Die Berichte der Sächsischen Zeitung, 01.04.2015

Streifzug durch Pegida-Land

Auf der Dresdner Straße in Freital-Potschappel macht sich die Angst vor dem sozialen Abstieg breit. Da kommen die Flüchtlinge gerade recht. 

Wie das schon klingt: Potschappel. Irgendwie nach Matsche, faulen Äpfeln oder so. Aber die Menschen, die hier leben, können ja nichts dafür, dass der Ortsgründer Tidericus de Potshapel hieß. Rund um sein Rittergut im Tal des Flüsschens Weißeritz legte er ein paar Parzellen an, durch die ein Trampelpfad führte. Diesen Weg gibt es 800 Jahre später immer noch: Als Dresdner Straße mäandert er 1,2 Kilometer durch Potschappel. Die Straße ist die Lebensader dieses Stadtteils von Freital: 110 Gebäude, 89 Geschäfte, darunter zwei Spielhallen, vier Kneipen, vier Friseure, drei Kosmetikstudios, vier Boutiquen, sechs Sicherheits-, Computer- und Elektrofachgeschäfte.

Mit dem Auto braucht man drei Minuten, aber nur bei grüner Welle. Zu Fuß sieht man mehr. Zum Beispiel, dass 22 Gewerbeflächen leer stehen. Dass in topsanierten Gründerzeithäusern die Warmmiete nicht mehr als sieben Euro je Quadratmeter kostet. Dass die Geschäftsleute hier das Apostroph-S mögen: Steini's Sachsenküche, Sandra's Friseursalon, Kathrin's Schneiderei, Elke's Blumenladen.

Gleich hinter der Eisenbahnbrücke, am ersten Haus links, sind die Scheiben mit grasgrüner Folie zugeklebt. Eine Spielothek. Drinnen sagt die Frau, die die Jetons verkauft, sie verstehe nichts, sie spreche nur Russisch. "Die kann wirklich kein Deutsch," sagt ein Mann. Er sitzt rauchend vor einem Daddelautomaten. 30 sei er und "ein stolzer Freitaler". Schon zweimal habe er mitgemacht bei den Protestspaziergängen der Bürgerinitiative "Freital steht auf - Nein zum Hotelheim!". Er findet, dass die rund 3 200 Menschen, die bei den bislang drei Demonstrationen dabei waren, viel zu wenig sind. "Die Flüchtlinge sind nur der Anlass, der Frust sitzt tiefer."

Seit Anfang März dient ein ehemaliges Hotel in Freital als Unterkunft für Asylbewerber. Rund 60 Menschen sind derzeit dort. Insgesamt leben etwa 180 Flüchtlinge unter den 39 000 Einwohnern, 140 sollen in diesem Jahr noch folgen. Die Ausländerquote liegt bei 2,5 Prozent. Am kommenden Sonnabend will "Freital steht auf" zum vierten Mal demonstrieren.

Hans-Jürgen Knöspel wirkt leicht verunsichert in seinem Sicherheitsfachgeschäft. "Ja klar, die Stimmung in der Stadt ist angespannt", sagt der 55-Jährige. Aber das Thema Flüchtlinge interessiere ihn nicht so sehr. Der Diplom-Ingenieur, der in dritter Generation das Geschäft führt, hat mehr mit der eigenen Existenzsicherung zu tun. Ohne seine Kunden und Aufträge aus Dresden würde es sich nicht mehr rechnen, sagt er. "Wer hier wohnt, gehört nun mal zu einer schwierigen Klientel." Draußen donnert ein Regionalexpress der Bahn vorüber.

Die wirklich schwierige Klientel, die wohnt für Steffen Reichel gleich nebenan. "Dort", sagt er und zeigt auf einen schmucklosen Dreigeschosser, "dort leben 16 Syrer und Libyer in nur zwei Wohnungen. Nur Männer." Die Deutschen seien fast alle ausgezogen. "Wenn die Asylanten den Schlüssel vergessen, gehen die bei uns über den Hof und klettern über den Zaun. Der war schon kaputt." Reichel hat eine Autowerkstatt. Im Hof stehen rund 20 Fahrzeuge, auf dreien liegt noch Laub des vergangenen Herbstes. Er hat seinen Meister gemacht, ist Kfz-Sachverständiger. Seine Frau Ute macht die Kasse. Bei ihr beginnt fast jeder Satz mit: "Wie habe ich immer gesagt ?"

