Wie die Wahrheit scheibchenweise ans Tageslicht kam
Die Geschichte des "Curveball"
Zwei Jahre vor den Abschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 beginnt die ganze Geschichte: Im Winter 1999 taucht im bayerischen Aufnahmelager Zirndorf (Nähe Nürnberg) ein Asylbewerber mit Frau und Famile aus dem Irak auf: Rafed Ahmet ALWAN , 32 Jahre alt. Das Lager ist ebenso trist wie die Jahreszeit. Der Asylant, der politisches Asyl möchte, will hier schnell wieder heraus. Als er routinemäßig von BND-Mitarbeitern, die dort eine Außenstelle unterhalten, nach seiner Herkunft etc befragt wird, sieht der Asylant seine Chance: Er beginnt ganz schnell, sich wichtig zu machen. Er behauptet, in der Military Industrialisation Commission mitgearbeitet zu haben, und zwar im Chemical Engineering and Design Center (CEDC). Im Westen weiß man, was die CEDC ist: die Tarnfirma von Saddam HUSSEIN's geheimen Waffenprogrammen.
Diese vielen Details sind sehr genau beschrieben in einem SPIEGEL -Bericht aus dem Jahre 2008: "Ihr tragt eine Mitschuld" .
Auch der BND – im internationalen Vergleich nicht gerade als der Top-Geheimdienst schlechthin bekannt
- sieht seine Chance, sich ebenfalls 'wichtig' machen zu können: eine derartige Topquelle hatte man schon lange nicht mehr an der Angel ... Damit beginnt die Geschichte des " Curveball ". Und die Geschichte des Irakkriegs - "Curveball wurde zur wichtigsten Informationsquelle für die USA, dass Saddam HUSSEIN über Massenvernichtungswaffen verfüge ...
1994
Rafid Ahmed ALWAN, Jahrgang 1968 und einer von insgesamt 30 Millionen Irakern bzw. einer von über sechs Milliarden völlig unbekannter Menschen auf der Welt, bekommt nach seinem Abschluss an der Bagdad Universität einen Job beim „Chemical Engineering and Design Center“ - trotz seines vergleichsweise schlechten Abschlusszeugnisses.
Fünf Jahre später wird er dem BND in Deutschland gegenüber behaupten, dass er der Beste seiner Klasse auf der Uni war.
1995
Einer der Schwiegersöhne von Saddam HUSSEIN, Hussein Kamil HASSAN, flieht nach Jordanien. Von ihm erfährt die Welt aus erster Hand, was auch Saddam HUSSEIN selbst gesagt hat, dass alle Massenvernichtungsswaffen vernichtet worden seinen, wie das nach dem Irakkrieg von 1991 durch eine UN-Resolution aufgegeben worden war.
1998
Saddam HUSSEIN wirft alle UN-Inspektoren, die die UN-Resolution Nr. 687 aus dem Jahre 1995 kontrollieren sollen, aus dem Land.
Zu diesem Zeitpunkt hat Rafid Ahmed ALWAN bereits einen anderen Job: in einem landwirtschaftlichen Unternehmen. Dort wird er gerade gefeuert: wegen Veruntreuung von Firmeneigentum
1999
Rafid Ahmed ALWAN verlässt den Irak mit seiner Familie und landet auf dem Münchner Flughafen. Er wendet sich sofort an die Bundespolizei, beantragt politisches Asyl und wird in das Asylantenaufnahmelager Zirndorf in Franken gebracht. Er erhält Kleidungs- und Essensmarken und 80 DM Taschengeld. Von anderen Flüchtlingen erfährt er, dass man schneller Asylrecht zuerkannt bekommt, wenn man wichtige Informationen weitergeben kann.
An sofort behauptet Rafid Ahmed ALWAN, dass er Chemieingenieur im Irak gewesen sei und dass er Beweise hätte, dass Saddam HUSSEIN Massenvernichtungswaffen besitze und weitere herstellen würde. Der BND, der in Zirndorf eine Außenstelle unterhält, wird schnell auf den jungen Mann aufmerksam.
2000
Die neue Topquelle des BND aus dem Irak, die ab sofort intern den Tarnnamen "Curveball" erhält, sprudelt nur so. Bis Sommer 2001 hat Curveball rund 50 Mal Gelegenheit, zu erzählen. Und der BND wird bis 2003 rund 100 geheime Berichte, die diese Erkenntnisse zusammenfassen, u.a. an den CIA in Washington schicken.
ALWAN zieht nach Stuttgart-Zuffenhausen um. Er steht in ständigen Kontakt mit der Stuttgarter Polizei und dem BND, mindestens einmal wöchentlich trifft man sich in geheimen Wohnungen des BND. Jetzt kommt er als Asylantenbewerber auch in den Genuß von Privilegien. So kann er seine Behausung in einer Wohngemeinschaft mit einer weitaus besser ausgestatteten und größeren Wohnung in Erlangen tauschen. Vier Wochen später wird „Curveball“ als Asylbewerber anerkannt. Nun hat ALWAN alias Curveball auch Fernseher, Computer und Handy.
Die rund hundert strenggeheime Berichte über die Treffen mit „Curveball“ werden jetzt auch an die Regierungen der USA, England, Frankreich und Israel weitergegeben. Der BND hat seine große Stund.
11.09.2001
Es ist der Tag, der die Welt verändert. Und gleichzeitig Curveballs Informationen in Washington im Kurs steigen lässt. Der amtierende Präsident, George W. BUSH, setzt auf Krieg. Die Berichte von Curveball aus Deutschland entzücken George W. BUSH.
“Curveball“ selbst ist inzwischen rundum abgesichert: als freier Mitarbeiter der Münchner Firma Thiele und Friedrichs Marketing GbR (Eininger Str. 4 in München). Er erhält monatlich 3.000 Euro und die Firma übernimmt die Kaution für seine Wohnung in Höhe von ca. 2.000 Euro. Der Sitz der Firma ist die Hälfte eines Zweifamilienhauses und die Firma selbst ein Tarnunternehmen des BND.
29.01.2002
In seinem ersten ersten „Bericht zur Lage der Nation“ - vier Monate nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York vom 9.September – spricht der US-Präsident George W. BUSH die Themen Terrorismus, Naher Osten und den Irak an. Er betont die Wichtigkeit eines Erfolges im Irak-Konflikt für Amerika.
BUSH bezeichnet die Staaten, die der Unterstützung des Terrorismus verdächtigt werden – Irak, Iran, Nordkorea – als die „Achse des Bösen“.
Zu dieser Zeit
reist er amerikanische Diplomat Joseph C. WILSON (IV) im Auftrag der US-Regierung bzw. auf Bitten des CIA in den afrikanischen Staat Niger. WILSON hat als ehemaliger Botschafter excellente Verbindungen. Deshalb soll er den Vorwürfen nachgehen, dass der irakische Machthaber Saddam HUSSEIN versuche, sich in dem westafrikanischen Land Uran für sein Atomwaffenprogramm zu besorgen.
