Lastenausgleich für Ariseure

Vorbemerkung

Der vorliegende Text fasst einen Teil der Studie „Zweierlei Maß – Lastenausgleichsverfahren über in der NS-Zeit gekaufte oder verkaufte Vermögenswerte“ zusammen, die im Frühjahr 2023 im Nomos Verlag erschienen ist.

In dieser Untersuchung werden erstmals Lastenausgleichszahlungen der Bundesrepublik für arisierte Firmen und Immobilien in den ehemaligen deutschen Ostgebieten an exemplarischen Beispielen recherchiert. Diese bemerkenswerte Lücke der NS-Forschung ist sicher auch dem Umstand geschuldet, das die Bestände des Lastenausgleichsarchivs Bayreuth nicht aufgearbeitet sind, so dass eine thematische Recherche und damit eine systematische Untersuchung nicht möglich ist.

Recherche und Text Ursula TÖLLER, u.toeller@t-online.de

Diese Site lässt sich direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Lastenausgleich-Ariseure


Hintergrund der Geschichte und der Recherchen

Zur Zeit arbeite ich an einer Dokumentation über die Arisierung der einzelnen Kaufhäuser des „Conitzer Konzerns“, die in Städten der ehemaligen deutsche Ostgebiete bzw. auf dem Territorium der DDR ansässig waren. Auch in diesen Fällen werden die einzelnen Kaufhäuser nicht von einzelnen Personen arisiert, sondern „Netzwerke“ bestehend aus fünf bis zehn Personen gingen systematisch ans Werk. Unter ihnen finden sich so schillernde Namen wie beispielsweise Helmut HORTEN.

In den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnten Holocaust - Überlebende Verluste an Immobilien - und Betriebsvermögen gegenüber der Bundesrepublik nur dann geltend machen, wenn sie ihren Wohnsitz zum Zeitpunkt der Enteignung auf westdeutschem Gebiet hatten. Mit dieser Entschädigungsregulierung der Bundesrepublik ging der überwiegende Teil der Überlebenden leer aus, da sie ihren Wohnsitz vor der Deportation oder Flucht in ausländischen Staaten oder Territorien hatten, die nach Kriegsende nicht mehr zum Gebiet der Bundesrepublik gehörten.

Zu entscheidenden Gesetzesänderungen kam es erst zu Beginn der fünfziger Jahre auf Drängen der „Claims Conference“, die die Interessen der außerhalb Israels lebenden Holocaust - Überlebenden vertrat. Zunächst hatte die Bundesrepublik die Entschädigungsansprüche Überlebender mit der Begründung an ihre Heimatstaaten verwiesen, dass Reparationsabkommen geschlossen seien bzw. in Kürze geschlossen würden, die die entstandenen Schäden pauschal abgelten würden.

Besonders die Ansprüche der Verfolgten, die ehemals in einem ost - oder mitteleuropäischen Staat gelebt hatten, drohten unter den Tisch zu fallen. Bereits bei ersten direkten Verhandlungen im März 1952 forderten die Delegierten von den politischen Vertretern der Bundesrepublik eine Erweiterung des Wiedergutmachungsgesetzes, erfuhren jedoch gegen eine derartige Ausweitung zunächst sehr viele Widerstände, da enorme wirtschaftliche Belastungen befürchtet wurden, und die finanziellen Ansprüche der Vertriebenen nun mit denen der Holocaust - Überlebenden in Konkurrenz zu treten drohten. Andererseits ließen sich die Forderungen der „Claims Conference“ nicht zurückweisen, wenn die ethnischen Deutschen, die aus eben diesen Gebieten stammten und vertrieben worden waren, nach dem Lastenausgleichsgesetz entschädigt wurden. In der Umsetzung hatte dieses Gesetz zur Folge, dass ein und das selbe Objekt unter Umständen doppelt entschädigt wurde, sowohl an den Verfolgten als auch den Erwerber.

Der Lastenausgleich wurde als außerordentliche Solidarleistung der neu gegründeten Bundesrepublik verstanden, in den nicht nur staatliche Finanzmittel eingingen, sondern auch privatwirtschaftliche Mittel von denjenigen, die kaum oder keine Kriegsschäden erfahren hatten. Dieses hoch gelobte Solidarmodell sollte denjenigen die Möglichkeit für finanzielle Entschädigungen eröffnen, die aufgrund von Krieg und Vertreibung ihre wirtschaftlichen Grundlagen verloren hatten.

Holocaust - Überlebende wurden zukünftig im Lastenausgleichsgesetz mit den deutschen Vertriebenen gleichgestellt, wenn für sie die Voraussetzung galt, dass, hätte der Holocaust nicht stattgefunden, die jüdische Bevölkerung von den Vertreibungsmaßnahmen gegen die Deutschen genauso betroffen gewesen wäre. Die Holocaust - Überlebenden erhielten einen Status der Quasivertriebenen, die 1945 ebenso wie die Deutschen vertrieben worden wären. Diese Regelung wurde 1956 gesetzlich verankert, sie implizierte allerdings auch, dass diese Gruppe der Überlebenden ein Bekenntnis zum Deutschtum nachweisen konnten.

In der Praxis bedeutete die Regel, die bereits 1953 im Bundesvertriebenengesetz festgehalten worden war, dass ein klares Bekenntnis zu Abstammung, Kultur, Sprache und Erziehung abgegeben werden musste, was für jüdische Antragsteller zukünftig zu erheblichen Schwierigkeiten führte. Sie sollten nun einen Nachweis erbringen, dass sie sich bei der in den osteuropäischen Staaten zwischen den Weltkriegen durchgeführten Volkszählungen zur deutschen Minderheit bekannt und vor ihrer Verfolgung ihre Zugehörigkeit zur deutschen Kultur erklärt hatten. Fehlende Bekenntnisnachweise führten dazu, dass nur aus diesem Grund schätzungsweise 17.000 Lastenausgleichsanträge von Holocaust - Überlebenden in Westdeutschland abgelehnt wurden.

Erzwungene Allianzen

Wenn von den Überlebenden das geforderte Bekenntnis zur deutschen Kultur erbracht werden konnte, bestand die Möglichkeit einer Antragstellung für die Entschädigung von Betriebs - und Immobilienvermögen. In einem gemeinsamen Verfahren mit dem Antrag auf Lastenausgleich des Ariseurs wurde nun die Höhe der Schäden zu ermitteln versucht, und möglicherweise gezahlte Beträge des Ariseurs an die jüdischen Eigentümer recherchiert. Da häufig Belege über Zahlungen, ausgehandelte Verträge oder Grundbuch- und Handelsregistereinträge fehlten, basierten die Schadensfeststellungen zumeist auf Zeugenaussagen, Einheitswert- und Steuerbescheiden.