"Wie habe ich immer gesagt, das Geld brauchen wir nicht für alleinreisende Männer, sondern für alleinerziehende Frauen und Rentner bei uns in Deutschland." Aber "die da", jetzt weist auch Ute Reichel auf das Nachbarhaus, die lungerten nur rum. Im Übrigen seien einige Autos auf dem Hof zerkratzt worden. Die Polizei habe keinen Täter ermitteln können. "Da müssen wir doch auf die Straße gehen", sagt Steffen Reichel. "Bei uns war ich zweimal mit dabei und einmal bei Pegida in Dresden."

Über dem Gebäude Nummer 40 weht ein Hauch von Bauhaus. 1927 errichtet, war es das Kaufhaus der DDR-Handelsorganisation. Sämtliche Läden im Erdgeschoss stehen leer. In einem Schaufenster hängt einsam ein Spruch von Abraham Lincoln: "Man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen, und das ganze Volk einen Teil der Zeit. Aber man kann nicht das gesamte Volk die ganze Zeit täuschen."

Nicht ge-, aber zumindest enttäuscht fühlt sich Sabine Fischer. Sie und ihr Eis café sind eine Institution in Potschappel. Auf ihrer Terrasse genießen zwei Rentnerinnen Kuchen und Kaffee. Die Stimmung sei so aufgeheizt wie seit der Wende nicht mehr, sagt sie. "Ich habe Angst, dass das alles eskaliert bei uns in Freital." Die 56-Jährige sagt, sie habe nichts gegen Kriegsflüchtlinge, nehme hier aber nur Tunesier wahr. Über die würden sich selbst ihre ausländischen Freunde aufregen. Bei Pegida in Dresden sei sie einmal gewesen. "Das habe ich dann meiner Tochter erzählt, die in der Schweiz lebt. Die konnte das nicht verstehen, wir haben darüber gestritten."

In der Lottoagentur von Martin Schretzenmayr klingelt das Telefon. Seine Frau ist dran, erzählt ihm vom Flugzeugabsturz in den französischen Alpen. "Da wird doch wohl kein kleiner Terrorist an Bord gewesen sein?", kommentiert Schretzenmayr spontan. Seit acht Jahren schlägt er sich mit dem Verkauf von Zeitungen, Zeitschriften, Tabakwaren, Süßigkeiten und Lottoscheinen durch. Sechs Einbrüche habe es schon gegeben, sagt er. "Jetzt nehme ich die Zigaretten jeden Abend mit nach Hause und räume sie morgens wieder ein. Und all das für fünf Euro brutto die Stunde."

Schretzenmayr fragt sich, woher die jungen Ausländer, die immer am Laden vorbeilaufen, das Geld haben für teure Handys und Klamotten. Für die Polizei, für Straßen und Altenpfleger sei keines da. "Bald hat jedes Dorf seine schwarze Zelle, das ist dann unser Untergang", empört sich der weißhaarige Mann. Die Straßenproteste findet er gut. "Unsere Volksvertreter sind doch ignorant."

Peter Brandt schlägt andere Töne an. In sein Fußboden-Fachgeschäft verirrt sich so schnell kein Kunde, dabei hat der 57-Jährige schon Parkett verlegt in der Botschaft der Mongolei in Berlin. "Ich habe wegen der Flüchtlinge keine Befürchtungen, vielleicht werden sie mal meine Kunden."

Selbstständig ist auch seine Nachbarin, Cornelia Manczyk. Sie sagt, sie räume gerade auf. Dabei ist ihre Boutique "Conni?s Modewelt" so klein, dass es kaum etwas aufzuräumen gibt. Auch sie spricht von "aufgeheizter Stimmung". 17 Jahre halte sie sich nun schon über Wasser, "aber das mit dem eigenen Laden würde ich nicht mehr machen. Zumindest nicht in einem sozialen Brennpunkt wie Potschappel."

Das war nicht immer so. Das prächtige Rathaus erinnert mit seiner filigranen Fassade an bessere Zeiten. Kohlefunde brachten Ende des 19. Jahrhunderts Geld in die Stadt. Die "Glückauf-Apotheke" belegt das, der "Eisenhammer" oder die Pension "Am Bergmann" mit Zimmern ab 22 Euro. Am neu angelegten Platz des Handwerks sprudelt der Rotkopf-Görg-Brunnen, finanziert aus dem Bund-Länder-Sanierungsprogramm. Allein daraus werden von 1992 bis Ende nächsten Jahres rund 34 Millionen Euro in Potschappel verbaut sein.

