Ernest BAKSCHETSIAN: eine Chronologie aus Wladiwostok

Seit 2001

Der Schmuggel aus China nach Russland blüht und gedeiht: sehr billige Waren, die in Russland teurer verkauft werden können. Unter anderem auch auf dem berühmten Tscherkisowoer -Markt (Cherkizovsky-Markt) in Moskau.
Nicht nur die Endkunden erfreuen sich der preisgünstigen Waren. Besonders erfreut sind jene, die bei diesem organisierten Schmuggel viel Geld verdienen. Es sind vor allem Geschäftsleute aus Wladiwostok, dem Nadelöhr, über bzw. durch das alle Waren aus China und Südkorea laufen (müssen). Die Geschäftsleute unterhalten deswegen (sehr) enge Kontakte zu den politischen Funktionsträgern. Oder noch unkomplizierter: Politische Amtsträger agieren gleichzeitig als Geschäftsleute. 
Egal in welcher Version: In Wladiwostok und der gesamten Region Primorje kontrolliert ein engmaschiges Netzwerk aus politischen Funktionsträgern und Businessleuten das gesamte Importgeschäft. Und damit auch das Zollwesen. Jene, die weder das eine noch das andere verkörpern, Angestellte von Behörden beispielsweise, die es gerne etwas stressfreier haben, lassen sich bestechen und drücken dafür für dieses oder jenes ein (oder beide) Auge(n) zu.

Bis 2009 sind es umgerechnet etwa 7.000 Eisenbahnwaggons, die auf diese Art und Weise 'unkompliziert', sprich am offiziellen Zoll bzw. an den eigentlich geltenden Einfuhrzolltarifen vorbei ihren Weg nach Russland, insbesondere nach Moskau finden.


Bereits ein Jahr zuvor war riesengroßer Schmuggelskandal aufgeflogen: Die russische Möbelhauskette Tri Kita (EN: Three Wales) wurde dabei erwischt, bei 400 Tonnen Möbeln auf diese Art und Weise rund 5 Millionen $ hinterzogen zu haben. Tri Kita wurde zu diesem Zeitpunkt von 2 Managern kontrolliert, die eine gewisse Nähe zum russischen Inlandsgeheimdienst FSB hatten: ein ehemaliger hoher FSB-Direktor und der Vater eines hohen FSB-Direktors.


Die Ermittlungen lösten eine Kette unterschiedlicher Strafprozesse aus - u.a. gegen die staatlichen Ermittler. Und sie hinterlassen eine Reihe von Toten. Darunter: Ein Journalist der regierungskritischen Zeitung Novaya Gazeta, der detailliert über die Verwicklung von hohen Funktionsträgern im Innenministerium und der Staatsanwaltschaft recherchiert hatte. Mehr dazu unter Der Tri Kita-Korruptions- und Schmuggelskandal


2003

Auf die Tri Kita-Affäre folgt in Wladiwostok der Fleischskandal. Einige (aufrechte) Zollbeamte im Hafen von Nachodka (85 km östlich von Wladiwostok) halten ein Schiff aus China zurück, das Ware im Wert von mehr als 3 Millionen US-Dollar geladen hat. In den Frachtpapieren ist allerdings nur ein Zehntel davon deklariert. Der oder die Besitzer der Ladung wollten den Zoll betrügen.


Der Vorgang landet beim Staatsanwalt, das Schiff wird nach China zurückgeschickt, der Kapitän muss ein (kleines) Bußgeld bezahlen. Die eigentlichen Gauner jedoch werden nicht ermittelt und deshalb auch nicht bestraft - trotz mehrerer Anläufe. Und obwohl die Ermittler erfolgsverprechende Hinweise haben, dürfen sie aufgrund politischer Intervention vor Ort nicht weiter ermitteln.


Im Mittelpunkt auch dieser Schmuggelaktion steht die Fa. Rostek-DV Servis aus Wladiwostok, der größte Importeur chinesischer Massenartikel und von Fleisch in der Region. Drei der mutmaßlich Beteiligten sind für die Staatsanwälte nicht greifbar:

  • Wladimir KHMEL, ein ehemaliger Abgeordneter im Parlament von Primorje und einer der reichsten Einwohner hat sich in Spanien versteckt
  • Denis PAVLOV, der das Geld wäscht, ist spurlos verschwunden
  • ebenso Sergej KHE, Miteigentümer des privatisierten Hafens von Nachodka.

