Nürnberger Nachrichten, 25.01.2012

von Michael Kasperowitsch

Psychiatrie-Fall beschäftigt Karlsruhe

Mit dem Fall des Nürnbergers Ferdl G., der nach Urteilen mehrerer Gerichte seit sechs Jahren in der Bayreuther Psychiatrie eingesperrt ist, beschäftigt sich jetzt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Der Anwalt des 55-jährigen Ingenieurs sieht das Grundrecht auf rechtliches Gehör und den elementaren Maßstab der Verhältnismäßigkeit grob verletzt.

Wie mehrfach berichtet, hatte Ferdl G. (Name geändert) vor fast zehn Jahren angebliche Schwarzgeldverschiebungen in die Schweiz angezeigt. Gewusst haben will er davon über seine damalige Ehefrau, die bei der HypoVereinsbank beschäftigt war. Sie hat später die zwangsweise Unterbringung von Ferdl G. angestoßen. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung zeigte sie ihren damaligen Mann wegen schwerer Körperverletzung an und betrieb die Untersuchung seines Geisteszustandes. Außerdem wurde dem Mann zur Last gelegt, Autos von Bekannten seiner Frau beschädigt zu haben.

Wegen Schuldunfähigkeit aufgrund einer Geisteskrankheit wurde Ferdl G. 2006 freigesprochen und in die Psychiatrie eingewiesen. Er habe, so die bestellten Gutachter, ein paranoides Gedankensystem sowie den allgemeingefährlichen Wahn entwickelt, Opfer des Bankensystems zu sein.

Rechtsmittel ausgeschöpft


Gegen die bisherigen Entscheidungen des Oberlandesgerichts Bamberg und des Landgerichts Bayreuth in diesem Fall hat die auf Verfassungsrecht spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei Hiddemann/Kleine-Cosack aus Freiburg nun Verfassungsbeschwerde eingelegt. Andere Rechtsmittel sind bereits ausgeschöpft.
Michael Kleine-Cosack, der Anwalt von Ferdl G., argumentiert, dass die Justiz zwei Gutachten, die dem Nürnberger geistige Normalität und Ungefährlichkeit bescheinigen, bisher außer Betracht gelassen habe. Wie Recherchen der NN jetzt ergeben haben, hat eines dieser Gutachten dazu geführt, dass ein Regensburger Gericht — der Mann war damals noch in der Straubinger Psychiatrie untergebracht — bereits 2007 ein amtliches Betreuungsverfahren einstellte. An die federführende Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erging zudem die Mitteilung, aus Sicht der dortigen Richter „wäre zu überprüfen, ob die Unterbringungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen“.

Der Freiburger Anwalt bemängelt zudem die Arbeit eines für das Verfahren maßgeblichen Sachverständigen, der zunächst nur von der bloßen „Möglichkeit“ weiterer Taten von Ferdl G. gesprochen hatte. Erst auf Hinweis des damaligen Anwalts, dies reiche nicht für eine weitere Unterbringung in der Psychiatrie, sei der Gutachter „ohne jede Begründung“ plötzlich von einer „sehr hohen Wahrscheinlichkeit“ solcher Taten ausgegangen.

„Dieser Wechsel ist willkürlich und muss Zweifel an Sachkunde und Neutralität aufkommen lassen“, schreibt der Jurist in seiner Beschwerde, die der Redaktion vorliegt. Gleiches gelte für die Expertenmeinung, nach der es gar nicht wichtig sei, ob der Wahn einen Realitätsbezug habe oder nicht. Diese Haltung hatte in der Vergangenheit auch das bayerische Justizministerium eingenommen. „Das ist schlicht falsch.“

„Nie geprüft“

Entsprächen Vorstellungen der Realität, so Kleine-Cosack, könne gerade nicht von einem Wahn gesprochen werden. „Von Staatsseite wurde dies bezeichnenderweise nie geprüft.“ Die Staatsanwaltschaft habe dies sogar mehrfach ausdrücklich verweigert. Mittlerweile liegen etliche Stellungnahmen vor, nicht zuletzt von der HypoVereinsbank selbst, welche die Vorwürfe von Ferdl G. stützen — wir berichteten. Landgericht und Oberlandesgericht hätten, so der Anwalt, nicht erkannt, dass sein Mandant allein für die Verantwortlichen der Bank und deren Schwarzgeldkunden „gefährlich“ war, nicht aber für andere Personen. Eine Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt könne dies nicht rechtfertigen.

„Tadelloses Leben“


Unverhältnismäßig sei die Unterbringung, weil Ferdl G. „bis zu seinem Fehlverhalten ein tadelloses Leben geführt hat“. Die Körperverletzung der Ehefrau vor fast zwölf Jahren wurde damals mit einem Strafbefehl von tausend Euro geahndet. Nur weil Ferdl G. die Summe mit der Begründung nicht bezahlt hatte, er sei unschuldig, kam es überhaupt zu einer Verhandlung.

Die Beschädigung von Autos rechtfertige „erst recht nicht die weitere Unterbringung“, argumentiert der Anwalt. Die Taten stünden in keinem Verhältnis zu dem damit verbundenen „lebensvernichtenden Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Person“, heißt es in der Beschwerde. Verfassungskonform hätte dem 55-Jährigen die Möglichkeit gegeben werden müssen, sich unter Auflagen in Freiheit zu bewähren.

Die Beschwerde wird nun vom Verfassungsgericht geprüft. Eine Entscheidung darüber wird dann je nach Sachlage von einer der sechs Kammern oder einem der beiden Senate getroffen. Wann das sein wird, ist völlig offen.

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2013

Die Menschen hinter dieser Geschichte: