Der Schlichterspruch von Heiner GEIßLER

Heiner GEIßLER betont, dass durch die Ergebnisse der Schlichtung "keine rechtliche Bindung entstehen konnte, wohl aber eine psychologische und politische"...

Kernpunkte des Schlichterspruchs

  • Einigung auf eine Vorfinanzierung des Bundes und der Länder Baden-Württemberg und Bayern (Neu-Ulm 21)
  • Genehmigung des Projekts Stuttgart 21 durch den Aufsichtsrat am 14. März 2001
  • Dadurch wurde der Weg für die Einreichung der Planfeststellungsunterlagen geebnet
  • In den nächsten Jahren wurde das Projekt von allen zuständigen parlamentarischen Gremien mehrheitlich gebilligt und somit legalisiert
  • Widerstand Stuttgart 21 mit Höhepunkt 2010 mit 60.000 Protestlern
  • Vertrauenskrise der Politik
  • Kritik an der Art und Weise des Zustandekommens und der Durchführung des Großprojekts
  • Die Schlichtung soll das verlorengegangene Vertrauen in die Demokratie wiederherstellen. Durch die Schlichtung wurde etwas nachgeholt, was schon vor vier oder fünf Jahren hätte stattfinden sollen. Diesen Fehler konnte die Schlichtung allerdings nur teilweise reparieren

 

Erfolg der Schlichtungsrunden

  • Gegner und Befürworter setzen sich an einen Tisch und tauschen Argumente aus (noch vor zwei Monaten unvorstellbar gewesen)
  • Gegner haben bewiesen, dass Sie für ihren Protest gute Gründe haben
  • Faires Gegenüber: Land Baden-Württemberg hat alle Gutachten der Gegner und Befürworter übernommen entgegen dem Vorwurf "die da oben machen was sie wollen"
  • Voraussetzung Fakten auf den Tisch: Faktencheck ist weitestgehend gelungen. Aber: Zurückhalten von Details zur Finanzierung des Projekts wegen der Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen bei den Ausschreibungen. Durch das Einsetzen von Wirtschaftsprüfgesellschaften wurde der Mangel aber weitestgehend behoben
  • Hauptgründe des Misstrauen gegenüber der Politik und Wirtschaft: Undurchschaubarkeit der Vorgänge. Die Schlichtungsrunden sind dagegen betont transparent
  • In Presse und Parlamenten und Regierungen außerhalb Baden-Württemberg wurde die Frage gestellt: Dürfen die Bürger in Zukunft der Regierung nachträglich "in die Parade fahren" und dadurch die repräsentative Demokratie gefährden? Die Demokratie erlebt einen Wandel. Soziale Netzwerke und Plattformen verändern die Demokratie. Parlamentsbeschlüsse werden immer wieder hinterfragt, vor allem wenn es Jahre dauert, bis sie realisiert werden. Sie müssen immer wieder begründet und erläutert werden. Doch die Fristen zwischen Planung und Realisierung von Großprojekten sind viel zu lang. Die Öffentlichkeit muss nach Paragraph 3 des Baugesetzbuches über Pläne und Alternativen frühzeitig informiert werden. Alternativen müssen offiziell ermöglicht und geprüft werden: Eines der größten Schwachpunkte von Stuttgart 21


GEIßLER beschreibt das Schweizer Beteiligungsverfahren als Vorbild für die Durchführung von Großprojekten: Nach jedem Schritt der Planung, der Entwicklung und der Realisierung gibt es eine Abstimmung mit der Möglichkeit zu Alternativen.

Kompromiss anhand der gegebenen Situation zwischen Kopf- oder Durchgangsbahnhof nicht mehr möglich

Der ursprüngliche Plan von Professor HEIMERL, die Sanierung des Kopfbahnhofs mit Bau eines viergleisigen Durchgangsbahnhofs plus Anschlusstunnel zur Neubaustrecke und Abzweigung zum Flughafen, wäre ein Kompromiss gewesen. Diese Variante war aber bereits nach dem Raumverordnungsverfahren 1996/97 von der Bahn genauso wenig aufgegriffen worden wie die sogenannte Lean Variante K21.

