieg war doch verloren! Ich werde als Zeitzeuge ja auch zu Vorträgen in Schulen eingeladen und man fragt mich: Ist dieser Mann ein Vorbild für die Jugend? Meine Antwort ist eindeutig: Nein!

MP: Heißt das auch, dass Sie gegen eine Benennung von Hallen, Straßen oder Auszeichnungen nach Carl Diem sind?

Appel: Natürlich. Das ist doch alles mit sinnlosem Opferblut befleckt! Es ist meine Pflicht und Schuldigkeit, auch im Interesse der gefallenen Kameraden gegen das Vergessen anzutreten. In der Sportwissenschaft mag man seine sportorganisatorischen Verdienste würdigen, aber als öffentliches Vorbild taugt er nicht.

MP: Wie intensiv haben Sie sich im Laufe der Jahre mit Diem befasst?

Appel: Mehr und mehr. Am Anfang war nur die vage Erinnerung. Dann habe ich die verschiedenen Gutachten und die Tagebücher der Diems studiert. Das Perfide war ja, dass Herr Lennartz als Verwalter des Diem-Archivs an der Sporthochschule im Besitz von Diems Rede-Unterlagen war und sie öffentlich unterschlagen hat, um mich zu verunsichern.

Lesen Sie morgen eine andere Sicht des umstrittenen Carl Diem: Der frühere ZDF-Sportchef Willi Krämer lernte ihn als Erstsemester an der Kölner Sporthochschule kennen.

MAIN-POST vom 12.06.2003

"DIEM WOLLTE DEN SPORT ERHALTEN"



Ex-ZDF-Sportchef Willi Krämer lernte Diem an der Sporthochschule kennen

Von Andreas Jungbauer

Würzburg Im Streit um die Rolle von Carl Diem während der Nazi- Zeit bezieht der frühere "Volksblatt"- und spätere ZDF-Sportchef Willi Krämer (76) Stellung. Er begegnete Diem an der Kölner Sporthochschule. Krämer lebt seit März wieder in Würzburg.

MP: Herr Krämer, wie haben Sie Carl Diem 1947 kennen gelernt?

Willi Krämer: Damals gründeten die Stadt Köln und Nordrhein-Westfalen die Sporthochschule in Köln. Ich brach eine Bauarbeiter-Lehre ab und kam in das erste Semester. Wir waren nur 32 Studenten, fast alle Sportler, und die meisten auch Soldaten im Zweiten Weltkrieg.

MP: Wie erlebten Sie ihn als junger Student im persönlichen Umgang?

Krämer: Diem und seine Frau Liselott wohnten wie wir im Kölner Stadion. Im Keller waren übrigens Sepp Herberger und seine Frau untergebracht. Uns Studenten gegenüber verhielt er sich nett und sportlich-väterlich, wie es unser Soldaten-Jahrgang nicht erwartet hatte. Vielleicht bin deshalb aus Sicht der Kritiker etwas voreingenommen.

MP: Wussten Sie und Ihre Kommilitonen um Diems Rolle im Nationalsozialismus?

Krämer: Nein. Dazu waren wir zu jung.

MP: Sprach Carl Diem selbst über die Zeit vor und während des Krieges?

Krämer: Ich war ja sportjournalistisch etwas vorgeprägt. Noch in seiner ersten Lehrstunde fragte ich, ob denn auch die Hintergründe des Dritten Reiches Thema der Vorlesung seien. Diem richtete einen Runden Tisch zu der Frage ein, der einmal im Monat tagte. Dort konnten wir alles fragen.

MP: Wurde Diem dabei auch nach seiner eigenen Funktion in der NS-Zeit gefragt?

Krämer: Ich kann mich nicht konkret an direkte Äußerungen erinnern. Wir haben gemeinsam Erfahrungen aus der Kriegszeit ausgetauscht.

MP: Wann sind Sie der umstrittenen Diem-Rede auf dem Reichssportfeld im März 1945 begegnet?