WILSON, der diesen Auftrag ohne Honorar übernimt, findet trotz intensiver Recherchen nichts – nur gefälschte Dokumente, deren ‚Echtheit’ sich schnell überprüfen ließ. WILSON’s Negativ-Recherchen werden später von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA bestätigt werden
Zurück in den USA erstattet WILSON Report. Seine Ergebnisse passen übrhaupt nicht in BUSH’s Kampagne der Kriegsvorbereitungen – der US-Präsident behauptet nach wie vor, dass sich Saddam Uran aus dem Niger habe besorgen wollen. Er behauptet dies auch vor dem amerikanischen Kongress.
Frühjahr 2002
Ein internes ‚Gutachten’ des Weißen Hauses kommt zu dem Ergebnis, dass eine Invasion der USA in den Irak ohne Beweise für Massenvernichtungswaffen nicht legal durchzuführen sei. Der Druck, solche Beweise aufzutreiben, steigt.
George W.BUSH und Tony BLAIR, Ministerpräsident des Vereinigten Königreichs, treffen sich in Crawford, Texas, und sprechen erstmals über die Möglichkeiten einer Invasion allierter Truppen in den Irak. BUSH und BLAIR verstehen sich in diesem Punkt allerbestens.
26.08.2002
US-Vizepräsident Richard CHENEY erklärt in einer Rede die Notwendigkeit eines Präventivschlags gegen den Irak:
„ Aber wir wissen jetzt, dass Saddam HUSSEIN seine Bemühungen zur Beschaffung von Nuklearwaffen wieder aufgenommen hat. Neben anderen Quellen haben wir diese Information aus erster Hand von Überläufern, einschließlich Saddam HUSSEINS eigenem Schwiegersohn, der daraufhin auf Anweisung Saddam HUSSEINS ermordet wurde. Viele von uns sind davon überzeugt, dass Saddam HUSSEIN sehr bald über Nuklearwaffen verfügen wird. “
Mit „Überläufer“ meint CHENEY „Curveball“, der später in die Annalen der Geheimdienstgeschichte, der politischen Täuschung und der Fakes eingehen wird.
12.09.2002
Vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen wird der US-Präsident deutlicher:
" Wir können nicht untätig abwarten, während die Bedrohung wächst. "
Vor dem US-Kongress erklärt BUSH erstmals seine Bereitschaft, notfalls Krieg zu führen. Als Gründe nennt er mobile Biowaffenlabore und versteckte Massenvernichtungswaffen. Diese könnten deshalb nicht von den UN-Inspekteuren entdeckt werden, weil sie immer unterwegs seien.
16.09.2002
Saddam HUSSEIN stimmt der bedingungslosen Rückkehr der UN-Inspektoren zu, die sich damit wieder auf die Suche nach Massenvernichtungswaffen machen können.
10.10.2002
Das US-Repräsentantenhaus verabschiedet eine Resolution, mit der Präsident BUSH ermächtigt wird, gegen den Irak Krieg zu führen
In der Resolution 114 wird die Entscheidungsgewalt in allen Fragen des Irak-Konfliktes in die Hände des amerikanischen Präsidenten gelegt:
„ ERMÄCHTIGUNG
Der Präsident ist ermächtigt, die Streitkräfte der Vereinigten Staaten so einzusetzen, wie er es als notwendig und angemessen erachtet, um
(1) die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gegen die fortgesetzte Bedrohung durch den Irak zu verteidigen; und
(2) alle relevanten Irak-Resolutionen des UN-Sicherheitsrats durchzusetzen .“
In der CIA ist man zu dieser Zeit dabei, die sogenannte Nachrichtenlage abzuklären, aber auch Vorwürfe gegen Saddam HUSSEIN regelrecht zu sammeln, mit denen man eine Intervention begründen kann. Von ‚oben’ wird das so erwartet.
08.11.2002
Im UN-Sicherheitsrat wird die Resolution 1441 verabschiedet: Die Resolution legt die Grundlage für die weitere Behandlung des Irakkonfliktes fest.
In dem Dokument einigen sich die Vereinten Nationen darauf, dem Irak u.a. folgende Forderungen zustellen:
- Beginn der Abrüstungsverpflichtungen
Keine feindseligen Handlungen des Iraks gegenüber Vertretern der UN - Ungehinderten Zutritt der Inspektoren der IAEO* und UNMOVIC* zu allen gewünschten Bereichen, Gebäuden etc.
13.11.2002
Der irakische Außenminister Nadschri SABI akzeptiert die UN-Resolution 1441
Der Außenminister spricht sich dafür aus, die UN-Inspektoren wieder in den Irak zu schicken, damit sie verifizieren können, dass der Irak keine nuklearen, chemischen oder biologischen Massenvernichtungswaffen produziert oder besitzt.
Am selben Tag tagt im Berliner Bundestag der Auswärtige Ausschuss: geheim. Zu Gast: BND-Präsident HANNING sowie ein Mitarbeiter, der die Erkenntnisse von Curveball vorträgt und erläutert. Darunter auch eine handschriftliche Zeichnung, die nach Angaben von Curveball erstellt wurde: die Innenansicht einer mobilen Biowaffen-Produktionsanlage, die in einem LKW-Container untergebracht ist.
Diese Zeichnung wird später Vorlage für Colin POWELLS Rede vor der Weltöffentlichkeit werden. Der BND versichert den deutschen Bundestagsabgeordneten: " Wir sind in der Lage, dies alles zu belegen. "
Gleichzeitig gehen Warnungen des BND an die CIA raus: Die BND-Mitarbeiter warnen ihre Kollegen, dass Curveball vermutlich nicht die Wahrheit erzählt.
27.11.2002
Bundeskanzler Gerhard SCHRÖDER kündigt in einer Pressekonferenz an, im Falle militärischer Interventionen im Irak den USA und anderen NATO-Verbündeten Überflugs-, Transit- und Zugangsrechte zu ermöglichen. Damit bestätigt er die amerikanische Anfrage, auf Unterstützung in der Irakkrise. Der Kanzler bekräftigt erneut:
"Wir haben deutlich gemacht, dass wir uns an einer militärischen Aktion nicht beteiligen werden".
Dezember 2002
In der Zentrale des BND in Pullach bei München findet ein geheimes Treffen statt: zwischen hochrangigen BND-Mitarbeitern und dem US-Militärgeheimdienst DIA (Defense Intelligence Agency). Man trifft Spionage-Arrangements u.a. auch für den Kriegsfall im Irak.
19.12.2002
Ein vorgelegter Waffenbericht des Irak wird in Washington als Verletzung der Resolution 1441 gewertet. Es gäbe weitere offene Fragen, viele Unzulänglichkeiten und Lücken. Der Irak sagt zu, fehlende Informationen nachzuliefern.
