So begann die Berichterstattung um Carl DIEM

von Andreas JUNGBAUER

Carl Diem - die acht Buchstaben seines Namens prangen seit 1981 als meterhohe Lettern auf Würzburgs größter Veranstaltungshalle. Auch eine Verdienstmedaille für Sport-Engagierte ist in der unterfränkischen Stadt nach ihm benannt. Doch wer war dieser Carl Diem wirklich? Koryphäe und leidenschaftlicher Wegbereiter des bürgerlichen deutschen Sports im 20.Jahrhundert? Herausragender Sportorganisator, -funktionär und -wissenschaftler? Oder ein politisch verblendeter Machtmensch, der sich für persönliche Zwecke und die "seines" Sports mit jedem Regime arrangierte - selbst mit dem Nationalsozialismus? Ein zielstrebiger und doch gefügiger Exponent der Nazi-Herrschaft? Fragen, die in Würzburg - die Stadt, in der Diem 1882 geboren wurde und bis 1887 aufwuchs - spätestens seit einer ersten Umbenennungsdebatte 1989 in der Luft liegen. Mit neuer Aktualität drängen sie im Januar 2002 an die Öffentlichkeit.

Gerichtsurteil in Darmstadt

Es ist ein Urteil des Landgerichtes Darmstadt, das mich als Würzburger Lokalredakteur der MAIN-POST aufhorchen lässt. Die 3. Zivilkammer weist am 17.Januar 2002 eine Unterlassungsklage von Diem-Sohn Carl-Jürgen (66) gegen die beiden Vize-Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) ab. Sie hatten ihren Antrag zur Umbenennung des vom Verband verliehenen Carl-Diem-Schildes in einen DLV-Ehrenschild unter anderem mit Diems Aufruf zum "finalen Opfergang für den Führer und das Vaterland" bei dessen Rede vor einem Volkssturm-Lehrgang der Hitlerjugend im März 1945 begründet. Carl-Jürgen Diem sieht seinen 1962 verstorbenen Vater falsch zitiert und dadurch dessen postmortales Persönlichkeitsrecht (wie auch sein eigenes als Sohn) verletzt. Doch die Richter sind anderer Auffassung. Mit ihrem Urteil bestätigen sie die Authentizität von Diems Rede auf dem Berliner Reichssportfeld. "Schön ist der Tod, wenn der edle Krieger für das Vaterland ficht, für das Vaterland stirbt": Mit den Worten des spartanischen Dichters Tyrtaios hatte Carl Diem die Pimpfe der Hitlerjugend auf den Endkampf gegen die anrückenden russischen Truppen eingeschworen. Für die Darmstädter Richter besteht kein Zweifel, dass diese Rede Diems (auch in Anführungszeichen) in dem Satz zusammengefasst werden kann, er habe zum "finalen Opfergang für Führer und Vaterland" aufgerufen. Diem junior geht zunächst in Berufung, zieht sie aber wenige Wochen später zurück.

Dieses Urteil ist für die MAIN-POST Anlass, eine intensive, kritische und sachliche Auseinandersetzung mit der Biografie Carl Diems in Würzburg anzumahnen. Wie meine Nachforschungen ergeben, wurden zwei frühere - von den Grünen initiierte - Umbenennungsdebatten 1989 und 1996 politisch mit hoher Emotionalität geführt. Lokalpatriotische Stimmungen ("einer unserer größten Söhne...") und die Fixierung auf seine sportlichen Verdienste waren stärker als der Wille zu einer objektiven Aufarbeitung. Diese sollte nach meinem Dafürhalten nun, in einem dritten Anlauf, endlich stattfinden. Zumal Würzburg (neben Köln als Standort der von Diem mitbegründeten Deutschen Sporthochschule) seit jeher im besonderen Fokus der Diem-Forschung steht und als Geburtsstadt eine besondere historische Verantwortung trägt. Recherchen im Internet offenbaren die Dimension des Themas: Carl Diem ist - vor allem wegen seiner Rolle während der NS-Zeit - ein Streitfall in etlichen deutschen Städten und Gemeinden. Eine erste biografische Einarbeitung führt mich zu vielen Widersprüchen, die den Cheforganisator der Olympischen Spiele 1936 und Erfinder von Bundesjugendspielen und Sportabzeichen prägen. Es sind Widersprüche, die die journalistische Neugier wecken. Und sie sind ein Grund, in der MAIN-POST eine Bestandsaufnahme zu fordern: "Würzburg muss aufarbeiten!" (30.1.2002)

