Die Süddeutsche Zeitung

Vorstellung eines Erfolgsmodells

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) ist eine Nachkriegszeitung – sie hat keine historisch belastete Vergangenheit. Nachdem die Amerikaner Anfang 1945 nach und nach auch in Bayern die letzten deutschen SS-Bastionen und Wehrmachtstruppen zurückgedrängt hatten, war eine ihrer ersten Maßnahmen, alle Zeitungen stillzulegen, die sich mehr oder weniger in den Dienst der NS- Propaganda hatten stellen lassen.

Und das war jetzt neu: nur so genannte Lizenzverleger durften die deutsche Medienlandschaft wieder aufbauen. Nicht Geld bzw. Kapitalbesitz gab den Ausschlag, eine Zeitung gründen zu dürfen - die meisten Lizenzverleger der Nachkrigeszeit hatten keines, weil sie im Dritten Reich entweder geächtet oder verfolgt worden waren. Ausschlaggebend für eine Lizenz war eine ‚reine Weste’, journalistisches Know-how und Engagement. So war es auch bei der SZ, die zum ersten Male am 6. Oktober 1945 erschien.

Eine Zeitung aus Süddeutschland für ganz Deutschland

Heute ist die SZ die größte überregionale Tageszeitung in Deutschland: mit insgesamt 4 (nationalen) Ausgaben:

  • einer Fernausgabe für fremde Länder

  • eine bundesweite Ausgabe (außerhalb Bayerns)

  • die bayerische Hauptausgabe mit insgesamt 10 Regionalausgaben für 8 unterschiedliche Landkreise

  • die SZ in München, die erst gegen 23 Uhr angedruckt zu werden braucht, weil danach das Einzugsgebiet auch noch nachts bzw. frühmorgens beliefert werden kann.

Gedruckt wird sie an 3 Standorten (München, Kettwig, Berlin), damit sie jeden Morgen überall in ganz Deutschland verfügbar ist. Die Karte vermittelt einen kleinen Eindruck von der logistischen Leistung, die es jeden Tag (bzw. Nacht) zu bewerkstelligen gibt:

2 Beispiele:

Damit auch jeder auf der Insel Sylt morgens die SZ in Händen halten kann, muss sie spätestens gegen 19 Uhr die Druckerei in Berlin verlassen. Zwischen 19:30 und 21:30 kommt sie in Hamburg an und erreicht dann gegen 2:00 Nibüll. Mit dem ersten Zug frühmorgens über den Hindenburgdamm ist sie dann tatsächjlich gegen 6:00 in der Frühe überall auf Sylt zu haben.Der Weg von der Druckerei in München nach Karlsruhe (Baden-Württemberg) beginnt gegen 18:00 Uhr und endet dort gegen 22.30.In dieser Hinsicht muss die SZ die gleichen Probleme lösen wie ihre potenziellen Konkurrenten: die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), DIE WELT und die Frankfurter Rundschau (FR) – sie alle verstehen sich ebenfalls als überregionale Tageszeitungen

Erfolgskonzept: journalistische Qualität

In einem Punkt unterscheidet sich die SZ allerdings ganz auffällig: Die Auflagenzahlen stiegen jahrzehntelang stärker als bei allen anderen, insbesondere bis ins Jahr 2009. Dies stand in auffälligem Gegensatz zum bundesweiten Trend, der scon lange durch permanent sinkende Leser- und Käuferzahlen gekennzeichnet ist. Jetzt hat diese Entwicklung - unvermeidlicherweise - auch die SZ erfasst. Aber sie bleibt nach wie vor die Größte unter den Großen Abo-Zeitungen:

Für diese excellente Marktstellung führen Experten klare Gründe an. Zum einen liegt es an der journalistischen Ausrichtung des Zeitung. Sie versteht sich als offen gegenüber Informationen und unterschiedlichen Meinungen, schottet sich gegen ideologische Verengung und Verkürzung aller Dinge ab. Diese publizistische Unternehmensphilosophie ist der Kern des journalistischen und wirtschaftlichen Erfolgs.

Dazu gehören regelmäßige Investitionen in die Zukunft und in die Qualität.

Journalistisch gesehen lässt sich das Engagement in die Qualität so beschreiben:
Rund 350 Redakteure in München, den Regional- und Lokalredaktionen in Bayern und mehreren Redaktionsvertrerungen in den restlichen Bundesländern einschließlich Berlins sowie 40 Korrespondenten, die weltweit direkt von den originalen Schauplätzen berichten sorgen für die alltägliche Berichterstattung, Nachrichten und Hintergrundinformationen.

Mit der New York Times (NYT) gibt es seit 2004 eine redaktionelle Kooperation jeden Montag: Die SZ veröffentlicht die für Europäer wichtigsten Informationen aus den USA: als englischsprachige Beilage „The New York Times International Weekly“. Im Bereich des Sport publiziert die SZ nicht nur die üblichen Ergebnisse von Erfolgsmeldungen und Niederlagen, sie setzt sich seit Jahren dezidiert auch mit dem Thema Doping auseinander. 2003/04 hatte die SZ – in Kooperation mit der Zeitschrift kicker – die Pleite und das finanzielle Chaos beim Fussballclub Borussioa Dortmund enthüllt.

