
Korruption und Korruptionsforschung
Diese Site stellt eine chronologische Darstellung der öffentlichen und wissenschaftlichen Darstellung des Phänomens “Korruption” seit den 1960er Jahren dar. Sie beeinhaltet eine Liste der dazu veröffentlichten fachlichen Literatur, aber auch anderen Publikationen dazu, und immer wieder ergänzt um größere Korruptionsskandale und ähnlichen Entwicklungen, die sich dann in der wissenschaftlichen als auch politischen Diskussion wiederspiegeln.
Ein besonderer Fokus liegt auf der “institutionellen” Korruption, auch als “systemische Korruption” bezeichnet, bei der es weniger um Geld und andere Vorteile für einzelne Begünstigte geht, sondern darum, dass sich Institutionen und ganze Systeme welcher Art auch immer so verändern (können), dass sie sich nicht mehr an ihren ursprünglichen Zielsetzungen orientieren. Dies geschieht auf legale Weise und ohne gegen Gesetze zu verstoßen. Aber letzten Endes zum Vorteil solcher Institutionen und Systeme sowie deren daran beteiligten und/oder interessierten Personen und deren Gruppenverhalten.
Die Vorteile der Institutionen gehen zu Lasten aller anderen, die auf diese Institutionen und Systeme setzen oder darauf angewiesen sind.
Der Fokus auf die “institutionelle Korruption” beinhaltet gleichzeitig auch den Blick auf das Problem von Interessenskonflikten, im englischen Sprachgebrauch: “Interests of Conflict”. Sie hängen mit Korruption insbesondere in jenen Bereichen zusammen, bei denen die eigentlichen Ziele, durch andere Interessen, etwa durch korruptive Geldzahlungen oder andere Vorteile, gefährdet sind. Insbesondere in der Medizin und allgemein im Gesundheitswesen kann dies fatale Auswirkungen haben.
Die Chronologie ist in ständiger Ergänzung und kann direkt aufgerufen und verlinkt werden unter www.ansTageslicht.de/Korruptionsforschung.
Soweit hier gelistete Publikationen öffentlich zugänglich sind, sind sie direkt unter ihrem Titel verlinkt. Liegen die Texte hinter einer Pay-wall, dann führen die Links auf den Veröffentlichungsquellen zur jeweiligen Website, von wo aus sie dann kostenpflichtig gelesen werden können. Leider ist die Mehrzahl der wissenschaftliche Publikationen immer noch nur einem kleinen (zugangsberechtigten) Kreis der eigenen Wissenschafts-Community möglich. Wissenschaftliche Erkenntnisse sollten - eigentlich - öffentliches Gemeingut darstellen.
schon seit Menschengedenken und das bis heute
gibt es das Phänomen “Korruption”: (meist finanzielle) Vorteile des Bestechers gegen eine spezifische Gegenleistung des Bestochenen.
Bei einem solchen heimlichen Deal entscheiden nicht Qualität und/oder Preis oder ethische Standards und gesetzliche Normen über ein solches ‘Geschäft’, sondern ausschließlich die Interessen der beiden Beteiligten. In aller Regel auf Kosten aller anderen, die davon nichts wissen. Und deshalb nichts dagegen unternehmen können.
In einer Gesellschaft, die auf die Auswahl des jeweils Besten, also Qualität, Kosteneffizienz, Moral und Anstand im gegenseitigen Umgang setzt, blockieren korrupte Deals Innovationen und jeglichen (technischen, politischen, sozialen) Fortschritt. Deswegen ist Korruption im Interesse aller unerwünscht und nachhaltig gefährlich.
In autoritären Systemen und Ländern ist das Phänomen weit verbreitet, in der Regel sogar systemimmanent. Dort paart es sich mit Vettern- bzw. Günstlingswirtschaft innerhalb einer meist kleineren politischen Clique, die ihre Macht auf Unterdrückung und Einschränkung vieler Freiheiten aller anderen gründen.