Erste Reaktionen

Was passiert? Zunächst nur wenig. Im Hintergrund tasten sich (für das Thema sensibilisierte) Stadtrats-Grüne und führende Funktionäre des Verbands der Würzburger Sportvereine (VWS) vorsichtig ab - und beschließen einen "Waffenstillstand". Man will das Thema Diem, anders als bei den beiden vorausgegangenen Debatten, aus dem emotionsgeladenen Kommunalwahlkampf heraushalten. Während aber, wie sich aus informellen Gesprächen erschließt, die Grünen nach der Wahl im März 2002 die Sache ernsthaft angehen wollen, spielen die Sportfunktionäre auf Zeit. Sie wollen nach eigener Darstellung weitere wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse abwarten, ehe ein Urteil über Carl Diem zu fällen sei. Eine Position, die sich eng an die des Deutschen Sportbundes anlehnt, der ebenfalls eine Carl-Diem-Plakette verleiht. Im Frühjahr 2002 ist der politische Wille, das Thema in Würzburg offensiv anzugehen, noch nicht stark genug.

Es muss insistiert werden. Nach der Kommunalwahl, die einen überraschenden Wechsel an der Ratshausspitze mit sich brachte, hake ich wiederholt nach, wie sich die neu gewählte CSU-Oberbürgermeisterin Pia Beckmann (Jahrgang 1963) in der Diem-Frage zu positionieren gedenkt. Doch die Oberbürgermeisterin hüllt sich erst einmal in Schweigen - oder lässt mitteilen, dass sie das Thema in nächster Zeit schon noch auf ihre persönliche Agenda nehmen werde. Beckmann lässt sich schließlich Unterlagen zu Carl Diem besorgen, will sich einen eigenen Überblick über das Thema verschaffen.

Dass sie die Forderung nach Aufarbeitung tatsächlich Ernst nimmt, beweist die CSU-Frau dann Anfang April 2003. Überraschend setzt sie noch in ihrem ersten Amtsjahr die Verleihung der Würzburger Carl-Diem-Plakette aus und damit das politische Signal für eine monatelange, kontroverse Auseinandersetzung um den Namenspatron. Aufgrund unserer Vorarbeiten sind wir als führende Tageszeitung vor Ort inhaltlich gewappnet. Umgehend legen wir Fakten auf den Tisch: Aussagen von Carl Diem, Aussagen über ihn, Beispiele aus anderen Städten, die umstrittene Rede auf dem Reichssportfeld im März 1945 - und erneut die (noch) ergebnisoffene Forderung: "Ran an die Aufarbeitung!" Die Diskussion gewinnt rasch an Dynamik. Über mehrere Wochen führen mich die Recherchen von Quellen (Briefe, Reden, Artikel) und Sekundärliteratur tief in die Diem-Materie und schließlich zu einem klaren Standpunkt: Carl Diem hat sich, beseelt von nationalistischem und militaristischem Gedankengut, als Sport-Besessener dem NS-Regime angedient (schon mit der Bewerbung als Reichssportführer 1933), hat es propagandistisch gestützt und repräsentiert und hat durch seine Front-Vorträge den Krieg aktiv unterstützt. Als Namenspatron für Hallen, Straßen oder Plaketten ist er deshalb in Frage zu stellen.

Leser melden sich zu Wort

Kaum ist diese Einschätzung erstmals in aller Deutlichkeit im Blatt erschienen ("Ein Vorbild in Schieflage", 16.5.2003), vergeht fast kein Tag ohne Leserbriefe zum Thema. Es gibt Lob für die kritische Berichterstattung, noch größer aber ist der Tadel nach dem Muster "Schwamm drüber" oder "Lasst doch die Kirche im Dorf...". Viele ältere Leser machen sich in Anrufen bei der Redaktion Luft. Ihre Äußerungen und Empfindungen zeigen, dass auch knapp 60 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus leicht dort ein Konflikt aufflammt, wo sich noch lebende Zeitzeugen pauschal als Kriegsgeneration in persona eines "der Ihren" abgeurteilt fühlen - und das noch dazu von einem, der "nicht dabei" war. Das Totschlagargument: "Ihr Jungen, Ihr wisst doch nichts..."