Alle sind offenbar die Initiatoren und Akteure der Fa. Rostek-DV Servis, deren Geschäftszweck darin besteht, andere Importeure in Zollangelegenheiten zu beraten und für diese eventuelle notwendige Behördengänge durchzuführen


Ende des Jahres 2004

Der russischen Zentralregierung wird das Treiben zu 'bunt' - sie greift durch: 3 der wichtigsten Funktionsträger in Wladiwostok, die alle zur politischen Elite vor Ort gehören, werden ausgetauscht: mit Leuten aus Sibirien oder Zentralrussland:

  • Der Moskauer Minister für ökonomische Entwicklung, German GREF, ersetzt den bisherigen Zollchef für den Fernen Osten, Viktor VUGLYAR, durch Ernest BAKSCHETSIAN. Er startet auf der Stelle eine neue Zoll-Politik:
    • Er setzt die - an sich vorhandenen - Zollregeln und Zolltarife, sprich das Gesetz durch
    • sorgt dafür, dass der Schmuggel bekämpft wird
  • Der Chef der Steuerverwaltung Tamara BUTOVA muss dem neuen Sergej SCHEWATOV aus Ulyanowsk weichen
  • und Russlands Generalstaatsanwalt ernennt einen neuen Staatsanwalt in Wladiwostok: Alexander ANIKIN
    ANIKIN hat sich zuvor in der 400.000 Einwohner zählenden Stadt Twer, ca 170 km norwestlich von Moskau, Meriten erworben: Er hat dort ein Korruptionsnest ausgehoben, zu dem der Gouverneur und der Bürgermeister zählte.

Mit diesen neuen Leuten will die Moskauer Zentralregierung jetzt in Wladiwostok 'aufräumen'


März 2005

Ernest BAKSCHETSIAN ernennt Alexander WOROBJOV zu seinem Stellvertreter


April 2005

Das russische Innenministerium in Moskau lässt 150 Frachtcontainer unverzollten chinesischen Massenartikeln beschlagnahmen, darunter 1 Mio Schuhe und 68.000 Unterhosen. Lieferadresse: das Lager des Truppenteils 54729 des FSB in Podmoskowie bei Moskau. Das fragliche Warenlager gehört zur FSB-Abteilung Material und technische Versorgung. Der FSB ist Russlands Inlandsgeheimdienst. 


Das Innenministerium versucht den Fall zu klären. Aber der Stellvertreter des Generalstaatsanwalts in Moskau, BIRUEKOW, übergibt die Ermittlung dem FSB. Danach tauchen die beschlagnahmten Waren auf dem berühmten Tscherkisovski-Markt in Moskau auf und werden dort verhökert.


Im Mittelpunkt dieser Aktion stehen - wie sich später herausstellen wird - erneut 2 Männer aus Wladiwostok, die als Handlanger der chinesischen Schmuggler agieren:

  • Igor IVANOV, Stellvertreter des Gouverneurs von Primorje mit vielen Kontakten zum Zoll und zur russischen Regierung in Moskau; er ist Mitglied von Russlands dominierender Partei "Einiges Russland"
  • Gennadi LYSAK, Abgeordneter im Parlament von Primorje; auch er ist Mitglied von Russlands größter Partei "Einiges Russland"

Diese Doppelfunktionen sind zu diesem Zeitpunkt nur einigen wenigen bekannt: jenen, die davon profitieren


August 2005

BAKSCHETSIAN muss sich mit dem Stellvertreter des Gouverneurs auseinandersetzen: Igor IWANOV, der - zu diesem Zeitpunkt offiziell noch unbekannt - einer der Drahtzieher des Schmuggeldeals mit den FSB-Waren ist, die trotz Beschlagnahmung auf dem Tscherisovski-Markt gelandet waren.
IVANOW erklärt dem Zollchef von Fernost, Ernest BAKSCHETSIAN, er sei offizieller Vertreter der drei Firmen

  • Senkant
  • Fribura
  • Argau

und diese bedeutenden Importfirmen würden darum bitten, künftig keine Probleme, z.B. langes Warten usw. mehr an der Zollgrenze zu haben. Sie würden nicht zu den Schmuggelfirmen gehören. Sondern selbstverständlich wolle man die Zölle in korrekter Höhe bezahlen.
BAKSCHETSIAN stimmt ersteinmal zu. Aber er traut IWANOV nicht und will beobachten, was passiert.

  • Im ersten Monat importieren die Firmen Baumaterialien - so wie es in den Frachtpapieren steht. Sie zahlen auch korrekt die Zollgebühr: 8.000 $ pro Container.
  • Im zweiten Monat mischen die Firmen dem Baumaterial bereits Waren des Massenbedarfs heimlich unter. Der Zolltarif dafür würde 18.000 $ pro Container betragen.
  • Im dritten Monat befinden sich in den Containern nur noch Massenbedarfswaren. Trotzdem steht in den Frachtpapaieren "Baumaterialien".