In demokratisch-freiheitlich organisierten Gesellschaftsordnungen sind - eigentlich - alle Menschen mit den gleichen Rechten ausgestattet und - eigentlich - geht es auch um das Wohl aller, auch Gemeinwohl genannt. Korruption ist einer der Faktoren, die ein demokratisches und faires Miteinander von innen heraus aushöhlen. Und Veränderungen zum Besseren hin ausbremsen.
1960er Jahre
Die diversen Wissenschaftsdiszipline (Politik-, Wirtschafts- und andere Sozialwissenschaften) hielten sich bis dahin lange mit Analysen und Diskussionen zu diesem weit verbreiteten Phänomen zurück. Erst seit den 60er Jahren gibt es relevante Publikationen, die fast ausschließlich aus dem angelsächsischen Raum stammen.
In Deutschland setzt diese Entwicklung erst 30 Jahre später, Mitte der 90er Jahre ein - wohl auch als Reaktion auf die Gründung von Transparency International (TI), die sich 1993 gegründet und der Bekämpfung von Korruption verschrieben hat.
Zudem unterscheidet sich der Fokus zwischen der angelsächsischen und deutschen Perspektive, unabhängig von der wissenschaftlichen Disziplin:
- In Deutschland steht die klassische Korruption, sprich die typische Bestechung im Vordergrund.
- Im Visier der Angelsachsen geht der Blickwinkel erheblich weiter: Hier wird auch über Phänomene wie „institutionelle Korruption“ diskutiert.
Unsere Rekonstruktion der Korruptionsforschung und deren Wahrnehmung vor allem in den diversen Wissenschaftsdisziplinen beginnt daher Mitte der 1970er Jahre, als zum ersten Mal nicht einzelne Bestecher und Bestochene im Mittelpunkt stehen, sondern ein ganzes System: die Polizeibehörde bzw. ein größere Polizeieinheit.
1974
ROEBUCK, Julian B. / BARKER, Thomas (1974): A typology of police corruption. In: Social Problems, 21(3), 423-437.
This nearly 40-year-old article is more of a sociology study, but it does address deviance, role conflicts, and most importantly, institutional corruption: “Police corruption is best understood, not as the exclusive deviant behavior of individual officers, but as group behavior guided by contradictory sets of norms linked to the organization to which the erring individuals belong, i.e., organizational deviance…. a thoroughly deviant organization (one in which the power structure and/or a number of its members are corrupt) attempts to prevent investigation through cover-up tactics."
This paper postulates an empirical typology of police corruption derived from a content analysis of the literature (1960-1972) and the police work experience of one of the authors. Police corruption is analyzed as a form of organizational deviance hinging primarily on informal police peer group norms. Contradictions among formal norms, informal norms, and situational rules are indicated. Eight types of police corruption are delineated: (l) Corruption of Authority, (2) Kickbacks, (3) Opportunistic Theft, (4) Shakedowns, (5) Protection of Illegal Activities, (6) The Fix, (7) Direct Criminal Activities, and (8) Internal Payoffs. The types are analyzed along several dimensions: (1) acts and actors, (2) norm violations, (3) support from peer group, (4) organizational degree of deviant practices, and (5) police department's reactions.
1975
Realität in Deutschland:
Der deutsche Milliardär Friedrich FLICK, Besitzer den Flick-Konzerns, will seinen 39%-igen Anteil an der Daimler Benz verkaufen: an den Schah von Persien. Und berät sich deshalb mit der Deutschen Bank. Die ist über diesen Plan entsetzt und überrredet den Konzernherrn, die Anteile an die Bank zu verkaufen: für 1,9 Mrd. DM, die FLICK nun in ein US-amerikanisches Unternehmen namens Grace & Co investieren will - eine Art von Gemischtwarenladen, das u.a. im Bundesstaat Montana eine Asbestmine betreibt.
