Überlegungen zur Notwendigkeit einer „Allianz saubere Wissenschaft“

Ein erstes Konzept

Das Recht auf Gesundheit und medizinische Versorgung ist zwar nicht im Grundgesetz verbrieft, aber wesentlicher Bestandteil der „Würde eines Menschen“ und seiner Lebensqualität. Dafür garantiert bereits der Hippokratische Eid. Eigentlich.

Was gesund ist und was schädlich, ob man handeln sollte oder nicht, darauf geben die Wissenschaften Antworten. Trotzdem gibt es regelmäßig Streit. Wir reden nicht von Ungewißheiten über Zusammenhänge, die noch nicht verifiziert sind. Wir reden über Unsicherheiten und Zweifel, die bewusst in die Welt gesetzt und geschürt werden, um wirtschaftliche und/oder andere Interessen zu schützen: zu Lasten der Gesundheit der Menschen.

Zwei (inzwischen allgemein) bekannte Beispiele:

Dass Asbeststaub schädlich ist, weiß heute jeder. Dass Passivrauchen krebsfördernd ist, ebenfalls. Auch bei Benzol hat sich herumgesprochen, dass es auf den Menschen toxisch wirkt. Ähnlich bei Diesel-Emissionen und vielen anderen Stoffen, die weit weniger in der öffentlichen Wahrnehmung sind wie etwa Aromatische Amine (z.B. Haarfärbemittel/Harnblasenkrebs), Dioxine und Pentachlorphenol (PCP: Holzschutzmittel)[1], Polychlorierte Biphenyle (PCB: Transformatoren)[2] u.a.m. Einige dieser Stoffe sind inzwischen verboten, haben sich aber längst z.B. über Pestizide in die Nahrungskette eingeschlichen und schlummern nun im menschlichen Organismus.

Bei Asbest hat es mehrere Jahrzehnte gedauert bis das „Wundermaterial“ in Deutschland 1993, EU-weit (erst) 2005 verboten wurde. Bzw. werden konnte. Grund: Nicht die Politik, sondern wirtschaftliche Interessen waren permanent das regulierende Element, bis die früheren deutschen Grenzwerte von 2.000.000 Fasern pro Kubikmeter Luft auf 15.000 (= 0,75% des einstigen Grenzwertes) nach und nach dann doch herabgesetzt werden konnten. Allein die stufenweise Reduktion über 20 Jahre macht deutlich, dass „Grenzwerte“ politische Werte sind, die sich regelmäßig und vorwiegend an den Bedürfnissen derer orientieren, die vordergründig das Bruttoinlandprodukt steigern, in das gesundheitliche Indikatoren der Lebensqualität nicht eingehen.[3] 

Bei Asbest haben diese politische und ökonomische Hinhaltetaktik allein in Deutschland etwa 40.000 Menschen bezahlt: mit einem vorzeitigen und vor allem qualvollen Tod.           

Nicht anders beim Passivrauchen, nicht anders bei Benzol oder sog. Aromatischen Aminen u.a. Aktuelles Beispiel: Die EEA, Europa’s Umweltagentur hat für 2020 geschätzt, dass durch Luftverschmutzung, konkret Feinstaub, europaweit knapp eine Viertelmillion Menschen vorzeitig gestorben sind. Weitere 49.000 an Stickstoffdioxyd (NO2). In Deutschland betraf dies etwa 28.900 (Feinstaub) und 10.000 Menschen aufgrund chronischer NO2-Belastung. 

Das zögerliche Handeln der politisch Verantwortlichen (MdB’s, Bundesregierung und ihre nachgelagerten Behörden) bei all diesen schädlichen Stoffen für den Menschen und/oder den Verschmutzungen der Umwelt, die sich wiederum beim Menschen abbilden, hat konkrete Gründe: die Wissenschaft(en). 


[1] In DE verboten seit 1989

[2] PCB-Substanzen beispielsweise zählen zu den „12 dreckigsten“ Stoffen („dirty dozen“), die 2001 im Rahmen des Stockholmer Abkommens[2] geächtet werden konnten . Deswegen, weil sog. Insektizide keine Umsatzbringer mehr sind, seit Insektenplagen weitgehend ausgerottet werden konnten. 

[3] Dafür geht der Aufwand ein, gesundheitliche Schäden wieder rückgängig zu machen: Arzt- und Krankenhauskosten, Arznei- und Heilmittel etc


Nicht interessensgebundene Wissenschaft versus industriefinanzierte Wissenschaft

Seit den 50er Jahren lässt sich ein einheitliches Muster ausmachen, Beispiel Tabakbranche, die stellvertretend für andere Industriezweige steht.