22.12.2002
Bundeskanzler SCHRÖDER befindet sich in einer politischen Zwickmühle: CIA-Chef George TENET hat die Bundesrepublik dringend aufgefordert, Curveball entweder im US-Fernsehen auftreten zu lassen, als Kronzeuge gegen Saddam, oder aber Curveball selbst vernehmen zu können.
SCHRÖDER trommelt während der laufenden Plenardebatte sein so genanntes Sicherheitskabinett zusammen, um darüber zu beraten. Das Problem: so drastisch und überzeugend - und politisch passend - die Erzählungen von Curveball klingen, belegt oder bewiesen sind sie nicht. SCHRÖDER entscheidet sich, dass der BND-Präsident einen Brief an seinen US-Amtskollegen schreiben soll. Dieses Schreiben datiert vom 29. Dezember und gipfelt in dem Satz: Curveballs Informationen " können nicht als verifiziert gelten ".
22.01.2003
Der US-Verteidigungsminister Donald RUMSFELD bezeichnet auf einer Pressekonferenz – drei Monate vor Kriegsbeginn – die Länder Deutschland und Frankreich als „old Europe“. Kurz darauf spricht er von beiden Ländern als einem „ Problem “ – Deutschland und Frankreich sind erklärte Kriegsgegner.
26.01.2003
US-Außenminister Colin POWELL macht politisch Druck: er bekräftigt öffentlich, dass die USA notfalls auch alleine und ohne Auftrag der Vereinten Nationen einen Krieg gegen Saddam HUSSEIN führen würden.
04.02.2003
Bundesaußenminister Joschka FISCHER, Bündnis90/Die Grünen, macht in seiner Rede vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen deutlich, dass nach einer friedlichen Lösung im Irak-Konflikt gesucht werden muss.
Des Weiteren führt er in seiner Rede die Wichtigkeit der Resolution 1441 an und die Einhaltung der Forderungen der Vereinten Nationen durch den Irak.
05.02.2003
Rede des US-Außenminister Colin POWELL vor dem UN Sicherheitsrat in New York:
„Ich habe aus zwei Gründen um die heutige Sitzung gebeten. Erstens, um die von Dr. Blix und Dr. ElBaradei vorgenommenen Beurteilungen zu untermauern. Dr. Blix hat am 27. Januar vor diesem Rat festgestellt, dass ‚der Irak anscheinend noch nicht einmal bis heute die von ihm geforderte Entwaffnung wirklich akzeptiert hat hat’. Meine zweite Absicht heute besteht darin, Ihnen zusätzliche Informationen zu geben, Ihnen mitzuteilen, was die Vereinigten Staaten über die Massenvernichtungswaffen und die Beteiligung des Irak an terroristischen Aktivitäten wissen, die ebenfalls Gegenstand von Resolution 1441 und anderer früherer Resolutionen sind.
Das Material, das ich Ihnen heute vorlege, stammt aus unterschiedlichen Quellen. Es sind zum Teil amerikanische Quellen, zum Teil Quellen anderer Länder. Einige der Quellen sind technischer Art, wie die abgehörten Telefongespräche und die Satellitenfotos. Andere Quellen sind Menschen, die ihr Leben riskiert haben, damit die Welt erfährt, was Saddam HUSSEIN wirklich vorhat.“
POWELL startet u.a. eine Powerpoint-Präsentation mit Bildern von (angeblich) mobilen Produktionsstätten für Biologische Kampfstoffe in rollenden LKWs, getarnten Giftgasfabriken und dergleichen. Presse und Fernsehen übernehmen die Anschuldigungen 1:1. Insbesondere das Bild von dem getarnten Biowaffen-LKW macht weltweit die Runde.
Alles wird sich später als ge-faked herausstellen. Urheber: die BND-Quelle „Curveball“. POWELLS Powerpoint-Inszenierung vor dem UN-Sicherheitsrat können Sie sich hier nochmals anschauen: POWELL's Showdown .
desweiteren im Monat Februar
Ausgestattet mit Curveball's bzw. POWELL's Informationen machen sich die UN-Inspektoren ab 8. Februar im Irak auf die Suche nach einer von Curveball beschriebenen Halle in Dscurf al-Naddaf (Nähe Bagdad), in der die Sattelschlepper mit den Biowaffenproduktionsanlagen regelmäßig Station machen sollen. Die Inspektoren finden zwar die Anlage, aber sie ist an jener Stelle, wo die Ein-/Ausfahrt sein soll, von einer Mauer umgeben, die dort nachweislich schon sehr lange steht. Und auch die Mikroproben aus dem Boden und der Umgebung geben keinerlei Hinweise auf eine solche Produktions- und/oder Lager- und/oder Umladestätte.
Am 21. Februar fordern die USA und Großbritannien ein Ultimatum, um eine umfassende Zusammenarbeit von Saddam HUSSEIN mit den UN-Waffeninspekteuren zu erreichen.
Einen Tag später stellt UN-Chefinspektor Hans BLIX der irakischen Regierung ein Ultimatum, bis zum 01. März mit der Zerstörung sogenannter Scud-Raketen zu beginnen. Er stellt jedoch keine Frist für den Abschluss der Vernichtungsaktion dieser Scud-Raketen, auch nicht, die dazugehörigen Raketenfabriken zu zerstören.
01.03.2003
UN-Chefinspektor Hans BLIX begrüßt, dass der Irak, wie gefordert, mit der Zerstörung seiner „Al-Samud-2“-Raketen begonnen hat (nicht jedoch der Scud-Raketen). George W. BUSH macht deutlich, dass dies „belanglos“ sei. Großbritannien und Spanien, die zur „Koalition der Willigen“ gehören, sehen darin ein „taktisches Manöver“. Frankreich und Deutschland hingegen einen „wichtigen Schritt“.
Scud-Raketen haben eine deutliche größere Reichweite als Al-Samud-2-Raketen. Beide Raketentypen soll der Irak vernichten.
15.03.2003
Deutschland, Frankreich und Spanien starten eine neue Friedensinitiative - sie verständigen sich auf ein Vermittlungsvorschlag. Sie weisen auf den Erfolg der Waffensinspektoren hin und darauf, dass der Irak mit der geforderten Abrüstung bereits begonnen hat.
Deutschland, Frankreich und Russland geben eine politische Erklärung ab:
„Die Anwendung von Gewalt kann nur ein letztes Mittel sein. Wir appellieren feierlich an alle Mitglieder des Sicherheitsrates, alles zu tun, um einen friedlichen Weg beizubehalten, der vom Sicherheitsrat vorgeschlagen wurde und von der überwältigenden Mehrheit der internationalen Gemeinschaft unterstützt wird."
17.03.2003
Der US-Präsident George W. BUSH stellt in seiner Ansprache an das amerikanische Volk Saddam HUSSEIN ein Ultimatum: Er soll den Irak verlassen! Sollte Saddam HUSSEIN dieses Ultimatum verstreichen lassen, droht die USA mit militärischen Interventionen:
„Saddam Hussein und seine Söhne müssen den Irak innerhalb von 48 Stunden verlassen. Sollten sie sich weigern, wird dies einen militärischen Konflikt nach sich ziehen, dessen Beginn wir bestimmen werden.
