Die Berichte des WESER-Kurier, 31.07.1970

von Ulrich MANZ

Senat: Presse-Informant ein "Lügner"

Mit einigen aufschlußreichen Erklärungen hat gestern auch Bürgermeister Hans Koschnick im Anschluß an eine Senatssitzung zu der Bremer Grundstücksaffäre Stellung genommen. Im Namen aller während der Zusammenkunft anwesenden Regierungsmitglieder versicherte Koschnick mit Nachdruck, daß im Senat bislang noch zu keinem Zeitpunkt über einen etwaigen Rücktritt Bausenator Blases abgestimmt worden sei und die SPD-Mitglieder der Regierung demzufolge einen solchen Schritt auch nicht abgelehnt hätten. Eine anderslautende Meldung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Dienstag bezeichnete er als absolut falsch und den Informanten des Blattes als „Lügner".

Bevor Blase seinen Urlaub nicht offiziell beendet und dem Senat Anfang kommender Woche Bericht erstattet hat, ist mit einer Entscheidung über die politische Zukunft des Senators auch nicht zu rechnen. Über die in den vergangenen Tagen vom Untersuchungsausschuß offenbarten Verwaltungspraktiken einzelner Behörden der Bauverwaltung zeigte der Bürgermeister sich schockiert, erklärte aber sofort im Hinblick auf den Leiter des Liegenschaftsamtes, Regierungsdirektor Reichenbach: „Ich bin nicht bereit, hier einen 'Obergefreiten' erschießen zu lassen, ohne Konsequenzen für alle Verantwortlichen zu sehen.“

Einen unmittelbaren Zwang, auf Grund der bekanntgewordenen Vorkommisse nunmehr zu demissionieren, können Bürgermeister und Senat nach der Bremischen Landesverfassung auf ihren Kollegen Blase allerdings nichit ausüben (siehe Kasten „Blase muß selbst über Rücktritt entscheiden"). Koschnick meint jedoch zu wissen, „daß Blase in Kenntnis dessen, was offenbar wurde, seine Überlegungen sehr gründlich anstellen und dabei auch das Ansehen des Senats im Auge haben wird".

Dennoch bedauert der Bürgermeister zumindest in dieser Frage, daß dem Senat nicht mehr Rechte zustehen, allerdings ohne damit generell etwas gegen das gesetzlich verankerte Prinzip des „Teamwork“ in der bremischen Landesregierung sagen zu wollen.

„Für einen ehemaligen Verwaltungsangestellten wie mich ist es unfaßbar, was geschehen ist", so kommentierte Koschnick das Auftreten Regierungsdirektor Reichenbachs und Amtsrat Haars vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Offensichtlich auf eine zu respektierende Standesehre anspielend, warf der Bürgermeister impulsiv in die Debatte: „Ich als ehemaliger Beamter hätte am liebsten Harakiri begangen."

Trotzdem bietet sich dem Bürgermeister aus beamtenrechtlichen Erwägungen heraus keine Handhabe, beispielsweise Reichenbach und Haar bis auf weiteres vom Dienst zu suspendieren. „Ich kann Beamte nicht einfach nach Hause schicken. Erst muß ein Dienststrafverfahren eingeleitet sein." Dennoch scheint für Koschnick bereits unumstößlich, „daß die Lieqenschaftsverwaltung mit Sicherheit nicht mit diesen Beamten weitergeführt werden kann".

Zu der Frage, wieso gerade Haars Beförderungswünschen in der Vergangenheit immer entsprochen worden sei, deutete Koschnick nur vielsagend an: „Keine Antwort ist auch eine Antwort."

Hatte Blase vor dem Ausschuß noch auf unkonventionelles Handeln, das im Straßenbau nicht immer zu vermeiden sei, verwiesen, so betonte Bürgermeister Koschnick: „Das, was geschehen ist, kann man wohl kaum noch als unkonventionell bezeichnen."

Auch in einer anderen Sache kommt Blase in den Augen des Regierungschefs wenig gut weg. Als der Senat nämlich seinerzeit über die Vorwürfe des WESER-KURIER beriet, lag dem Bausenator bereits das Beschwerdeschreiben des Bundesrechnungshofes zu den Maklerprovisionen vor. Blase verschwieg diese Tatsache aber seinen Regierungskollegen. Dazu Koschnick: „Ich hätte an seiner Stelle wenigstens mal etwas gesagt."

Erbost war der Bürgermeister über eine Meldung in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Dienstag, die der Bremer Korrespondent des Blattes, Dieter Rösner, verfaßt hatte. In der „FAZ" war zu lesen gewesen: „Gegen die drei Stimmen der FDP in der Bremer Regierungskoalition hat die SPD eine solche Entscheidung abgelehnt." — Gemeint war eine Empfehlung an Blase, zurückzutreten. Rösner, der seine Information gestern lediglich einer „hochstehenden FDP-Quelle" zuschrieb, hatte am Vortage im Parlamentsgebäude verkündet, sein Informant sei ein FDP-Senator. Dann allerdings mußte gestern ein Regierungsmitglied zusammen mit seinen Kollegen selber bestätigt haben, daß er ein Lügner ist.

