Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 02.03.2016

Sinneswandel

Von Ulrich Wolf

Pegida-Gründer Lutz Bachmann war ein strikter Gegner der AfD. Jetzt flirtet er mit ihr. Mit Tatjana Festerling allerdings weniger.

Auch Schneeregen, Kälte und Wind haben sie nicht abgehalten. Der ältere Herr hat sich eingehakt im linken Arm seiner Frau; sie hält in der anderen den Schirm. Beide sind pünktlich zur Pegida-Kundgebung am vergangenen Montagabend erschienen. "Da is? er wieder, der Lutz, is? aber dicke verpackt", sächselt der Mann und zeigt nach vorn. Schon seit kurz nach 18 Uhr hantiert dort Pegida-Gründer Bachmann auf dem Bühnenwagen. Er schüttelt Hände, umarmt seine Wegbegleiter, vermittelt den Eindruck: Schaut her, der Chef ist wieder da.

Dabei dürfte er noch gar nicht da sein. Zumindest hatte der 43-Jährige das Mitte Februar noch so angekündigt. Über eine seiner privaten Facebook-Seiten teilte er seinerzeit mit, er mache jetzt eine 60-tägige Reha. "Wird nicht einfach zu lernen, dass man auch mal abschalten muss, bevor der Körper es von selbst tut. Auch ?Nein sagen? muss man lernen", schrieb er.

Doch nun, keine 30 Tage später, steht er wieder da, im gesteppten Anorak mit Fellkapuze und Wollmütze, schaut, ob die Strippen richtig gezogen sind, kontrolliert den Camcorder, mit dem vom Wagen aus das Publikum gefilmt wird. Mehr als 4 000 sind es an diesem Abend nicht. Bachmann zieht höchstselbst den Regler, damit die Pegida-Hymne um Dreiviertel Sieben über den Neumarkt schallt. Er nimmt das Mikro in die Hand und ruft, etwas weniger laut als sonst: "Guten Abend, Dresden!"

In einer Rehabilitationsmaßnahme war er offensichtlich nicht. Nachbarn haben ihn nahezu täglich in seinem Wohnort in Kesselsdorf bei Dresden gesehen. Auch die Vielzahl seiner Postings - durchschnittlich zehn am Tag in den vergangenen vier Wochen allein auf seiner offiziellen Facebook-Seite - sprechen dagegen. Die SZ befragte ihn am vergangenen Donnerstag schriftlich zu seinem Verbleib; eine Antwort kam nicht. Stattdessen tauchte am Freitag im Internet ein Video auf. Darin verkündet Bachmann vor schneebedeckten Bergen im Hintergrund, er sei wieder fit, werde am Montag auf der Bühne stehen. Von dort sagt er nun, er sei noch nicht richtig wieder auf dem Damm. Eineinhalb Jahre Pegida hätten eben ihren Tribut gefordert. Deshalb habe er aussetzen müssen . "Aber ich habe es nicht mehr ausgehalten zu Hause."

Seine Auszeit ist nachvollziehbar. Einer seiner Wegbegleiter sagt: "Lutz kann doch nirgendwo mehr hingehen. Übertrieben ausgedrückt: Entweder muss er Autogramme geben, oder man droht ihm Prügel an." Das werde ihm alles zu viel. Er und seine Frau wollten weg. In der Nachbarschaft der Bachmanns heißt es, die Wohnung sei zu Ende März gekündigt. Dazu befragt, äußert sich Bachmann nicht.

Doch ist da nicht noch mehr als nur potenzielle Erschöpfung? Vielleicht Pegida-Müdigkeit? Gar Ausweglosigkeit? Jedem Beobachter ist aufgefallen, dass die ehemalige AfD-Politikerin Tatjana Festerling schon vor Bachmanns Abstinenz dabei war, zumindest nach außen hin zur Nummer eins aufzusteigen. Mehr noch als der Gründer schafft sie es mit ihren Hetzreden, Schmähschriften und provozierenden Statements in die Schlagzeilen.

Pegida-Insider berichten, Bachmann komme damit nur schwer klar. So sei der Aktionstag "Festung Europa" Festerlings Idee gewesen. Bachmann habe das für übertrieben gehalten. Er wolle sich lieber auf Dresden und Sachsen konzentrieren. Die ganze Richtung habe ihm nicht gepasst. "Wie ein bockiges Kind" habe er sich deshalb zurückgezogen, soll sogar fast einen Monat lang nicht mehr mit Festerling geredet haben. Anfang vergangener Woche schrieb Bachmann auf Facebook: "Dieses Team ist einfach unschlagbar, und es ist völlig egal, ob ein Lutz Bachmann da ist oder nicht. (...) Danke Siegfried Däbritz, Richard Barthel und Enrico Schneider." Festerling erwähnte er nicht. Die SZ hat nach all dem gefragt, Antworten kamen nicht.