Bis eine Vermögensfeststellung erreicht werden konnte, die dann auch von beiden Seiten anerkannt wurde, vergingen häufig Jahrzehnte, nicht selten waren die ursprünglich Betroffenen bis dahin bereits verstorben und die Erben, die mit den ehemaligen Umständen persönlich gar nicht vertraut waren, konnten gegen Bescheide schon aus diesem Grund keinen Widerspruch mehr einlegen. In einem Schriftsatz einer beteiligten Behörde hieß es zu diesem Problem: „Mit Rücksicht darauf, daß Entscheidungen im gemeinsamen Verfahren - (…) - besonders beschwerdeanfällig sind, bedarf es vor Bescheiderteilung einer allumfassenden Beweiserhebung.“ An anderer Stelle heißt es zu diesem Vorgehen: „Das (...) Vorliegen von Anträgen von Verfolgten und Erwerbern soll jeder Seite die Möglichkeit geben, sie benachteiligende Entscheidungen anfechten zu können. Bei Rechtsmittelverfahren können Änderungen zugunsten der einen Seite, Änderungen zu ungunsten der anderen Seite nach sich ziehen. Daher soll in solchen Fällen gleichzeitig über die Anträge beider Seiten entschieden werden mit der Maßgabe, daß die Unanfechtbarkeit beider Entscheidungen davon abhängt, daß kein Rechtsmittel eingelegt wird.

Der kurze Blick auf den Ablauf der Verfahren lässt erahnen, dass diese sich immer über einen sehr langen Zeitraum hinzogen, bis eine Einigung über die Höhe der Schäden erreicht werden konnte, die von beiden Parteien akzeptiert werden konnte. Voraussetzung war, dass alle Anspruchsberechtigten ihre Forderungen beantragten, also auch alle ehemaligen Anteilseigner einer Gesellschaft bzw. alle ihre Erbberechtigten, sofern die unmittelbar betroffenen Gesellschafter bereits verstorben waren.

Kaufhäuser werden zu "jüdischen Erfindungen"

Am Beispiel der Arisierung des Kaufhauses der Gebrüder LÖWENTHAL in Elbing/Westpreußen durch FRANZ JACOBI wird nachfolgend ein exemplarisches Beispiel der Entschädigungspraxis durch den Lastenausgleich dokumentiert. Alle nachfolgend genannten Details der Entschädigungsverfahren und des Lastenausgleichs basieren auf Recherchen in Originaldokumenten, die sich im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, im Lastenausgleichsarchiv Bayreuth, im Landesamt für Bürger und Ordnungsangelegenheiten/ Entschädigungsbehörde Opfer des Nationalsozialismus Berlin-Lichterfelde und im Landesarchiv der Stadt Berlin, das die Entschädigungsverfahren der Holocaust - Überlebenden archiviert, befinden.

Neben dem Lastenausgleichsverfahren war für die Eigentümer des Kaufhauses und ihre Erben ein eigenständiges Entschädigungsverfahren beim Entschädigungsamt Berlin anhängig über gezahlte Beträge wie die, für die Reichsfluchtsteuer, die Judenvermögensabgabe, ein zusätzlich fälliger Betrag für den eingerichteten Fond zur Auswanderung notleidender Juden (Graf Hellersdorf Spende)und die Zwangsabgabe an die jüdische Gemeinde in Berlin - um nur einige Zahlungen zu nennen, die zur Zerschlagung jüdischer Vermögen führten.

Das Kaufhaus war 1933 im gemeinsamen Besitz dreier Brüder, von denen zwei im operativen Geschäft tätig waren. Zu dem Zeitpunkt bestand das Kaufhaus seit 54 Jahren und war seit dem im Familienbesitz, ebenso wie das 1914 errichtete Geschäftsgebäude. Der Umsatz des Kaufhauses wurde mit 2.000.000,-RM jährlich angegeben. Es lässt sich nicht mehr recherchieren, wie hoch mögliche Umsatzrückgänge bedingt durch die Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre waren.

Sicher litt aber auch dieses Kaufhaus, wie alle Warenhäuser unter den 1929 beginnenden Boykottmaßnahmen, denn der NS-Ideologie galten Kaufhäuser als „jüdische Erfindungen“. Die gewalttätigen Störaktionen wurden initiiert von Gruppierungen der NSDAP die Namen trugen wie: „Kampfgemeinschaft gegen Warenhaus, Konsumvereine und Großfilialbetriebe“, „Arbeitsgemeinschaft deutscher Geschäftsleute“ oder „Kampfbund zur Erhaltung des deutschen Mittelstandes“.

Der Pressedienst des Einzelhandels beschrieb die Folgen der gewaltsamen Übergriffe: „Zertrümmerte Fensterscheiben, Ladeneinrichtungen...Tränengas-Bomben in Geschäften, Gewaltandrohungen und offene Boykottforderungen auf dem Wege anonymer Flugzettel: Der politische Kampf, der im Laufe des Sommers“ (gemeint ist das Jahr 1932) „teils schon Formen des latenten Bürgerkriegs angenommen hatte, scheint in ein Stadium zu geraten, in dem – unter der Maske der Politik – Gewaltmittel nicht nur gegen Andersdenkende, sondern auch gegen wirtschaftlich unbequeme Konkurrenten möglich werden.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde der 1.April 1933 zum Boykotttag erklärt, an dem die deutsche Bevölkerung mit großen Plakaten aufgefordert wurde, nicht bei Juden einzukaufen. HERMANN GÖRING hatte auf einer Rede am 10. März bereits gerufen, dass die Polizei keine „Schutztruppe jüdischer Warenhäuser“ sei. Wenn die Geschäfte an diesem Tag nicht ganz geschlossen blieben, zogen SA Truppen vor den Eingängen auf und hinderten Kunden daran, die Geschäfte zu betreten. Welche Maßnahmen im Kaufhaus der Gebrüder LÖWENTHAL an diesem Tag getroffen wurden, lässt sich nicht recherchieren.

Allerdings ist davon auszugehen, dass in einer Stadt wie Elbing bekannt war, dass die Eigentümer Juden waren. Hinzu kommt, dass der Gauleiter für Danzig-Westpreußen ALBERT FORSTER seinen Gau als ersten „judenfrei“ melden wollte. Zugleich begann eine abstruse Debatte über die Frage mit welchen Merkmalen sich Warenhäuser von Kaufhäusern unterscheiden ließen. In den als jüdisch geltenden Warenhäusern war nicht nur eine große Anzahl an Waren zu finden, sie waren auch zu Orten der Moderne geworden, an denen ein Lebensgefühl zum Verkaufskonzept wurde.

Nicht selten waren auch die Gebäude architektonisch stilbildend. Eine Revue, die 1928 in der „Komödie“ am Berliner Kurfürstendamm unter dem Titel „Es liegt in der Luft. 24 Bilder aus einem Warenhaus“ aufgeführt wurde, spiegelte den Reiz der modernen Konsumtempel. Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten begann ein unaufhaltsamer Umsatzrückgang oder der Zwang sich als „judenfrei“ zu deklarieren. Filialen in der Provinz, die von großen Kaufhauskonzernen, Firmen wie HERMANN TIETZ oder den Gebrüdern SCHOCKEN betrieben wurden, schlossen.

Für alle anderen Warenhäuser von jüdischen Besitzern kamen massive Einschränkungen hinzu. Alle Güter, die unmittelbar mit der nationalsozialistischen Ideologie verbunden waren, wie Volksempfänger, NS-Uniformen, aber auch Bezugsscheine von Fürsorgeempfängern, Berechtigungsscheine für Ehestanddarlehn durften nicht verkauft oder eingelöst werden.

