Main-Post, 10.01.2016

Wann der Bürgermeister reden muss

MAIN-POST , 01.10.2004 
von Thomas FRITZ

Journalisten fragen, Bürgermeister antworten. Der Alltag ist unproblematisch, Ausnahmen bestätigen die Regel. Wann darf der Gefragte schweigen, wann muss er reden?

Der Berliner Rechtsanwalt und versierte Presserechtler Dr. Johannes Weberling erläuterte vor 70 Bürgermeistern und Verwaltungsjuristen die Auswirkungen eines Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes in München (VGH) vom 13. August. Die Eilentscheidung des 7. VGH- Senats vom 13. August hatte unter Bürgermeistern für Aufsehen gesorgt.

Die einstweilige Anordnung, die auf Antrag eines Journalisten dieser Zeitung erging, verpflichtete den Markt Zell (Lkr. Würzburg), Auskunft über wesentliche Fakten der Personalpolitik in der Amtszeit von Bürgermeister Franz Nagelstutz (CSU) zu erteilen.

Die Chefredaktion dieser Zeitung suchte daraufhin das Gespräch mit Vertretern von Behörden und Kommunen und lud schließlich gemeinsam mit Landrat Waldemar Zorn zur Informationsveranstaltung mit Rechtsanwalt Johannes Weberling. Der hatte den Journalisten vor Gericht vertreten.
Die VGH-Entscheidung schafft in bemerkenswert präzisen Ausführungen Klarheit für Bürgermeister und andere Behördenleiter. Weberling nannte sie richtungsweisend. Er zitierte einen Leitsatz aus den Gründen der VGH-Entscheidung, die seine Aussagen unterstreichen:

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedingt ein Verhalten der Behörden, das in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse von Offenheit geprägt ist. Nur so werde eine genaue und gründliche Berichterstattung ermöglicht.

Der Experte riet: "Eine weitsichtige Kommune informiert die Presse von selber." Anders als das Verwaltungsgericht Würzburg hatte der VGH entschieden, dass die Presse grundsätzlich auch Auskunft darüber verlangen kann, was in nichtöffentlicher Sitzung entschieden wurde. Ist die Gemeinde zur Verschwiegenheit verpflichtet, insbesondere wenn Persönlichkeitsrechte auf dem Spiel stehen, ist die Auskunft nicht zwingend zu verweigern.

Johannes Weberling erläuterte die Pflicht zur Abwägung: "In jedem konkreten Einzelfall muss geprüft werden, ob das Recht der Presse eventuell die persönlichen Interessen überwiegt." Muss der Bürgermeister die Ermessensentscheidung treffen oder der Gemeinderat? Die Frage des stellvertretenden Landrats Paul Lehrieder löste eine kontroverse Diskussion aus. Der Bürgermeister müsse entscheiden, sagte der Rechtsanwalt, das gebiete schon die Eilbedürftigkeit. Das sei nicht praktikabel, entgegnete ein Bürgermeister. Als Ortsoberhaupt könne man nicht einerseits von den Gemeinderäten Verschwiegenheit über Diskussion und Beschlüsse aus nichtöffentlichen Sitzungen erwarten, andererseits aber selbst der Presse Auskunft geben.

Die Bürgermeister sehen sich nach der Entscheidung des VGH auf schmalem Grat wandeln, das wurde in der Diskussion deutlich. Einer sprach in diesem Zusammenhang vom "unmöglichen Spagat" zwischen den Rechten von Presse und Privatpersonen, ein anderer sieht sich gar als "armes Schwein" in der Zwickmühle.
Michael Reinhard und Anton Sahlender, der Chefredakteur der Zeitungsgruppe Main-Post und sein Stellvertreter, traten solchen Einschätzungen entgegen. Verantwortungsvoller Journalismus sei immer um den Schutz von Rechten Dritter bemüht. Die Journalisten dieser Zeitung würden daher nicht um jeden Preis auf Auskunft beharren, versprach Reinhard, sondern Persönlichkeitsrechte Dritter berücksichtigen, wo immer dies möglich sei.

Auch Rechtsanwalt Weberling plädierte für "pragmatische Lösungen". Aus den vergangenen fünf Jahren sind dem Fachmann nur drei Fälle bekannt, in denen Presseorgane ihr Recht auf Auskunft mit Hilfe von Gerichten durchsetzten. "Das zeigt doch, dass man aufeinander angewiesen ist."