... Die Vereinigten Staaten von Amerika haben die souveräne Autorität, zur Sicherung ihrer eigenen nationalen Sicherheit Gewalt einzusetzen. Auf Grund des von mir geleisteten Schwurs – ein Schwur, den ich halten werde – stehe ich als Oberbefehlshaber in dieser Pflicht.“
Auch die Bundesregierung handelt: Sie zieht – offiziell – alle Mitarbeiter aus der Deutschen Botschaft in Bagdad ab, alle verlassen offiziell sofort das Land. Die letzten deutschen Fernsehkorrespondenten wollen tags drauf aus dem Irak ausreisen.
18.03.2003
Gerhardt SCHRÖDER spricht sich in der Erklärung der Bundesregierung vehement gegen militärische Interventionen im Irak aus:
„Meine Antwort in diesem Fall war und ist: Nein!“
20.03.2003
3:30 Uhr (MEZ):
Beginn des Irakkrieges mit Luftangriffen auf Bagdad durch US-Amerikaner und Briten - nach Ablauf des US-Ultimatums an Saddam Hussein, sein Land zu verlassen.
Die Invasion beginnt um 04:36 Uhr (MEZ).
" Zutiefst besorgniserregend " seien die Beweise, welche die US-Regierung und Geheimdienste im Lauf der vergangenen Jahre zusammengetragen haben. " Es sind keine Behauptungen ", betont nochmals POWELL, sondern " Tatsachen und Schlussfolgerungen, die auf stichhaltigen Geheimdiensterkenntnissen beruhen ".
Und noch am selben Tag zwei Fernsehansprachen zweier Hardliner bzw. Fundamentalisten:
- George W. BUSH:
„Und ich versichere euch, dies wird kein halbherziger Feldzug, und wir werden keinen anderen Ausgang als den Sieg akzeptieren“ - Saddam HUSSEIN:
„Wir versprechen euch in unserem eigenen Namen, im Namen der Führung und im Namen des mit Gottes Segen kämpfenden Volkes des Iraks und seiner heldenhaften Armee - im Irak der Zivilisation, der Geschichte und des Glaubens -, daß wir Widerstand gegen die Invasoren leisten werden.“
07.04.2003
Schilderung eines ehemaligen Pentagon-Mitarbeiters zu den Geschehnissen am 07.04.2003.
panorama wird in der Sendung am 12.03.2006 auf die Aussagen des Pentagon-Mitarbeiter wesentlichen Bezug dazunehmen, was an diesem Tag (07.04.2003) geschieht:
Irakische US-Verbündete informieren am 07.04.2003 um 14:45 das Pentagon, Saddam HUSSEIN soll sich in der Ramadan Straße im Stadtteil Mansur befinden.
Zitat der Pentagon-Quelle:
„Wir erhielten die Information, dass sich sehr viele Mercedes-Wagen nahe eines Restaurants befanden.“ Die Information der irakischen Spitzel sollte überprüft werden, das diese Spitzel oft unzuverlässig waren. Deutsche Soldaten sollten diese Information überprüfen.
Zitat Pentagon-Quelle:
„Wir haben die Deutschen gebeten etwas zu tun, was wir Kontrollfahrt nennen. Das war sehr wichtig für die Zielplanung an diesem Tag.“
Der Informant schildert weiter, dass die deutschen Soldaten in einem gepanzerten Wagen in den Stadtteil Mansur gefahren seien. Daraufhin lieferten die Deutschen Aussagen, aus denen die USA die Anwesenheit von Saddam HUSSEIN ableiteten: die Mercedes-Fahrzeuge.
Daraufhin gaben die USA den Befehl zur Bombardierung.
Um 15:00 am 07.04.2003 schlagen die Bomben ein. Dabei werden zwei Häuserblocks zerstört und 12 Zivilisten getötet, nur Saddam HUSEIN nicht.
Zitat Pentagon-Quelle:
„Die Deutschen sind noch einmal vorgefahren und haben geprüft, ob wir getroffen haben. Sie sind vor und nach dem Angriff vorbei gefahren.“
01.05.2003
Nach knapp 7 Wochen erklärt George W. BUSH auf dem Flugzeugträger „USS Abraham Lincoln“ den Irakkrieg offiziell für beendet.
nach dem 1.Mai 2003
Trotz offizieller Beendigung: der Krieg im Kleinen geht unvermindert weiter - in den Folgemonaten und Folgejahren sterben weitere Soldaten und Zivilisten durch Bombenanschläge, Schusswechsel, Selbstmordattentate und kleinere Kriegshandlungen auf beiden Seiten. In Deutschland wird es die nächsten Monate keinen Tag mehr geben, an dem in den Medien nicht von Toten und Verletzten im Irak die Rede sein wird. Und: Massenvernichtungswaffen oder Hinweise auf den Bau einer Atombombe wurden bisher nicht gefunden.
29.05.2003
Spurensuche in Großbritannien
Der bekannte BBC -Reporter Andrew GILLIGAN berichtet in der ebenfalls bekannten BBC -Morgensendung "Today" (kurz nach 6 Uhr), die von sehr vielen Menschen, u.a. auch von fast allen Politikern und praktisch allen Nachrichtenagenturen gehört wird, davon, dass die britische Regierung ein Dossier, das die Gefährlichkeit von Saddam HUSSEIN belegen sollte, in seiner Aussagekraft verschärfen ließ - entscheidende Passagen sollten „mehr sexy“ werden. Dies betraf vor allem die folgende Aussage, der Irak könne "innerhalb von 45 Minuten" biologische oder chemische Waffen zum Einsatz bringen.
Das Dossier sollte im Herbst 2002 – also vor Einmarsch in den Irak - die Öffentlichkeit überzeugen, dass man gegen den Irak einen präventiven Krieg führen müsse, um sich selbst zu schützen.
Zu der Meldung, Saddam HUSSEIN könne "innerhalb von 45 Minuten" Massenvernichtungswaffen einsetzen, macht der Reporter noch eine Anmerkung: "Die Regierung wusste wahrscheinlich, dass diese 45-Minuten-Zahl falsch war, noch bevor sie beschloss, sie in den Bericht zu stellen."
Diese Meldung verbreitet sich noch am selben Tag über alle elektronische Medien.
19.06.2003
Weil die BBC -Berichterstattung über die vermeintliche Gefährlichkeit Saddam HUSSEIN`S Großbritannien in Atem hält, führt das Parlament bzw. der außenpolitische Ausschuss eine öffentliche Anhörung durch. An diesem Tag muss auch der BBC -Journalist GILLIGAN aussagen. Er gibt seine Quelle dabei nicht preis, muss aber eine Beschreibung dergestalt machen, dass seine Quelle aus dem Kreis der Irak-Waffenkontrolleure stamme.