Krämer: Durch meinen früheren ZDF-Kollegen und Chefredakteur Reinhard Appel, als dieser in der Sendung "Monitor" als Augenzeuge davon berichtete. Ich schätze Reinhard Appel als Journalist und Chefredakteur sehr, verstehe aber seine späte und äußerst kritische Reaktion auf die Rede von damals nicht. Hätte Diem damals die Jugendlichen zum Desertieren ermutigt, hätte man diese doch erschossen. Also, so meine Vermutung, drückte er sich etwas priesterhaft mit einem Exkurs in die griechische Mythologie aus. Das tat und tut jeder Seelsorger bei kranken und/oder gefährdeten Menschen schon immer.

MP: Dies hatte er zuvor wiederholt mit Truppenreden an der Front getan...

Krämer: Das weiß ich nicht. Aber man muss versuchen, die damalige Zeit aus der Perspektive unserer Eltern zu sehen. Das geschieht auch in der heutigen Presse so gut wie nie (oder von Leserbrief-Schreibern besonderer Art...).

MP: Carl Diem hatte - lange vor der Machtergreifung durch die Nazis - immer wieder den Sport zur Voraussetzung der "nationalen Wehrhaftigkeit" erklärt. War davon an der Sporthochschule noch etwas zu spüren?

Krämer: Nein. Diem unterrichtete nur "Geschichte der Leibesübungen". Und wir hätten solche Zusammenhänge wohl bemerkt, denn keiner von uns hat sich je gerühmt, dass er noch Soldat sein durfte. Das war alles viel zu grausam. Aber: Alle Nationen ließen und lassen ihre Soldaten "Sport" treiben.

MP: Bereiten Ihnen vor dem Hintergrund dieser persönlichen Kriegserfahrung die militaristischen Züge des Carl Diem keine Probleme?

Krämer: Ich habe diese Züge nie kennengelernt, halte sie auch nicht für militaristisch. Aber ist nicht auch die Bundeswehr froh um eine gute sportliche Verfassung ihrer Soldaten?

MP: Nun war Carl Diem nicht Verteidigungsminister oder Mitglied der Obersten Heeresleitung, sondern repräsentierte den Sport... Hat er sich in seiner Sport-Besessenheit vom NS-Regime missbrauchen lassen? Oder hat er selbst den Sport für seine Karriere benutzt?

Krämer: Es könnte beides sein. Jedenfalls war der Sport als Ertüchtigung für den Fall der Landesverteidigung immer, auch bis heute, ein willkommenes Motiv und wird entsprechend gefördert. Deswegen hatte der Reichsbund für Leibesübungen auch keine Geldsorgen. Klar ist: Wer den Sport in einem Maße wie Carl Diem in den 20er Jahren aufgebaut hat, wollte ihn auch erhalten.

MP: Nach der Machtergreifung 1933 bewarb er sich als Reichssportführer. Er war also bereit, auch in diesem System an führender Stelle für seinen Sport tätig zu sein...

Krämer: Natürlich musste er weiterarbeiten und seine Familie ernähren. Ob er dies tat, weil er ein Anhänger des Nationalsozialismus war - das ist die Frage. Sicher konnte 1933 noch niemand absehen, wohin die Reise gehen sollte.

MP: Gehörte es zu den Wesensmerkmalen des deutschen Sports im vergangenen Jahrhundert, "unpolitisch" in allen politischen Systemen zu funktionieren?

Krämer: Das ist wohl richtig. Ich kann mir bei Diem durchaus vorstellen, dass er vielen nach dem Mund reden musste, um die Tradition des Sportes - er hatte 1912 den ersten jüdischen Sportverein gegründet - weiterzuführen.

MP: Konnte denn der Sport in einem System wie dem nationalsozialistischen überhaupt unpolitisch sein?

