Der Abschlussbericht des Staatsanwalts

Der nachfolgende Bericht enthält die ausführliche Begründung, warum der WESER-Kurier seine Behauptungen aufrecht erhalten durfte und seitens der Staatsanwaltschaft keinerlei strafgerechtliche Maßnahmen eingeleitet wurden


Staatsanwaltschaft Bremen
Aktz.: 10 Js 72/69
Es wird gebeten, bei Eingaben
vorstehendes Aktenzeichen anzugeben
28 Bremen 1, den 24. März 1970
Postfach
Gerichtshaus, Domsheide 16
Fernsprecher: (0421) 361 42 33
(0421) 3111
Herrn Rechtsanwalt

Dr. Klans Gatten
28 Bremen
Anwaltszentrale
Fach
Betr.: Ermittlungsverfahren gegen Ulrich Manz u. A. wegen übler Nachrede u. a.
Zu: Strafanzeigen und Strafanträge vom 2. 7. 1969 (5/Lü.) und 8. 7. 1969 (20/Lü.)
Anl.: 3 Ausfertigungen.

 

Ich habe das Verfahren eingestellt.

Nach Sachlage kommt lediglich üble Nachrede in Betracht. Die von den Beschuldigten, dem Redakteur Ulrich Manz und dem Gewerkschaftsmitglied Kuhlmann, öffentlich aufgestellten ehrenrührigen Behauptungen über die Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft Richard Boljahn, Heinz Klemmer und Willy Schelter sind indessen auf Grund der Beweiserhebungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses der Bremischen Bürgerschaft sowie meiner Ermittlungen überwiegend wahr, im übrigen gemäß § 193 StGB gerechtfertigt.

  1. Gegenstand des Verfahrens waren zunächst die ehrenrührigen Behauptungen des Beschuldigten Manz in dem von ihm verfaßten und gezeichneten Artikel auf S. 9 der Ausgabe des Weser-Kurier vom 28./29. 6. 1969, und zwar namentlich


a) Nach eigenen Bekundungen Lohmanns
habe der damalige SPD-Bürgerschaftsfraktionsvorsitzende Richard Boljahn ihm seinerzeit geraten, im Hollerland auf eigene Rechnung Gelände aufzukaufen, und ihm dafür Befreiung von der 7-prozentigen Grunderwerbsteuer zugesagt;

 

b) (auf die vom Beschuldigten selbst gestellte Frage, warum niemand Gewinnspannen bis zu 100 Prozent für den Makler unterbunden habe:)
Bei der SPD-Fraktion, damals im Parlament im Besitz der absoluten Mehrheit, sei deutlicher, warum sie nichts unternommen habe.

Zunächst sei mit Boljahn der eigene Fraktionsvorsitzende betroffen gewesen, und außerdem habe es Lohmann verstanden, seit Dezember 1959 ebenfalls SPD-Mitglied, sich Freunde in der Fraktion zu schaffen, indem er im Keller seines Hauses Schwachhauser Heerstraße 222 intensiv Kontakte mit einflußreichen SPD-Politikern gepflegt habe. Ständige Gäste in diesem „Club 222" seien außer Richard Boljahn der heutige Sprecher der Baudeputation, Heinz Klemmer, und der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Willy Scheilter gewesen. Anscheinend habe keiner der Gäste des „Club 222“ — dem Gemeinwohl verpflichtete Abgeordnete und Beamte mit öffentlichem Auftrag — jemals etwas unternommen, um die Gewinne des Maklers einzudämmen.


Zu a)

Die Behauptungen stützen sich ausdrücklich auf „eigene Bekundungen" Lohmanns. Für die Tatsache, daß Lohmann sie so oder mindestens in ganz ähnlicher Form aufgestellt hat, sprechen nicht nur die eigenen eidesstattlichen Versicherungen des Beschuldigten und seines Kollegen Döcke, sondern auch die Lohmanns, die in dem Zivilrechtsstreit der Anzeigeerstatter gegen den Weser-Kurier wegen des Erlasses einer einstweiligen Verfügung (4 O 994/69 des Landgerichts Bremen) vorgelegt worden sind. Da der Beschuldigte die inkriminierten Behauptungen nicht isoliert aufgestellt hat, sondern unter ausdrücklicher Bezugnahme auf „eigene Bekundungen Lohmanns“ und dieser auch für den Durchschnittsleser unübersehbare Zusammenhang zwischen Behauptung und Quelle nicht unberück-sichtigt bleiben kann, könnte der Wahrheitsbeweis schon damit als erbracht angesehen werden. Die Behauptungen sind jedoch darüber hinaus auch in der Sache selbst wahr: Zwar nennt Lohmann den „Tip“ der ihm von Boljahn gegeben worden sein soll, „Anheimstellen“, jedoch ist dies eine vorsichtige sorgfältig gewählte Umschreibung des wahren Sachverhalts:

Die Grundstücksgesellschaft Weser (GGW) hatte durch Vermittlung Lohmanns als Makler in dem Gebiet zwischen Bundesautobahn, Lehester Deich, Kuhgrabenweg und Kleinbahndamm („Hollerland 2") bis Ende 1965 Grundstücke in einer Größenordnung von 900 000 qm selbst angekauft. Über die Verwendung dieser Flächen, die aus nicht zusammen-hängenden Geländestreifen bestanden und daher für eine umfassende Planung nicht zu gebrauchen waren, herrschte anfänglich keine Klarheit. Erst zu Beginn des Jahres 1967, nachdem über ein Jahr lang keine Ankäufe mehr getätigt werden konnten, entschloß sich die GGW, zur Behebung ihrer finanziellen Schwierigkeiten das Gelände über Boljahn der Neuen Heimat Hamburg (NHH) anzubieten. Eine Sanierung der GGW, die infolge der Zinsbelastungen für die Ankäufe im Hollerland praktisch konkursreif war, hätte indessen auch mit anderen Mitteln durchgeführt werden können. Wenn sich Lohmann in diesem Zeitpunkt ungeachtet der allgemeinen wirtschaftlichen Stagnation, die sich namentlich auch auf dem Grundstücksmarkt bemerkbar machte, entschloß, von den Restflächen in einer Größen-ordnung von 1,4 Mill. qm, die das Gelände arrondierten und erst dadurch einer einheitlichen Planung zugänglich machten, der NHH durch Schreiben vom 19. 1. 1967 etwa 1 Mill. qm anzubieten und den übrigen Teil von ca. 400 000 qm für eigene Zwecke („shopping center“) zurückzuhalten, obwohl er davon noch keinen einzigen Quadratmeter besaß, so konnte er dieses kaufmännische Risiko nur eingehen, wenn er angesichts des für den Ankauf benötigten Kapital-bedarfs von weit über 10 Mill. DM gewiß sein durfte, den Hauptteil des Geländes kurzfristig an einen potenten Käufer weiter veräußern zu können. Den bei dieser Sachlage entscheidenden Hinweis, daß die GGW ihre Flächen der NHH anbieten wolle und daß daher die NHH stärkstes Interesse auch an den Restflächen haben werde, konnte Lohmann nur von Boljahn erhalten haben.

Boljahn hat dies im wesentlichen einräumen müssen. Dementsprechend bezieht sich Lohmann in seinem schriftlichen Angebot vom 19. 1. 1967 auch auf eine Besprechung mit Boljahn, und tätsächlich hat Lohmann erst dann begonnen, in dem fraglichen Gebiet die Restflächen aufzukaufen, als er nach einer Besprechung am 13. 3. 1967 zwischen Bausenator Blase, Vertretern der NHH und Boljahn über die geplante Bebauung des Hollerlandes 2 sicher sein konnte, daß er auf den anzukaufenden Flächen nicht sitzenbleiben werde. Auch insoweit muß daher Boljahn „Bote“ der für Lohmann erfreulichen Nachricht gewesen sein.

Die mit diesem Geschäft nicht nur tatsächlich erzielte, sondern auch von Anfang an erwartete Bruttogewinnspanne von über 3 Mill. DM für den k u r z f r i s t i g e n, also steuerlich „spekulativen“ An- und Weiterverkauf, die nur auf Grund der zuvor von Boljahn gegebenen Hinweise auf das Schicksal der bereits von der GGW angekauften Flächen möglich war, wird mit dem Ausdruck „Spekulationstip“ durchaus treffend gekennzeichnet. Dabei kann dahingestellt bleiben, welche Gründe im einzelnen für Boljahn maßgebend waren, Lohmann in der bezeichneten Weise einzuschalten.