BAKSCHETSIAN, der seinen Vertreter WOROBJOV angewiesen hatte, alles die ganze Zeit heimlich zu kontrollieren, lässt schließlich 42 Container mit falsch deklarierter Ware beschlagnahmen, die für die Fa. Senkant bestimmt sind


September 2005

BAKSCHETSIAN's Stellvertreter WOROBIOV lässt den Dampfer "Semper Fidelis" mit 2.500 Tonnen Schmuggelfleisch aus Südkorea beschlagnahmen - auf Anordnung von BAKSCHETSIAN. Offiziell hat das Schiff laut Frachtpapieren nur 758 Tonnen Baustoffe geladen. Der Zoll hierfür ist wesentlich geringer.

Die Staatsanwaltschaft von Primorje, insbesondere der Transportstaatsanwalt von Nachodka, Denis BABIKOV, sowie der Zollleiter bei BAKSCHETSIAN, Sergej MURASCHKO, sorgen hinter dem Rücken von BAKSCHETSIAN, dass die Schmuggelware doch nicht konfisziert wird, sondern dass das Schiff nebst Ladung wieder nach Südkorea zurückkehren kann. Sie sabotieren die neue Zoll-Politik


Oktober 2005

In der Abteilung Innere Sicherheit beim Zoll, die - im Gegensatz zu ihrem eigentlichen gesetzlichen Auftrag - die Interessen der Schmuggelfirmen und all derer vertreten, die davon profitieren (u.a. auch Beamte beim Zoll), wird immer mehr klar, dass BAKSCHETSIAN das Gesetz auf allen Ebenen und in allen Abteilungen durchsetzen will. Um ihn besser beobachten zu können, was er macht und mit wem er sich trifft, um dann besser Gegenmaßnahmen treffen zu können, schlagen sie vor, BAKSCHETSIAN künftig zu bewachen - sein Leben und ds seiner Familie sei in Gefahr, wenn er sich so mit vielen prominenten Geschäftsleuten anlegen wolle.

BAKSCHETSIAN stimmt ersteinmal zu. Er beendet seine Bewachung im März 2006, als ihm klar wird, wozu das Ganze dienen soll


Dezember 2005

BAKSCHETSIAN bekommt unerwarteten Besuch: von Jurj ALJOSCHIN, dem Leiter des FSB von Primorje. ALJOSCHIN ist dem Zoll- und Hafenwesen schon länger verbunden. Bis vor kurzem war er Leiter des FSB im Hafen von Nachodka.

ALJOSCHIN kommt direkt zur Sache: Man wolle doch "wie eine Familie handeln", wird sich später BAKSCHETSIAN erinnern. Konkret schlägt der FSB-Chef vor, die 42 beschlagnahmten Container als Schlachtabfälle umzudeklarieren. Das würde nur ein Viertel der sonst fälligen Zollgebühren bedeuten. Und man würde umgekehrt BAKSCHETSIAN an diesem Geschäft beteiligen. 
BAKSCHETSIAN sagt "Nein!"


Anfang 2006

Jene, die BAKSCHETSIAN wieder loswerden wollen, beginnen ihn systematisch zu diskreditieren. Am 3. Februar beginnen erste "Ermittlungen", wie ein Jahr später einer der untergeordneten Staatsanwälte seinem Chef ANIKIN mitteilen wird:


März 2006

BAKSCHETSIAN's untergeordneter Leiter der Abteilung Operativer Zoll, Sergej MURASCHKO, der das südkoreanische Schiff mit Schmuggelfleisch wieder zurückkehren ließ, arbeitet zusammen mit einem anderen Kollegen, Igor LITWINOV, dem Leiter der Sicherheitsabteilung beim Zoll, ein Dossier aus. Es richtet sich gegen ihren neuen übergeordneten Chef, Ernest BAKSCHETSIAN.

Das Dossier entsteht auf vergleichsweise plumpe Weise: MURASCHKO und LITWINOV frisieren ein offizielles internes Arbeitspapier: eine Analyse eines anderen Kollegen,Oleg ELISEEW, der regelmäßig Bestandsaufnahmen der Zollarbeit macht. 

ELISEEW ist Revisor beim Zoll, nimmt so genannte Controllingaufgaben wahr. Er unterstützt die neue Zollpolitik von BAKSCHETSIAN.

