Die Jugendämter hierzulande

Das Jugendamt, die Pflichten und Aufgaben

Angesichts der sich häufenden Fälle von Kindesverwahrlosung und Kindestötung fragt man sich, was eigentlich die Aufgaben eines Jugendamtes sind und wie diese wahrgenommen werden.

Eigentlich soll das Jugendamt das Kindeswohl schützen. Betrachtet man jedoch einzelne Fälle wie beispielsweise den des toten Kevin, kommt die Frage auf, ob sich die Jugendämter um das Kindeswohl oder um das Wohl der Eltern kümmern oder um weder noch.

Noch in den siebziger Jahren verstand sich das Jugendamt als Kontrollinstanz. Heutzutage versteht es sich als Dienstleister. Andererseits muss das Jugendamt seinen Pflichten als Wahrer des Kindeswohls nachkommen. Da nun auf den Dienstleistungsaspekt mehr Gewicht gelegt wird, scheint es, als würde die Sorge um das Kindeswohl in den Hintergrund treten.

Was genau die Probleme dabei sind und wie sich die derzeit allgemeine öffentliche Aufmerksamkeit auf diese Behörden auswirkt, das wollten wir in einem Interview erfahren. Wir hatten uns dazu an das Jugendamt des Kreises Steinburg in Schleswig Holstein und in der Nähe von Hamburg gewandt. Die Antworten kamen schnell.

Auch dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) haben wir ein paar Fragen zu dem Thema vernachlässigte Kinder gestellt. So können wir eine Stellungnahme zu dem Thema auf Bundesebene und auf regionaler Ebene bieten.


E-Mail-Interview mit dem Jugendamt des Kreises Steinburg:

Fragen an das Jugendamt …


1. ansTageslicht.de: Ihre Arbeit folgt gesetzlichen Rahmenbedingungen. Können Sie diese für unsere User in ein paar Sätzen formulieren?

Antwort: Das ist richtig. Die Arbeit des Jugendamtes folgt den gesetzlichen Rahmenbedingungen des Sozialgesetzbuches VIII, des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, und den Schleswig-Holsteinischen Ausführungsgesetzen, dem Jugendförderungsgesetz und dem Kindertagesstättengesetz. Letztlich geht alles zurück auf Artikel VI des Grundgesetzes, wonach u.a. Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sind. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

ansTageslicht.de: Wie viele Fälle bearbeitet ein Sacharbeiter in der Regel?

Antwort: Diese Zahl kann so mit einer sich ergebenden Aussagekraft nicht genannt werden. Allein die Definition „Fälle„ ist schwierig. Ist die erfolgreiche 15minütige telefonische Beratung einer werdenden jungen Mutter ein Fall? Wie wäre dieser Fall zu bewerten im Vergleich zu einem sehr schwierigen Sorgerechtsfall, der mehrere Stunden oder sogar Tage in Anspruch nimmt?

2. ansTageslicht.de: Ist die Zeit, die ein Sacharbeiter pro Fall zur Verfügung hat ausreichend? Können Sie einen normalen Arbeitstag eines Sacharbeiters beschreiben?

Antwort: Ja, die Zeit ist ausreichend. Die zuständige Fachkraft in der Bezirkssozialarbeit gestaltet ihren Arbeitstag frei und gliedert ihn in einen Innen- und einen Außendienst.

3. ansTageslicht.de: Immer mehr Kinder leben laut Statistiken in Armut. Die Eltern aus dieser sozial Schwachen Schicht benötigen mehr Hilfe bei der Erziehung ihrer Kinder. Können Sie das bestätigen? Nimmt die Zahl derer zu die Hilfe vom Jugendamt benötigen?

Antwort: Ja

ansTageslicht.de: In wie weit betrifft / verändert die gestiegene Kinderarmut und das größer werdende Hilfebedürfnis Ihre Arbeit? Was hat sich dadurch verändert?

Antwort: Immer mehr Familien wenden sich an das Jugendamt, um Hilfe und Unterstützung bei der Erziehung der Kinder zu beantragen. Eine Zunahme der Fallzahlen ist erkennbar. Durch eine Vernetzung mit Hebammen, Kindergärten, Schulen, Beratungsstellen, Polizei, Leistungszentren und anderen Institutionen kann frühzeitig und vielseitig auf Hilfebedarfe der Familien reagiert werden.

4. ansTageslicht.de: Wenn ja, wie ist das gestiegene Arbeitspensum zu bewältigen? Wird Ihnen mehr Personal zur Verfügung gestellt?

Antwort: Durch personalrechtliche und organisatorische Maßnahmen wird sichergestellt, dass der Arbeitsanfall bewältigt werden kann.