Mit der Machtergreifung beginnt die Zerstörung jüdischen Vermögens

In dieser wirtschaftlich schwierigen Lage und häufig auch auf Druck von Kaufhausverbänden entschieden sich eine Vielzahl von Kaufhauseigentümern bereits 1933 zum Verkauf von Geschäftsanteilen und zum Rückzug aus der operativen Geschäftsführung. So auch die Eigentümer des „Kaufhaus am Elbing“. In den zwanziger Jahren hatten sie den Kaufhausbetrieb und ihren Grundstücks- und Immobilienbesitz in zwei getrennte Gesellschaften gegliedert. Vermutlich auf Vermittlung eines Kaufhausverbundes entstand der Kontakt zu FRANZ JACOBI aus Kassel, der dort als kaufmännischer Angestellter tätig war. Er wurde von den Gebrüdern LÖWENTHAL ab Juni 1933 als Geschäftsführer einer neu gegründet Gesellschaft eingestellt.

Das Kapital der Gesellschaft bestand aus 180.000,-RM, von dem JACOBI 1/3 erwarb, die übrigen 2/3 verblieben bei von der Familie LÖWENTHAL bestimmten Strohmännern. Da FRANZ JACOBI über kein persönliches Kapital verfügte, wurde ihm der Betrag von 60.000,-RM als Darlehn von den Gebrüdern LÖWENTHAL gegeben. Für die Nutzung der Betriebsgrundstücke sollte pro Jahr 4% des Umsatzes an die LÖWENTHALIMMOBILIENGESELLSCHAFT gezahlt werden.

Im gesamten Lastenausgleichsverfahren bleibt strittig, ob JACOBI das ihm gewährte Darlehn zurückgezahlt hat. Geschäftsgebäude, Inventar und Einrichtung waren nicht Gegenstand der neu gegründeten Gesellschaft, sondern sollten von dieser gepachtet werden. Die aktiv im Unternehmen tätigen Brüder ALFRED und HEINRICH LÖWENTHAL zogen mit ihren Familien nach Berlin um und sollten von dort aus als Einkäufer tätig und dafür entlohnt werden, um so verdeckt Einfluss auf den Geschäftsbetrieb behalten zu können. Beiden Brüdern sollte eine Aufwandsentschädigung von jeweils 18.000,-RM pro Jahr ausgezahlt werden. Strittig blieb, ob diese Zahlungen geleistet wurden. Dieser erste Schritt der Arisierung wird im Lastenausgleichsverfahren ausdrücklich nicht als eine „Entziehungsmaßnahme“ gewertet.

Im privaten Besitz von ALFRED LÖWENTHAL befand sich sein Wohnhaus, dass mit einem Wert von 80.000,-RM bewertet worden war, für dessen Verkauf er 1934 allerdings nur 35.000,-RM erhielt. Zu seinem Immobilienbesitz gehörte ein bebautes Grundstück in der Stachstrasse in Elbing, dessen Wert mit 6.000,-RM angegeben, aber lediglich für 1500,-RM an die Elbinger Heimstätten Gesellschaft verkauft wurde. Für diese hier aufgezählten finanziellen Einbußen ist keine Entschädigung gezahlt worden, mit der Begründung, dass die Verkaufssummen zur freien Verfügung der Verkäufer standen.

Dem Umstand, dass die Verkäufe unter Zwang stattgefunden haben, wurde nicht Rechnung getragen. Wie fehlgeleitet die nicht näher ausgeführte Frage nach dem „Zwang“ war, verdeutlicht der abgelehnte Lastenausgleichsantrag über das Privathaus, in dem es heißt: Der Eigentümer verkaufte sein Haus bereits im Jahr 1934 „auf Grund der gegen ihn gerichteten Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes (…). Es handelt sich somit um eine Entziehung (…).

Bemerkenswerterweise konnte in dem Ablehnungsbescheid der Immobilienverkauf als „Entziehungsmaßnahme“ bewertet werden, während die zur gleichen Zeit erfolgten Unternehmensverkäufe keine „Entziehungsmaßnahme“ darstellten. Für den Ausgang dieses Verfahrens blieb die Klassifizierung allerdings gänzlich Bedeutungslos, wie die Begründung der Entscheidung zeigt. Der Bescheid erging 1966 und damit vier Jahre nach dem Tod des Eigentümers. Da die Erben keine Unterlagen über den Verkauf des Privathauses und auch keinen Einheitswertbescheid über das Objekt vorlegen konnten ,wurde der Schaden über einen Ersatzeinheitswert ermittelt, der in diesem Fall unter dem gezahlten Kaufpreis lag.

Hinzu kam, dass der Kaufpreis dem Verkäufer zur freien Verfügung stand. Der angeblich gute Kaufpreis und die freie Verfügung darüber begründeten die Ablehnung des Lastenausgleichsantrags. Auch wenn die oben genannten Bescheide von den Erben nicht vorgelegt werden konnten, hatte der Eigentümer den Wert seines Hauses in der Auflistung seiner Vermögenswerte in den fünfziger Jahren bereits als dreimal so hoch wie den gezahlten Verkaufserlös angegeben.

Den Gründen für das Zustandekommen dieser erheblichen Differenz wurde im gesamten Lastenausgleichsverfahren, dass dann im Ablehnungsbescheid mündete, nicht nachgegangen. Ebenso der Tatsache, dass der jüdische Hauseigentümer unter weniger prekären politischen Verhältnissen vermutlich sein Wohnhaus gar nicht verkauft hätte und in den Folgejahren bis zu seiner Emigration 1938 nicht genötigt gewesen wäre, erhebliche finanzielle Mittel für die Miete einer Wohnung in Berlin aufbringen zu müssen und ihm natürlich auch in den Jahren der aufgezwungenen Emigration Wohnungskosten entstanden waren, wurde im Entschädigungsverfahren keine Bedeutung gegeben. Im Gegenteil blieb dieser Umstand ausdrücklich unberücksichtigt, denn es hieß: „Mittelbare Schäden, die durch die Veräußerung eingetreten sind, wie z .B. Verluste an durch Veräußerung weggefallene Nutzung, können im Verfahren (…) nicht berücksichtigt werden, (…) da solche Schäden ausdrücklich von der Schadensfeststellung“ ausgenommen sind.

Große Teile seiner Wohnungseinrichtung, die er in seiner deutlich kleineren Berliner Wohnung nicht mehr benötigte, mussten in einer sogenannten Verschleuderung verkauft werden. Von dem geschätzten Wert in Höhe von 9.000,- RM konnten beim Verkauf lediglich 2.000,- RM erzielt werden, wie aus einer beurkundeten Liste des ALFRED LÖWENTHAL vertretenden Rechtsanwalts hervorgeht.

Die bei der Einsetzung von FRANZ JACOBI als Geschäftsführer gewählte Geschäftsform war für diesen von Anfang an nicht annehmbar und er erreichte bereits ein Jahr später 1934, dass das Kaufhaus auf seinen Namen umbenannt wurde und 1935 in eine Kommanditgesellschaft überführt wurde. Es folgte eine Bewertung des Warenbestandes und des Inventars, da beides in die neue Gesellschaft eingehen sollte. In der Höhe der Bewertung kam es zu erheblichen Differenzen.