Der Ausschuss will es jetzt wissen: Er lädt weitere Zeugen, unter anderem auch Waffenkontrolleure vor, und darunter auch den Biowaffenexperten Dr. David KELLY. KELLY ist der Informant für GILLIGAN.
06.07.2003
Spurensuche in den USA
In der New York Times erscheint ein ganzseitiger Artikel: „What I didn’t find in Africa“ . Verfasser: Joseph C. WILSON, ehemaliger US-Botschafter im afrikanischen Gabun und excellenter Kenner des Staates von Niger.
Die Vorgeschichte: Der amerikanische Geheimdienst CIA, bei dem WILSON’s Ehefrau als verdeckte Ermittlerin in Sachen Massenvernichtungswaffen arbeitet, hatte WILSON ein Jahr zuvor gebeten, einer Information bzw. einem Gerücht nachzugehen, nach dem das afrikanische Land Niger eine halbe Million Tonnen Uran heimlich an den Irak verkauft haben soll. In Niger wird Uran abgebaut.
WILSON flog nach Niger und recherchierte – er konnte sich auf sehr viele Quellen stützen. Und er recherchierte selbst: 50 Sattelschlepper kann man nicht unbemerkt auf den wenigen Strassen unbemerkt durch Dörfer schleusen. Sein Ergebnis: Die im Umlauf befindlichen ‚Dokumente’ sind nicht echt, ein solches Geschäft kann nicht stattgefunden haben.
Dem Weißen Haus gefiel dieses Ergebnis nicht: BUSH’s Administration verkündete das Gegenteil und streute diese Informationen über die Medien: Saddam HUSSEIN habe Uran von Niger erhalten.
Inzwischen reagiert WILSON sauer: Die US-Adminsitration stellt seine Glaubwürdigkeit in Frage. Deshalb schreibt er öffentlich, was er nicht in Afrika gefunden hat: Uran.
Jetzt steht mit dieser Behauptung die Glaubwürdigkeit der US-Regierung und die des US-Präsidenten in Frage.
Die BUSH-Administration reagiert schnell: Sie rächt sich an WILSON, der die Propagandalüge enttarnt hat, indem man zwei Informationen gezielt an einige Medien und ‚befreundete’ Journalisten weitergibt:
- dass WILSON’s Ehefrau CIA-Agentin ist
- und er selbst auf Betreiben seiner Gattin nach Niger gereist sei
14.07.2003
Der bekannte Kolumnist Robert NOVAK veröffentlicht als erster einen Artikel: „Mission to Niger“ . Darin stellt er den Namen von Valerie PLAME, WILSON’s Ehefrau bloß. Und kann mit weiteren Details exklusiv aufwarten:“ Wilson never worked fort he CIA, but his wife, Valerie Plame, is an Agency operative of weapons of mass destruction. ”
Die verdeckte Ermittlerin ist damit ‚verbrannt’. Weltweit.
Und es sind mehrere Operationen, sprich Menschen gefährdet – PLAME ist gerade dabei, im Auftrag der CIA einige ehemalige Atomwissenschaftler aus dem Irak in die USA zu schleusen, die seit Anfang der 90er Jahre nicht mehr am irakischen Atomwaffenprogramm arbeiten (können), weil alles im ersten Irakkrieg vollkommen zerstört wurde. PLAME will verhindern, dass die hochkarätigen Experten zwangsweise in andere arabische Länder, z. B. den Iran, entführt werden. Das klappt nun nicht mehr – die fraglichen Personen sind hochgradig gefährdet.
17.07.2003
Spurensuche in Großbritannien
Inzwischen ist der Name des Biowaffeninspekteurs Dr. David KELLY, der in Kürze vor dem Parlamentarischen Gremium aussagen muss, durch alle Medien gelaufen. Er wird von mehreren anderen Reportern bedrängt. Und von seinem Arbeitgeber, dem Ministerium, unter Druck gesetzt.
KELLY wusste sich seither nicht mehr anders zu helfen und ‚floh’ vor dem Rummel bereits am 11. Juli nach Cornwall in sein Ferienhaus. Dort erfuhr er, dass er am 17.Juli vor dem Parlamentsausschuss aussagen muss. Sein Vorgesetzter vermerkte sich wenige Tage später in seinen Akten über KELLY: "Er wird mit dem Druck nicht gut fertig."
KELLY hält dem öffentlichen und internen Druck nicht stand: Er verabschiedet sich von seiner Frau zu einem Waldspaziergang und schneidet sich die Pulsadern auf.
Herbst 2003
Die CIA, die im Irak die letzten Jahre praktisch nicht präsent war und auf Informationen befreunderer Dienste angewiesen ist, findet immerhin heraus, dass Curveball bereits 1995 seine Arbeitsstelle verloren hatte und garnicht an dem fraglichen Waffenentwicklungsprogramm mitarbeiten konnte.
2004
Das Jahr 2004 wird für viele, die es eigentlich besser hätten wissen können und müssen, zu einem Jahr der Ernüchterung :
- 9 Monate nach offiziellem Kriegsende räumt BUSH am 6. Februar erstmals Fehleinschätzungen hinsichtlich der Existenz von Massenvernichtungswaffen ein. Er kündigt die Gründung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Geheimdienstinformationen über irakische Waffenprogramme an. Trotzdem verteidigt er den Irakkrieg nachträglich: Der Irak habe unter Saddam HUSSEIN die Möglichkeit gehabt, Massenvernichtungswaffen zu produzieren
- Zuvor erklärt einer der UN-Waffeninspekteure, David KAY aus den USA, dass es vor Kriegsbeginn im Irak keine Massenvernichtungswaffen gegeben habe
- im März darf der US-Geheimdienst zum ersten Mal „Curveball“ persönlich befragen. Zwei ganze Tage lang. Die Amerikaner sind entsetzt, wie und was „Curveball“ sagt. Sie stufen ihn sofort als "Betrüger" ein und wissen nun, einem Märchen aufgesessen zu sein. George TENET, der CIA-Chef, tritt daraufhin von seinem Amt zurück
- Colin POWELL, immer noch US-Außenminister, nimmt seine Aussagen über die mobilen Waffenlabore im Irak zurück, die er ein Jahr zuvor großspurig vor der UNO in einer Powerpointpräsentation ‚verkauft’ hatte. Er muss nun einräumen, dass seine Quellen nicht zuverlässig waren. Des weiteren fordert POWELL eine Untersuchung, die jetzt aufklären soll, wie es zu einer solchen „Panne“ kommen konnte. Bereits im Januar musste er erstmals öffentlich bekennen, dass der Irak möglicherweise keine Massenvernichtungswaffen besessen hat. POWELL wird am 15. November zurücktreten: aus „privaten Gründen“ (natürlich)
- US-Vizepräsident Richard CHENEY indes spricht immer noch von "schlüssigen" Beweisen
- In Deutschland weisen BND-Mitarbeiter Vorwürfe ihrer Kollegen des CIA zurück, man habe nicht ausreichend genug vor Curveball gewarnt
- Die CDU/CSU, die dasVorgehen der USA im Irak bisher nicht kritisiert hat, gibt sich nachdenklich. Der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Friedbert PFLÜGER, sagt: " Wir müssen uns fragen, ob wir mit allen unseren Einschätzungen richtig gelegen haben ". Und: " Diese Informationen haben ganz wesentlich zur Meinungsbildung beigetragen. "
18.10.2005
Um 11.16 meldet die deutsche Presseagentur (dpa) die Festnahme Saddam HUSSEIN's .