Erste Widerstände

Massiver Widerstand gegen die MAIN-POST-Position formiert sich bei den Sportfunktionären. Schon die Recherchen der vorausgegangenen Monate hatten Kooperation bei der Aufarbeitung durch die Vertreter der Sportverbände nicht erwarten lassen. Viel zu sehr konzentrierte man sich auf die großen Verdienste Carl Diems um den Sport. Das Idol durfte nicht wanken. Die Schattenseiten klammerte man geflissentlich aus oder relativierte sie. Eine Tendenz, die sich in den Folgemonaten bestätigen sollte. Dabei ist sie kein spezifisches Würzburger Phänomen. Dass sich die in der Tradition des bürgerlichen Sports stehenden Verbände mit einer selbstkritischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit noch immer schwer tun, ergibt auch eine Tagung des Deutschen Olympischen Instituts, der Uni Potsdam und der Bundeszentrale für Politische Bildung. Unter dem Motto "Wider das Vergessen - Erinnerungskultur im deutschen Sport" werden dort deren Defizite festgestellt. Die MAIN-POST berichtet als Blick über den lokalen Tellerrand auch hierüber.

Bei einem Jahrestreffen des Verbandes der Würzburger Sportvereine (VWS) drängt deren Präsident Karlheinz Frick zu einer Abstimmung in der Umbenennungsfrage, obwohl nur ein Bruchteil der Vereine überhaupt vertreten ist. Heraus kommt ein Pro-Diem-Votum, das Frick in der weiteren Diskussion als eindeutig und repräsentativ einsetzt. Eine demokratische Willensbildung innerhalb des Dachverbandes des Würzburger Sports findet nicht statt. Stattdessen benutzt der Präsident "seinen" Verband, um öffentlichen Gegenwind gegen eine Umbenennung von Halle und Plakette zu erzeugen. Aufgabe der MAIN-POST ist es in diesen Tagen, die drastischen Demokratiedefizite innerhalb des Sport-Verbandes aufzuzeigen (wir lassen einzelne Vereinsbosse zu Wort kommen), ebenso die persönliche Befangenheit des Präsidenten in der Diem-Frage. Frick hatte sich gegenüber Diem-Sohn Carl-Jürgen zum persönlichen "Verteidiger" seines Vaters in Würzburg erklärt, nachdem Carl Diems langjähriger Würzburger Freund Josef Göhler verstorben war und diesen Part nicht mehr wahrnehmen konnte.

Erste Angriffe

Auch diese Hintergründe gilt es den Lesern darzustellen und in kritischer Kommentierung einzuordnen. Folge: Die Anwürfe aus der Führungsriege von Sportfunktionären verschärfen sich, persönliche Anfeindungen bleiben nicht aus. An einem denkwürdigen Abend versammelt der VWS-Präsident rund 25 Träger der Würzburger Carl-Diem-Plakette (zumeist Männer fortgeschrittenen Alters) im Hinterzimmer einer Sportgaststätte und lädt "die Presse" dazu ein. Ein Kollege vom Volksblatt und ich sind die einzigen Journalisten in der Runde (wie sich später herausstellt, wurden andere Medien gar nicht eingeladen). Drei Stunden lang berichten die Anwesenden - anders als angekündigt - weniger über ihre Empfindungen in Sachen Carl Diem, sondern blasen zur kollektiven (und offenbar abgestimmten) Attacke auf die Berichterstattung und meine Person. Es kommt zu teils hitzigen Wortgefechten.

Ein Zeitzeuge

Mit dabei ist an diesem Abend auch Willi Krämer, ehemaliger Sportchef des ZDF. Er lernte Carl Diem als Student an der Kölner Sporthochschule kennen und verteidigt ihn noch heute. Er will den großen Sportvater im Kontext seiner jeweiligen Zeit bewertet wissen. Ich befrage Krämer als Zeitzeugen in einem ausführlichen Interview ebenso wie den früheren ZDF-Chefredakteur Reinhard Appel. Der Ex-Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens hatte die Rede Carl Diems am 18.März 1945 vor der Hitlerjugend in Berlin miterlebt und macht keinen Hehl aus seiner Einschätzung: "Ich kann das heute nur mit dem Versuch von Hamas-Leuten vergleichen, junge Selbstmord-Attentäter in Palästina zu gewinnen." Die beiden Interviews bringen zusätzlichen Druck in die Umbenennungsdebatte, wobei die MAIN-POST stets die Kernfrage der ganzen Auseinandersetzung unterstreicht: Mitnichten geht es um einen postumen Schauprozess, um eine moralische Aburteilung von Carl Diem. Was zählt, sind die Kriterien für eine Vorbildfunktion und das Namenspatronat in einer demokratischen Gesellschaft. Diese Kriterien im Falle Diem einer sachlichen Überprüfung zu unterziehen, ist der rote Faden für die Redaktion im Sommer 2003.

