Miroslaw STRECKER - ein LKW-Fahrer, der zum Whistleblower wurde

Hintergrund

Juli 2007 – die inzwischen unzähligen Skandale um „Ekelfleisch“ und Gammelfleischfirmen halten die Öffentlichkeit und die Verbraucher seit 2004 in Atem. Egoistische und skrupellose Unternehmer verarbeiten ungenießbare Schlachtabfälle (sog. K 3 –Fleisch), Tierkadaver, teilweise sogar ausgenommene Ratten zu Wurst oder verkaufen es als „Frischfleisch“. Die Gewinnspannen sind groß. Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sind die bevorzugten Standorte der Gammelfleischbranche.

Ende 2006 importierte die italienische Fa. L’Altra Carne über die deutsche EXPIM GmbH tonnenweise ranzige Fleischlappen und sonstigen K 3-Abfall, der als nächstes bei der englischen Fa. Meat and More landete, die sich heute Interfleisch nennt. Die verkaufte die Abfälle erneut: an die Fa. SONAC in Schleswig-Holstein in Bad Bramstedt, einem amtlich zugelassenen Spezialverwerter für Schlachtabfälle – eine Tochterfirma von Europas größtem Fleischverarbeiter, der niederländischen Firma VION N.V..

Offiziell bzw. laut Rechnungsbelegen ging das Fleisch von dort an eine kleinere K 3-Verarbeitungsfirma namens Madrigo in Belgien. Tatsächlich beauftragt im Juli 2007 die niederländische Tochterfirma SONAC die Fa. Europalogistik Zeh aus dem schwäbischen Schlierbach bei Göppingen, die K 3-Ware nach Wertingen in Bayern zu transportieren. Empfänger: die Fa. Wertfleisch GmbH. Wertfleisch hat keine Lizenz, K 3-Abfälle zu entsorgen. Wertfleisch beliefert aber fast ganz Berlin mit Dönerfleisch – über die Fa. BEYSAN Fleischwarenherstellung GmbH. Das Ganze ist eine eingespielte Lieferkette. Mit mehreren hunderten Tonnen. Und das schon lange. Die Anzahl der daraus produzierten „Döner“ geht in die Millionen – Berlin ist eine große Stadt. 

Die Geschichte

Miroslaw STRECKER, gelernter Fleischer, der 1978 in der DDR seinen LKW-Führerschein gemacht hatte und kurz vor dem Mauerfall in den Westen geflohen war, weil er dort als politisch „unzuverlässig“ galt, heute aber wieder in der Nähe von Cottbus lebt, kommt mit seinem LKW gerade von einer Spanientour, bevor er nach Bad Bramstedt zur Fa. SONAC beordert wird. Dort angekommen nimmt er neue Ladung auf: ausweislich der Ladepapiere: „K 3 – Schlachtabfälle“.

Im 750 km entfernten Wertingen/Bayern fährt er mit seinen 11,4 Tonnen bei der Fa. Wertfleisch vor, einer „Wurst- und Fleischfabrik“. STRECKER wundert sich. Als er aufgefordert wird, seinen LKW so an die Rampe zu fahren, dass er von Dritten nicht eingesehen werden kann und der Geschäftführer höchstselbst das Ausladen übernimmt und auf seine Mithilfe verzichtet, kommt Strecker ins Grübeln. Erst recht als er sieht, wie der Geschäftsführer hastig die „K 3“ – Etiketten von jedem Karton auf den Paletten abreißt.

Strecker befällt eine düstere Ahnung, was mit seiner Lieferung geschieht. Das kann er nicht zulassen. Er muss aber weiter nach Ulm. Dort angekommen, ruft er den Notruf „110“ der Polizei. Die erklärt sich für nicht zuständig, hat auch keine Ahnung, an wen man sich da wenden könnte. Man nennt ihm die Telefonnummer der Industrie- und Handelskammer. Dort verweist man ihn an die Gewerbeaufsicht.

Die reagiert schnell - sie ist, weil viele Kilometer von Wertingen entfernt, nicht unmittelbar zuständig für die Fa. Wertfleisch. Die Aufsichtsbeamten schicken aber ein Polizeiaufgebot zur „Wertfleisch GmbH Wurst- und Fleischfabrik“. Die Beamten finden keinerlei K 3- Ware (mehr). Nur tonnenweise Dönerfleisch. Als sie telefonisch bei STRECKER nachfragen, faxt der den Lieferschein. Die „Wurst- und Fleischfabrik“ wird vom Staatsanwalt noch am selben Tag geschlossen.