Dem Bürgermeister kam es auf das Wort „Entscheidung" an. Eine dazu notwendige Abstimmung habe nie stattgefunden. So argwöhnt Koschnick denn heute, mit Zweckmeldungen solle seine politische Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen werden. Er stehe immer noch dazu, mit Nachdruck und ohne Ansehen der Person im öffent-lichen Grundstücksgeschäft für Sauberkeit zu sorgen. Die Rösner gegebenen Informationen apostrophierte er deshalb als „erlogen". Koschnick hat sich überlegt, ob er wegen des Berichtes in der „FAZ" den Bremer Regierungsanwalt einschalten sollte.

Wie abschließend vom Bürgermeister zu erfahren war, hat Präsident Hartmann, Leiter des Bremer Rechnungshofes, den vom Senat geforderten Untersuchungsbericht für kommenden Dienstag angekündigt. Schon jetzt steht fest, daß die Liegenschaftsverwaltung in diesem Papier wenig gut davonkommen wird.

Der Senat will den Untersuchungsausschuß der Bürgerschaft umgehend über die Meinung der Bremer Rechnungsprüfer unterrichten, wahrscheinlich auch die Öffentlichkeit, „denn", so Koschnick, „wenn viel drinsteht, müssen wir den Bericht wohl veröffentlichen".

 

WEITERE ANMERKUNGEN

1) Blase muss selber über Rücktritt entscheiden

Nach der Bremischen Landesverfassung hat weder der Senat noch sein Präsident, Bürgermeister Koschnick, eine unmittelbare Möglichkeit, Bausenator Blase zu einem etwaigen Rücktritt zu zwingen. Folgende Artikel der Verfassung sind für dieses Problem maßgebend:


Artikel 110, Absatz 4:

Wenn sich ein Mitglied des Senats beharrlich weigert, den ihm gesetzlich oder nach der Geschäftsordnung obliegenden Verbindlichkeiten nachzukommen oder der Pflicht zur Geheinhaltung zuwiderhandelt oder die dem Senat oder seiner Stellung schuldige Achtung gröblich verletzt, so kann ihm auf Antrag des Senats durch Beschluß der Bürgerschaft die Mitgliedschaft im Senat entzogen werden.


Artikel 115, Absatz 2:

Der Präsident des Senats hat die Leitung der Geschäfte des Senats; er hat für den ordnungsgemäßen Geschäftsgang Sorge zu tragen sowie für die gehörige Ausführung der von den einzelnen Mitgliedern des Senats wahrzunehmenden Geschäfte.

 

2) In Sachen Franke – Manz

Die vorgestrige Untersuchungsausschuß-Befragung unseres Redakteurs Manz, die zum Ausscheiden des SPD-Ausschußmitgliedes Horst-Werner Franke führte, macht die folgenden nachträglichen Anmerkungen notwendig:

Herr Franke ist ein ehrenhafter Mann. Wir bedauern sein Ausscheiden aus dem Ausschuß, in dem er sich durch präzise Fragen hervorgetan hatte. Im übrigen hat der WESER-KURIER Herrn Franke in keiner seiner Veröffentlichungen genannt, die zur Bildung des Untersuchungsausschusses führten. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Im Zuge seiner Recherchen durfte jedoch Herr Manz annehmen, daß Herr Franke über die Autobahnangelegenheit wenigstens andeutungsweise informiert war. In diesem Zusammenhange nannte Herr Manz daher bei der vorgestrigen Befragung den Namen des Herrn Franke, nachdem er danach gefragt worden war. Hiermit war jedoch nicht die Behauptung verbunden, Herr Franke sei im gleichen Atemzuge mit den vom WESIR-KURIER benannten Politikern zu erwähnen. Ein Vorwurf gegen Herrn Franke wäre darum auch unberechtigt gewesen, wie sich schließlich nicht zuletzt auch aus der Vernehmung Senator Blases ergab, der einräumen mußte, gerade von Herrn Franke in der Angelegenheit Autobahn angesprochen worden zu sein.

Es ist daher durchaus zuzugeben, daß der Eindruck, den Herr Manz bei seinen vielfältigen Recherchen gewonnen hatte, wonach Herr Franke über die Autobahnfragen als einigermaßen informiert anzusehen sei, sich in der Beweisaufnahme vor dem Ausschuß nicht bestätigt hat. Unabhängig hiervon hat Herr Manz durch seine Äußerung, Herr Franke sei für ihn ein integrer Politiker, seine Einstellung zu Franke, der sich Verlag und Redaktion des WESER-KURIER anschließen, bekundet.