MURASCHKO und LITWINOV streichen aus der letzten Bestandsaufnahme alles heraus, was die Erfolge der neuen Zollpolitik betrifft, lassen aber alles andere stehen, was noch nicht neu geregelt wurde oder werden konnte. Außerdem schreiben sie, dass der Anteil zweifelhafter Zolldeklarierungen immer noch viel zu hoch sei.
Diesen (veränderten) Bericht schicken sie dem FSB in Wladiwostok


18.03.2006

Der Leiter des föderalen Inlandssicherheitsdienstes (FSB) von Primorje, Juri ALJOSCHIN, der BAKSCHETSIAN im Dezember um einen Gefallen gebeten hatte, den dieser ihm verweigert hatte, erhält das von MURASCHKO und LITWINOW verfasste Zoll-Dossier. Es ist von vielen anderen unterschrieben. Zum Beispiel auch von

  • Igor IWANOV, dem stellvertretenden Gouverneur, der gleichzeitig als Vertreter chinesischer Exportfirmen fungiert, z.B. der Firmen
    • Senkant
    • Fribura
    • Argau
  • dem Parlamentsabgeordneten ("Einiges Russland") Gennadi LYSAK, der - ebenfalls wie IWANOV - als Handlanger für die chinesischen Schmuggelbande agiert, was zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht offiziell (z.B. von der Staatsanwaltschaft) ermittelt wurde
  • sowie weitere Zollbedienstete, die sich Karrierevorteile davon versprechen, sowie einige Vertreter aus dem Verwaltungsapparat des russischen Staatspräsidenten Wladimir PUTIN

Das Zoll-Dossier findet schnell seinen Weg: Es trägt das Datum vom 18. April. Ebenfalls vom 18. April datiert das Schreiben (siehe Bild), das der FSB-Chef ALJOSCHIN an Staatsanwalt ANIKIN aufsetzt, in dem er auf den "Amtsmissbrauch" von BAKSCHETSIAN hinweist. Das Zoll-Dossier ist angehängt. Aber auch der Eingangsstempel der Staatsanwaltschaft weist ein Datum aus: ebenfalls "18. April"


26.04.2006

Ernest BAKSCHETSIAN und sein Stellvertreter Alexander WOROBJOV kehren von einer Dienstreise aus Moskau zurück. Sie hatten vor einem Gremium des Föderalen Zolldienstes Bericht über die Ergebnisse und Erfolge der neuen Zollpolitik berichtet. Umgerechnet rund 500 Millionen Dollar sind durch kontinuierliche Anwendung der Zollvorschriften in den letzten 1 1/2 Jahren zusätzlich in die Staatskasse geflossen, seit BAKSCHETSIAN in Wladiwostok sein neues Amt angetreten hatte.

Der russische Ministerpräsident Michael FRADKOV überreicht Ernest BAKSCHETSIAN in Anwesenheit der anderen Kollegen vom Föderalen Zolldienstes in Anerkennung seiner Verdienste eine wertvolle Uhr, in der sein Name eingraviert ist. BAKSCHETSIAN versteht diese Geste so, dass das, was er in Wladiwostok tut, politisch auch so gewollt ist. 

Kaum ist er und WOROBJOV in Wladiwostok aus dem Flugzeug gestiegen, werden sieverhaftet. Gund: Verwicklung an der Lieferung von Schmuggelwaren der drei Firmen „Senkanta“, „Fribura“ und „Argau“. Konkret: Sie hätten dabei ihre Kompetenzen überschritten. So steht es in dem Report des FSB, der gerade fertig geworden ist.

WOROBJOV und BAKSCHETSIAN kommen ins "Untersuchungsgefängnis Nr. 1"(Следственный Изолятор № 1 Партизанский пр., 28Б, г. Владивосток, Приморский край, Россия).
BAKSCHETSIAN wird dort die nächsten 1 ½ Jahre verbingen (müssen) – genauso lange war er bis dahin Leiter des Zolls. 

Er darf in den nächsten Monaten weder Briefe schreiben noch darf ihn seine Frau in der U-Haft besuchen - BAKSCHETSIAN ist völlig isoliert.

Jetzt wird auch BAKSCHETSIAN's Haus mehrmals durchsucht. Seine Frau fliegt nach Moskau, versucht German GREF, den Minister für ökonomische Entwicklung zu erreichen, doch der kann nichts mehr tun: das Zollwesen ist inzwischen einem anderen Ministerium zugeordnet worden


Juni 2006

Der bisherige russische Justizminister und Mitglied der russischen Staatsregierung, Jury TSCHAIKA (CHAIKA), seit 1999 in diesem Amt, wechselt seinen Job. Er wird jetzt Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation.
Hintergrund: Russland unterschreibt inzwischen mehrere internationale Konventionen gegen Korruption - Russland will international glaubwürdiger werden:

  • eine Konvention den Vereinten Nationen (UN)
  • und eine entsprechende Vereinbarung mit dem Europarat.