Die gibt Bachmann stattdessen an diesem Montag. "Es wird niemandem gelingen, einen Keil zwischen Tatjana und mir zu treiben", sagt er. Das war's. Eine entsprechende Geste? Fehlanzeige. Vielmehr sucht man seine Duz-Freundin an diesem Abend vergebens. In dem Moment, wo Bachmann wieder auftaucht, ist sie nicht anwesend. "Sie ist in wichtiger Mission unterwegs", sagt Bachmann, sie werde Mitte März darüber berichten. Der letzte gemeinsame Auftritt der beiden liegt nun schon gut fünf Wochen zurück. Festerling selbst schweigt über ihr Arbeitsverhältnis mit Bachmann. Auch sie, die während ihrer Dresdner Oberbürgermeisterkandidatur im Juni 2015 noch keine Berührungsängste mit der SZ zeigte und den fairen Umgang mit ihr lobte, beantwortet keine Fragen.

Tatjana Festerling war während Bachmanns Abwesenheit viel allein unterwegs. Sie besuchte das Nachbereitungstreffen zum "Festung-Europa"-Tag in Prag, sprach auf Demonstrationen im Westerwald, in Chemnitz und Warschau, besuchte Gleichgesinnte in Wien.

Die 51-Jährige weiß, wie man die Öffentlichkeit umgarnt, Kontakte knüpft. Als Tatjana Schimanski in Wuppertal geboren, machte sie Abitur in Hagen und arbeitete nach dem Studium in Hamburg für den Heinrich-Bauer-Verlag, sie redigierte das Kundenmagazin der ehemaligen Handelskette Spar und verantwortete die Unternehmenskommunikation einer privaten Bahngesellschaft. Es folgten nur wenige Monate währende Gastspiele beim Maritim-Museum in Hamburg sowie bei Veolia-Verkehr in Osnabrück. Parallel baute sie sich eine eigene PR-Agentur auf.

Dann beginnt das Kapitel, das sie nun auch bei Pegida wieder einholt: die AfD. Schon im März 2013 war sie beigetreten. Sie gehört zu den Mitgründern der Partei in Hamburg, der Slogan "Mut zur Wahrheit" soll von ihr stammen. Im Herbst 2014 reist Festerling jedoch zur Demonstration der "Hooligans gegen Salafisten" nach Köln. Die Gewalttäter dort nimmt sie anschließend in Schutz. Ihr Sprachduktus hat sich seitdem kaum geändert. Mit ähnlichen Worten verteidigte sie unlängst bei einer Pegida-Rede die Exzesse in Clausnitz und lobte den "Mut der Bürger". Sie stelle sich "voll und ganz hinter die Clausnitzer".

Mit solchen Polarisierungen schafft sie es, Tausende im Internet zu Hasstiraden zu animieren. Einer ihrer Anhänger reagiert auf Facebook auf den Brandanschlag in Bautzen so: "Die Ereignisse in Bautzen sind ein Weckruf nach Art. 20 GG, Widerstand zu leisten. Widerstand gegen die Versklavung, Überfremdung, Ausbeutung sowie Verheizung des deutschen Volkes!!!" Festerling lässt dies unwidersprochen stehen.

Damals in Hamburg stolperte die PR-Frau über die Hooligan-Geschichte. Einem Rauswurf aus der AfD, seinerzeit noch auf Anti-Euro-Kurs unter Bernd Lucke, kam sie zuvor und trat selbst aus. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt über diese Zeit: "In der Erinnerung mehrerer AfD-Funktionäre hatte Festerling immer etwas Überbordendes. Sie explodierte in Diskussionen. (...) Ihre Entwicklung wird von diesen Weggefährten weniger mit Ideologie erklärt als mit ihrer Psyche. Festerling habe in der Sprache immer die Radikalität gesucht, nie den Kompromiss."

Dabei hat sie durchaus an ihrer Persönlichkeit gearbeitet. Sie absolvierte Ultramarathons und erlangte ein Zertifikat als Yoga-Lehrerin im westindischen Lonavla. Rund 3 300 Euro investierte sie in den Kurs "Überwinden eigener Grenzen" an der ZfU International Business School am Zürichsee, fast ebenso viel kostete der Kurs "Souverän führen statt kämpfen". Gar mehr als 7 000 Euro blätterte sie für einen Coaching-Lehrgang in der Schweiz hin.

Am Mikrofon und auf Facebook greift sie indes mitunter zu einer babylonisch anmutenden Sprachverwirrung. "Diese Diversity gebrainwashten Typen aus internationalen Konzernen nerven. Was noch mehr nervt, ist der neueste Schrei aus den Laboratorien des internationalen Tittensozialismus: Manspreading. (...) Jetzt dürfen Männer nicht mal mehr öffentlich zeigen, dass sie stolz auf ihre Eier sind."

Von einem Teil der AfD hat sich Festerling trotz ihres Austritts nie ganz verabschiedet. So führt ihr Weg zur Bürgerbewegung nach Dresden auch über das Dorf Seitenroda in Thüringen. Dort, im ehemaligen Pfarrhof, leitet ein früherer Landessprecher der Thüringer AfD das "Haus Bethlehem". Das bewusst archaisch eingerichtete Gebäude ist eine der Keimzellen der Partei. Im Spätherbst 2014 lässt sich Festerling dort fotografieren, mit zwei Transparenten. Auf einem steht: "Konservative AfD-ler mit Pegida"; auf dem anderen "Klar zur Wende - Pegida rockt Deutschland".