Der ehemalige Wirtschaftsprüfer Herr Schulte berechnete für Warenvorräte 800.000,-RM und für das Inventar 400.000,-RM. Der Verkaufspreis wurde allerdings auf lediglich 400.000,-RM festgelegt. Die belegten Berechnungen des Wirtschaftsprüfers wurden in ihrer Höhe nach Prüfung des Lastenausgleichsamtes grundlegend in Frage gestellt und der vereinbarte Kaufpreis als angemessen eingestuft. Die erste Rate über 120.000,-RM wurde am 31.1.1936 fällig und gezahlt. Der Restbetrag war in Raten zu zahlen.

Der gezahlte Betrag, wie auch alle weiteren Zahlungen an die Brüder LÖWENTHAL wurden von FRANZ JACOBI aus den Erlösen des Unternehmens bestritten, obwohl der mit ihm geschlossene Arbeitsvertrag Entnahmen nur anteilig an der Höhe der Geschäftsanteile erlaubte. Mit der Gründung der neuen Gesellschaftsform und der Umbenennung des Kaufhauses begann eine Entwertung aller Vermögensteile der Familie LÖWENTHAL, auch wenn in manchen Details die Zerschlagung eines ursprünglich großen Vermögens nicht immer nachzuzeichnen ist.

1938 verstarb KURT LÖWENTHAL, 1946 sein Bruder Heinrich, Anträge auf finanzielle Entschädigung konnten nur von ALFRED LÖWENTHAL gestellt werden, so dass nachfolgend seine Vermögenswerte und die Geschichte ihres Verlustes bzw. ihre finanzielle Wiedergutmachung im Vordergrund stehen werden.

Die Grundstücke, auf denen sich die Immobilie des Kaufhauses befand, waren in Elbing, Wasserstraße 21-24, Adlerstraße 6 und Wilhelmstraße 1-3. Sie waren Gegenstand der LÖWENTHALIMMOBILIENGESELLSCHAFT Gesellschaft, die 1936 erlosch. Mit der Auflösung der Gesellschaft geht ihr Wert in die Kommanditgesellschaft „KAUFHAUS AM ELBING FRANZ JACOBI“ ein. Auch wenn sich der genaue Zeitpunkt der Überführung nicht mehr rekonstruieren lässt, steht fest, dass 1938 der Kommanditgesellschaftsvertrag ein weiteres Mal entscheidend verändert und die Grundstücke in den Besitz der Kommanditgesellschaft aufgenommen wurden.

Wahrscheinlich begründete sich die Vertragsänderung aus dem Umstand, dass ALFRED und HEINRICH LÖWENTHAL zu diesem Zeitpunkt mit ihren Familien ihre Emigration vorbereiteten und dafür erhebliche liquide Geldmittel benötigten. Der als Strohmann für die Familie eingesetzte MAX KNOF hielt nur noch 16% der Anteile am Unternehmen für HEINRICH LÖWENTHAL ALFRED LÖWENTHAL verkaufte seine Anteile zu einem ursprünglich festgelegten Kaufpreis von 110.000,-RM, der dann auf 64.000,-RM reduziert wurde. Ebenso veräußerte er seine Anteile am Immobilienbesitz an FRANZ JACOBI für die ein Preis in Höhe von 230.000,-RM festgesetzt wurde.

Vor dem Hintergrund, dass sich der Jahresumsatz des Kaufhauses auf 2.000.000,-RM - 2.500.000,-RM belief und bei einer 1934 vereinbarten Jahresmiete von 4% des Umsatzes hätte sich der Grundstückswert allerdings auf insgesamt 1.350.000,-RM belaufen müssen, was einem Anteil für ALFRED LÖWENTHAL in Höhe von 450.000,-RM entsprochen hätte. Von den vereinbarten 230.000,-RM wurde allerdings auch nur ein Teilbetrag ausgezahlt. „Das Kaufpreisgenehmigungsverfahren zog sich bis Ende 1940. Die Höhe der vor dem 1.1.1940 gezahlten Leistungen lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Fest steht jedoch, dass vor dem 1.1.1940 bereits Zahlungen erfolgten.“ In einem Brief vom zuständigen Regierungspräsidenten an den Steuerberater eines der ursprünglichen Eigentümer heißt es, dass die Kürzungen bei den vereinbarten Zahlungen von Kommandit- und Grundstücksanteilen vorgenommen wurden, weil bereits „zuvor Zahlungen an die Juden“ ergangen seien.

Arisierungen: Grundsteine großer Vermögen

Der Schadensfeststellungsakte des Käufers aus dem Jahr 1960 war nicht zu entnehmen, dass er „die von ihm angemeldeten Vermögensobjekte aus ehemals jüdischem Besitz erworben hat“. Die Stadt Köln, von der diese Akte zusammengestellt wurde, schrieb daraufhin 1961: „Auf ihr o. a. Schreiben teile ich Ihnen mit, daß es sich im vorliegenden Falle nicht um jüdisches Vermögen handelt. Der hiesige Antragsteller hat mehrere Schreiben vorgelegt, wonach die Klage (…) der ehemaligen Eigentümer im Januar 1952 zurückgenommen wurde“.

Der die jüdischen Eigentümer vertretende Rechtsanwalt antwortete darauf: „Herr F. J. wird wohl nicht ernsthaft in Zweifel ziehen wollen, daß die Firma D. L. im Sommer 1933 (…) arisiert worden ist. Rückerstattungsrechtliche Ansprüche sind im Jahr 1949 bzw. 1950 geltend gemacht worden.“ Zu diesem Zeitpunkt lautete die Erwiderung des Wiedergutmachungsamtes:

Es wird Ihnen daher anheim gestellt, den Antrag bis zum 31.12.1951 zurückzuziehen, weil sonst seine evtl. kostenpflichtige (…) Abweisung erfolgen müßte.“ (…) „Hieraus ergibt sich zwingend, daß lediglich wegen der Belegenheit der geltend gemachten Ansprüche in Ostpreußen das Verfahren in Köln nicht weitergeführt werden konnte. Ein Rückerstattungsanspruch als solcher indessen besteht nach wie vor. Schon aus diesem Grunde ist daher die ausgleichende Gesetzgebung nach dem LAG geschaffen worden, um auch den früher in den Vertreibungsgebieten wohnhaft gewesenen und dort geschädigten Personenkreis eine Entschädigung in Geld zu gewähren.

Wäre der Antrag auf Entschädigung 1951 nicht zurückgezogen worden, weil für Holocaust - Überlebende eine Entschädigung von Betriebs- und Immobilienvermögen in den ehemaligen Ostgebieten zu diesem Zeitpunkt nicht vorgesehen war, hätte auch zu einem späteren Zeitpunkt und einer geänderten Gesetzeslage möglicherweise kein Entschädigungsantrag gestellt werden können. In der Rücknahme des Antrags einen Beleg dafür zu sehen, dass es sich nicht um jüdisches Vermögen gehandelt hat, war eine Unterstellung, die ausschließlich der Argumentation des Erwerbers diente.

Für den Umfang der finanziellen Entschädigung des Käufers war es von entscheidender Bedeutung, ob er den Tatbestand, jüdisches Vermögen erworben zu haben, verschwieg, denn das Entschädigungsgesetz ging davon aus, dass Veräußerungen von Verfolgten im Verfolgungszeitraum (30.1.1933 - 8.5.1945) „Entziehungsmaßnahmen“ darstellten. Der Erwerber hatte im Lastenausgleichsverfahren aber auch die Möglichkeit die Entziehungsvermutung zu widerlegen und so ein eigenständiges Rückerstattungsverfahren zu eröffnen, ohne eine gemeinsame Schadensfeststellung mit dem Verkäufer eingehen zu müssen.

