Die ungeklärten Widersprüche
Die Aussagen von PK B und POK S, welche beide die Anzeige gegen RG gestellt haben, sind im Vergleich untereinander teilweise äußerst widersprüchlich:
- Dabei sind die Aussagen von POK S an sich als schlüssig und frei von Widersprüchen zu bewerten. Man merkt schnell, dass hier ein erfahrener Polizist am Werke ist, der vermutlich schon häufig eine Zeugenaussage zu Protokoll gegeben hat.
- Komplett anders sieht es bei den Aussagen von PK B aus. Von Anfang an fällt auf, dass die junge Polizistin relativ unerfahren ist und wohl noch nicht sehr häufig eine Zeugenaussage abgegeben hat. Sie verheddert sich häufig in Widersprüche und hat einige Gedächtnislücken. Kontrastierend im Vergleich zu POK S ist auch der recht einfache Schreib- und Sprachstil, den PK B während ihrer Zeugenaussagen offenbart. Man hat beim Lesen nicht den Eindruck, dass es sich hierbei um die Aussage einer erfahrenen Polizistin handelt.
Die frappierendsten Widersprüche der beiden Polizisten sind beim Tathergang in der Gewahrsamszelle festzustellen:
1) Handfessel
- PK B ist sich nicht sicher, ob MM bereits eine Handfessel trug, als sie und POK S die Zelle betraten (Polizeipräsidium)
- POK S hingegen ist sich von Anfang an sicher, dass MM eine Handfessel trug. Auffallend hierbei ist, dass POK S erst nach PK B die Zelle betritt und vermutlich zunächst die schlechtere Sicht auf das Tatgeschehen hatte (Polizeipräsidium, vor Gericht)
2) Klatschendes Geräusch
- PK B sagt aus, dass „man am Tresen laute Stimmen und ein klatschendes Geräusch gehört hat“ (vor Gericht)
- POK S hat in seinen Aussagen nie ein klatschendes Geräusch erwähnt, welches er vom Tresen aus wahrgenommen hat. Er sagt lediglich, dass PK B und er nach kurzer Zeit (etwa 2-3 Minuten) vom Wachhabenden am Tresen aufgefordert wurden, in der Zelle nach dem rechten zu sehen
(vor Gericht)
3) Faustschlag a)
- PK B sagt auf dem Polizeipräsidium aus, dass RG und MM zunächst ruhig im Raum gestanden haben und RG ohne triftigen Grund MM geschlagen haben soll. MM soll daraufhin „Der hat mich geschlagen, der hat mich geschlagen, ich erstatte Anzeige!“ gerufen haben. Danach habe RG ihm ein weiteres Mal in das Gesicht geschlagen. Vor Gericht erwähnt PK B nicht, dass MM entsprechendes gerufen haben soll. PK B sagt ebenfalls aus, dass POK S beim betreten der Zelle „Ey, der blutet“ ausgerufen hat. Diese Aussage wurde von POK S jedoch nie bestätigt (Polizeipräsidium)
- POK S hingegen hat ausgesagt, dass RG sofort und ebenfalls ohne triftigen Grund in das Gesicht von MM geschlagen haben soll und dieser daraufhin zu Boden gegangen sei. Auf dem Boden liegend soll RG ein weiteres Mal in das Gesicht von MM geschlagen haben. Erst danach ruft MM aus, dass er Anzeige erstatten werde. POK S macht jedoch keine Angabe darüber, dass RG ihn danach ein weiteres Mal geschlagen hat (Polizeipräsidium, vor Gericht)
4) Faustschlag b)
- PK B ist sich zunächst nicht sicher, ob RG mit der flachen Hand oder mit der Faust geschlagen hat. (Polizeipräsidium)
- POK S ist sich von Anfang an sicher, dass es sich um Faustschläge gehandelt habe und sagt dies auch aus. (Polizeipräsidium, vor Gericht)
- PK B legt sich erst nach der Aussage von POK S auf Faustschläge fest.
(OSA L, vor Gericht)
5) Faustschlag c)
- PK B sagt auf dem Polizeirevier aus, das sie zwei Schläge beobachtet habe, die RG in das Gesicht von MM abgegeben haben soll. (Polizeipräsidium)
- Bei der staatsanwaltlichen Vernehmung bei OSA L ist sie sich zunächst sicher drei Schläge beobachtet zu haben. Der erste Schlag soll im Stehen, der zweite im zu Boden sacken und der dritte Schlag auf den nun am Boden liegenden MM ausgeführt worden sein. (OSA L)
- Auf Nachfrage von OSA L ändert PK B ihre Aussage schließlich dahingehend, dass sie jetzt nur noch zwei statt drei Schläge sicher bestätigen kann.
(Auf Nachfrage bei OSA L)
- POK S ist sich von Anfang an sicher, dass MM nur zwei Mal von RG geschlagen worden ist. Der erste Schlag fand im Stehen statt, der zweite dann während des Niedersackens ob des ersten Schlages (Polizeipräsidium, vor Gericht)
Einen vollständigen Überblick über alle Aussagen aller Beteiligten (die anzeigenden und die beschuldigten Polizisten) bezüglich
- den einzelnen Vorfällen
- nach Tathergang im Detail und
- zeitlich geordnet nach den ermittelnden Instanzen
- im Wortlaut und zusammengefasst
finden Sie hier nochmals als PDF in einer Synopse der ungeklärten Widersprüche.
(CJI)
Online am: 07.10.2015
Inhalt:
- Die Geschichte eines potenziellen Justizirrtums im Überblick
- Justizirrtum? Eine Chronologie aller Ereignisse
- ABC der Akteure
- Besichtigung des Tatorts in Dortmund
- Die ungeklärten Widersprüche
- Was es mit dem Schockschlag auf sich hat
- Im Zweifel gegen den Angeklagten?
- Das Problem von "A"bschleppdiensten und "B"eziehungen
- Wo und wie bei der Polizei das Thema "Korruption" wahrgenommen wird
- Die Urteile
Tags:
Dortmund | richterliche Willkür | Kündigung | Polizei | Petitionsrecht | Schweigekartell | Staatsanwalt | Justiz | Korruption | Nordrhein-Westfalen