Das Geschäft wickelte sich in der Folgezeit planmäßig und für Lohmann erfolgreich ab. Namentlich die Behauptung, daß er dabei „Millionengewinne“ erzielt habe, kann auf Grund der monatelangen Beweiserhebungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses nicht mehr ernstlich bestritten werden, wenn auch Manz dies auf Grund seiner zwangsläufig beschränkten Recherchen als Journalist nicht vollständig ermittelt hat: Zwar hat Lohmann nachzuweisen versucht, daß er das Gelände praktisch zum Selbstkostenpreis an die NHH weiterverkauft habe. Er läßt dabei jedoch mindestens unberücksichtigt, daß die Maklerfirma Scholz, ein Familienunternehmen, knapp 600 000 DM an Maklerprovisionen erhalten und daß er auch von der zunächst zurückbehaltenen Fläche, die er ursprünglich für ein „shopping center“ sowie für frei finanzierte Wohnungen vorgesehen hatte („schwimmende Einheit“), 340 000 qm unter Zurückbehaltung eines Restes von 40 000 qm am 30. 12. 1969 für 15 DM/qm an die NHH weiterverkauft hat (UR Nr. 4185/69 des Hamburger Notar Schacht). Werden ein Ankaufspreis von 10 DM/qm sowie zusätzliche Unkosten für Zwischenzinsen, Grunderwerbsteuer, Gebühren u.ä. Von 3 DM/qm zugrunde gelegt, so hätte Lohmann hieraus noch einmal einen Nettogewinn von 0,68 Mill. DM erzielt. Bei dieser Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob sich ein weiterer Gewinn daraus errechnet, daß Lohmann möglicherweise die von ihm angegebenen „Sonderleistungen“ an die Verkäufer von fast 1 Mill. DM nicht oder jedenfalls nicht in dieser Höhe erbracht hat.

Diese Gewinne Lohmanns gehen zunächst zu Lasten der Wohnungsbaugesellschaften und, wenn es zum sozialen Wohnungsbau kommt, zu Lasten des Steuerzahlers.

Ob Lohmann auch bei den im weiteren Verlauf des Artikels beschriebenen Grundstücksgeschäften, bei denen er 10 bis 16 DM für den Ankauf entrichten mußte und 19 bis 21 DM beim Verkauf erzielt hat, Millionengewinne gemacht hat— nach den Ermittlungen beziehen sich diese Geschäfte auf das Gelände des Hollerlandes ö s t l i c h des Kleinbahn-damms („Hollerland 1“) — braucht nicht weiter geprüft zu werden.

Auch die Zusage einer Grunderwerbsteuerbefreiung kann als erwiesen angesehen werden: Weder Lohmann noch ein verständiger Leser könnte dem Artikel entnehmen, Boljahn habe sich über die Grundsätze der Gewaltenteilung hinwegsetzen wollen. Die Behauptung kann vielmehr nur so verstanden werden, daß Boljahn versprochen habe, sich auf Grund seiner damals noch ungewöhnlich starken Stellung im öffentlichen Leben Bremens bei den zuständigen Stellen für eine solche Steuerbefreiung einzusetzen.

In dem Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen vom 5. 12. 1969 (4 U 113/69) heißt es hierzu, daß „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Gespräche über eine Grunderwerbsteuerbefreiung geführt, jedoch keine Zusicherungen seitens des Antragstellers zu 1 (Boljahn) gemacht worden“ seien (UA S. 28). Daß Boljahn Zusicherungen in dieser Richtung weder machen wollte noch konnte, ist selbstverständlich. Andererseits steht auf Grund der eidesstattlichen Versicherung Lohmanns vom 8. 7. 1969 fest, daß nicht nur darüber gesprochen worden ist, sondern daß Lohmann bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt nämlich bei Abgabe seines Verkaufsangebots vom 19. 1. 1967 an die NHH, Steuerbefreiung „auf Grund der Besprechung mit dem Finanzsenator“ erwartete, daß Boljahn sich dafür eingesetzt hat (Protokollauszüge des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, Band 3, S. 19/49) und daß schließlich die Steuer erst ungefähr ein Jahr nach Entstehen der steuerpflichtigen Tatbestände festgesetzt worden ist, also über einen längeren Zeitraum gestundet gewesen sein muß. Dem steht Boljahns eigene eidesstattliche Erklärung vom 3. 7. 1969 nicht entgegen, da er darin lediglich versichert, Lohmann keine Steuerbefreiung zugesagt zu haben.

Soweit der angegriffene Artikel des Beschuldigten in seiner Gesamttendenz den Eindruck erwecken will, der Abgeordnete Boljahn und der Privatmann Lohmann hätten unzulässig zusammengewirkt, ist festzustellen, daß Boljahn seinem Parteifreund Lohmann jedenfalls dadurch persönlich verpflichtet war, daß Lohmann 1964 der BEG, bei der Boljahn mit einer selbstschuldnerischen Bürgschaft engagiert war, durch eine Spendenaktion aus der Illiquidität geholfen hatte. Entsprechendes gilt, wenn auch in geringerem Maße, für die Ausnutzung der Gastfreundschaft Lohmanns im „Club 222“ durch Boljahn.