Krämer: Sicherlich nicht ganz. Gewiss hatte er auch aus Existenz-Gründen jede Menge braune "Farbe" zu bekennen und bei vielen musste eine ganz große Verbeugung stattfinden, damit sich der Sport weiter wie gewohnt organisieren konnte. Hier ein Urteil zu fällen, ist heute sehr schwierig. Aber es gibt noch Zeitzeugen und Dokumente. Und diese sollte auch die Stadt abwarten.

MP: Der Deutsche Leichtathletik-Verband hat sich von Diem distanziert. Wie stehen Sie persönlich zu einer möglichen Umbenennung von Diem-Halle oder Diem-Plakette in Würzburg?

Krämer: Ich halte die Beschäftigung mit Diems Biografie für wichtig. Man sollte jene Wissenschaftler hören, die sich am intensivsten darin vertieft haben. Vorher die Frage einer Umbenennung zu stellen, ist falsch. Ich selbst habe im Sport niemanden getroffen, der sich durch Diem bedrängt oder belästigt gefühlt hätte. Im Ausland genoss Diem großes Ansehen. Persönlich halte ich eine Umbenennung deshalb nicht für gerechtfertigt. Es ist aber gut, wenn sich die jüngere Generation eine eigene Meinung bildet. Deshalb ist die von Professor Grupe angekündigte Experten-Studie abzuwarten. Das würde ich auch dem Stadtrat empfehlen

MAIN-POST vom 12.06.2003

Würzburger Ansichten:

UNDEMOKRAT ALS NAMENSPATRON?



Carl Diem neu bewerten

Von Andreas Jungbauer

Carl Diem. Ein Name, eine Biographie, eine Kontroverse. Umstritten ist vor allem die Rolle des in Würzburg geborenen Sportführers in der Zeit des Nationalsozialismus. Schon zweimal (1989 und 1996) hat der Stadtrat - überlagert von Wahlkampfgetöse - eine Umbenennung der Carl-Diem-Halle abgelehnt. Im Jahre 2003 fordert nun die junge CSU-Oberbürgermeisterin Pia Beckmann Klarheit über Diems Wirken, ehe sie die nach ihm benannte Ehrenplakette für verdiente Würzburger Sportler vergibt.

Die Verleihung der Diem-Plakette vorerst auszusetzen, war ein mutiges Signal. Warum aber der Stadtrat dann die komplette Sportler-Ehrung auf Eis legte, ist nicht nachzuvollziehen. Die Folge sind erhebliche Irritationen in der lokalen Sportszene. Dazu hat wohl auch die Oberbürgermeisterin ihren Beitrag geleistet, weil sie in Punkto Diem nicht von sich aus auf die Sportfunktionäre zugegangen ist und diesen Job ihrem Sportreferenten überlassen hat.

Geschürt wird die Missstimmung von Ex-Stadtratsmitglied und VWS-Präsident Karlheinz Frick. Seine Attacken gegen die Rathausführung (und die MAIN-POST) stören eine objektive Auseinandersetzung mit der Biographie von Carl Diem ganz erheblich. Frick (auf dem rechten Auge blind?) ist in die Rolle des Verteidigers geschlüpft, als stünde der bedeutende Sportfunktionär postum vor einem Schaugericht. So ist es schlicht unwahr, dass der Name Diem in Würzburg "gelöscht" werden soll. Dessen Verdienste um den Sport bleiben unangetastet. Es ist auch unwahr, dass bis dato Geehrte ihre Diem-Plakette zurückgeben und womöglich gegen eine billige Vase eintauschen sollen.

Im Kern geht es um die eine zentrale Frage: Kann ein hochrangiger, exponierter Funktionär des Nazi-Regimes, der nachweislich Nationalist (stellenweise sogar Rassist), Militarist und nach eigenen Worten "kein Demokrat" war, heute leuchtendes Beispiel und Namenspatron in einem demokratischen Gemeinwesen sein? Zwar dürfte die Experten-Diskussion am 30. Juni im Rathaus die Meinungsbildung durchaus vertiefen. Grundsätzlich aber liegen hinreichend biographische Fakten und Studien auf dem Tisch. Weitere, angeblich neutralere Gutachten kann man sich deshalb sparen.