Die MAIN-POST macht ihren Job

Weder die Ressortleitung noch die Chefredaktion lassen sich von den teils polemischen, ja mich als den zuständigen Redakteur diffamierenden Protesten beirren, sondern stärken mir in jeder Phase den Rücken. Auch der Vize-Präsident des Deutschen Sportbundes, der in Würzburg lehrende Sport-Professor Dr. Peter Kapustin, schaltet sich in die Debatte ein, um seinen Teil zur Ehrenrettung Carl Diems beizutragen. Wir nehmen dessen Kritik offen an, dokumentieren sie in unserer Berichterstattung. Neben den ausgewiesenen Sport-Experten gibt es Leute wie Karl-Heinz Klaiber, einen vom Kriegsveteranen zum Pazifisten gewandelten Rentner, der sich seit Jahren mit der Biografie Carl Diems beschäftigt. Auch ihn holen wir als unbequemen Geist ins Blatt. Die Leserbriefspalte offenbart in dieser Zeit das breite Meinungsspektrum in der Umbenennungsfrage.

Im Rathaus wird unterdessen die entscheidende Stadtratssitzung vorbereitet. Am 3.Juli 2003 soll das 51-köpfige Gremium über den Namen von Halle und Ehrenplakette urteilen - nicht allerdings, ohne zuvor im Rahmen einer Experten-Anhörung letzte fundierte Meinungsbildung betrieben zu haben. Doch das geplante Hearing - es sollte ausgewogen mit Diem-Kritikern und Diem-Befürwortern besetzt sein - platzt. Unter einem fadenscheinigen Vorwand sagt Dr. Karl Lennartz, Leiter des Diem-Archivs an der Kölner Sporthochschule, kurzfristig seine Teilnahme ab. Er hatte zuvor mit einem internen Papier versucht, die Stadtratsmitglieder "auf Linie" zu bringen. Als er offenbar (in Abstimmung mit dem Würzburger Sportverband) die Felle davonschwimmen sieht, versucht er das Votum zu torpedieren. Und das zunächst insofern mit Erfolg, als die Oberbürgermeisterin sich nicht dem Vorwurf einer unausgewogenen Informationspolitik aussetzen will und sowohl das Experten-Hearing als auch die Stadtratsentscheidung um drei Monate verschiebt.

Die MAIN-POST macht das mehr als fragwürdige Verhalten von Karl Lennartz als Vertreter der (von Diem mitbegründeten) Sporthochschule öffentlich und nennt es beim Namen: Es ist ein taktisches Spiel auf Zeit und ein erneutes Beispiel für den geschichtsklitternden Verdrängungsmechanismus bei Sportfunktionären, wie er auch Carl Diem nicht fremd war. Folgt man Diem-Fachleuten wie Achim Laude und Wolfgang Bausch ("Der Sportführer - Die Legende um Carl Diem"), hat die große Vaterfigur des deutschen Sports nach 1945 seine Rolle während der NS-Zeit vertuscht und heruntergespielt. Und die Kölner Sporthochschule half tatkräftig bei der Geschichtsglättung. So werden in den dreibändigen "Ausgewählten Schriften" Carl Diems (herausgegeben vom an der Sporthochschule ansässigen Carl-Diem-Institut unter Leitung von Diems Ehefrau Liselott) für Diems Biografie zwischen 1933 und 1945 zwar allerlei internationale Kontakte genannt. Unerwähnt bleibt dagegen die Bewerbung als Reichssportführer 1933, und getilgt ist die Leitung der Auslandsabteilung des Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen von 1939 bis 1945 sowie seine Vortragstätigkeit bei den Fronttruppen.

Vor der Stadtratsentscheidung

Die kommunalpolitische Sommerpause 2003 ist auch für die MAIN-POST in Sachen Diem eine mehrwöchige Verschnaufpause. Vieles ist gesagt, geschrieben, bewertet. So reicht es, erst wenige Tage vor der nun auf den 2.Oktober angesetzten Stadtratsentscheidung erneut ins Thema einzusteigen und die wichtigsten Fakten für den Leser nochmals zu bündeln. Ferner gilt es zu eruieren, wie weit sich die Fraktionen bereits festgelegt haben bzw. sich ihr Meinungsbild verschoben hat. Dabei zeichnet sich ab: Am Ende wird sicher ein recht knappes Abstimmungsergebnis stehen. Das öffentliche Experten-Forum findet nun tatsächlich statt (mit Karl Lennartz). Zum Abschluss der monatelangen Kontroverse bestätigt sich nochmals der Eindruck, den ich auch in meinen Recherchen gewonnen hatte: Die Bewertung Carl Diems bleibt eine Frage des Blickwinkels. Während (Sport-)Historiker sein sportpolitisches Wirken im Nazi-Regime scharf kritisieren, rücken Sportwissenschaftler seine Lebensleistung in den Mittelpunkt. Seine für die Nationalsozialisten so wertvollen organisatorischen und repräsentativen Dienste ordnen sie darin ein und relativieren sie.

