, 04.11.2015

Zum Leidwesen der Patienten

Zum Leidwesen der Patienten

Süddeutsche Zeitung , 27.01.2006
von Christina BENDT

Die Eskalation geschah im wahrsten Sinne des Wortes zum Leidwesen der Patientin. Weil es Streit um die Bezahlung von Ärzten gibt, erhielt eine schwer lungenkranke Frau im Münchner Klinikum Großhadern in der vergangenen Woche nicht das lebensrettende Spenderorgan, das für sie bestimmt war (SZ, 26.1.). Weder die Ärzte aus Großhadern noch von drei ostdeutschen Transplantationszentren wollten die Lunge einer toten Spenderin in Zwickau entnehmen. Dabei lag die Patientin als Fall mit „hoher Dringlichkeit“ auf der Intensivstation des Münchner Universitätsklinikums. Am Donnerstagabend musste sie weiter um ihr Leben kämpfen. Und nur wenn sie Glück hat, wird sie noch rechtzeitig ein neues Organ erhalten. Spenderlungen sind sehr selten. Pro Jahr werden in Deutschland lediglich 220 verpflanzt.

„Der Vorfall ist skandalös“, sagte die Bayerische Sozialministerin Christa Stewens (CSU) der Süddeutschen Zeitung. „Es kann nicht sein, dass ein solcher Streit um Vergütungen auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird.“ Sie wolle die Staatsanwaltschaft einschalten; diese solle prüfen, ob ein Straftatbestand vorliege. Hintergrund dafür, dass die kostbare Spenderlunge auf dem Friedhof und nicht im Körper der schwerkranken Patientin landete, ist ein Streit zwischen Transplantationschirurgen und der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO, siehe Kasten). Die DSO koordiniert die Organspende bundesweit und entlohnt dazu auch die Ärzte, welche Leichenorgane entnehmen.

Doch DSO-Chef Günter Kirste will an dem ohnehin schon mageren Salär für die Chirurgen sparen. Künftig will er keine Rufbereitschaft mehr zahlen, für die die Ärzte bisher 1,20 Euro pro Stunde erhielten. Vielmehr sollen nur die Einsätze honoriert werden. Dabei zahlten die Chirurgen ohnehin schon drauf: So bekamen sie im Rahmen ihrer Nebentätigkeit für die DSO für einen Einsatz 98 Euro. Am nächsten Tag mussten sie aber wegen des Arbeitszeitgesetzes der Klinik fernbleiben, was einen Verdienstausfall von 200 Euro bedeutete.

Die neuen, noch schlechteren Verträge mit der DSO wollten die Ärzte deshalb nicht unterzeichnen. Da kündigte Kirste einseitig die Verträge. Er wollte die Kliniken unter Druck setzen, wie der Großhaderner Herzchirurg Bruno Reichart sagte. Ministerin Stewens nannte die Kündigung der Verträge ein „Verhalten nach Gutsherrenart“. Diese Wortwahl erinnert auch daran, dass Kirst e s DSO das Monopol für Leichenorgane in Deutschland besitzt.

Doch die Kündigungen hatten unerwartete Folgen. Viele Kliniken ohne Verträge halten oder hielten keine Rufbereitschaft für die Organentnahme mehr vor – wie das Klinikum Großhadern. Die bayerische Sozialministerin hat sich inzwischen in die Angelegenheit eingeschaltet. „Die DSO hätte die Verträge nicht ohne eine akzeptierte Anschlussregelung kündigen dürfen“, sagte Stewens der SZ. Auch der Erlanger Herzchirurg Theodor Fischlein monierte, die DSO habe versäumt nachzudenken, wie es weitergehen soll. An seinem Zentrum laufen die Verträge in fünf Tagen aus. Es gebe nun aber „definitive Absprachen mit den Entnahmeteams“, sodass „Entnahmen in Zukunft sicher gestellt sind“, versicherte DSO-Chef Kirste. Doch was das im Einzelnen heißt, hat er der SZ bis Donnerstagabend nicht erklärt.

Offenbar werden die Chirurgen erst einmal weiteroperieren – und nebenbei weiterverhandeln. „Wir fliegen jetzt wieder“, sagte der Großhaderner Chef-Chirurg Karl-Walter Jauch. Auch Theodor Fischlein versichert: „Wir werden uns nicht stur stellen. Wir müssen ja für unsere Patienten sorgen.“

Durch die Versorgungslücken hat die DSO nun aber womöglich ihren eigenen Vertrag nach Paragraph 11 des Transplantationsgesetzes verletzt. Danach muss sie alle Maßnahmen bis zur Transplantation „effektiv und effizient organisieren, um die gesundheitlichen Risiken der Organempfänger so gering wie möglich zu halten“. Mindestens im Fall der Münchner Lungenpatientin ist das offenkundig nicht gelungen.
Dabei ist völlig unklar, was die DSO eigentlich mit dem gesparten Geld machen will. Für ihren Auftrag, die Organspende zu organisieren und die Interessen der Patienten zu vertreten, die auf eine lebensrettende Transplantation warten, erhält sie ihr Budget von den Krankenkassen. „Was die DSO mit dem Geld im Einzelnen anfängt, hat sie aber nie offen gelegt“, sagt der Herzchirurg Fischlein.

Die Aufsicht über die DSO müsse enger werden, forderte Ministerin Stewens nun. Bisher gebe es kaum Handhabung gegenüber der Stiftung. Nur eine Prüf- und eine Überwachungskommission bei der Bundesärztekammer sind derzeit mit dem Münchner Fall befasst. Die Krankenkassen als Geld- und Auftraggeber der DSO interessieren sich seit langem nur wenig für die Probleme rund um den Organ-Monopolisten. Beim Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) war der für die Überwachung der DSO zuständige Referatsleiter Thomas Beck über den vertragslosen Zustand der Transplantationszentren am Donnerstag noch gar nicht informiert. Er wechselt ohnehin zum 1. April in den Vorstand der DSO.

Bevor ein Spenderherz in einem neuen Körper zu schlagen beginnt, landet es ganz profan in einem Plastikbeutel. Das Behältnis ist Teil einer langen Transportkette. Die Spezialisten an jeder Station müssen reibungslos zusammenarbeiten, damit lebensrettende Transplantationen gelingen – ohne dass es zum Beispiel Streit um die Bezahlung gibt

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2013

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