Konnte er die „Entziehungsmaßnahme“ nicht widerlegen, konnte er lediglich Ansprüche auf die Kaufpreisbeträge abzüglich bestandener Verbindlichkeiten geltend machen und auf diese Beträge auch nur dann, wenn sie eine angemessene Gegenleistung für die erworbenen Objekte darstellten. So weit die gesetzliche Grundlage. In der konkreten Anwendung gab es allerdings viele Ausnahmen. So hieß es in der Schadensfeststellung für den vorliegenden Fall: „Zwar gelten auch hier die Grundsätze des Rückerstattungsrechts, wonach bei Veräußerung vom 30.1.1933 bis 14.9.1935 die Entziehungsvermutung bereits beim Nachweis der angemessenen Gegenleistung zur freien Verfügung erbracht ist, doch hat die erschwerte Beweislast bei Veräußerungsvorgängen ab 15.9.1935 bis zum 8.5.1945 im Verfahren (…) keine Bedeutung. Ein zur freien Verfügung gelangter Kaufpreis mindert den Anspruch des Verfolgten und löst gleichzeitig einen Anspruch des Erwerbers in voller Höhe am Objekt aus, wenn die in bar entrichtete und zur freien Verfügung bewirkte Gegenleistung den maßgeblichen Einheitswert erreicht oder übersteigt.“

In dem vorliegenden Beispiel stellte der Verkauf an den neuen Geschäftsführer und die ein Jahr später erfolgte Umbenennung keine „Entziehungsmaßnahme“ dar. „Aus vermögensrechtlichem Sinn sind den Eigentümern keine Schäden entstanden, sollten Schäden entstanden sein, sind diese nicht feststellbare Nutzungsschäden“. Erst das komplette Ausscheiden der Eigentümer 1938 wurde vermögensrechtlich im Lastenausgleichsverfahren als „Entziehungsmaßnahme“ gewertet. Alle bis dahin eingetretenen Schäden waren „nicht feststellbare Nutzungsschäden“. Aus dieser Bewertung folgte eine Entschädigung zu Gunsten des Käufers und zu Ungunsten der Verkäufer.

Schadensermittlung

Die Feststellung, dass den Eigentümern des Kaufhauses durch den Verkauf von Anteilen an den neu eingesetzten Geschäftsführer im vermögensrechtlichen Sinn zunächst kein Schaden entstanden sei und damit nicht als „Entziehungsmaßnahme“ zu werten war, begünstigte den Käufer in seinen Entschädigungsansprüchen, obwohl diese Feststellung sich aus der Aktenlage nicht belegen lässt. Im Gegenteil, in dem bereits eingangs kurz zitierten Antrag auf Entschädigung aus dem Jahr 1950, der dann 1951 aufgrund der noch ungeklärten Rechtslage zurückgezogen werden musste, gab der ehemalige Wirtschaftsprüfer der Verkäufer folgendes zu Protokoll:

Es muss bemerkt werden, dass Herr F. J. zur Gründung des Unternehmens kein eigenes Vermögen aufgewendet hat und dass ihm das dafür nötige Geld von den Herrn L. zur Verfügung gestellt worden ist.“ (…) „Es mag sein, dass die gesamte Arisierung im Anfang ein Treuhandverhältnis begründen sollte und es mag auch sein, daß dieser Zustand bis 1938 tatsächlich bestand. Von diesem Zeitpunkt an aber da sich Herr J. allmählich in den Besitz des gesamten Unternehmens und der gesamten damit zusammenhängenden Werte setzte, kann von einem Treuhandverhältnis nicht mehr die Rede sein. (…) Die Sachlage ist also genau so, als wenn der Vertrag mit Herrn J. erst zu dieser Zeit zustande gekommen wäre und Herr J. dann für ein geringes Entgelt die Herrn L. aus ihrem Unternehmen herausgedrängt haben würde. Die tatsächliche und rechtliche Lage kommt damit einem Zwangsverkauf gleich. (…) Da Herr J. sein auf diese Weise erworbenes Vermögen nach Beendigung des Krieges nach Westdeutschland zu retten wusste und dort neue Unternehmen aufbaute, so kann mit Recht behauptet werden, dass diese Unternehmen Fortsetzungen des alten Kaufhauses in E. sind. Herr J. hat ja vorher nie irgendwelches Vermögen besessen.

Der Zugang des Erwerbers zu einem fremden Vermögen war nur unter den die Verkäufer zwingenden Voraussetzungen möglich und erst über diesen Zugang konnte die schrittweise Entziehung des gesamten Vermögens erfolgen.Ob das für den Erwerb der ersten Anteile notwendige Kapital, das die jüdischen Eigentümer dem Käufer als Darlehn gewährten, zurückgezahlt wurde, konnte im Laufe der Schadensfeststellung nicht eindeutig geklärt werden.

Im Bescheid der Verkäufer, wurde unterstellt, dass eine Rückzahlung erfolgt sei. Obwohl der als Treuhänder beauftragte Rechtsanwalt am 18.8.1943 in einer Vermögensaufstellung an die Oberfinanzpräsidenten in Berlin - Brandenburg den Betrag als nicht zurückgezahlt ausgewiesen hatte, ebenso wie bereits eine Vermögensaufstellung des Wirtschaftsprüfers vom 23.1.1939. In der Schadensermittlung des Erwerbers hieß es dagegen: „(...) ob und in wieweit Herr J. das Darlehn, dass er von den Brüdern L. zur Einbringung seiner Stammeinlage für die GmbH erhielt, zurückgezahlt hat“ konnte ebenso wenig geklärt werden.

Dass die Verkäufer diesen Zugang zu ihrem Vermögen einer fremden Person gestatteten, war den politischen Umständen geschuldet. Um ihr Vermögen zu schützen, beauftragten sie Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte und schlossen diverse Verträge ab. Doch im Rückblick betrachtet, war ihr Vermögen bereits verloren, auch dann, wenn sie es mit großem Aufwand und vertraglichen Regelungen zu sichern versuchten. Es war der Beginn ihrer Rechtlosigkeit, die sich in den folgenden Jahren noch deutlich ausweiten sollte und die sie mit ihren individuellen Möglichkeiten nicht eingrenzen konnten.

Kauf oder Raub?

Mit dem ersten Vertrag aus dem Jahr 1933 erwarb der Käufer mit Hilfe eines Darlehns zwar Anteile am Kaufhaus, dennoch war seine Tätigkeit durch einen Anstellungsvertrag geregelt, der nicht nur ein Gehalt festlegte, sondern zugleich die Regularien zur Rückzahlung des Darlehns. Denn der Gesellschaftervertrag vom 16.6.1933 hielt ausdrücklich fest, dass „Raten nur aus ihren auf ihre Geschäftsanteile anfallenden Gewinne“ zu leisten sind. Auch im Bericht des ehemaligen Wirtschaftsprüfers wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Gewinnentnahme nur anteilig geregelt war. Er ist es auch, der die „ziemlich großen Privatentnahmen (des Käufers) für private Zwecke“ betont. In der Rekonstruktion der Höhe der Vermögenswerte wurde dem Umstand an keiner Stelle Rechnung getragen, dass das gesamte Vermögen des Erwerbers ohne eigenes eingesetztes Kapital entstanden war und nur unter der Voraussetzung entstehen konnte, weil die politischen Umstände es ermöglichten, eine berufliche Position einzunehmen, aus der der wirtschaftliche Zugang zu einem fremden Vermögen den Weg ebnete, dieses schrittweise zu seinem eignen Vermögen zu deklarieren.

