, 04.11.2015
Transplantations-Streit eskaliert
Transplantations-Streit eskaliert
Süddeutsche Zeitung , 28.01.2006
von Christina BENDT
Nach einer verhinderten Lungentransplantation im Klinikum Großhadern hat sich die Staatsanwaltschaft München I eingeschaltet. Sie prüft derzeit, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Gegen wen sich dieses richten könnte, ist noch nicht abzusehen. Ein Sprecher sagte, derzeit würden Unterlagen gesammelt und die Vorgänge rekonstruiert. Anlass für die Untersuchung ist ein SZ-Bericht, demzufolge Mitte Januar eine schwerstkranke Lungenpatientin ein für sie vorgesehenes Spenderorgan aus Zwickau nicht erhalten hatte. Hintergrund war, dass Chirurgen und die für die Organisation der Organspende verantwortliche Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) um Verträge zur Vergütung stritten.
Es sei unklar, „inwieweit strafrechtlich Verantwortung gegeben ist“, sagte ein Sprecher des bayerischen Sozialministeriums. Es sei möglich, dass nun die Patientin oder andere sterben, weil sie länger auf ein Organ warten müssen. Sozialministerin Christa Stewens (CSU) nannte es „skandalös“, einen Vertragsstreit „auf dem Rücken von Patienten“ auszutragen. Sie forderte „eine effektive staatliche Aufsicht über die DSO“.
Die Stiftung hatte nach erfolglosen Verhandlungen mit Chirurgen in ganz Deutschland einseitig die Verträge mit den Ärzten am Klinikum Großhadern und anderen Transplantationszentren zum 31. Dezember gekündigt. An weiteren Kliniken laufen die Verträge in Kürze aus. Wenn die Ärzte keine neuen Verträge unterschrieben, „ist die Zusammenarbeit beendet“, drohte DSO-Chef Günter Kirste, dessen Stiftung eigentlich den reibungslosen Ablauf der Organspende sicherstellen muss. Doch die Chirurgen wollten die ungünstigeren Bedingungen nicht akzeptieren.
Nach Informationen der SZ hatten die Großhaderner Chirurgie-Chefs Karl-Walter Jauch und Bruno Reichart der DSO im November schriftlich mitgeteilt, dass sie Lungenentnahmen mit dem Auslaufen der Verträge einstellen. Das Zentrum werde weiter transplantieren, die DSO müsse aber dafür sorgen, dass andere Ärzte die Organe entnehmen. Ohne Vertrag seien sie auf dem Weg zum Einsatz „nicht einmal versichert“, hatte ein Chirurg der SZ gesagt.
DSO-Chef Günter Kirste behauptete dagegen am Donnerstag im ZDF, die Ärzte hätten sehr wohl Versicherungsschutz. „Was Kirste sagt, entspricht nicht der Wahrheit“, sagte der Präsident des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte, Hans-Fred Weiser, der SZ. Zwar sei es denkbar, dass die Ärzte auch ohne Vertrag bei ihrer Tätigkeit für die DSO über einen Umweg durch ihren Arbeitgeber versichert wären. „Aber solange sie das nicht wissen, hilft ihnen das nicht, wenn sie in einer verschneiten Winternacht in einen zweimotorigen Flieger steigen müssen.“ Kirste wollte sich am Freitag nicht äußern. Das Klinikum Großhadern war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Online am: 04.11.2015
Aktualisiert am: 04.11.2015
Inhalt:
Organspenden: zwischen Leben und Tod. Und auch Vetternwirtschaft?
- Ein Überblick über das (über)lebenswichtige Thema Organspenden
- Die DSO: Einflussnahme(n) und Interessengeflecht
- Chronologie eines sich abzeichnenden Organspenden - und Transplationsskandals
- Wie die taz im Oktober 2011 mit ihren Organspenden-Recherchen begann
- Wie das Göttinger Tageblatt den Göttinger Skandal enthüllte
- Organtransplantationen: das Making-of der der vielen Enthüllungen in der SZ
- Um Leben und Tod: Organtransplantationen
- Starre Regeln: Organspenden und Transplantationen
- Enthüllungen der Süddeutschen Zeitung im Jahr 2006
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