Die Berichte der MAIN-POST, 10.04.2003

von Andreas JUNGBAUER

Neuer Streit um Reizfigur Carl Diem

Würzburg. Die Diskussion um die Rolle von Sportfunktionär Carl Diem im Nationalsozialismus ist erneut voll entbrannt. Eine Umbenennung der Carl-Diem- Halle wird wahrscheinlicher.

Offenbar gegen Widerstand aus den eigenen CSU-Reihen und an den Würzburger Sportgremien vorbei hat Oberbürgermeisterin Pia Beckmann die Vergabe der Carl-Diem-Plakette auf Eis gelegt. Nach MAIN-POST-Informationen sollten der Ruderer Hans Ziegler und der Handballer Helmut Janda in diesem Jahr mit der Ehrung bedacht werden. Während alle weiteren Sportler-Ehrungen an diesem Donnerstag im Stadtrat abgesegnet werden sollen, müssen sich die beiden gedulden. Denn Beckmann möchte sich selbst ein Urteil über den von 1882 bis 1887 in Würzburg aufgewachsenen Diem bilden und will das Gutachten von Dr. Peter Dohms, Direktor des Düsseldorfer Staatsarchivs, studieren. Dieser hat vor sieben Jahren auf 39 Seiten die Stadt Meerbusch zur Umbenennung ihrer Carl-Diem-Straße bewegt. Diem sei beruflich in die Machenschaften des NS-Regimes tief verstrickt gewesen. In dessen Rhetorik fänden sich fatale Anklänge an Hitlers "Mein Kampf".

Wie Dohms am Mittwoch dieser Zeitung sagte, empfehle er der Stadt Würzburg heute "mehr denn je" einen neuen Namen für Halle und Plakette. Schon 70 bis 80 Städte hätten sein Gutachten angefordert. In etlichen Kommunen ist der Name Carl Diem unterdessen von Hallen- und Straßenschildern getilgt worden. Und neue Forschungsergebnisse der letzten Jahre hätten die Kritik an dem Sportfunktionär und Organisator der Olympischen Spiele 1936 verstärkt. "Es ist dringend nötig, dass eine wirklich unabhängige Instanz die Dinge ganz objektiv aufarbeitet", so Dohms.

Das ist nach Auffassung des Würzburger Sportwissenschaftlers Prof. Dr. Peter Kapustin bereits geschehen. Als Vize-Präsident des Deutschen Sportbundes verweist er auf das Gutachten einer Experten-Kommission unter Leitung von Prof. Ommo Grupe, wonach Namensänderungen nicht erforderlich seien. Kapustin: "Diem war kein Nazi, er war nicht in der NSDAP. Er war Patriot, aber kein Chauvinist."

Das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom Januar 2002 (siehe Artikel vom gleichen Tag) liest sich da anders. Danach hat Diem in den letzten Kriegstagen Jugendliche tatsächlich zum finalen Opfergang für den Führer aufgerufen. Würzburgs Sportreferent Reiner Hartenstein hat in den vergangenen Jahren stets auf den Forschungsstand der Deutschen Sporthochschule in Köln verwiesen, dessen Gründer Carl Diem ist. Im Zuge des Darmstädter Urteils wurde in Köln eine weitere Diem-Biografie in Auftrag gegeben. Von ihr erhofft sich Hartenstein neue Erkenntnisse. Sollten solche vorliegen, hat auch Alt-OB Jürgen Weber nach eigenen Worten "kein Problem" mit einer Namensänderung. "Ich bin da leidenschaftslos. Jedenfalls sollte die Sache nicht zum Politikum gemacht werden", sagte er gestern.

Treibende Kraft für eine kritische Auseinandersetzung mit Diem in dessen Heimatstadt sind die Grünen. Sie hatten schon zweimal - ohne Erfolg - die Umbenennung der Halle beantragt. Stadträtin Benita Stolz ärgert, dass sie vom Verband der Sportvereine unter Federführung von Karlheinz Frick ständig vertröstet worden sei. "Passiert ist nichts", obwohl sie längst einen runden Tisch mit Diem-Biografen angeregt hatte. Umso zufriedener hat Benita Stolz registriert, "dass die Oberbürgermeisterin das Thema jetzt ernsthaft anpacken will."