Auf dem G-8 Gipfel in St. Peterburg, der im Juli in St.Petersburg stattfinden wird. wird sich Wladimir PUTIN ausdrücklich dazu bekennen, Maßnahmen auch auf nationaler Ebene gegen das Korruptionsunwesen einzuleiten:

  • Die russische Staatsduma bildet eine Anti-Korruptionskommission.
  • Staatspräsident PUTIN wird dies im November 'seinen eigenen Leuten' kommunizieren und erklären, warum Russland hier 'besser' werden muss.

Der bisherige Justizminister TSCHAIKA soll jetzt in seiner neuen Funktion mehr Schwung in diesen Kampf einbringen


Oktober 2006 und danach

TSCHAIKA handelt. Gegen Ende des Monat landet eine 30köpfige Spezialeinheit der Abteilung "Witjas" (Vityaz) im russischen Innenministerium sowie eine Truppe von Staatsanwälten aus Moskau heimlich auf dem Militärflughafen außerhalb von Wladiwostok. Sie beginnen sofort mit ihren Ermittlungen.

Einer ihrer ersten Schritte besteht darin, das Hauptquartier von Gennadi LYSAK zu durchsuchen und Dokumente zu beschlagnahmen: Mehr als 20 Importfirmen, die mit China handeln, sind auf seinen Namen registriert. LYSAK selbst treffen sie nicht (mehr) an - er hat sich rechtzeitig abgesetzt. Trotz aller bisherigen Ermittlungen im Verborgenen: LYSAK hat viele Verbindungen und überall 'Freunde'.

Sein Geschäftspartner IWANOV, der stellvertretende Gouverneur von Primorje, ist ebenfalls verschwunden und in Wladiwostok nicht mehr auffindbar.

Ebenfalls durchsucht wird das Rechtsanwaltsbüro "36 Stunden", das Beratungen in Sachen Zoll durchführt und eine dominante Rolle bei den beschlagnahmten 150 FSB-Frachtcontainern spielte, die auf dem Tschernisowski-Markt aufgetaucht waren (vgl. April 2005), wird durchsucht. Denn inzwischen weiß die Spezialtruppe: LYSAK und IWANOV, beides hochrangige Politgrößen in Primorje, sind Schmuggler


Juli 2007

Knapp ein dreiviertel Jahr nach der heimlichen Ankunft der Moskauer Spezialtruppe und den Moskauer Staatsanwälten auf dem Militärflughafen werden die ersten verurteilt. Darunter Alexander RASUMOV, ehemals stellvertretender Zollleiter und zuständig für den Wladiwostoker Marinehafen. Die Moskauer Ermittler haben ihn im November, kurz nach ihrer Ankunft, bei der Entgegennahme von 30.000 $ Schmiergeld von einem Geschäftsmann ertappt. 

Das Wladiwostoker Regionsgericht, bestehend aus einheimischen Richtern, sieht das bei ihrem Landsmann anders: Nicht für das Annehmen von Bestechungsgeld muss RASUMOV für 4 1/2 Jahre ins Gefängnis, sondern (nur) wegen "betrügerischer Handlungen"


August 2007

Die Moskauer Staatsanwälte in Wladiwostok geben offiziell die ersten großen Drahtzieher der Wladiwostoker Schmuggelbranche bekannt:

  • der stellvertretende Gouverneur von Primorje Igor IWANOV
  • Gennadi LYSAK, der Abgeordnete im Parlament.

Beide sind flüchtig. LYSAK hielt sich vermutlich zunächst in Südkorea auf, bevor er weiter nach Slowenien geflohen ist. Wo er sich jetzt aufhält, weiß niemand. Jetzt wird er von Interpol weltweit gesucht (siehe aktives Bild).
Von IWANOV fehlt jede Spur


Dezember 2007

Ernest BAKSCHETSIAN kommt gegen eine Kaution von 1 Mio Rubel (rund 35.000 Euro) aus der U-Haft frei - nach 1 1/2 Jahren. Bis jetzt war er ungekündigt und nach wie vor der oberste Chef des Zoll in Fernost. Jetzt wird er auch als Zollchef entlassen


Oktober 2008

Zehn Monate danach hat BAKSCHETSIAN's Mitarbeiter, der Revisor Oleg ELISEEV, eine Übersicht und eine Analyse zusammengestellt, die die Unschuld BAKSCHETSIAN's belegen. Er bietet dieses Dokument der Staatsanwaltschaft an und sich als Entlastungszeugen. Die Moskauer Staatsanwälte wollen davon aber nichts wissen