Wenig später, Anfang 2015 nach der Spaltung der Pegida-Gründermannschaft, wird sie Mitglied des Organisationsteams sowie des Pegida-Fördervereins. Noch im Sommer 2015 betont sie öffentlich: "Nein, die AfD ist ganz sicher nicht die Pegida-Partei." Ihre Vertreter sähen das zwar gern, würden aber versuchen, die Bürgerbewegung lediglich "zu Eigenmarketingzwecken zu vereinnahmen".

Auch Lutz Bachmann grenzt sich zu dieser Zeit scharf von der AfD ab. Die Deutschalternativen seien Karrieristen und versuchten lediglich, Pegida zu "kapern". Dass ausgerechnet AfD-Chefin Frauke Petry seinen Kurzzeit-Rücktritt als Pegida-Vorsitzender im Januar 2015 als erste hinausposaunte, hat Bachmann ihr nie verziehen. Umso mehr soll er sich darüber geärgert haben, heißt es in Pegida-Kreisen, dass Festerling die Sympathisanten der Bürgerbewegung vor Kurzem indirekt dazu aufrief, die AfD zu wählen.

Doch am Montag dieser Woche spricht nun auch Bachmann plötzlich von "großen Schnittmengen" mit der AfD. Man solle "an einem Strang ziehen" und bei künftigen Wahlen eine gemeinsame Liste aufstellen, jeder mit seiner eigenen Partei.

Woher der Sinneswandel? Festerling scheint sich nicht nur nach außen als Nummer eins durchgesetzt zu haben, sondern auch nach innen. Zudem heißt es in Bachmanns Bekanntenkreis, er sehne sich nach einem "wieder etwas normaleren Leben". Seine Wohnung in Kesselsdorf soll er Nachbarn zufolge bereits gekündigt haben.

Und Festerling? Sie gestaltet die Zukunft von Pegida. Keiner der Organisatoren hat so gute Kontakte zur AfD wie sie. Die frühere Vize-Vorsitzende des AfD-Landesverbands in Rheinland-Pfalz, Heidrun Jakobs, ist ihre Anwältin. Mit dem Leipziger Strafrechtler Roland Ulbrich, dem Sprecher der Patriotischen Plattform innerhalb der AfD in Sachsen, verbindet sie eine gute Bekanntschaft. Er ist ein innerparteilicher Gegner von Frauke Petry.

Anfang Februar trafen sich Festerling und Ulbrich in Leipzig. Auf der Internetseite der Patriotischen Plattform wird berichtet, eine Antwort zur Frage nach einer eigenständigen Pegida-Partei habe Festerling bei ihrem Referat und der anschließenden Diskussion offen gelassen. Sie sehe aber "eine gute Basis in einer weiteren verstärkten Zusammenarbeit mit der AfD, besonders in Sachsen". Fast die gleichen Worte hat Bachmann am Montag gewählt.

Als der Pegida-Übervater im September 2015 die Gründung einer eigenen Partei ankündigte, reagierte die Patriotische Plattform der Afd verärgert. "Wir haben für Pegida geworben, wo wir nur konnten", schrieben sie. Die Gründung einer Pegida-Partei aber sei unsinnig. "Das spielt nur unseren Feinden in die Hände." Bachmann, Festerling und Petry sollten sich die Hand reichen. "Werden Sie sich Ihrer Verantwortung fürs Vaterland bewusst!"

Bachmann, so scheint?s, ist ein Patriot von Festerlings Gnaden geworden.

 

Mitarbeit: Thomas Schade

 


Unbeantwortete SZ-Fragen an Bachmann und Festerling


Trifft es zu, dass die Idee zum Aktionstag "Festung Europa" am 6. Februar 2016 von Frau Festerling geprägt wurde?

Trifft es zu, dass die Idee innerhalb des Pegida-Organisationsteams umstritten war?

Trifft es zu, dass derzeit keine Orgateam-Sitzungen stattfinden?

Trifft es zu, dass Sie seit einigen Wochen nicht mehr Kontakt miteinander haben? Wenn ja: Warum nicht?

Trifft es zu, dass Herr Bachmann an der Idee einer Pegida-Partei festhält, Frau Festerling hingegen nicht?

Können Sie sich eine engere Zusammenarbeit zwischen Pegida und der Patriotischen Plattform der AfD vorstellen?

Wenn ja: Wie könnte diese aussehen?

Trifft es zu, dass Sie, Herr Bachmann, sich mit dem Gedanken tragen, sich wohnsitzmäßig zu verändern?

Trifft es zu, dass Sie, Herr Bachmann, gar nicht in einer Rehabilitationsmaßnahme waren?

Trifft es zu, dass Sie, Frau Festerling, inzwischen Ihren ersten Wohnsitz in Meißen haben?