11:42 Uhr: Der arabische TV-Sender El-Dschasira zeigt ein Interview mit einem Sprecher des Irakischen Nationalkongresses (INC). "Wir sind 100 Prozent sicher, dass er es wirklich ist, denn es wurde bereits ein DNA-Test durchgeführt", sagt INC-Sprecher Intifadh Kanbar in dem Interview.
20.11.2005
Die Los Angeles Times veröffentlicht im November 2005 einen großen Artikel mit der Überschrift :„Curveball Saga. US Ignored Warnings Over Informant“ Die Autoren sind Bob DROGIN und John GOETZ. Die Story enthüllt, dass die Belege, Saddam verfüge über chemische Massenvernichtungswaffen, von einem in Bagdad geborenen und 1999 nach Deutschland exilierten irakischen Chemikers stammen. Um seinen Asylantrag glaubwürdiger zu machen, erzählte er, nicht nur Experte für solche Kampfstoffe, sondern auch Direktor einer entsprechenden Produktionsanlage gewesen zu sein. Auf seinen Aussagen und Angaben basierten auch die Bilder, die der US-Außenminister POWELL in seiner Rede und Powerpoint-Präsentation vor dem UN-Sicherheitsrat vorgestellt hatte
Der BND und andere Behörden machten bereits früh erhebliche Zweifel an den Aussagen des Irakers geltend und übermittelten dies auch den Behörden in den USA. Trotzdem nahmen die USA diese Aussagen für bare Münze.
Hier geht es zu Curveball's Erzählungen (in englischer Sprache).
Im Zusammenhang mit diesen Recherchen ergeben sich für John GOETZ auch erste Anhaltspunkte dafür, dass während der Kampfhandlungen in Bagdad 2003 deutsche BND-Beamte kriegsrelevante Informationen an die Amerikaner gemeldet hatten. John GOETZ versucht daraufhin weitere Informationen und Informanten zu gewinnen.
12.01.2006
panorama geht abends mit dem enthüllenden Bericht „Bomben auf Bagdad - Deutsche Agenten am Irakkrieg beteiligt“ auf Sendung. Autor: John GOETZ. Der Bericht rekonstruiert die Geschehnisse vom 7. April 2003, als die BND-Leute Informationen und Koordinaten an die Amerikaner weitergeben. Daraufhin wird ein ganzer Häuserblock in Schutt und Asche gebombt.
Hier sehen Sie den panorama -Bericht
Bereits am Morgen druckt die Süddeutsche Zeitung einen entsprechenden Bericht, in dem u.a. auf die panorama -Sendung hingewiesen wird: Bericht der Süddeutschen Zeitung
Da auch SPIEGEL ONLINE über diesen Vorgang berichtet, geht die panorama -Enthüllung schnell durch alle Medien: Bericht SPIEGEL ONLINE
Der BND dementiert diese Vorgänge von Anfang an. Gegen 14 Uhr indes gibt die Pressestelle des BND zu, bei der Identifizierung von „non targets“ mit den Amerikanern in Bagdad zusammengearbeitet zu haben. „Non targets“ sind zivile Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser usw.
13.01.2006
Da der BND vehement dementiert, wird John GOETZ von tagesschau.de zu seinen Recherchen und weiteren Hintergrundinformationen interviewt. Der Journalist betont den Umstand, dass die USA seit Anfang der 90er Jahre keine Botschaftsvertreter im Irak mehr haben und schon deshalb auf Leute angewiesen sind, die sich dort auskennen und mit den Amerikanern ‚gut können’
Am selben Tag tagt das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG), das die Tätigkeit der Geheimdienste kontrollieren soll und dies jeweils unter Ausschluss der Öffentlichkeit macht. Die wenigen Bundestagsabgeordneten lassen sich über einen möglichen Einsatz des BND in Bagdad informieren
Interview mit John Goetz
16.01.2006
DER SPIEGEL berichtet in seiner neuen Ausgabe Nr. 3, dass der BND bereits im Oktober 2002 ein Konzept für den Einsatz in Bagdad entwickelt habe: man wollte „eine kleine Nachhut in Bagdad platzieren." Er kennt auch die Namen der beiden Geheimdienstler: „Volker H.“ und „Reiner M.“ Der Plan wurde dem BND-Chef August HANNING vorgelegt, der holte sich das „ok“ vom Chef des Bundeskanzleramts, Frank-Walter STEINMEIER, SPD.
DER SPIEGEL hat eine weitere nette Geschichte: einen kleinen Bericht seines Korrespondenten vor Ort, der die beiden BND-Leute dort persönlich getroffen hat.
18.01.2006
Die panorama -Redaktion entschließt sich, den Wortlaut der Aussagen des Informanten in einer Presseerklärung vollständig bekannt zu geben. Gleichzeitig weist panorama darauf hin, dass die diversen Dementi des BND an diesen Aussagen völlig vorbeigehen. Mit anderen Worten: der BND dementiert Dinge, die garnicht behauptet wurden. Eine solche Strategie praktiziert man üblicherweise als Ablenkungsmanöver.
Presseerklärung der panorama- Redaktion
Mehrere Journalisten und Medien zweifeln an der panorama -Story, behaupten sogar, dass sich die Redaktion seitens den USA habe instrumentalisieren lassen. Das Nachrichtenmagazin Focus (Ausgabe 16.1.) spricht von „Gerüchte-Enthüllern“ und einer „TV-Ente“. Das RTL-Nachtjournal meinte bereits am 12.1.: " Hier fallen Journalisten darauf rein und helfen gleichzeitig der US-Regierung dieses Rot-Grüne Nein noch nachträglich zu entwerten, gleichzeitig Schröders damaligem, engsten Mitarbeiter und heutigen Außenminister Steinmeier zu diskreditieren und schließlich auch der neuen Regierung zu bedeuten, wo Barthel den Most holt".