STRECKER wird noch im selben Jahr geehrt. Horst SEEHOFER, zu dieser Zeit Bundesminister für Landwirtschaft und Forsten sowie Verbraucherschutz überreicht ihm im Oktober 2007 die „Goldene Plakette“ für seine Zivilcourage. Er lobt das„außergewöhnliche Maß an Gemeinsinn“ und erklärt, dafür zu sorgen, dass Menschen, die auf Missstände hinweisen, gesetzlich geschützt werden. Er macht sogar einen Gesetzesvorschlag für einen neuen § 612 a BGB. Das Vorhaben scheitert – am Widerstand seiner eigenen CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

STRECKER hat noch einen Auftritt bei Günter JAUCH: Im „Jahresrückblick“ von RTL kann er nochmals seine Geschichte erzählen und kommunizieren, wie wichtig beherztes und couragiertes Verhalten für alle ist: Ohne seine Hinweise wäre der Dönerfleisch-Betrug nicht aufgeflogen. Danach geraten er und das Thema wieder in Vergessenheit. STRECKER wird krank. 11 Monate lang kann er keine LKW-Transporte übernehmen, denn seine Schultergelenke sind vom vielen Gewichteheben brüchig geworden.

Als er wieder gesund geschrieben ist, möchte sein Arbeitgeber, dass er kündigt. STRECKER sagt nein. Jetzt wird STRECKER gemobbt: Er muss plötzlich als Springer arbeiten, teilweise bis zu 20 Stunden täglich. STRECKER erkrankt im November 2009 infolge des vermehrten Stress erneut. Im Mai 2010 folgt die Kündigung – bei der internationalen Spedition „Europalogistik Zeh“ mit ihren vielen Logistik-Standorten in Deutschland und Europa sind aufrechte Mitarbeiter offenbar fehl am Platz.

Ganz anders bei der Fa. Udo-Schmidt-Transporte aus Weiden in der Oberpfalz.

Der Hörfunksender Antenne Bayern, der ab und an über den Fall STRECKER berichtete, macht im Mai 2011 einen öffentlichen Aufruf: Ob sich denn vielleicht eine Firma finden lasse, die Miroslaw STRECKER einstellen wolle? Der Firmeninhaber und Geschäftsführer von Udo Schmidt Transport GmbH & Co.KG fackelt nicht lange und stellt STRECKER ein. Er hält etwas auf Zivilcourage: "Wer so viel Arsch in der Hose hat, sollte nicht noch mit Kündigung bestraft werden!".

Doch es hält nicht lange. STRECKER wird krank, hat Probleme mit seinem Rücken wegen des vielen Verladens, kann öfters nicht fahren. Selbst zu kündigen, lehnt er ab. Folge: Jetzt soll er besonders schwere Touren fahren. STRECKER gibt auf.

Heute sitzt Miroslaw STRECKER aus dem brandenburgischen Calau in der Nähe von Cottbus am Lenker eines Reisebus. Da verdient er weniger, hat aber auch weniger Stress.

Der Inhaber der Fa. Wertfleich wurde übrigens im August 2008 zu 2 Jahren Haft verurteilt: wegen "gewerbsmäßigem Betrugs".

Die Bilanz

Folgen für die Gesellschaft:

"Ekelfleich" oder "Gammelfleisch", egal wie man es bezeichnet, ist zwar meistens nicht gesundheitsgefährdend, aber wenig appetitlich. Vor allem ist es Täuschung, genauer: Betrug am Verbraucher. Jene, die es machen, füllen sich ihre Taschen auf Kosten des Verbrauchers.

Die unzähligen Skandale dieser Art, die ab Ende 2004 bekannt wurden und größtenteils durch Whistleblower ans Tageslicht kamen, haben die Öffentlichkeit und darüber dann auch die Behörden sensibilisiert. Heute ist es nicht mehr ganz so einfach, die Verbraucher zu hintergehen. Und: Mehrere der Betrüger wurden mit Geldstrafen belegt, manche mussten sogar ins Gefängnis.

Folgen für den Whistleblower:

Die gesellschaftliche Leistung von Whistleblowern ist bis heute nicht durchgehend anerkannt. Wenn Politiker gerne die Engagements von Bürgern betonen oder hervorheben, dann meinen sie sich meistens selbst, wollen sich dadurch mit 'Volksnähe' schmücken. STRECKER hat SEEHOFER's Lob wenig genutzt. Aber er kann damit leben und ist mit sich im Reinen.


Hinweis:

Diesen Text können Sie direkt aufrufen oder verlinken unter www.ansTageslicht.de/Strecker . Den größeren Zusammenhang finden Sie unter www.ansTageslicht.de/Gammelfleisch

(JL)

Online am: 07.01.2019
Aktualisiert am: 24.08.2019


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Miroslaw STRECKER - ein LKW-Fahrer, der zum Whistleblower wurde


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Whistleblower

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