Ein Kompromiss, sagt GEIßLER, sei heute auch deshalb nicht möglich, weil sich die Politik vor der Landtagswahl der beiden Bahnhöfe bemächtigt habe. Die CDU ist offiziell für Stuttgart 21 während die Grünen per Parteitagsbeschluss dagegen sind und für K21. Bei dieser Sachlage, betont GEIßLER, wäre für ihn eine Bürgerbefragung das einfachste gewesen. Eine Bürgerbefragung in Stuttgart wäre nur unter der Voraussetzung möglich, dass während des Baus von Stuttgart 21 eine Beteiligung der Stadt an Mehrkosten gefordert würde. Das ergibt sich aus dem Beschluss des Gemeinderats vom 29. Juli 2009. Ein Bürgerentscheid zu der Grundsatzfrage Stuttgart 21 "Ja oder Nein" ist dagegen rechtlich unzulässig. Die Deutsche Bahn ist nicht verpflichtet, gemäß dem Ergebnis einer solchen Bürgerbefragung zu handeln. Gesetzlich gebunden ist der der Vorstand der Bahn dagegen daran, den Schaden für das Unternehmen, der durch einen Baustopp entstehen würde, abzuwenden.


Schlussfolgerungen für die Zukunft

Geißler empfiehlt der Bahn Konsequenzen aus den Risikohinweisen und Verbesserungsvorschlägen der Gegner zu ziehen. Diese betreffen vor allem:

  • die Knappe Dimensionierung des Tiefenbahnhofs mit nur acht Gleisen, bedenkt man die kalkulierte Zunahme des Personenverkehrs
  • den zweigleisigen Ausbau weiterer Strecken im Bereich des Flughafens und der sogenannten Wendlinger Kurve
  • die Beseitung des Engpasses zwischen Zuffenhausen und dem Tiefbahnhof
  • Notwendigkeit von kreuzungsfreihen Einfahrten in den Tiefbahnhof

Dennoch hält Geißler die Weiterführung von Stuttgart 21 für sinnvoll. K21 sei zwar eine durchaus attraktive Alternative, jedoch gibt es auch hier konkrete Nachteile. Die Verwirklichung des Kopfbahnhofes sei nicht realisierbar, da weder ausreichende Planung und Planfeststellungen oder Baugenehmigungen vorliegen. Die Finanzierungsgrundlage ist daher nicht gegeben. Die Kosten für einen Kopfbahnhof 21 wurden ohnehin sehr unterschiedlich eingeschätzt. Für Stuttgart 21 gibt es dagegen eine Baugenehmigung. Die Deutsche Bahn hat somit das Baurecht für Stuttgart 21.

Der Bau von Stuttgart 21 käme nur dann nicht zu Stande, wenn die Bahn freiwillig verzichten würde. Das kommt allerdings für die Bahn nicht in Frage. Viel zu hoch seien die Kosten bei einem Ausstieg. Während Gegner diese Kosten auf 600 Millionen beziffern, spricht die Bahn von 2,8 Milliarden Euro. Drei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben diese Frage einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Eine beziffert die Kosten auf rund 1 Milliarde Euro, die beiden anderen gehen sogar von 1,5 Milliarden Euro aus. Insgesamt haben die Plausibilitätsprüfungen der Kosten zwar Risiken aufgezeigt, dennoch aber keinen ausschlaggebenden Anhaltspunkt dafür gebracht, das Projekt aus Kostengründen zum jetzigen Zeitpunkt noch zu stoppen. Die Vorteile vor allem im Regional- und Nahverkehr sind in den Schlichtungsrunden nochmal ausführlich dargestellt worden und überwiegen.

Verbesserungen ja, Baustopp nein

Heiner Geißler betont, dass er Stuttgart 21 nur dann befürworten könne, wenn entscheidende Verbesserungen an dem ursprünglichen Projekt vorgenommen werden. Der Tiefbahnhof hat nur dann einen Sinn, wenn die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm realisiert wird.

 

Im Schlichterspruch verkündete Verbesserungen und Änderungen

  • Die durch den Gleisabbaufreiwerdenden Grundstücke werden der Grundstückspekulation entzogen und einer Stiftung überführt. Ziele der Stiftung: Die Erhaltung einer Frischluftschneise in der Stuttgarter Innenstadt. Die übrigen Flächen müssen familien- und kinderfreundlich und ökologisch genutzt und zu erschwinglichen Preisen bebaut werden
  • Die Bäume im Schloßgarten bleiben erhalten. Es dürfen nur diejenigen Bäume gefällt werden, die ohnehin wegen Krankheit beziehungsweise Altersschwäche absterben würden. Wenn gesunde Bäume durch den Umbau gefährdet sind, werden sie umgepflanzt
  • Die Gäubahn bleibt erhalten
  • Im Bahnhof selbst wird die Verkehrssicherheit verbessert. Die Durchgänge müssen aus dem Grund einer verbesserten Barrierefreiheit verbreitert werden
  • Der Brandschutz im Bahnhof und in den Tunnels muss verbessert werden
  • Verbesserung des Streckennetzes: Erweiterung des Tiefbahnhofs um ein neuntes und zehntes Gleis. Außerdem Ausbau einer zweigleisigen westlichen Anbindung des Flughafens