Die Gesetzgebung der Entschädigung fokussierte sich ausschließlich auf die Ermittlung der Höhe es Schadens, während die Umstände unter denen der Erwerb stattgefunden hatte, nur mit der nicht näher definierten Frage nach „unter Zwang“ umschrieben wurde. Das der gesamte Verkauf überhaupt nur deshalb stattfand, weil die politische Situation dazu zwang, blieb im Verfahren unberücksichtigt. Im Gegenteil unterstellt der Begriff „Entziehungsmaßnahme“, dass Verkäufe von jüdischem Eigentum, die bis zum 14.9.1935 erfolgten und für die eine angemessene Gegenleistung zur freien Verfügung erbracht wurde, nicht den diskriminierenden Umständen geschuldet sein konnten.

Die juristische Auslegung der Frage, ob beim Verkauf der Wirtschaftsgüter „Zwang“ ausgeübt wurde, erfolgte in den Lastenausgleichsverfahren zum Vorteil der Käufer, die von den Umständen profitierten. In den Lastenausgleichsverfahren wurde die strukturelle Gewalt nicht thematisiert. Fragen, die sich darauf richten sollten, zu Unrecht erworbene Wirtschaftsgüter zu klassifizieren und nicht zu entschädigen, blieben auf anonyme, nicht personalisierte Strukturen gerichtet, die mit der Person eines Antragstellers nicht identisch sein konnten.

Das Fragen nach Gewalt und Zwang gestellt wurden, zeugen davon, dass die Umstände unter denen die Wirtschaftsgüter von den Käufern erworben wurden, durchaus bekannt waren. Die Anonymisierung der Quelle von ausgeübter Gewalt und von vermitteltem Zwang unterlief allerdings jede Möglichkeit aktive Teilnehmer zu identifizieren und zur Rechenschaft ziehen zu können. Dementsprechend hieß es in einem Lastenausgleichsverfahren: „Allein die allgemeine Bedrängnis der Verfolgten reicht für den Erwerb unter Druck oder Zwang nicht aus.“ Doch der hier nur als „mittelbar“ dargestellte Zwang erlaubte den Käufern jüdischen Vermögens einen Zugang zu Werten, die sie vermutlich unter legitimen Voraussetzungen gar nicht hätten erwerben können.

FRANZ JACOBI erwarb in den dreißiger Jahren Anteile an drei weiteren Kaufhäusern, wenn auch nicht im Umfang des ausgeführten Beispiels. Dennoch ist dieser Umstand von Bedeutung, denn im gesamten Lastenausgleichsverfahren wurde nicht die Frage gestellt, wie ein kaufmännischer Angestellter, der 1933 zum Zeitpunkt der Machtergreifung der Nationalsozialisten erst 35 Jahre alt war, in kurzer Zeit die finanziellen Mittel für den Erwerb von Geschäftsanteilen in einer insgesamt sechsstelligen Summe aufbringen konnte.

Es wurde ebenfalls nicht der Frage nachgegangen, dass in dem oben geschilderten Fall, die gezahlten Anteile ausschließlich aus den Erlösen des Kaufhauses beglichen wurden, das zum Zeitpunkt der Zahlung aber keineswegs Eigentum des eingesetzten Geschäftsführers war. Wären die Geldflüsse nach Kriterien der Eigentumsverhältnisse geprüft worden, hätte der im Lastenausgleichsverfahren als Eigentümer auftretende Geschäftsführer, wenn überhaupt, so nur einen geringen Anteil am Eigentum, aber keineswegs den für die Berechnung des Ausgleichsverfahren zugrunde gelegten Anteil von 80%. In den Ausgleichsverfahren wurde der Kauf mit Besitz gleichgesetzt, auch wenn die dafür aufgewendeten finanziellen Mittel gar nicht Eigentum des Käufers waren.

Augenfällige Unstimmigkeiten über die Herkunft der Geldmittel, die sich schon über die bloßen Tatsachen wie Alter, berufliche Situation oder Familienstand der Käufer hätten ergeben können, blieben unberücksichtigt. Der nur unter den politischen Verhältnissen möglich gewordene Zugang zu einem umfangreichen Vermögen, ohne über persönliche finanzielle Mittel zu verfügen, wurde im gesamten Lastenausgleichsverfahren von beteiligten Stellen einige Male kritisch angemerkt, allerdings ohne sich auf das Ergebnis auszuwirken, das den Erwerb des Vermögen als rechtmäßig legitimierte.

Geschädigte Ariseure

An den als angestellter Geschäftsführer eingestellten Käufer erging 1973 im ersten Schritt des Lastenausgleichs eine Schadensfeststellung, die auch seine Beteiligungen an drei weiteren Kaufhäusern beinhaltete, deren ehemalige Besitzer ebenfalls Juden waren, die nach der Machtergreifung auf vergleichbare Weise zum Verkauf genötigt wurden. 1977 wurde ein Gesamtbescheid über den finanziellen Ausgleich aller Schäden angekündigt, der aber erst 1980 erging.

Gegen diesen Bescheid wurde eine Beschwerde angekündigt, deren Begründung allerdings ausblieb, so dass 1981, ein Jahr vor dem Tod des Käufers, ein vollumfänglicher und endgültiger Bescheid erging. Der finanzielle Ausgleich wurde bewilligt, obwohl 1969 festgestellt wurde, dass noch notwendige Unterlagen für eine Entscheidung fehlten und es nicht recherchiert werden konnte, ob die fehlenden Unterlagen ermittelt oder eingereicht wurden. Zu diesem Zeitpunkt konnten, wie es hieß, „die Beweisschwierigkeiten hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche durch den Erwerber (…) nicht überwunden werden, so daß mit einer Entscheidung über den Antrag des Erwerbers in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.

Persönlich konnte FRANZ JACOBI aus dem finanziellen Ausgleich keinen Nutzen für sein berufliches Fortkommen mehr ziehen, aber es ermöglichte ihm eine Verpfändung über 50.000,- DM, die ihm mit der Aussicht auf den umfangreichen Lastenausgleich genehmigt wurde und damit bereits in den fünfziger Jahren die Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft. Bereits die Aussicht auf die Lastenausgleichszahlung und ihre nie in Frage gestellte Legitimität bildeten die wirtschaftliche Basis für einen erfolgreichen beruflichen Aufstieg in den unmittelbaren Nachkriegsjahren.

Für die Erben der ehemaligen jüdischen Eigentümer erging bereits 1971 ein Bescheid. Allerdings waren nur die Erben von zwei der drei Eigentümer Anspruchsberechtigt, da diese beiden Eigentümer früh verstorben waren und keine weiteren Entschädigungen gezahlt worden waren. Die Erben, des Dritten der drei Brüder, ALFRED LÖWENTHAL, der im Mittelpunkt der vorangegangenen Ausführungen stand, erhielten keinen Ausgleich, „da der unmittelbar Beschädigte Entschädigungszahlungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BFG) in Höhe von 57.484,46 DM erhalten hat, die bei weitem den zuerkannten Betrag der Hauptentschädigung übersteigen“ wie es in der Begründung des Ablehnungsbescheids aus dem Jahr 1972 hieß.