Zu b)

Klemmer und Schelter räumen ein, mehrfach (Klemnter: von Anfang/Mitte 1966 bis Mitte 1969 zehn- bis zwolfmal; Schelter: höchstens sechsmal in den Jahren, in denen er im politischen Leben Bremens stehe) Gäste des „Clubs 222” gewesen zu sein. Diese Frequentierung als „gelegentlich” zu bezeichnen, ist eine Wertung des Hanseatischen Oberlandes-gerichts Bremen (UA S. 32), die nicht zwingend erscheint: Klemmer hat den Club über einen Zeitraum von mehreren Jahren durchschnittlich immerhin in Abständen von drei bis vier Monaten besucht. Selbst wenn es ü b e r t r i e b e n sein sollte, Klemmer und Schelter damit als „ständige Gäste” des „Clubs 222” hinzustellen, so liegt doch der Akzent erkennbar nicht auf d i e s e r Aussage, sondern darauf, daß auch diese beiden Politiker sich auf Grund ihrer Inanspruchnahme der Gastfreundschaft Lohmanns zu diesem möglicherweise in eine politische Abhängigkeit begeben hätten, die den Verdacht aufkommen lasse („ist deutlicher”), sie hätten aus diesem Grunde entgegen ihrer Verpflichtung dem Gemeinwohl gegenüber nichts unternommen, die Gewinne des Maklers einzudämmen.

Die von dem Beschuldigten geäußerte vorsichtige Vermutung über das Motiv dafür, warum Mitglieder der SPD-Fraktion, namentlich die Abgeordneten Klemmer und Schelter, bei den Geschäften Lohmanns nicht eingriffen, schließt sich an die Darstellung des Beschuldigten über die Spekulationsgewinne Lohmanns im Hollerland und seine „Maklerprovisionen“ bei den Geländeankäufen für die Verbreiterung der Bundesautobahn an. Diese letzteren Angelegenheiten fielen in die Jahre 1968/69, eine Zeit also, in der auch Klemmer bereits Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft und Sprecher der Baudeputation war. Schelter demgegenüber mag zwar, wie er behauptet, mit Grundstücks- und Bauangelegenheiten politisch und privat nicht befaßt gewesen sein. Angesichts der Tatsache jedoch, daß bereits durch frühere Presseveröffentlichungen und durch Äußerungen in der Bürgerschaft der Verdacht geäußert worden war, bei Grundstücksgeschäften seien, vorsichitig ausgedrückt, Privatunternehmer durch die öffentliche Hand einseitig begünstigt worden, und nicht schwer zu erraten war, gegen wen diese öffentlichen Angriffe zielten, war es zu-mindest naheliegend, nunmehr den Sprecher der Deputation und neben dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion auch deren Geschäftsführer, bei denen allein schon auf Grund ihrer herausgehobenen Stellung eine intimere Kenntnis des Sach-verhalts angenommen werden durfte, namentlich zu nennen. Bei Klemmer kommt hinzu, daß dieser dem Beschuldigten gegenüber in einem Gespräch am 9. 6. 1969 eingeräumt hatte, daß „die Preise im Hollerland entschieden zu hoch“ gewesen seien.

Dennoch scheint der Beschuldigte objektiv einen Fehlgriff getan zu haben, als er in dem zitierten Abschnitt des Artikels bezüglich der Abgeordneten Klemmer und Schelter unterstellte, sie hätten möglicherweise d e s h a l b nichts unternommen, weil sie Gäste des „Clubs 222“ und Freunde Lohmanns gewesen seien. Diese objektiv wahrscheinlich unzutreffende Darstellung eines möglichen Motivs für die Untätigkeit Klemmers und Schelters ist jedoch gemäß § 193 StGB gerechttfertigt.

Der Rechtfertigungsgrund der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“, der im Hinblick auf das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 GG) auch für die Presse gilt, wenn sie im Rahmen ihrer öffentlichen Aufgabe die Allgemeinheit unterrichtet oder Kritik übt (BVerfG HJW 1960, 29), kann mit dem ebenfalls verfassungsmäßig (Art. 2 GG) geschützten Recht des einzelnen an seiner Ehre kollidieren. Mangels Vorrangs des einen oder anderen Rechts muß daher im Einzelfall abgewogen werden. Dabei sind einerseits der Gegenstand des Presseberichts und seine Bedeutung für die Allgemeinheit sowie die Sorgfalt bei der Ermittlung und Darstellung des Sachverhalts (BGH NJW 1960, 476), andererseits die Stellung und das eigene Verhalten des Betroffenen (BGH NJW 1959, 636) zu berücksichtigen. Daraus folgt: Das eminente Interesse der Allgemeinheit an den von dem Beschuldigten behandelten Thema steht außer Frage.