Carl Diem war ein Chamäleon im Dienste des Sports. Dass er sich bis zu seinem Tode 1962 nicht vom eigenen Fehlverhalten während der NS-Zeit distanzierte, verleiht der Forderung nach einer Umbenennung nur Nachdruck. Andere Städte haben mittlerweile ihre Diem-Straßen umgetauft. Als Geburts- und Heimatstadt hat Würzburg eine besondere Verantwortung. Der Stadtrat muss die Akte Diem endlich inhaltlich bearbeiten und sie mit einem konsequenten Votum schließen - ohne Fri(c)ktionen und ohne Fiktionen.

MAIN-POST vom 13.06.2003

DIEM-STREIT: VORGEHEN DES SPORTVERBANDES IN DER KRITIK



Funktionäre bemängeln Demokratie-Defizite beim VWS

Von Achim Muth und Andreas Jungbauer

Würzburg. Namhafte Vertreter des Würzburger Sports haben sich hinter einen kritischen Umgang mit Sportführer Carl Diem gestellt. Sie schließen eine Umbenennung der Diem-Halle nicht aus und bemängeln die Willensbildung im Verband Würzburger Sportvereine (VWS) unter dessen Präsidenten Karlheinz Frick.

Frick hatte beim VWS-Verbandstag Mitte Mai für das Präsidium die Vorwürfe gegen Diem zu entkräften versucht und anschließend eine Abstimmung herbeigeführt. Von den 90 Vereinen im VWS war beim Verbandstag rund ein Drittel vertreten. Die Delegierten folgten mit großer Mehrheit dem Vorschlag Fricks, an Diems Namen in Würzburg nicht zu rütteln.

Unterdessen sind Zweifel an der demokratischen Meinungsbildung im Verband laut geworden. Die Informationspolitik sei nicht immer befriedigend, bemängelt Michael Schlagbauer, Präsident der Würzburger Kickers. Die Vereine würden manche Standpunkte erst aus der Presse oder verspätet in knappen Zeilen erfahren. "Auch in der Sache Carl Diem hätte ich mir vom Verband etwas mehr Behutsamkeit gewünscht. Schließlich spiegelt der Vorsitzende in seinen Worten nicht die Meinung aller Vereine wider." Persönlich stellt er aufgrund der Opferrede vor der Hitlerjugend die Frage, ob Diem als Vorbild für die Jugend stehen könne. Der Stadtrat solle sich durch Gutachten und Expertenmeinungen so bilden, dass er ein Urteil fällen könne. "Das unselige Hin und Her jedenfalls ist der Sache nicht dienlich."

Kritik am VWS übt auch Georg Rosenthal, Vorsitzender des Würzburger Fußballvereins. Die Willensbildung finde nicht gemeinsam mit den Vereinen, sondern durch Vorgaben des Präsidiums statt, sagte er auf Anfrage. Im Streit um Carl Diem, so Rosenthal, "spreche ich Herrn Frick das Recht ab, über diese wichtige politische und demokratische Frage für den gesamten Würzburger Sport zu reden." Zuständig sei in erster Linie der Stadtrat. Persönlich ist Rosenthals Haltung klar: "Carl Diem kann kein Vorbild für ein demokratisches Gemeinwesen sein. Dafür gibt es zu viele Brüche in seinem Leben."

Als Präsident des größten unterfränkischen Sportvereins, des SV 05, möchte sich Peter Lurz kein abschließendes Urteil über Carl Diem erlauben. Er frage sich aber, warum die Diskussion erst nach fast 60 Jahren aufkomme. Die Verantwortlichen der Stadt sollten jedenfalls rasch eine endgültige Lösung suchen. Lurz: "Wenn die Fakten der Gegner Diems stimmen, dann muss man Abstand nehmen."