Weil Rauchen weit verbreitet war und zu den gesellschaftlichen Gepflogenheiten gehörte, fanden die Ergebnisse einer Studie von Richard DOLL und Bradford HILL[1] Eingang in einen 2seitigen Artikel in der weltweit gelesenen Zeitschrift „Reader’s Digest“ (Dezemberausgabe 1952): über den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs. Die Folge: Alarmstimmung bei den internationalen Tabakmultis, die sofort eine PR-Agentur beauftragten und um Rat und Hilfe baten: Hill & Knowlton.[2] Deren Rat und Strategie, die bis heute weltweit praktiziert wird: „doubts must remain“. Konkret: Weil man vorhandene Ergebnisse von unabhängigen Wissenschaftlern nicht aus der Welt schaffen kann, muss man mit eigenen Wissenschaftlern und Studien dagegenhalten. Sinn und Zweck: Zweifel zu säen, Unsicherheit und Verwirrung zu generieren, um die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der ‚unbotmäßigen‘ Erkenntnisse zu untergraben: in den Medien, in der Öffentlichkeit und darüber in der Politik.

Was sich bei Tabak wirkungsvoll erwiesen hatte, wurde von Hill & Knowlton bei Asbest wiederholt. Wichtigste Gehilfen: die wissenschaftlichen Institutionen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung: das heutige IPA-Institut und das Deutsche Mesotheliom-Register.[3]

Bis zum Schluss – und teilweise heute noch – werden gerade bei Asbest weltweit verifizierte und anerkannte Zusammenhänge in DE heruntergespielt und abgestritten.

Auffällig: Bei den erfolgreichen Versuchen, kausale Zusammenhänge zu negieren (z.B. über die Diskussion von „Grenzwerten“), spielt eine spezielle Wissenschaftsdisziplin der Medizin eine dominante Rolle: die Arbeitsmedizin. 

Die gibt sich z.B. als Garant für die (Deutsche) Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) und ihren Institutionen (Berufsgenossenschaften) aus, Gesundheitsschäden und Krankheiten, die ganz offensichtlich am bzw. durch den Arbeitsplatz entstanden sind, regelmäßig anzuzweifeln, und zwar in mehreren Rollen: als Gutachter für Berufsgenossenschaften und für Sozialgerichte, durch eigene (selektive) Forschung und durch wissenschaftiche Publikationen, insbesondere in der Fachzeitschrift „ASU“ (Arbeits-, Umwelt – und Sozialmedizin), die fest in der Hand dieses Wissenschaftszweigs ist. 


[1] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2038856/pdf/brmedj03566-0003.pdf 

[2] Die Unternehmensphilosophie von Hill & Knowlten lässt sich auch an einer Strategie von Anfang der 90er Jahre zeigen: Um den 1. Golfkrieg für die US-amerikanische Regierung zu legitimieren, erfanden und kommunizierten sie die sog. Brutkastenlüge, die die letzten Zweifler im Kongress umstimmen konnte

[3] Ausführlich rekonstruiert unter www.ansTageslicht.de/Asbestchronologie-II  und  www.ansTageslicht.de/Asbeschronologie-III sowie www.ansTageslicht.de/Mesotheliomregister


Potenzielle Aktivitäten bzw. Konsequenzen

Eine Analyse der politischen Erkenntnisprozesse zum Problem des Klimawandels, dessen Tragweite noch vor wenigen Jahren heftig umstritten, sprich von interessensgebundener Seite in Zweifel gezogen wurde, aber inzwischen wohl weitestgehend als ernstzunehmend akzeptiert ist, würde ähnliche „doubt and denying“-Mechanismen offenlegen.

Wissenschaftliche Gutachten und wissenschaftliche Auftragsforschung der Industrie, über deren Veröffentlichung ausschließlich die Auftraggeber entscheiden, Vorträge auf Fachkonferenzen und Mitarbeit in Fachgremien oder Statements in den Medien im Sinne solcher Auftraggeber, die ihre berechtigten, aber einseitigen Interessen schützen wollen, sind ein ernstzunehmendes Problem für die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der unabhängigen Wissenschaft. Ebenso für die betroffenen Menschen, die zu Schaden kommen und deswegen ihre berechtigten Ansprüche (z.B.vor Gericht) nicht durchsetzen können. Für einen Rechtsstaat, der sich zudem als „sozial“ bezeichnet, ein absoluter Widerspruch und kein akzeptabler Zustand. 

Über diese Zusammenhänge sollte öffentlich diskutiert werden: in den diversen Wissenschaftsdisziplinen, in den Medien und im politischen Raum. Dazu wäre eine informelle Allianz geeignet, als Kommunikator zu fungieren. Eine solche ‚Bewegung‘ könnte den Namen „Allianz saubere Wissenschaft“ tragen.

(JL)


Hinweise:

Diese Site bzw. dieses Konzept lässt sich direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/saubere-Wissenschaft.

Wer sich für dieses Vorhaben erwärmen kann und/oder mehr wissen möchte, wird freundlichst gebeten, mit mir Kontakt aufzunehmen.