Er hatte unbestritten mehrere Wochen lang recherchiert. Dabei kann ihm nicht vorgehalten werden, daß er zwar Klemmer, nicht aber Shelter angesprochen hat, weil er eine Selbstbelastung Schelters nicht erwarten konnte. Da Klemmer und Schelter als führende Männer der Mehrheitspartei in Bremen, wie dargestellt, durch ihre Verbindung zu Lohmanns „Club 222“ einen gewissen A n l a ß für die über sie verbreiteten ehrenrührigen Behauptungen gegeben hatten, erscheint das Verhalten des Journalisten Manz gemäß § 193 StGBgerechtfertigt.

  1. Gegenstand des Verfahrens waren weiter folgende ehrenrührige Behauptungen des Beschuldigten Kuhlmann in einem von ihm herausgegebenen Flugblatt, das Ende Juni/Anfang Juli 1969 in bremischen Betrieben verteilt worden ist:


Der Kreisvorsitzende des DGB Bremen, Richard Boljahn, habe seinem Partei- und Geschäftsfreund Lohmann (Millionen Willi) Millionen-Gewinne aus Grundstückskäufen der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaft „Neue Heimat“ (Gewoba) zugeschanzt.

Boljahn habe Lohmann den „Spekulationstip“ gegeben, im Hollerland Grundstücke aufzukaufen (qm-Preis 10 bis 16 DM), urn nach kurzer Zeit dasselbe Land zu 19 bis 21 DM pro qm für den „Neue Heimat'“-Konzern ( Aufsichtsratsvorsitzender: Richard Boljahn) anzukaufen. Allein aus den Grundstückskäufen im Hollerland habe der Makler Lohmann mit Hilfe Boljahns Millionen-Gewinne erzielt.

In ähnlicher Art hätten Boljahn und Lohmann die Grundstücksgeschäfte der Neuen Vahr, in Blockdiek und in Huchting abgewickelt.


Wegen der Behauptungen in den ersten beiden Absätzen kann auf die vorstehenden Ausführungen unter 1. Bezug genommen werden.

Für die pauschale Behauptung des Beschuldigten, Boljahn und Lohmann hätten die Grundstücksgeschäfte der Neuen Vahr, in Blockdiek und in Huchting in ähnlicher Art abgewickelt, ist ein Wahrheitsbeweis nicht erbracht worden. Der Beschuldigte Kuhlmann hat jedoch in „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ gehandelt (§ 193 StGB). Dabei ist zu berücksichtigen, daß er die öffentlichen Angriffe gegen Boljahn, die u. a. auch zu einem Verfahren vor einer Schieds-kommission der SPD in Bremen geführt haben, zum Anlaß genommen hat, seinerseits in die innergewerkschaftlichen Diskussionen urn Boljahn einzugreifen, und zwar mit dem politischen Ziel, ihn aus dem Kreisvorsitz des DGB in Bremen zu entfernen.

Die Auseinandersetzungen in der Gewerkschaft hatten sich an der “Ämterhäufung” Boljahns entzündet. Bereits bei den sog. “Straßenbahnunruhen” im Januar 1968 war offenbar geworden, daß Boljahn auf Grund seiner Funktionen in zahlreichen Behörden, Stellen und Institutionen in Interessenkollisionen geraten könne. Seine durch die Pressever-öffentlichung bekanntgewordene Beteiligung an den Grundstückstransaktionen im Hollerland gab den gegen ihn erhobenen Vorwürfen neue Nahrung. Boljahn hatte, wie ausgeführt, durch sein Verhalten dazu begründeten Anlaß gegeben. Er muß es daher hinnehmen, wenn daran anknüpfend der Verdacht geäußert wird, er sei auch in anderen Fällen “in ähnlicher Art” beteiligt, nämlich in einem Knäuel privater und öffentlicher Interessen verstrickt gewesen. Eine solche Kritik eines Gewerkschaftsmitglieds an einer führenden Persönlichkeit der Gewerkschaften muß um der Sache willen — hier: Ablösung vom Kreisvorsitz des DGB — erlaubt sein (BGH NJW 1959, 636).

Durch diesen Bescheid wird das Recht der Antragsteller, gemäß §§ 374 ff StPO Privatklage zu erheben, nicht berührt.

gez.: Dr. Janknecht, Staatsanwalt