Mai 2009

Der Prozess gegen BAKSCHETSIAN und weitere 4 Mitarbeiter beginnt, darunter auch gegen seinen Stellvertreter WOROBJEV. Er wird allerdings unterbrochen und auf den 3. Juni vertagt


14.05.2009

BAKSCHETSIAN weiß, dass er sich im Falle einer Verurteilung in eigener Sache nicht mehr frei und öffentlich Gehör verschaffen kann. Er entschließt sich, zusammen mit seinem Revisor Oleg ELISEEV, eine Pressekonferenz abzuhalten. Nicht in Wladiwostok, sondern in Moskau, dem Zentrum der russischen Macht. Von dort kam auch der Befehl, in Wladiwostok 'aufzuräumen'. Er selbst wurde mit dieser Mission betraut.

Die Nachrichtenagentur Interfax bietet ihm ein solches Forum:

BAKSCHETSIAN und ELISEEV bringen es so auf den Punkt:

  • Die Anklage sei von den drei großen Schmugglergruppen sozusagen 'bestellt' worden
  • deren Repräsentanten in Wladiwostok sind inzwischen alle geflohen: Einer versteckt sich in Paraguay, ein anderer in den USA und einer in Südkorea
  • ausgeführt würde die ganze (Straf) Aktion vom FSB, der in vielen dieser Schmuggelaktionen verwickelt sie, und der Staatsanwaltschaft
  • er habe gegenüber ALJOSCHIN "Nein!" gesagt, als der zu ihm mit der Bitte gekommen war, mehr Nachsicht gegenüber einigen (bestimmten) Firmen zu üben; viele seiner Untergebenen hätten das aber sabotiert
  • im Falle eines Schuldspruchs gegen ihn, würde dies einem "Sieg der Primorjes gegen Moskau" gleichkommen ("победа Приморья над Москвой").

Anders gesagt: Alle, die sich an diesem Komplott beteiligt haben, haben Karriere gemacht:

  • Der Wladiwostoker FSB-Chef ALJOSCHIN ist zum Generalleutnant beim FSB in Moskau aufgestiegen - darüber gibt es nur noch 3 höhere Ränge
  • Staatsanwalt ANIKIN ist ebenfalls in Moskau gelandet: Bei der Generalstaatsanwaltschaft ist er zum Leiter der Abteilung Korruption befördert worden
  • MURASCHKO, der von ihm, BAKSCHETSIAN noch gekündigt wurde, ist wieder im Amt
  • der Ex-Kollege LITWINOV, der vormals Leiter der Sicherheitsabteilung beim Zoll war, wurde zum Generalmajor befördert und in dieser Funktion zum Leiter des Südzollamts.

Die Pressekonferenz war nur dünn besucht. In Moskau interessiert man sich nicht so sehr für die Region Primorje, die 7 Zeitzonen bzw. über 9.000 km weit weg liegt. Es berichten daher auch nur einige Medien:
Am ausführlichsten berichten (in Russisch)

Ein kompletter Mitschnitt der Pressekonferenz, der ursprünglich auf YouTube zu sehen war, ist inzwischen wieder gelöscht.


Juni 2009

Gleich am ersten Tag des Monats hält Wladimir PUTIN im Kabinett eine Ansprache: Er fordert vom FSB, dem Innenministerium und den Staatsanwälten, mehr Aktivitäten gegen den Schmuggel zu unternehmen. Früher seien auf den vielen Märkten 70% aller Waren Schmuggelgut gewesen. Jetzt nur noch 40%. Trotzdem sei dies immer noch viel zu hoch. Und er habe doch bereits vor einigen Jahren viele Zollleiter kündigen lassen, die ihren Job schlecht gemacht hätten. "Wo also bleiben die Verhaftungen?" fragt er in die Runde. 
Eine Frage, die die obige Karrikatur aufgreift.

In Moskau nimmt man PUTIN's Worte ernst. Die russische Regierung veranlasst die Generalstaatsanwaltschaft, den Tscherkisowoer Markt zu schließen. Das wollte PUTIN schon lange. 
Der langjährige Bürgermeister von Moskau, Jurj LUSCHKOW, allerdings nicht. PUTIN und LUSCHKOW mögen sich inzwischen nicht mehr besonders - im Gegensatz zu früher. 