Zunichtemachung: Zerstörtes Vermögen bleibt vernichtet

Das an dieser Stelle vom Lastenausgleich angeführte unabhängige Entschädigungsverfahren für ALFRED LÖWENTHAL begann mit der Antragstellung am 17.6.1950. Er konnte mit finanzieller Unterstützung seiner Söhne 1949 zunächst nach Zürich und dann nach Berlin reisen, um mit seinem Rechtsanwalt, der nach seiner Emigration bis zur Beschlagnahmung sein Vermögen verwaltete, das Entschädigungsverfahren zu eröffnen. Zu diesem Zeitpunkt war er siebzig Jahre alt und hatte in den vergangenen siebzehn Jahren sein gesamtes Vermögen verloren.

Möglichkeiten für ein regelmäßiges Einkommen bestanden seit dem Verkauf erster Geschäftsanteile 1933 nicht mehr. Das ursprünglich vereinbarte Gehalt wurde ihm nicht regelmäßig gezahlt. Bereits die Vorbereitungen der Emigration verbrauchten große Teile des noch vorhandenen Vermögens. Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des zuständigen Finanzamts über die gezahlte Reichsfluchtsteuer und weitere noch fällige Steuern war die Voraussetzung für eine legale Ausreise. Der Rechtsanwalt des Verkäufers summierte das Vermögen der Gebrüder LÖWENTHAL auf ursprünglich knapp 4.000.000,- RM. In diesen Betrag wurden private Werte wie Einrichtungsgegenstände oder Immobilien noch gar nicht eingerechnet. Die Reichsfluchtsteuer betrug 25% auf das Gesamtvermögen gerechnet.

Quelle: Akte 935-947/51 Alfred Löwenthal, Landesarchiv Berlin

Während zu Beginn des Nationalsozialismus noch ein Steuerbescheid vom zuständigen Finanzamt erging, der gezahlt werden musste, um Deutschland verlassen zu können, wurden die Finanzämter in den folgenden Jahren zunehmend zu Fahndungsbehörden, die Konten von jüdischen Bürgern sperrten, weil sie unterstellten, dass diese ausreisen wollten. Sogenannte „Sicherheitsbescheide“ wurden an vermögenssteuerpflichtige Juden verschickt. Die Bescheide über die Reichsfluchtsteuer wurden zu fälligen Vorauszahlungen, gleichgültig, ob der Betreffende überhaupt Deutschland verlassen konnte oder wollte.

Die Berliner Finanzämter handelten in dieser Weise, ohne dass sie zu einem solchen Vorgehen autorisiert oder aufgefordert worden wären. Die Erhebungspraxis der Reichsfluchtsteuer wurde zu einem Instrument der Vertreibung der Juden aus Deutschland. Der bloße Verkauf von Vermögenswerten konnte dazu führen, dass das zuständige Finanzamt vermutete, der Erlös diene der Vorbereitung der Auswanderung und einen „Sicherheitsbescheide“ erließ. Es kam vor, dass nur um diesen „Sicherheitsbescheide“ wieder aufzuheben, ein Vermögenswert gekauft werden musste.

Berliner Finanzämter werden aktiv

Nach der Reichspogromnacht im November 1938 wurde zusätzlich eine Vermögensabgabe für Juden erhoben. 20% des Gesamtvermögens ab einem Mindestbetrag von 5 000,- RM musste in vier Raten an das zuständige Finanzamt gezahlt werden. Berechnet wurde die Abgabe auf der Basis einer Vermögensaufstellung, die die jüdische Bevölkerung nach April 1938 zu erstellen und beim zuständigen Finanzamt abzugeben hatte. Bald wurde die Abgabe um weitere 5% erhöht, die in einer weiteren Rate zu zahlen war. Schätzungsweise wurde über diese Abgabe 3,5 Milliarden Reichsmark, rund ein Drittel des jüdischen Vermögens an das Deutsche Reich abgeführt. Da diese Zahlungen aufgrund von offiziellen Bescheiden und Verordnung gezahlt wurden, konnten die Summen in den Entschädigungsverfahren zumeist gut recherchiert werden.

In Anbetracht dieser großen Summe sind die eher kleinen Beträge für Visa, Schiffspassagen und Transportkosten im dokumentierten Beispiel nicht berücksichtigt. Das eingelagerte Umzugsgut wurde am 20.8.1941 von der geheimen Staatspolizei beschlagnahmt und mit einem geringen Erlös versteigert, der vom Oberfinanzpräsidenten zu Gunsten des Deutschen Reichs beschlagnahmt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt musste für die Einlagerung und Eulanisierung allerdings regelmäßig gezahlt werden.

Am 14.2.1941 wurden die verbliebenen Vermögenswerte vom Deutschen Reich beschlagnahmt. Das Barguthaben bei der „HARDY BANK“ wurde zu Gunsten des Deutschen Reichs eingezogen. Ein Depot wurde gesperrt gehalten, aber nicht abgeliefert. Die Bank durfte vom Gesamtvermögen 1% Spesen berechnen und einbehalten. Die Ausbürgerung der gesamten Familie erfolgte im Dezember 1941.

Langwierige Entschädigungsverfahren

ALFRED LÖWENTHAL zog direkt nach dem ersten Verkauf von Geschäftsanteilen nach Berlin und wanderte im März 1939 nach Palästina aus. Zum Kanon der Entschädigungsverfahren für Verfolgte gehörte die Frage nach den Beschränkungen „im wirtschaftlichen Fortkommen“, die sich vor dem Hintergrund der vielen beruflichen Beschränkungen, die direkt nach der Machtergreifung für die jüdische Bevölkerung erlassen wurden, hätte erübrigen können.

Selbständige Unternehmer, sofern sie unter die Rassengesetze fielen, waren bereits kurz nach der Machtergreifung genötigt, ihre Unternehmen zu verkaufen. Folgten sie der Nötigung nicht, führten die Boykottmaßnahmen zum wirtschaftlichen Ruin. Jüdische Angestellte wurden entlassen. Um im dokumentierten Beispiel die Höhe der Beschränkungen „im wirtschaftlichen Fortkommen“ im Entschädigungsverfahren erheben zu können, wurde zur Berechnung der Arbeitsleistung eines selbständigen Unternehmers die Vergütung herangezogen, die einem Dritten als Arbeitsendgeld gezahlt worden wäre. Dementsprechend wurde das Einkommen in den letzten drei Jahren vor Beginn der Verfolgung auf jährlich 12.000,- RM geschätzt.

Um die Unverhältnismäßigkeit dieser Festlegung zu verdeutlichen, genügt ein Blick auf die Einkommensangaben des als Geschäftsführer eingesetzten FRANZ JACOBI, für den ein Jahreseinkommen in Höhe von 18.000,- RM vereinbart worden war.

Die durchschnittliche Dauer der Entschädigungsverfahren belief sich auf mindestens fünf Jahre von der ersten Antragstellung bis zum Schlussbescheid. Nicht wenige Verfahren ziehen sich über mehr als zehn Jahre. Vorausgesetzt die zu entschädigende Person konnte rechtzeitig Deutschland verlassen, vergingen zwischen dem Zeitpunkt der Emigration und einer Entschädigung zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre.