Auch das NDR-Magazin ZAPP meldet sich zu Wort. Der Redaktionsleiter von panorama , Stefan WELS, muss allerdings zugeben, dass es in dem fraglichen Bericht eine nicht wirklich bestätigte Lücke gibt, wie sich inzwischen herausgestellt hat: „Was nicht bestätigt ist, ist der Hergang des 7. April. Und da steht die Schilderung des Mannes gegen ein klares Dementi. Uns hat aber die Gesamtschau dazu bewogen, dass wir gesagt haben: der Mann ist in vielen Teilen so klar bestätigt, dass wir gesagt haben: auch die Gesamtaussage erscheint uns so relevant, dass wir sie publizieren können.“ Insgesamt steht panorama aber zu seiner Enthüllung
Bericht der ZAPP -Redaktion
25.01.2006
Das Parlamentarisches Kontrollgremium hat in seiner Sitzung seine Untersuchungen zu den Aktivitäten des BND im Irak fortgesetzt.
Das Kontrollgremium hat die Bundesregierung aufgefordert, einen umfassenden schriftlichen Bericht zu den aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz zweier BND-Mitarbeiter in Bagdad imJahre 2003
Die Bundesregierung hat zugesagt, den Mitgliedern des Gremiums diesen Bericht rechtzeitig vor der Sitzung des Gremiums am 22. Februar 2006 zur Verfügung zu stellen.
Bereits am 13.01.2006 ließ sich das Parlamentarische Kontrollgremium über einen möglichen Einsatz von BND-Agenten im Irak informieren. Die Sitzung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
15.02.2006
Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE stellen in einer Kleinen Anfrage dip.bundestag.de/btd/16/007/1600717.pdf an die Bundesregierung kritische Fragen. Sie beziehen sich auf die Berichterstattung von panorama , Süddeutsche Zeitung und SPIEGEL .
Sie wollen in 29 Fragen Auskunft über die Vorgänge erhalten.
Zum Beispiel:
Welche genauen Informationen sollten gesammelt und weitergeleitet werden, damit sich die Bundesregierung ein getreues Bild über den Kriegsverlauf bilden konnte?
Wohin sollten diese Infomationen ggf. geleitet werden, und wohin sind sie tatsächlich geleitet worden?
Kleine Anfrage
22.02.2006
Die Bundesregierung reagiert auf die Anfrage des parlamentarischen Kontrollgremiums* (PKGR) vom 25.01.2006 mit der Veröffentlichung des Untersuchungsberichtes zum Einsatz der BND Agenten im Irakkrieg.
Die Bundesregierung stellt ihren Bericht dem parlamentarische Kontrollgremium zur Verfügung. Das wiederrum veröffentlicht daraufhin seine Bewertung zum Bericht der Bundesregierung vom 15.02.2006:
„6.Das Kontrollgremium ist zu der Überzeugung gelangt, dass der in der Presse erhobene Vorwurf einer Beteiligung von BND-Mitarbeitern an operativen Kriegshandlungen im Irak – vor allem an der Bombardierung eines Restaurants im Stadtteil Mansou in Bagdad am 7.April 3003 – jeglicher Grundlage entbehren. Die anders lautende Medienberichterstattung ist widerlegt.“
Bewertung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) zum Bericht der Bundesregierung zu Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus
Die Bundesregierung will ihren Bericht einen Tag später der Öffentlichkeit zugänglich machen.
23.02.2006
Veröffentlichung des Berichtes der Bundesregierung (öffentlicher Teil)
Für die Öffentlichkeit zugänglich ist dabei jener Teil, der sich im Wesentlichen mit den Vorgängen im Irak und den mutmaßlichen Kenntnissen der Bundesregierung über angebliche Flüge von Nachrichtendiensten und Geheimgefängnisse befasst.
Aus Datenschutzrechtlichen Gründen sind Teile, die sich mit Einzelfällen befassen, für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Dies betrifft die Darstellung von angeblichen Verschleppungen Einzelner durch ausländische Nachrichtendienste sowie die Befragung von einzelnen Personen durch deutsche Sicherheitsbehörden
Bericht der Bundesregierung (offene Fassung) . Untertitel:
Gemäß der Anforderungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums vom 25. Januar 2006 zu Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus.
Christian STRÖBELE, Mitglied der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen weist darauf hin, dass einige Fragen ungeklärt geblieben sind oder nicht ausreichend genug beantwortet wurden.
Z.B. führt er Zweifel an der Bewertung folgender Fragepunkte an:
- Einheit der Auftrags- und Weisungslage
- Zum Erhalt der tatsächlichen Meldungen aus Bagdad
- Zu den Kommunikationswegen
- Zur Zusammenarbeit mit den US-Stellen
Insgesamt kommt er zu folgendem Ergebnis:
„Die Informationen aus Bagdad waren – anders als die Mehrheit des Gremiums annimmt - für die alliierten Streitkräfte für konkrete Kampfhandlungen ganz offensichtlich von Belang und dazu geeignet, die Streitkräfte in der taktischen operativen Kriegführung zu unterstützen.“
28.02.2006
Die Pressestelle des Deutschen Bundestages gibt die Meldung 061/2006 heraus: „Kontrollgremium: BND-Mitarbeiter nicht an Kriegshandlungen im Irak beteiligt“. Dass sich BND-Leute dort aufgehalten haben – im Gegensatz zur offiziellen Verlautbarung – wird nicht (mehr) bestritten.
Zitat:
„Der in der Presse erhobene Vorwurf, Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) seien an operativen Kriegshandlungen im Irak beteiligt gewesen, entbehrt nach Überzeugung des Parlamentarischen Kontrollgremiums jeglicher Grundlage.“
07.03.2006
Die BündnisGrünen, Linkspartei und FDP halten an der Forderung nach einem Untersuchungsausschuss zur BND-Affäre fest sehr zum Unwillen der Bundesregierung.
08.03.2006
Grundssatzdiskussionen der Oppositionsparteien zum geplanten Untersuchungsausschuss und dessen konkrete Ziele.
Die Bundesregierung hingegen fürchtet um die Beeinträchtigung der Zusammenarbeit der verschiedenen Geheimdienste und appelliert an die Diskretion des Untersuchungsausschusses.
09.03.2006
In einer Presseerklärung der panorama Redaktion beschreibt Prof. Hans-Joachim GIEßMANN vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, dass die gelieferten Informationen von BND-Agenten an die USA von großer militärischer Bedeutung waren und damit der US-Armee bei ihren militärischen Interventionen im Irak unterstützt haben.
Weitere Kritik übt der Sicherheitsexperte an den Behauptungen, dass die Informationen zeitverzögert weitergeben worden sind und dass auf Grundlage von deutschen Informationen keine Bombardierungen stattgefunden haben.