Eigentlich müsste der Milliardär auf den Veräußerungsgewinn des Aktienpakets Steuern zahlen, doch FLICK hat vorgesorgt. Seit Jahren betreibt er - wie er das später nennen wird - “politische Landschaftspflege”. Er lässt den politischen Parteien regelmäßig - mit vielen Tricks und auf Umwegen - Spenden zukommen. Die erwartete Gegenleistung: wohlgefälliges Verhalten, wenn es für ihn notwendig wird - politische Korruption.
In diesem Jahr stößt der Steuerfahnder Klaus FÖRSTER, Leiter der Steuerfahndungsstelle in St. Augustin, zum ersten Mal auf erste konkrete Belege solcher Tricksereien. Später wird er feststellen, dass einer der verdeckten Zahlungswege über ein Kloster läuft. Jedenfalls entwickelt sich in diesem Jahr das, was später als “Flick-Affäre” in die Annalen eingehen wird (ausführlich unter www.ansTageslicht.de/Flick). Der Skandal wird aber erst sechs Jahre später, 1981, öffentlich werden.
1977
In den USA
hat die “Watergate-Affäre” (1972 - 1974) das politische Klima erheblich verändert. So wie Jahre zuvor, 1962, die “SPIEGEL-Affäre” die deutsche Republik (ausf: www.ansTageslicht.de/Spiegelaffaere).
In Deutschland hatte der gezielte Eingriff in die Pressefreiheit durch die ADENAUER-Regierung dazu geführt, dass die Durchsuchung der SPIEGEL-Redaktion weite Teile der Bevölkerung politisiert und dadurch die noch junge Demokratie gestärkt hatte: Medien wurden fortan als unverzichtbare Informationsquelle angesehen. Dies hatte auch das Bundesverfassungsgericht so gesehen und die Pressefreiheit massiv durch Betonung der Wichtigkeit von Informanten und Redaktionsgeheimnis gestärkt.
In den USA wurde den Menschen unmittelbar vor Augen geführt, dass auch Präsidenten, die bislang als unfehlbar galten, lügen (können). Der Umstand, dass viele enge Mitarbeiter des abgesetzten Präsidenten Richard NIXON (Republikaner) u.a. wegen Behinderung der Justiz ins Gefängnis mussten, hatte nicht nur die politische Kultur verändert, sondern auch eine ganze Reihe von neuen Gesetzen initiiert, um “wrongdoing” im staatlichen Bereich zu verhindern.
So hatten sich vor diesem Hintergrund etwa im journalistischen Bereich 1975 die Vereinigung “Investigative Reporters and Editors” gebildet, die politisch kritische Zeitschrift “Mother Jones” war entstanden sowie andere journalistische Kooperationen, die ihren Fokus u.a. auf Korruption und Missstände zwischen Wirtschaft und Politik richten: das “Arizona Project” und das “Project Censored”.
Im Wissenschaftsbereich machen sich drei Jahre nach Abschluss der Watergate-Affäre an der Universität von Südkalifornien in Los Angeles zwei Wissenschaftler Gedanken über “wrongdoing” und “corruption”: Gerald und Naomi CAIDEN:
1977
CAIDEN, Gerald E. / CAIDEN, Naomi J. (1977): Administrative Corruption. In: Public Administration Review, 37.1977, No. 3: 301-309
Gerald CAIDEN, Prof. (em.) an der School of Public Administration an der Universität Southern California in Los Angeles, Verfasser des 1982 erscheinenden Buches Public Administration, sowie seine Ehefrau Naomi, Prof. für Politische Wissenschaften, treffen erstmals eine Unterscheidung in “individuelle” vs. “systemische” Korruption. Auf Seite 306 definieren sie institutionelle bzw. systemische Korruption folgendermaßen:
"Systemic corruption occurs whenever the administrative system itself transposes the expected purposes of the organization, forces participants to follow what otherwise would be termed unacceptable ways, and actually punishes those who resist. Deviant conduct is so institutionalized that no individual can be personally faulted organizationally (not morally) for participating, and dysfunction is actually protected. In systemic corruption:
(a) the organization professes an external code of ethics which is contradicted by internal practices;
(b) internal practices encourage, abet, and hide violations of the external code;
(c) non-violators are penalized by foregoing the rewards of violation and offending violators;
(d) violators are protected, and when exposed, treated leniently; their accusers are victimized for exposing organizational hypocrisy, and are treated harshly;
(e) non-violators suffocate in the venal atmosphere; they find no internal relief and much external disbelief;
(f) prospective whistle-blowers are intimidated and terrorized into silence;
(g) courageous whistle-blowers have to be protected from organizational retaliation;
(h) violators become so accustomed to their practices and the protection given them that, on exposure, they evidence surprise and claim innocence and unfair discrimination against them;
(i) collective guilt finds expression in rationalizations of the internal practices and without strong external supports there is no serious intention of ending them;
(j) those formally charged with revealing corruption rarely act and, when forced by external pressure to do so, excuse any incidents as isolated, rare occurrences."
