Die vielen Berichte der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) 2005 bis 2007, 19.12.2005
von Ulrich Wangemann
Gute und vergammelte Scheiben
Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) , 19.12.2005
Im Skandal um Gammel-fleisch aus dem Schmerzker Betrieb Disselhoff Sachsenkrone gibt es neue belastende Aussagen. Eine ehemalige Fließbandangestellte berichtete der MAZ von verdorbener Ware, die sie auf Geheiß eines Vorgesetzten habe verpacken müssen.
„Wir mussten jedes Mal eine gute Scheibe nehmen und eine vergammelte und einpacken, wer das nicht wollte hat einen Anpfiff bekommen“, sagte die 42-jährige Monika Makus der MAZ. Sie habe auch gesehen, wie Maden aus einer Maschine gekrochen seien.
Sogar mit Eiter verunreinigte Ware sei verarbeitet worden. Unter den Mitarbeitern habe man gewitzelt, das Fleisch könne „von allein in die Maschinen laufen“.
Ihr Ehemann Lutz Makus erinnert sich an angenagtes Fleisch, an dem Rattenköttel geklebt haben sollen. Er habe die Stellen rausschneiden oder abwaschen müssen, um die Ware anschließend in die Hackmaschine zu geben. Von „braunen Stellen und Gefrierbrand“ berichtet Michael Behrendt, der einen Tag lang im Auftrag einer Zeitarbeitsfirma Fleisch auspackte.
Konzernchef spricht von „Kampagne“
Das „eklige Zeug“, so Behrendt, sei wieder neu verpackt worden. Lieferungen mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum – zum Teil bis zu drei Monaten – seien umetikettiert worden. Behrendt beschwerte sich bei seinem Chef: „Solche Ware kauft meine Familie im Supermarkt – ich mache da nicht mehr mit.“
Erstmals hat sich Konzern-Chef Clemens Tönnies zu den Vorfällen in Brandenburg geäußert. „Es ist eine Kampagne, die aus dem Arbeitnehmerbereich kommt. Bei Disselhoff ist alles in Ordnung, da wird auch kein Gammelfleisch umetikettiert, sondern wir handeln dort gesetzeskonform“, äußerte Tönnies auf Nachfrage.
Der Unternehmer, der Aufsichtsratsvorsitzender beim Fußball-Erstligisten Schalke 04 ist, forderte ein hartes Vorgehen gegen unsaubere Praktiken: „Man muss die schwarzen Schafe rausventilieren und drakonisch bestrafen, dafür bin ich!“ Unterdessen wurde bekannt, dass Disselhoff den Kühlhausmeister fristlos entlassen hat, der dem örtlichen Veterinäramt im Sommer von Unregelmäßigkeiten im Betrieb berichtet hatte. Gehen musste auch eine weitere Mitarbeiterin.
Tönnies ist der zweitgrößte deutsche Fleischkonzern und beliefert die größten Supermarkt- und Discounter-Ketten. In Brandenburg beschäftigt er rund 35 Menschen, in der Grillsaison sind es mehr als 200.
Amtstierarzt Knut Große hat inzwischen auf Anfrage mitgeteilt, dass sein Amt bei Hunderten von Kontrollen so gut wie keine eigenen Fleischproben genommen habe: Die Behörde prüfe in erster Linie Papiere, die das Unternehmen ihr zur Verfügung stellt.
Online am: 19.12.2005
Aktualisiert am: 03.01.2016
Inhalt:
- Gammelfleisch. Das immerwährende Problem: zuviele Betrüger, zu wenig Whistleblower
- 1 Informant und 2 Medien, die kooperieren. Im Visier: der Tönnies Konzern
- Ein anderes Beispiel: Miroslaw Strecker, ein couragierter LKW - Fahrer
Tags:
Arbeitsgericht | Gammelfleisch | Ernährung | Qualitätskontrolle | Staatsanwalt | Betrug | Courage
Whistleblower
Dies ist die Geschichte eines Whistleblowers
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