Dennoch dominiert die Tristesse. Vor dem Brunnen sitzen drei Männer im Parka und trinken Bier. Aus einem Fenster tönt Deutsch-Rap. Ein Mädchen schiebt einen Kinderwagen mit einem Kasten Sternburger Pils. Ein junger Mann mit Sonnenbrille und Schlaghose zappelt über den Bürgersteig. Ein Headset übergestülpt, im Mund einen Joint, im Arm eine junge Frau: Stretchhose mit Leopardenmuster, schwarzes Haar, pinkfarbene Tolle. Sie isst Döner.

Der stammt aus dem "Casablanca". Ein Marokkaner führt den Imbiss, seit 15 Jahren schon. Er mache den besten Döner Freitals, heißt es. Der Mittdreißiger sagt, er habe mit den Anti-Asyl-Demos kein Problem, "solange die mein Auto ganz lassen". Er finde es auch nicht gut, "wie sich so mancher meiner Landsleute hier aufführt, aber man kann ja auch nicht von den Ballermann-Deutschen auf alle Deutschen schließen".

Reisen nach Mallorca verkauft Ute Philipp so einige. In den Regalen hinter ihr ist die Welt zu Gast: Asiaten und Afrikaner lächeln von den Reisekatalogen. "Ich finde es gut, dass die Flüchtlinge kommen", sagt die Reisebürochefin. Gleichwohl nerve die Dauer der Asylverfahren, und dass Flüchtlinge währenddessen nicht arbeiten dürften. "Denen fehlen doch die Perspektiven."

Am "Asia-Pavillon" flattern Billigtextilien im Wind. Die Bar "Timba" lädt zur ersten Bürgerrunde über die Freitagsdemos von "Nein zum Heim" ein. Im Haus mit der Nummer 82 betreibt der Förderkreis Biotec eine Nähwerkstatt, "angesiedelt im bundesweit anerkannten sozialen Brennpunkt Freital-Potschappel". Gegenüber das Restaurant "Goldener Löwe", wo im Oktober 1945 der erste Parteitag der sächsischen SPD nach dem Krieg stattfand. Den Wandel von der Arbeiter- zur Dienstleistungsgesellschaft haben die Sozialdemokraten verschlafen; bei der Kommunalwahl landeten sie mit elf Prozent nur knapp vor der AfD.

Mittlerweile hat es sogar die CDU hier schwer. Mitte März wollte der christdemokratische Bundestagsabgeordnete Klaus Brähmig im "Goldenen Löwen" mit Bürgern über das Asylthema sprechen, doch dann sagte er "wegen Sicherheitsbedenken" kurzfristig ab; die "Nein-zum-Heim"-Initiative hatte zum massenhaften Besuch der Veranstaltung aufgerufen. In der vorigen Woche teilte nun Freitals CDU-Bürgermeister Klaus Mättig mit, die Stadt plane zum Asylbewerberheim keine weiteren Bürgerversammlungen.

Gegenüber vom "Goldenen Löwen" liegt der Friseursalon, in dem sich Pegida-Chef Lutz Bachmann die Haare schneiden lässt. Das "Koordinationsbüro für soziale Arbeit" hat montags geschlossen, in "Kathrin?s Schneiderei" ist ein "Hermes Paketshop" integriert. Auf dem Fenstersims des Tattoo- und Piercingstudios "Schlachthaus" sitzen zwei Männer und rauchen. Über und über tätowiert, schwarze Muskelshirts, Lederhosen. Ein paar Meter weiter parkt ein tiefergelegter VW, oliv, Bundeswehr-Kreuz auf der Beifahrertür. Am Innenspiegel ein Aufhänger: "I love my Penis".

Nach Geld riecht in der Dresdner Straße in Potschappel nur der Neubau der Sparkasse. Über "Elke's Blumenladen" thront auf einem Balkon eine Wäschespinne, darüber weht eine Deutschlandfahne aus dem Dachfenster. Zum Schluss wartet die Globalisierung: Das Restaurant "Amarena" hat 112 internationale Gerichte, acht Salate sowie 43 Getränke auf der Speisekarte. Es gehört dem Pakistani Abdul Majid. Der 54-Jährige sagt, was wohl die meisten Potschappler über Ausländer denken: "Wenn ordentlich sind und nicht zu viele, alles gut. Wenn nicht, dann ist schlecht."