Die vielen Berichte der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) 2005 bis 2007, 01.12.2005
von Ulrich Wangemann
Der Teigmantel des Schweigens
Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) , 01.12.2005
BRANDENBURG/HAVEL „Wir haben nichts zu verbergen – Sie können sich gern in der Firma umschauen“ – so trat Wolfgang Balczynski, Betriebsleiter der Fleischfabrik Disselhoff Sachsenkrone in Brandenburg/Havel, am vergangenen Donnerstag vor die Öffentlichkeit und führte Journalisten durch die Werkshallen. Die Botschaft der Aktion: Schauen Sie her, alles in Ordnung! Und das städtische Veterinäramt stellte die gemeinsam mit dem Fleischproduzenten anberaumte Veranstaltung sogar unter den Slogan: „Nie waren unsere Lebensmittel sicherer als heute!“
Es galt, einen bösen Verdacht auszuräumen: Angestellte hatten berichtet, der Betrieb, der auch die Gelsenkirchener Skandalfirma Domenz beliefert hat, wo verdorbenes Fleisch beschlagnahmt worden war, handele ebenfalls mit verdorbenem Fleisch, manipuliere Verfallsdaten, trickse die Behörden aus.
Was man bei dem einstündigen Rundgang nicht zu sehen bekam, war Fleisch. Die Produktionsanlagen standen still, nur einige Arbeiter saßen noch in der Cafeteria. „Die haben eigentlich schon Feierabend – ich habe sie nur da behalten, falls Sie noch Fragen haben“, erklärte Balczynski. Disselhoff Sachsenkrone – ein Vorbild an Transparenz?
Was eine Disselhoff-Angestellte der MAZ berichtet, passt schlecht in dieses Bild: „Die Schicht war überhaupt nicht zu Ende, es war noch tonnenweise Schweinenacken zu verpacken – wir mussten das am Sonnabend nacharbeiten.“ Der Chef habe die Order ausgegeben: Aufräumen, neue Kittel anziehen! Das Haus sollte also besuchsfein sein.
Nach Angaben der Angestellten hat sich kurz danach aber Folgendes abgespielt: Am Dienstag hatte das städtische Veterinäramt nach eigenen Angaben Proben einiger Tiefkühlprodukte genommen, die bereits seit Ende 2003 / Anfang 2004 in der Eishalle lagern. Genau diese Ware, so berichtet die Frau, ließ die Geschäftsleitung tags darauf entsorgen.
Zu verbergen gibt es in der grauen Halle am Stadtrand offenbar einiges. Der MAZ liegt ein Lieferbeleg von 2003 vor, auf dem der Eingang einer Tonne Schinken in Blätterteig verzeichnet ist – ein Discount-Markt hatte sie beanstandet und zurückgehen lassen. Bemerkung des Disselhoff-Lagerarbeiters: „Kunde hat Ware zurückgeschickt, nicht i. O. (ist hochgegangen).“ Das reklamierte Schweinefleisch war demzufolge nicht in Ordnung (i.O.), die Verpackung hatte sich gewölbt. Darunter steht mit einer etwas anderen Schrift: „Wurde umgepackt“, also neu eingeschweißt. Unterschrieben hat den Vorgang Betriebsleiter Wolfgang Balczynski.
Das Landeskriminalamt hat seine Untersuchungen inzwischen weitgehend beendet. Die Staatsanwaltschaft Potsdam wird nach Angaben ihres Sprechers Benedikt Welfens aber noch einige Personen vernehmen. Nach unbestätigten Angaben waren vorgestern Kriminalbeamte in der Firma.
Online am: 01.12.2005
Aktualisiert am: 03.01.2016
Inhalt:
- Gammelfleisch. Das immerwährende Problem: zuviele Betrüger, zu wenig Whistleblower
- 1 Informant und 2 Medien, die kooperieren. Im Visier: der Tönnies Konzern
- Ein anderes Beispiel: Miroslaw Strecker, ein couragierter LKW - Fahrer
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Arbeitsgericht | Gammelfleisch | Ernährung | Qualitätskontrolle | Staatsanwalt | Betrug | Courage
Whistleblower
Dies ist die Geschichte eines Whistleblowers
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