5. ansTageslicht.de: Zurzeit gibt es fast täglich Berichte über Fälle von Kindesvernachlässigen. Wie wirkt sich dies auf Ihre Arbeit aus?

Antwort: Belastend

ansTageslicht.de: Wie äußert sich die Belastung? Steht das Jugendamt unter einer größeren Beobachtung von außen, wenn ja wie macht sich dies bemerkbar?

Antwort: Natürlich ist die Arbeit der Jugendämter in den Focus der öffentlichen Diskussion gerückt. Darin liegt aber auch der Vorteil, dass die Jugendämter nun früher informiert und eingeschaltet werden und somit die Maßnahmen der Jugendhilfe besser greifen können. Die publik gewordenen Fälle von Kindervernachlässigung und Kindstötung führen bei den Mitarbeiterinnen zu einer erhöhten Anspannung im Arbeitsalltag. Durch das Instrumentarium des Controllings und der fachlichen Begleitung mittels Supervision und kollegialer Beratung soll den Mitarbeiterinnen mehr Sicherheit im Umgang mit Fällen von Kindesvernachlässigung gegeben werden.

6. ansTageslicht.de: Wenn sich abzeichnet, dass Eltern der Fürsorgepflicht ihrem Kind gegenüber nicht mehr nachkommen / nachkommen können, welche Schritte werden eingeleitet? Welche Vorschriften gibt es, die eingehalten werden müssen?

Antwort: Den Eltern werden erzieherische Hilfen angeboten. Einschlägig sind die §§ 27 ff SGB VIII.

7. ansTageslicht.de: Welche Rechte hat das Jugendamt bei besonders schweren Fällen. Dürfen die betroffenen Kinder augenblicklich ihren Eltern entzogen werden?

Antwort: Ja, einschlägig ist hier § 42 SGB VIII (Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen).

E-Mail-Interview mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Abt. Jugendhilfe

Fragen an das Bundesministerium:


1. ansTageslicht.de: Können Sie Ihre Aufgaben für unsere User zusammenfassen?

Antwort: Zu den vielfältigen Aufgaben des Ministeriums gehört insbesondere auch die Kinder- und Jugendpolitik, d.h. die Förderung der Entwicklung junger Menschen (außerhalb der Schule).
Der Schwerpunkt liegt dabei im Bereich der Gesetzgebung. So wird gegenwärtig der Entwurf eines Kinderfördergesetzes vorbereitet, mit dem die Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren spürbar verbessert werden soll. Die Umsetzung (und damit auch die Finanzierung) der vom Bund erlassenen Gesetzes im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes hingegen Aufgabe der Länder und Kommunen.
Der Bund fördert seinerseits aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans ein breites Spektrum freier Träger (Jugendverbände und Wohlsfahrtsorganisationen auf Bundesebene) sowie Modellprojekte zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland.

2. ansTageslicht.de: Sie unterstützen die Träger der Familienarbeit, die auch mit den Jugendämtern zusammenarbeiten. Wie kann man sich dies vorstellen und arbeiten Sie dazu auch mit den Jugendämtern vor Ort zusammen? Wenn ja, wie kann man sich diese Arbeit vorstellen?

Antwort: Kinder- und Jugendhilfe leistet in Deutschland von einer Vielzahl von Trägern und Initiativen. Sie sollen Eltern und Kindern ein großes Angebot an Einrichtungen und Diensten bieten, das ihren Interessen, Wünschen und Erziehungsvorstellungen entspricht. Die Zusammenarbeit der freien Träger mit der öffentlichen Jugendhilfe findet dabei in erster Linie auf der Ebene der Kreise und Städte statt, die auch die Gesamtverantwortung für die jeweilige Angebotsstruktur in ihrem Einzugsbereich haben. Im Jugendhilfeausschuss, der jeweils in den Kreisen und Städten installiert ist, beraten und beschließen Vertreter der öffentlichen und der freien Jugendhilfe gemeinsam über die Entwicklung des Angebots und die künftige Planung. Die direkte Kooperation des Ministeriums mit freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe beschränkt sich – abgesehen von der unter 1. genannten Förderung – im wesentlichen auf die Mitarbeit in verschiedenen Fachgremien.

3. ansTageslicht.de: Seit einiger Zeit scheint es, als gelangen immer mehr Fälle von Kindesvernachlässigung, Kindesmisshandlung und sogar Kindestötung an die Öffentlichkeit. Veränderte sich dadurch die Arbeit speziell für das Jugendministerium? Steht es unter einer größeren Beobachtung durch die Öffentlichkeit? 