Die Einkommensmöglichkeiten in der Emigration waren für die Mehrzahl ausgesprochen schwierig, so dass sie zu Beginn der Entschädigungsverfahren als überwiegend mittellos galten. Diejenigen, die einen nennenswerten Entschädigungsanspruch geltend machen konnten, waren in einem Alter zu Emigration genötigt worden, in dem sie dieses Vermögen bereits erwirtschaftet hatten. Wird die Zeit der Emigration und die Zeit der Bearbeitung von Entschädigungsverfahren dazu summiert, betrafen diese Verfahren ältere Menschen, für die Verzögerungen in Entschädigungsverfahren von existenzieller Bedeutung waren.

Die Dauer der Entschädigungsverfahren war für die Betreffenden existenzbedrohend, aber im Vergleich zu den zeitaufwendigen Verfahren der bloßen Schadensfeststellung in den Lastenausgleichsverfahren, das lediglich den ersten Schritt auf dem langen Verfahrensweg bis zur Ausgleichszahlung markierte, noch absehbar. Die Möglichkeit für Holocaust - Überlebende Betriebs- und Immobilienvermögen in den ehemaligen Ostgebieten über ein Lastenausgleichsverfahren entschädigt zu bekommen, war zweifellos ein Fortschritt in der Entschädigungspraxis der Bundesrepublik. Das zeitaufwendige Verfahren muss allerdings als eine Hürde betrachtet werden, die dazu führte, dass die unmittelbar Betroffenen von den Entschädigungszahlungen nicht mehr profitieren konnten.

1953 erging für ALFRED LÖWENTHAL ein erster Bescheid über eine Entschädigung im „wirtschaftlichen Fortkommen“, nachdem bereits im Juli 1952 ein Vorschuss auf den Bescheid gezahlt worden war. Der vertretende Rechtsanwalt hatte im August 1951 einen Antrag auf eine deutlich höhere Vorschusszahlung gestellt, aber bis April 1952 darauf keine Antwort erhalten. Dieser Antrag wurde im Juni 1952 abgelehnt und es folgte im Juli lediglich die reduzierte Zahlung.

Gegen den Entschädigungsbescheid legte der Rechtsanwalt Widerspruch ein, um nicht nur eine Einmalzahlung zur Entschädigung des „wirtschaftlichen Fortkommens“ zu erwirken, sondern darüber hinaus eine Rentenzahlung. Es konnten bereits bis zum 1.1.1951 aufgelaufene Rentenansprüche berechnet werden, die sich durch die Anrechnung eines Gesundheitsschadens erhöhten. Diese monatliche Rentenzahlung setzte allerdings erst am 1.11.1958 ein. ALFRED LÖWENTHAL war zu diesem Zeitpunkt beinahe achtzig Jahre alt. Die Zahlung setzte fast genau 25 Jahre nach dem Verkauf der ersten Anteile an seiner Firma ein und dem damit zugleich verbundenen Verlust eines geregelten Einkommens. Bereits vier Jahre später verstarb er mit 82 Jahren.

Mit dem Bescheid vom Juni 1957 erfolgte eine Kapitalentschädigung, die in Verbindung mit den Rentenzahlungen eine Summe bildete, die die für Entschädigungsverfahren festgelegten Höchstbeträge überschritt und zur Ablehnung des Lastenausgleichsverfahren führte. 1961 wurde ein Antrag auf bisher nicht entschädigte Kosten in Höhe von 134 800,- RM für Auswanderungsvorbereitungen, Devisenberatungen, Steuerberatungen, Visabeschaffung, Vermögensverwaltung, Honorare, Bankprovisionen und Boykottschäden gestellt.

Auch für die hier aufgezählten Verluste erfolgte keine weitere finanzielle Entschädigung. Eine Ermittlung des ursprünglichen Gesamtvermögens fand im Entschädigungsverfahren nicht statt. In den Lastenausgleichsverfahren wurde dagegen eine detaillierte Schadensermittlung vorgenommen, auf deren Basis der finanzielle Ausgleich berechnet wurde. Im Gegenteil musste in den Entschädigungsverfahren für jeden einzelnen finanziellen Verlust, jede einzelne Zahlung ein Antrag gestellt werden, so dass über den gesamten Verlust keine Summe gebildet wurde, sondern dass zerschlagene Vermögen nur in den Einzelteilen sichtbar blieb. Erfolgte eine Bewilligung konnte eine Auszahlung sich noch dadurch verzögern, dass der vorgesehene Etat zur Zeit verbraucht war und eine Auszahlung erst im nächsten Haushaltsjahr möglich wurde.

In den Lastenausgleichsverfahren wurde zunächst mit großem Aufwand die Höhe der Schäden ermittelt. Extra eingerichtete „Heimatauskunftsstellen“, gegliedert nach unterschiedlichen Regionen der „Vertreibungsgebiete“ rekonstruierten die örtlichen Gegebenheiten. Die trotz Kriegseinwirkung erhalten gebliebenen Unterlagen wurden zusammengeführt und wenn nötig Zeugen befragt. Die Recherchen wurden mit den Angaben der Anträge verglichen und der finanzielle Ausgleich anhand zuvor erstellter Richttabellen errechnet.

Die Nötigung der Holocaust - Überlebenden ein gemeinsames Verfahren zur Schadensermittlung mit denjenigen eingehen zu müssen, die ihre Wirtschaftsgüter erworben hatten, konnte auf ihrer Seite nur Misstrauen verursacht haben. Aus ihrer Perspektive repräsentierten die Käufer die Institutionen, die sie zum Verkauf gezwungen und in deren Folge sie ihr gesamtes Vermögen verloren hatten. Darüber hinaus hatten die Käufer über die erworbenen Vermögenswerte bis zum Ende des Krieges eine wirtschaftliche Absicherung, während für die Verkäufer eine bis zum Beginn der Entschädigungsverfahren in den fünfziger Jahren andauernde wirtschaftliche Unsicherheit begann.

Aus diesem prekären Verhältnis sollte nun eine für beide Seiten zufriedenstellende finanzielle Lösung entwickelt werden. Das Ungleichgewicht war zum Vorteil der Käufer, die ohne Zwang und ausschließlich zu ihrem persönlichen Vorteil gehandelt hatten. Mit der Entschädigung durch den Lastenausgleich wurde diese Entscheidung keineswegs kritisiert, sondern ausdrücklich legitimiert. Das der Zwang als Grund für den Verkauf der Vermögenswerte nicht anerkannt wurde, konnte das Misstrauen der Verkäufer gegen das Entschädigungsverfahren nur bestärkt haben. Sie wurden nun mit denen gleichgestellt, die von ihrer Vertreibung und Entrechtung profitiert hatten.

Mehr noch mussten sie aus dieser defensiven Position jede nicht erhaltene Zahlung belegen. Die finanziellen Entschädigungen und der Lastenausgleich führten das zerschlagene Vermögen von Überlebenden nicht mehr zu einem Gesamtvermögen zusammen, vielmehr bilden die einzeln zu stellenden Anträge die Zerschlagung ein weiteres Mal ab.

(Ursula TOELLER)

Online am: 20.03.2023
Aktualisiert am: 04.09.2024


Inhalt:

Arisierungen im Dritten Reich und Zweite Enteignungen danach


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