Abends sendet panorama dann einen zweiten Bericht zum umstrittenen Thema: Operation Nebelkerze - Der BND und die Bomben auf Bagdad . Der Filmbericht zeigt eine Abfolge verschiedener Erklärungsversuche zu den Aktivitäten des BND im Irakkrieg und lässt verschiedene Abgeordnete und Politikexperten beider Seiten zu Wort kommen. Folgende Fragestellungen werden u.a. in dem Bericht behandelt:
- Der BND lieferte keine Koordinaten:
Hans-Christian STRÖBELE:
„Zu meiner Überraschung sind Koordinaten geliefert worden. Aber es sind welche geliefert worden, eine ganze Reihe von Objekten aus Bagdad, und bei mindestens acht Objekten sind die Koordinaten auch an US-Stellen weitergeleitet worden.“
- BND-Meldungen waren veraltet:
Prof. Hans-Joachim GIESSMANN,
Institut f. Friedensforschung und Sicherheitspolitik:
„Aus dem Bericht ist ersichtlich, dass eine Reihe von Informationen sehr kurzfristig weitergegeben worden sind. Insofern stimmt nicht, dass alle Informationen nur mit erheblicher Verzögerung weitergegeben wurden. Und selbst Informationen, die miterheblicher Verzögerung weitergegeben worden sind, können auch militärisch interessant sein, weil sie, im Verbund mit anderen Informationen, sich zu einem Puzzle zusammenfügen, das letztlich für die militärischen Planer sehr wohl von Bedeutung sein kann.“
20.03.2006
Erklärung der Bundesregierung, dass eine Zustimmung des Parlaments zum Aufenthalt der BND-Agenten im Irak nicht nötig gewesen sei, da es sich um keinen militärischen Einsatz gehandelt habe.
11.05.2006
Der BND-Untersuchungsausschuss nimmt seine Arbeit auf – sechs Wochen nach seiner Einsetzung durch das Parlament. Was dort geschieht, finden Sie unter Der "BND-Ausschuss - eine (längere) Chronologie
27.09.2006
George W. BUSH veröffentlicht den Untersuchungsbericht, den er bereits im Februar 2004 in Auftrag gegeben hatte.
Es handelt sich hier um die erste gemeinsame Einschätzung der 16 US-Geheimdienste über die weltweit Terrorbedrohung seit Beginn des Irakkrieges.
Er macht jedoch deutlich, dass die geführte Untersuchung zum Irakkrieg keine Kritik an diesem darstellt.
11.01.2007
US-Präsident George W. BUSH räumt Fehleinschätzung der Lage im Irak seit Kriegsende ein. Er übernimmt die Verantwortung von Fehlern.
BUSH verkündet, um die Lage im Irak zu stabilisieren, die Entsendung von 20.000 amerikanischen Soldaten in den Irak.
02.11.2007
Das US-amerkanische TV-Format 60 Minutes veröffentlicht den bürgerlichen Namen von Curveball, dessen Informationen maßgeblich den Irakkrieg beeinflussten: Rafid Ahmed ALWAN. Der Bericht benennt auch noch einmal die Tatsache, dass der BND keine Möglichkeiten sah, die Informationen von Curveball zu überprüfen. Und: wie die Redakteure Curveball's Klarnamen auf die Schliche kamen. Hier geht es zum Enthüllungsvideo:
Und hier eine Textfassung zur namentlichen Enthüllung: Faulty Intel Source "Curve Ball" Revealed"
22.03.2008
Der Journalist John GOETZ, inzwischen zum SPIEGEL gewechselt, ist weiter an "Curveball" dran: "Ihr tragt eine Mitschuld" . Darin bezeichnet der frühere UN-Waffeninspekteur David KAY die BND- bzw. Curveball-Affäre als " the biggest intelligence fiasco ".
Eine Woche später, am 31. März, bringt SPIEGEL-TV das Ganze als Filmbeitrag - derzeit nur auf YouTube zu sehen.
im Laufe des Jahres 2008
"Curveball" erhält die deutsche Staatsbürgerschaft - er wohnt inzwischen in Karlsruhe (Baden-Württemberg). Allerdings werden mit Ende des Jahres alle Zahlungen der staatlichen Stellen eingestellt. "Curveball" klagt vor dem Arbeitsgericht gegen seinen vordergründigen Arbeitgeber, die Fa. Thiele und Friedrichs Marketing GbR aus der Eininger Str. 4 in München. Ihm wird eine Nachzahlung von ca. 2.000 € zugesprochen.
Die Verhandlung ist nicht öffentlich. Begründung des Münchner Arbeitsgerichts ganz offiziell: sonst sei die Staatssicherheit gefährdet.
15.12.2008
Vier Tage bevor Frank-Walter STEINMEIER erneut vor dem Parlamentarischen zu "Curveball" aussagen muss, erscheint ein weiterer Bericht des SPIEGEL : Die Deutschen sind Helden . Der US-General James MARKS erinnert sich darin, welche Bedeutung die von den BND-Agenten in Bagdad an die Amerikaner weitergegebenen Informationen seinerzeit hatten.
Februar 2010
Im arabischen TV-Sender al-Mustaqillah tritt „Curveball“ als Ingenieur RAFID auf: Er wird vorgestellt als „Chef der Bewegung Freier Demokraten im Irak“.
„Curveball“ hat eine Partei gegründet und fordert „Mehr Ehrlichkeit in der Politik“. Und: „Parlament und Regierung im Irak, alle müssen ehrlich arbeiten“.
15.02.2011
In einem Interview mit der englischen Tageszeitung Guardian gesteht „Curveball“ erstmals öffentlich, dass er gelogen und dass er sich die komplette Geschichte ausgedacht hat. Er begründet seine Lüge damit, dass er das Regime seines Landes stürzen wollte und somit im Interesse seiner Landsleute handelte. Er sagt, dass er nichts bereut und alles genauso noch einmal machen würde ...
Februar 2020
20 Jahre später nachdem "Curveball" dem BND seine Märchen verklickert hatte und die Geheimdienstmänner alles eifrig an ihre Kollegen vom CIA gekabelt haben, stellt der Berliner Regisseur Johannes NABER auf der 70. Berlinale seinen neuen Film vor: eine Satire, die aber real ist.
Der Filmtitel steht noch nicht fest, denn gegen seinen Plan, ihn "Curveball" zu nennen, gab es urheberrechtliche Einsprüche aus den USA. Nun muss die juristische Klärung abgewartet werden.
Das Zustandekommen des Films und über die Besetzung sowie mehrere Interviews finden sich in dem Presseheft für die Berlinale. Der Kinostart ist für Herbst 2020 vorgesehen. Sofern "Covid 19" dem allen nicht einen Strich durch die Rechnung macht.
(JL / IH / TF)
Online am: 03.11.2015
Aktualisiert am: 13.07.2022
Inhalt:
- Der BND und "Curveball" im Überblick
- Die Enthüllung von "CURVEBALL" durch die Medien
- Wie die Wahrheit scheibchenweise ans Tageslicht kam
- Der "BND" - Ausschuss im Bundestag: die kurze Chronologie
- Der "BND" - Ausschuss im Parlament: eine (längere) Chronologie
- Irakkrieg: Fakes & Lügen
- Enthüllendes + Enthülltes über die 2 BND-Agenten
- Die zwei Irak-Kriege der USA
Tags:
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