Unabhängig von allen traditionellen Ressorts (z.B. Feuilleton, Wirtschaft usw.) ‚leistet’ sich die SZ eine eigene Abteilung für harte, d.h. auch investigative Recherchen, die in schwierigen und undurchsichtigen Fällen von Nachrichten und Informationen über Geschehnisse und Merkwürdigkeiten recherchiert. Gerade dieses Ressort trägt zur entscheidenden Profilbildung dieser Zeitung bei.

Akzeptanz bei den Lesern, Auszeichnungen, Einfuß
So ist es auch nicht allzu verwunderlich, dass die Zeitung regelmäßig begehrte journalistische Preise erhält. Eine kleine Aufstellung können Sie auf einer Site der SZ nachlesen. Neben dem Wächterpreis 2007 bekamen Redakteure der SZ auch den "Henri-Nannen-Preis" 2007 für die "beste investigative Leistung" zugesprochen. In diesem Fall ging es um die Enthüllung der schwarzen Schmiergeldkassen bei der SIEMENS AG, von denen niemand etwas gewusst haben will.

Wegen ihrer Offenheit, d.h. wegen der Breite ihrer Informations- und Meinungspalette, aber auch wegen ihrer tiefergehenden Hintergrundanalysen usw. zählt die SZ auch im Mediengewerbe selbst zu den tonangebenden „Leitmedien“, an deren ausgewählten Themen sich wiederum viele andere Medien orientieren. Der Hamburger Kommunikations- und Journalistikwissenschaftler Siegfried WEISCHENBERG und Kollegen haben 2005 herausgefunden, dass von 1.536 repräsentativ befragten Journalisten rund 35% die SZ als „Leitmedium Nr. 1“ nutzen, den SPIEGEL (nur) 34%. Damit liegt die SZ mit dem Nachrichtenmagazin aus Hamburg sozusagen gleichauf, was die politische und öffentliche Themensetzung anbelangt (Kurzfassung der Studie in der Zeitschrift Media Perspektiven).

Zukunftsinvestition Online
Eine Investition in die Zukunft beispielsweise stellt das inzwischen sehr bekannte Online-Portal www.sueddeutsche.de dar (seit 1995). Hier werden nicht nur einzeln ausgewählte Artikel aus der Printausgabe übernommen, sondern es werden vor allem online-affine Themen aufbereitet. Dies bezieht sich auf die Aktualität und ständige Aktualisierung von Nachrichten, aber auch auf Themen, die in der Printausgabe keinen Platz (mehr) finden.

Online bedeutet vor allem schnell und aktuell. Der Hintergrund und die ausführliche Analyse lassen sich dann in der Printausgabe am nächsten Tag ausführlich studieren. Die Online-Seite stellt damit auch eine Ergänzung zur Print-Ausgabe dar. Sie hat sich aber inzwischen zu einem eigenständigen Medium mit eigenständigen Usern entwickelt, die zum größten Teil nicht die Printausgabe kaufen oder lesen.

Die Site erfreut sich inzwischen so großer Akzeptanz, dass sie sich nicht nur mittels des eigenständigen Anzeigenmarkts (Online-Werbung, Stellenangbeote, Immobilien- und Kfz-Anzeigen, die nur im Internet veröffentlicht werden) finanzieren kann, sondern auch Gewinn erwirtschaftet.

Nachhaltigkeit
2007 stand die SZ vor einem Problem, das sich bei einigen anderen so genannten Qualitätszeitungen weltweit ebenfalls stellte: große Medienmogule und Finanzinvestoren, letztere auch als „Heuschrecken“ bezeichnet, gieren nach profitabel erscheinenden Objekten, auch im Tageszeitungsgeschäft.

  • In den USA hat 2007 eine traditionelle Zeitungsverlegerfamilie die Los Angeles Times (LAT) an einen Finanz- und Immobilienmagnaten verkauft. Dem ist der Sinn allerdings nur nach Profit und weil er vom Zeitungsmachen nichts versteht, hat er die Belegschaft der LAT mehrheitlich an der Zeitung beteiligt. Die Mitarbeiter, z.B. auch die Journalisten, müssen zwar jetzt ihr Engagement mit Krediten finanzieren, können auf diese Art und Weise jedoch die journalistische Qualität und die längerfristige Perspektive (u.a. ihres Arbeitsplatzes) garantieren.

  • Das eher wirtschaftlich-konservative Wall Street Journal (WSI) aus New York ist im April 2007 in den Blickfang des weltweit agierenden Medienmoguls Rupert MURDOCH geraten, der in Großbritannien schon in den 80er Jahren mehrere große Tageszeitungen aufgekauft und ihnen einen rigorosen Sparkurs verordnet hatte. Die Zeitungen sind jetzt hochprofitabel, aber journalistisch teilweise völlig abgemagert (z.B. Times).

