Kalmykien ist eine der autonomen Republiken innerhalb der russischen Föderation. Sie grenzt an das nordwestliche Kaspische Meer, liegt südlich der Region Rostov. Die Bewohner sind mongolischen Ursprungs, weshalb der Buddhismus die vorherrschende Religion ist. Aus der Hauptstadt Elista mit ihren 100.000 Einwohnern werden die restlichen 200.000 Menschen regiert: zu fast 60% Kalmücken, ansonsten Russen.
Siebzehn Jahre lang, von 1993 bis 2010 war Kirsan ILJUMSCHINOW Oberhaupt der Republik - ein Oligarch der ersten Stunde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. ILJUMSCHINOW waltete aber noch eines anderen Amtes in dieser Zeit: Präsident des Weltschachverbandes FIDE.
Versuche, ihn in dieser Funktion abzuwählen, scheiterten. Auch gegen den ehemaligen Weltschachmeister Garri KASPAROW, der gegen ihn antrat, konnte er sich durchsetzen. Korruptionsvorwürfe, die er mit dem Hinweise konterte, er habe während seiner Amtszeit 80 Millionen US-Dollar aus seinem Privatvermögen zur Förderung des Schachs ausgegeben, prallten regelmäßig an ihm ab. Aufgeben musste dann doch: Die US-Regierung verhängte im Jahr 2015 Sanktionen gegen ihn und seine von ihm geleitete Bank Russian Financial Alliance Bank (RFA Bank), über die er Öl des IS an Syrien verkaufte. Eines seiner weiteren Geschäftfelder: ILJUMSCHINOW hält sich eine Wochenzeitung: die Nowy Wsgljad (Новый Взгляд), zu deutsch: Neue Sicht.
1998 scheint die Wochenzeitung Neue Sicht eine Konkurrentin weniger zu haben. Die Chefredakteurin und Mitgründerin der kritischen Zeitung namens Sovetskaja Kalmykya Segodnya (SKH) wird auf brutale Weise ermordet: Larissa JUDINA. Sie hatte die ganzen Jahre kritische Fragen an die Behörden gestellt, Rechtsstaatlichkeit angemahnt, die Willkür der Behörden immer wieder angeprangert.
Die Mörder von Larissa JUDINA werden gefunden: Es sind zwei Asssistenten des amtierenden Präsidenten ILJUMSCHINOW. Die Mörder werden auch verurteilt. Aber den oder die Auftraggeber kann (oder will) die Polizei nicht ermitteln.
Die Zeitung Sovetskaja Kalmykya Segodnya, die 1991 von Larissa und Genadij JUDIN gegründet wurde und seit 1995 von der Russischen Journalistenunion finanziell mitgetragen wird, gibt nicht auf. 2007 wird Valerj BADMAJEW Chefredakteur. Er ist seit 1994 dabei, führt das Konzept von Larissa JUDINA weiter. Jetzt unterstützt auch Jabloko die Zeitung.
Sehr zum Missfallen der Behörden und der Politik. 2010 dann eine Art Putsch. Vertreter der Kommnistischen Partei nutzen die Situation und versuchen den ehemaligen Ehemann von Larissa, Genadij JUDIN, zu ködern, das Konzept der Zeitung inhaltlich zu (ver)drehen. Darauf steigt die Russische Journalistenunion als Mitbegründerin aus - die Zeitung ist am Ende. Die letzte Onlineausgabe vom 30. September 2010 ist noch online erhalten: http://sovkalm.narod.ru.
Diesesmal ist es Valery BADMAJEW, der nicht aufgibt. Er übernimmt das Logo der alten Zeitung, gründet eine neue: Sovremennaja Kalmykia - Modernes Kalmykien. Weil es keine Finanzierung gibt und einige journalistische Mitstreiter ohne Honorar arbeiten, kann auch die Nachfolgerin kostenlos verteilt werden: zwischen 3.000 und 5.000 Exemplare werden 5 bis 6 Mal im Jahr abgesetzt.
Zum Konzept teilt uns BADMAJEW dies mit:
"Wir schreiben über das, was wir wissen, bringen die Informationen an unseren Leser, die die Behörden verstecken. Wir demaskieren Beamte, Polizisten und Ermittler. Wir veröffentlichen kritische Artikel über die Vertreter der Behörden (Kalmykisch und Russisch) - unabhängig von ihrer Position. Wir veröffentlichen Texte über die Lage der ethnischen Kalmücken, die Gleichgültigkeit und Untätigkeit der republikanischen Regierung in dieser Hinsicht."
Die Arbeit gestaltet sich schwierig. Doch hin und wieder gibt es auch 'politisch-juristische' Erfolge. 2014 wurde die erste Ausgabe neuen Zeitung von der Polizei beschlagnahmt. Grund: Ein Artikel eines ukrainischen Hochschullehrers aus Kiew, der die russische Invasion auf der Krim verfurteilt hatte. BADMAJEW zog vor Gericht. Und gewann. Das kalmykische Innenministerium musste die Kosten der beschlagnahmten Auflage ersetzen.
2004 wurde die Zeitung mit dem Ebelin und Gerd Bucerius-Preis "Freie Presse Osteuropa" der ZEIT-Stiftung ausgezeichnet.