Antwort: In den letzten Monaten und Jahren hat sich die öffentliche Aufmerksamkeit für die Themen Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung deutlich erhöht. Das ist eine sehr positive Entwicklung, weil sie auch die Chance erhöht, dass Verdachtsfälle seitens der Bevölkerung häufiger gemeldet und so rechtzeitig Schlimmeres verhindert werden kann.
Zum Start des "Zentrums für Frühe Hilfen" im vergangenen Sommer beachten Sie bitte folgende PM: Hier geht es zu der Pressemitteilung.

Zum aktuellen Stand: Mittlerweile sind in fast allen Bundesländern Modellprojekte gestartet. Vor zwei Wochen gab es die erste Fachkonferenz der Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet zum Erfahrungsaustausch. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, vorhandene Projekte zu verbessern und erfolgreiche Ansätze und Ideen weiter zu verbreiten.
Darüber hinaus haben sich Bund und Länder auf der Ministerpräsidentenkonferenz am 19. Dezember 2007 darauf verständigt, Ihre Anstrengungen zu verstärken, um Vernachlässigung, Verwahrlosung und Misshandlung von Kindern vorzubeugen und schnell und wirksam Hilfen für Kinder in Not und überforderte Eltern bereit zu stellen. Dazu ist ein konkreter Beschluss zu neun Punkten gefasst worden. Die Umsetzung dieses Beschlusses liegt zum großen Teil in der Federführung unseres Ministeriums.
Für Infos im Einzelnen: bitte hier klicken.

4. ansTageslicht.de: Ihre Aufgabe besteht unter anderem darin, „federführend bestehende Bundesgesetze zu betreuen“ (speziell achtes Sozialgesetzbuch). Gibt es dabei Probleme, weil die Umsetzung durch die Jugendämter Ländersache ist?

Antwort: Im Hinblick auf die mit Bundesgesetzen für die Länder und Kommunen verbundene Kostenbelastung achten diese sehr stark auf die finanziellen Folgen neuer Bundesgesetze. In gemeinsamer politischer Verantwortung geht es deshalb darum, jeweils fachlich überzeugende Lösungen zu entwickeln, die auch von den Ländern realisiert werden können.

5. ansTageslicht.de: Wie nehmen Sie die Interessevertretung für Kinder und Jugendliche wahr?

Antwort: Die Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen ist in erster Linie eine Aufgabe der kommunalen Ebene. Das Bundesfamilienministerium achtet im Rahmen der Gesetzgebung des Bundes darüber, ob die jeweiligen Gesetzesvorhaben Auswirkungen auf Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen haben. Schließlich arbeitet das Ministerium eng mit der Kinderkommission des Deutschen Bundestages zusammen.

6. ansTageslicht.de: Können Sie eine Einschätzung über die Arbeit der Jugendämter geben? Stehen die Jugendämter zu Recht unter Beschuss der Medien wegen eventueller Versäumnisse, wie es sie im Fall Kevin gab oder sind dies Einzelfälle?

Antwort: Die mehrere hundert zählenden Jugendämter in Deutschland sind als Behörden der kommunalen Selbstverwaltung in Kreisen und Städten unterschiedlich organisiert und strukturiert. Eine allgemeingültige Einschätzung dazu, wie sie ihre Aufgabe, Kinder überforderter Eltern zu schützen nachkommen, ist daher aus Bundessicht nicht möglich.

7. ansTageslicht.de: Haben diese Fälle eine Änderung der Arbeitsweise und Abläufe bewirkt. Wenn ja, was hat sich speziell in Bezug auf den Umgang mit vernachlässigten Kindern und den Umgang mit deren Eltern verändert? Wie hat das Bundesministerium reagiert? Welche Maßnahmen wurden ergriffen? 

Antwort: Den Kreisen und Städten obliegt die Personal-, Organisations- und Finanzhoheit im Hinblick auf die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe. Der Bund kann ihnen deshalb diesbezüglich keinerlei Weisungen erteilen. Vor dem Hintergrund dramatischer Fälle von Kindesvernachlässigung hat er in den letzten Jahren aber verschiedene Projekte gefördert, um die Kompetenzen der Jugendämter im Umgang mit Kindeswohlgefährdung zu verbessern. Zentraler Baustein ist dabei die Einrichtung des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen, dass die Fachkompetenz von Jugendhilfe und Gesundheitswesen vernetzt. (Vgl.Ausführungen o.)
Weitere Informationen über Aktivitäten des Ministeriums im Bereich Kinderschutz sowie umfangreiches Zahlen-Material zum Thema finden Sie unter diesem Link zum bmfsfj.


(RR/VR)