Anders als die Schwester-Zeitung Volksblatt (sie hält das Thema Diem für überbewertet) lässt die MAIN-POST in ihren Kommentaren kurz vor der Abstimmung im Stadtrat keine Zweifel, was sie von dessen Mitgliedern erwartet: "Mut zur Entscheidung!" (25.9.2003). Carl Diem könne nach heutigem Kenntnisstand als Namenspatron der größten Veranstaltungshalle in Würzburg keine Vorbildfunktion mehr haben. Der Stadtrat folgt dieser Position am 2.Oktober 2003 nach einer inhaltlich äußerst niveauvollen Debatte im Plenum mit dem knappen Votum von 24:19 Stimmen. Während SPD und Grüne ihre Anti-Diem-Position schon zuvor öffentlich manifestiert hatten, bekennen sich die konservativen Gruppierungen überwiegend zum umstrittenen Namenspatron. Ein Riss geht durch die stärkste Fraktion, die CSU von Oberbürgermeisterin Pia Beckmann: Fünf CSU-Stimmen stellen die Umbenennung der Halle sicher. Auch die Carl-Diem-Medaille wird abgeschafft. Hier fällt die Entscheidung mit 28 gegen 14 Stimmen weit klarer aus. Sechs Wochen später wird im nahen Bad Kissingen die dortige Carl-Diem-Straße umbenannt. Der Oberbürgermeister zur Begründung: "Alles, was zu sagen ist, ist in Würzburg gesagt worden."

Die Entscheidung ist gefallen

Die führenden Funktionäre der Sport-Lobby tun sich zunächst schwer, die Loslösung von Carl Diem ausgerechnet in dessen Geburtsstadt zu akzeptieren. Sportverbandsinterne Rundschreiben werden der MAIN-POST bekannt und zeugen von verärgertem Nachtreten. Auch Falsch-Informationen werden gestreut. So etwa das Gerücht, die Deutsche Post habe soeben eine neue Sonderbriefmarke zu Ehren Carl Diems herausgebracht (während Würzburg seinen Sohn verdammt...). Mit einem einzigen Zeitungsbericht wird das Gerücht begraben: Fakt ist, dass die Deutsche Post am 27.Oktober 2003 eine Briefmarken-Dokumentation mit dem Titel "Olympische Spiele 1948-2004" herausgab. Zu ihr gehört auch jene blaue 50-Pfennig-Olympia-Marke aus dem Jahr 1968 mit dem Konterfrei von Carl Diem. Nicht mehr und nicht weniger.

Einige Wochen nach dem Beschluss zur Umbenennung haben sich die Wogen geglättet. Die ehemalige Carl-Diem-Plakette heißt mittlerweile "Verdienstmedaille für besonderes Engagement für den Würzburger Sport". Nur ein neuer Name für die ehemalige Carl-Diem-Halle steht noch in den Sternen (Stand 12.April 2004). Zwar wurde eine achtköpfige Namensfindungskommission des Stadtrates unter Leitung der Oberbürgermeisterin eingesetzt. Die aber hat ihr Mandat auf Geheiß des Stadtrates zunächst ruhen lassen, weil die Rathaus-Chefin nach einem möglichen privaten Sponsor Ausschau halten soll. Er könnte die Namensrechte kaufen und damit Segensreiches für den maroden Stadthaushalt tun. Bislang verlief die Suche offenkundig aber ohne Erfolg. Die MAIN-POST verfolgt das Prozedere weiterhin mit großer Aufmerksamkeit und hat die Oberbürgermeisterin zum Handeln aufgefordert. Wir bleiben am Ball.


Hinweis in eigener Sache:

Der Autor, Andreas Jungbauer, hat dieses Thema, "Auseinandersetzung um Sportvater Carl Diem - am Beispiel seiner Geburtsstadt Würzburg", auch in einer wissenschaftlichen Zeitschrift beschrieben, und zwar in "SportZeiten - Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft", Heft 1/2004. Mit dem nachfolgenden Link können Sie sich diesen Text, den wir mit freundlicher Genehmigung seitens des Autors und des Herausgebers hier präsentieren, als PDF-File ( 9 Seiten, 25 KB) downloaden: Sport Zeiten.