Die Berichte der Frankfurter Rundschau, 01.12.2007

von Jörg SCHINDLER

"Unicef schwelgt im Luxus"

Sie haben vom "System Unicef" gesprochen. Was meinen Sie?
Das System Unicef ist das System der UN-Agenturen insgesamt. Ich meine damit, dass die UN-Hilfsorganisationen seit 25 Jahren behäbig geworden sind und sich von der Arbeit für die Menschen in Not entfernt haben. Ich habe am 13. Mai 1980, ich weiß den Tag noch genau, Menschen erlebt, die mit uns in Nord-Somalia Zelte aufgebaut haben. Das waren Leute von Unicef und vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Diese Leute gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch Leute in Büros, die Arbeit und Geld verteilen – unter Einbehaltung von 15 bis 20 Prozent.
Aber Unicef und das UNHCR sind doch in Krisengebieten tätig und stoßen dort Projekte an.
Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Beim Erdbeben im pakistanischen Teil von Kaschmir sind wir vor eineinhalb Jahren mit anderen kleinen Organisationen hoch in die Berge gegangen. Das war 2100 Meter hoch, da kamen wir zum Teil nur mit Eseln und Pferden hin. Dort oben haben wir dann geholfen, ein Dorf wiederaufzubauen. Als wir wieder runtergingen, kamen wir durch eine Ortschaft, da habe ich zweimal hintereinander einen klimatisierten Wagen gesehen, in dem eine vornehme Dame von Unicef saß, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Das ist alles immer sehr sauber bei denen. Diese Wagen werden selbst in Gebieten, in denen es extremen Wassermangel gibt, jeden Morgen gewaschen. Anders, heißt es bei denen, könnten sie nicht arbeiten.

Warum sollten Leute, die Gutes tun, es sich nicht auch gut gehen lassen?
Ich habe eine Vorstellung von dieser Arbeit, die von vornherein anders ist. Niemand wird gezwungen, zu den Habenichtsen und Schmuddelkindern zu gehen. Es muss auch keiner etwas spenden. Das ist ja das Schöne an der Sache, dass das alles total freiwillig ist. Wenn ich mich aber entschließe, in Krisengebiete zu gehen, dann muss ich mich mit den Menschen in den anderen Kulturen auch ein wenig gemein machen. Andernfalls verliere ich meine Legitimation.
Das ist eine Sicht …
Ich will Ihnen noch ein Beispiel nennen: Nachdem es im Kosovo zum Friedensvertrag gekommen war, bestanden die UN-Organisationen allen Ernstes darauf, dass die Albaner erst mal drei Wochen lang nicht zurückkommen.
Sie werden ihre Gründe gehabt haben.
Ja, die haben in Flugblättern gesagt, dort gebe es noch jede Menge nicht explodierte Sprengkörper und Minen, was natürlich fataler Unfug war. Tatsächlich waren die eigenen Quartiere, die natürlich die wichtigsten sind, noch nicht fertig. Das klingt wie ein schlechter Scherz, aber es war so.
Würden Sie sagen: Je größer die Organisation, desto größer die Gefahr der Entfremdung von der eigentlichen Arbeit?
Nein. Es liegt nicht an der Größe. Das Entscheidende ist die Unbedingtheit, mit der man das, was einem anvertraut wurde – sei es vom Spender oder vom Steuerzahler – dorthin bringt, wo es die Menschen am dringendsten brauchen. Wenn man sich dieser Unbedingtheit selbst sicher ist, kann man auch mit Hunderten von Millionen gute Arbeit machen. Das Problem beginnt mit dem Schritt in die Luxusbürokratie. Die Frage von Managergehältern betrifft hierzulande ja nicht nur reine Wirtschaftsunternehmen. Wir haben eine Hilfs-Industrie, die ist in Grenzen nötig. Aber es gibt eben auch eine Wohlstands-Hilfsindustrie – und die beklage ich.
Beklagen Sie das nicht auch, weil Unicef andere Möglichkeiten hat, auf sich aufmerksam zu machen, als Ihre Grünhelme?
Nicht dass da ein falscher Zungenschlag reinkommt: Ich sage das alles nicht aus Neid. Es ist natürlich legitim, mit guten, großen Namen zu arbeiten, wie Unicef das tut. Wir tun das ja auch im Kleinen, wir sind ganz stolz, Dieter Hildebrandt in unserem Förderverein zu haben. Entscheidend ist aber die Frage: Mache ich eine Arbeit, die auf Effektivität und Börsenkurse schielt, oder versuche ich, in aller Bescheidenheit Menschen aus der absoluten Armut zu holen? Ich finde, man sollte vor den Habenichtsen nicht demonstrativ seinen Wohlstand zur Schau stellen. Wenn ich DEN Anspruch nicht mehr habe, habe ich verloren.
Sind die Vorfälle bei Unicef für Sie auch ein Auswuchs der Wohlstands-Hilfsindustrie?
Kann sein. Ich bin da aber vorsichtig. Ich möchte nicht einzelne Personen kritisieren. Ich weiß zum Beispiel von meinem guten Freund Reinhard Schlagintweit, der lange Jahre Unicef-Vorsitzender war, wie zutiefst betrübt er über diese ganze Sache ist. Das ist jemand, der immer bescheiden geblieben ist.
Das ist nicht jedem gegeben.
Das ist es nicht, nein. Aber für solche Leute tut es mir leid. Unicef sollte sich jetzt am Riemen reißen und die Sache klären. Vielleicht ist das ja auch ein Anlass, mal zu einer Reform auszuholen. Denn die UN-Organisationen sind ja nicht entbehrlich. Aber besser wäre es, sie würden nicht mehr mit Saus und Braus im Geldsegen schwimmen und nicht nur Statistiken und Studien machen. Die sollten sich auch mal wieder anstrengen müssen.