  • Bei der SZ in München waren aus der alten Lizenzverlegerzeit ingesamt fünf Gründerfamilien beteiligt - zuletzt dominiert von deren Erben und Urerben. Deren Interesse war zum Schluß weniger das Zeitungsmachen als offenbar Geld zu machen. Sie wollten ihre Anteile 2007 versilbern. Konkret: Rund 1 Mrd Euro wollten 4 der Gründernachfahren für ihre rund 60% Anteile kassieren. Um ihre Ziele zu realisieren, zogen sie sogar vor Gericht.

    Michael FRIEDMANN, selbst Zeitungsmann und Vertreter des gleichnamigen Familienstamms hingegen wollte das nicht: „Eine Heuschrecke darf niemals Herausgeber der SZ werden. Dafür werde ich mit allen Mitteln kämpfen.“

    So ist es auch gekommen. Er stand mit seinem Anteil von 18,75% an der GmbH nicht alleine. Seit 2002 ist in gleicher Höhe auch die Südwestdeutsche Medienholding GmbH (SWMH) aus Stuttgart am Süddeutschen Verlag beteiligt. Die SWMH ist eine Dachgesellschaft, unter der in Baden-Württemberg die Stuttgarter Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten und seit 2007 auch der Schwarzwälder Bote erscheinen. Die Verschachtelung der SWMH mit anderen Gesellschaftern und Zeitungen ist kompliziert, sorgt aber dafür, dass das (gute) Zeitungsmachen das eigentliche Kerngeschäft bleibt. Da die SWMH bei der SZ ein Vorkaufsrecht hatte und dieses letztendlich ausübte, ist sie seit Ende 2007 mit insgesamt 81,25% mehrheitlich beteiligt.


Die Süddeutsche Medienholding (SWMH) in Stuttgart, die dort das Stuttgarter Modell (Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, Schwarzwälder Bote) verkörpert, ist ein ausgesprochen verschachteltes Unternehmensimperium, das sich nach 1945 im Lauf der Zeit ergeben hat:

  • durch Ausscheiden ehemaliger Alt-Gesellschafter

  • Neueintritt anderer, meist kleinerer Zeitungen aus dem württembergischen Raum (koordiniert in der Gruppe Württembergischer Verleger)

  • sowie der Idee, mit anderen zusammen Synergien besser realisieren zu können.

Die filigrane 'Verschachtelung' durch gegenseitige Beteiligungen kann einen weiteren Vorteil haben, wenn sich die Beteiligten über die wichtigsten Ziele einig sind: Ein solches System wird so komplex, dass es sich kaum verändern kann. Mit anderen Worten: Besteht Einigkeit über die publizistische Aufgabe und über die Nachhaltigkeit dieses Zieles, ist es schwer vorstellbar, dass ein solches Gebilde ins Wanken geraten kann, selbst wenn einige wenige es wollten.

Die 'Nachhaltigkeit' der SZ sowie der von der SWMH im Schwäbischen herausgegebenen Zeitungen (s.o.) wird noch durch einen anderen Umstand - zumindest derzeit - abgesichert: Der 'Chef' der Neuen Pressegesellschaft mbH & Co.KG, die die Gruppe Württembergischer Verleger steuert und dominiert sowie selbst die SÜDWEST-Presse herausgibt, Eberhard EBNER, ist mit Anneliese FRIEDMANN (Gründerfamilie) von der SZ fest liiert.


Das publizistische Credo
Von "Liberalität und Demokratie" hatte der erste Chefredakteur der SZ und Mit-Lizenzverleger nach dem Krieg, Werner FRIEDMANN, gesprochen. Konkret meinte er ein journalistisches Konzept, das sich durch "eine klare Feder, frei von Schönfärberei und Propaganda-Schlagworten" auszeichnet. Dieser "Geist der Redaktion" von damals gilt noch heute als journalistisches Credo der Süddeutschen Zeitung.

Das Online-Portal der Süddeutschen Zeitung:
www.sueddeutsche.de

Kleine Anmerkung des DokZentrums:
Leser der Süddeutschen Zeitung erfahren in ihrem Blatt nichts vom DokZentrum ans Tageslicht.de und auch nichts von dieser online-Dokumentation zum Wächterpreis bzw. von den Geschichten hinter den Geschichten. In dieser Hinsicht repräsentiert das Blatt offenbar nur Mittelmaß - wie die meisten anderen deutschen Tageszeitungen auch, die noch immer nicht die Bedeutung der inhaltlichen 'Arbeitsteilung' zwischen Print und Online begriffen haben.

Hinweis: Dieses Kapitel lässt sich direkt aufrufen und verlinken: unter www.ansTageslicht.de/SZ.