Doch jetzt greift die Spezialtruppe OMON durch und schließt den Tscherkisowoer Markt am 25. Juni sozusagen über Nacht - mit staatlicher Gewalt. Als "Höllenloch" bzw. "Kloake der Kriminalität" hatte die Ermittlungsgruppe bei der Generalstaatsanwaltschaft diesen Ort bezeichnet. Bei über 1 Mio Besucher täglich und einem täglich geschätzten Umsatzvolumen von bis zu 50 Millionen Dollar, das niemand wirklich kontrollieren konnte, war dies in der Tat ein geradezu idealer Ort, um Schmuggelware in großem Stil zu verkaufen. 
Mit der unerwarteten Aktion ist damit Schluss. Auch für viele Geschäftsleute in Wladiwostok


22.06.2009

Der Richter des Frunsenskij-Gerichts (Stadtteil von Wladiwostok) (Россия, Приморский край, Владивосток; улица адмирала Фокина, 23), Pavel WETOCHIN, spricht sein Urteil in Sachen BAKSCHETSIAN und 4 andere:

  • Ernest BAKSCHETSIAN wird vom Vorwurf des Schmuggels und der Behinderung legaler Unternehmensaktivitäten freigesprochen. ABER: Er wird wegen 'Amtsmissbrauchs' nach § 286 des russischen Strafgesetzbuches verurteilt. Er habe "seine Kompetenzen überschritten". Worin dieser Vorwurf genau bestehen soll, erklärt der Richter nicht in seinem Urteil. Das Strafmaß für BAKSCHETSIAN: 5 Jahre Gefängnis
  • Sein Stellvertreter WOROBJOV wird ebenfalls verurteilt. Ihn hatte die Staatsanwaltschaft 6 Tage vorher in U-Haft genommen und unter Druck gesetzt - WOROBJOV war dieser Situation nicht gewachsen. Folge: Seine Aussagen vor Gericht entsprechen dem, was die Staatsanwälte von ihm hören wollten. Entsprechend milder ist sein Urteil: Er wird für 4 Jahre vom Zolldienst suspendiert
  • Vadim VASICH, der des Schmuggels überführt worden war, wird (nur) mit einer 7jährigen Suspendierung vom Dienst sowie mit einem Bußgeld von 100.000 Rubeln (rd. 3.000 Euro) bestraft.

Der staatliche Fernsehkanal NTV sendet dazu 2 Berichte:

Oleg ELISEEV, der sich als Zeuge, konkret als Entlastungszeuge angeboten hat, wird nicht gehört. Weder nimmt die Staatsanwaltschaft sein 'Angebot' und seine Dokumente zur Kenntnis noch die Richter. Weitere 7 Entlastungszeugen für BAKSCHETSIAN wurden ebenfalls nicht gehört. Alle Zeugen, die vor Gericht auftreten, waren Zeugen der Staatsanwaltschaft.
Das obige Bild mit Richter WETOCHIN führt zum ersten TV-Bericht des Senders NTV. Der Journalist beider Berichte lässt viele Informationen weg. Die amtliche Berichterstattung fällt daher im Sinne der herrschenden Machtstrukturen in Wladiwostok aus


23.06.2009

Der unabhängige Radiosender Echo Moskwi (obwohl von Gazprom finanziert) bringt ein Interview mit dem Journalisten Artem IUTENKOV von Ren TV, der den Film "Wege eines Schmugglers" gedreht hat: Er berichtet von seinen Dreharbeiten bzw. von dem, was sich in Wladiwostok beim Zoll abgespielt hat (auf russisch; 6 MB)


08.08.2009

Die Zeitung Arsenjevskije Vesti veröffentlicht einen sehr ausführlichen Artikel: Wege des Schmuggels. Dort wird sehr genau beschrieben, wie die Schmuggelwaren aus China über die Häfen in Wladiwostok und Nachodka nach Russland oder Moskau gelangen. Und welche Firmen an diesem Schmuggel beteiligt sind. 

Die Zeitung druckt auch ein Telefongespräch mit einem Unbekannten ab. Ein Unternehmer wird von einem Unbekannten Anrufer gewarnt und aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Und zwar endgültig


26.11.2009

Auch in der 2. Instanz beim Regionsgericht von Wladiwostok (Приморский краевой суд; Владивосток, ул. Фонтанная, 53), das aus den Richtern A.N. JUSCHTSCHENKO, I.M. DUDNIK und W.W. MARUTIN besteht, wird das Urteil nicht revidiert: Die Richter bleiben bei den Argumenten der Vorinstanz. Nur der Aufenthaltsort wird verändert: BAKSCHETSIAN darf in ein Gefängnis in der Stadt Irkutsk (Koloniesiedlung), weil er bereits schon länger 'gesessen' hat. Außerdem darf ihn dort jetzt seine Frau ab und an besuchen. 

BAKSCHETSIAN's Anwalt, Natalja BELOWZEWA, will erfahren haben, dass ein Attentat auf BAKSCHETSIAN geplant sei. Motive dazu gibt es genug - er weiß zuviel. Zwar spielte das in den Prozessen keine Rolle, aber sicher ist sicher. BAKSCHETSIAN's Ehefrau stellt daher einen Antrag an das russische Ministerium für Justiz, ihren Mann nicht wie geplant mit der Eisenbahn, sondern mit dem Flugzeug nach Irkutsk zu verbringen - sie würde auch selbst die Kosten tragen.

Ihr Antrag bleibt ohne Reaktion: weder gibt es eine Genehmigung noch eine Antwort


03.12.2009

BAKSCHETSIAN's früherer Mitarbeiter, der Revisor Oleg ELISEEV, schreibt einen Brief an den russischen Staatspräsidenten Dimitri MEDWEDEW, Ministerpräsident Wladimir PUTIN und an den Vorsitzenden des höchsten Gerichts von Russland, Richter Watscheslaw LEBEDEV.

ELISEEV erklärt den gesamten Zusammenhang. Er listet auch alle namentlich auf, die an dieser 'Verschwörung' gegen seinen früheren obersten Chef mitgemacht haben. Und er weist darauf hin, dass sie alle Karriere gemacht haben. ELISEEV stellt daher die Frage nach Gerechtigkeit in Russland.

Konkret schreibt der Revisor, dass PUTIN genau wisse, dass BAKSCHETSIAN ein "guter Mann" ist, der die Zolleinnahmen nachhaltig gesteigert hat; dass er aber trotzdem der Verhaftung von BAKSCHETSIAN offenbar zugestimmt habe. Damit habe PUTIN solchen Interessen wie jenen des flüchtigen IWANOV Vorschub geleistet.
ELISEEV's Brief können Sie hier in russischer Sprache lesen.

Eine Antwort seitens der russischen Regierung wird der Revisor nie erhalten. Stattdessen wird die Staatsanwaltschaft von Primorje am 10. Februar 2010 antworten: Die Schuldfrage von BAKSCHETSIAN sei gerichtlich erwiesen


16.08.2010

Das Kreisgericht von Irkutsk (улица Красноярская, 68, Россия, Иркутская область, Иркутск) beschliesst auf Antrag von Ernest BAKSCHETSIAN, ihn vorzeitig zu entlassen: wegen

  • guter Führung
  • und weil er bereits 50% seiner Strafe abgesessen habe.

Die Staatsanwaltschaft von Wladiwostok legt dagegen vor der nächsthöheren Instanz, dem Gebietsgericht von Irkutsk (улица Байкальская, 121; Россия, Иркутская область, Иркутск) Widerspruch ein. Die Richter dort akzeptieren den Protest nicht und geben das Verfahren zurück an die erste Instanz. Dort bleiben die Richter bei ihrer Entscheidung


27.08.2010

Ernest BAKSCHETSIAN kommt nach insgesamt über 2 1/2 Jahren wieder auf freien Fuß. Noch vor seiner Freilassung hat sein Anwalt Gajda GENADJEWITSCH aus Irkutsk beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassbourg (Frankreich) Beschwerde gegen das Urteil von Wladiwostok eingelegt.

Der Europäische Menschengerichtshof ist für viele Menschen das wichtigste Gericht und oft die letzte Hoffnung. Rund 30% aller Beschwerden dort stammen aus einem Land: der Russischen Föderation


02.12.2010

Der Fernsehsender Ren TV zeigt einen 47minütigen Film des Journalisten Artem IUTENKOV, der das Geschehen in Wladiwostok seit mehreren Jahren recherchiert und gefilmt hat: "Der Weg eines Schmugglers". Er geht dabei auch im Detail darauf ein, was Ernest BAKSCHETSIAN widerfahren ist.
Informationen zum Film gibt es hier. Um sicher zu stellen, dass der Film (in russischer Sprache) im Internet nicht 'verloren' geht, haben wir ihn bei uns gespeichert. Sie können ihn als Flash-Video downloaden und anschauen:

  • IUTENKOV: Wege eines Schmugglers, Teil 1 (kein Link gefunden)
  • IUTENKOV: Wege eines Schmugglers, Teil 2 (kein Link gefunden)

2013

Drei Jahre danach ist noch immer nichts entschieden. Ernest BAKSCHETSIAN hat keinerlei Informationen, wie es um seinen Fall beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte steht. Auskünfte zum Stand eines Verfahrens gibt es dort nicht


(Katja ANOKHINA, Marina FILIPTCOVA, Elena ISAEVA, Anastasia KAMENSKAYA, Anna KASIUTINA, Maria MASLINA)