Übersetzt:
"Zu systemischer Korruption kommt es immer dann, wenn das administrative System selbst die erwarteten Zwecke der Organisation verändert, Teilnehmer dazu zwingt, Wegen zu folgen, die ansonsten als inakzeptabel bezeichnet würden und tatsächlich diejenigen bestraft, die sich widersetzen. Abweichendes Verhalten ist so zur Norm geworden, dass organisatorisch (nicht moralisch) keiner Einzelperson für das Mitmachen persönliches Fehlverhalten vorgeworfen werden kann und Dysfunktion tatsächlich geschützt wird. In systemischer Korruption:
- bekennt sich die Organisation zu einem externen Verhaltenskodex, zu dem die internen Praktiken in Widerspruch stehen
- fördern, begünstigen und verbergen interne Praktiken Verletzungen des externen Kodex
- werden Nicht-Verletzer bestraft durch Verlust der Belohnungen der Verletzung und erzürnen die Verletzer;
- werden Verletzer geschützt und falls entlarvt, nachsichtig behandelt; werden ihre Ankläger für die Entlarvung organisatorischer Verlogenheit schikaniert und feindselig behandelt;
- ersticken Nicht-Verletzer in dem Klima der Korruption; sie finden intern keine Hilfe und extern viel Unglauben;
- werden künftige Whistleblower eingeschüchtert und durch Terrorisierung zum Schweigen gebracht;
- müssen mutige Whistleblower vor der Vergeltung der Organisation geschützt werden;
- gewöhnen sich Verletzter so an ihre Praktiken und die Protektion, die sie erhalten, dass sie bei Entlarvung Überraschung zeigen, Unschuld beanspruchen und unfaire Diskriminierung geltend machen;
- findet kollektive Schuld Ausdruck in Rationalisierungen der internen Praktiken und gibt es ohne starke externe Unterstützung keinen ernsthaften Willen sie zu beenden;
- handeln diejenigen, die formal die Aufgabe haben, Korruption aufzudecken, selten und wenn sie von externem Druck dazu gezwungen werden, entschuldigen sie alle Vorfälle als seltene und isolierte Einzelereignisse."
1977
USA: Foreign Corrupt Practices Act
Während in Deutschland Bestechungsgelder von Unternehmen in ihrer Buchhaltung als “nützliche Ausgaben” steuermindernd geltend gemacht werden können, was schon seit langem Zankapfel-Thema zwischen den USA und Deutschland ist, wird die neue US-Administration unter dem NIXON-Nachfolger Gerald FORD aktiv. NIXON's erster Vize, Spiro AGNEW, kam nicht in Betracht, weil er wegen einer Korruptionsaffäre zuvor schon zurücktreten musste.
Ab sofort sind Geldzahlungen und/oder sonstige Wertgeschenke an ausländische staatliche Amtsträger verboten, die geschäftliche Ziele bezwecken. Börsennotierte Unternehmen müssen darüber hinaus neue Buchhaltungsregeln beachten, da derlei Zahlungen bisher entweder überhaupt nicht oder unter anderen Bezeichnungen deklariert wurden. Auch das ist nun verboten. Das Gesetz gilt nicht nur für staatliche Angestellte, sondern auch für Privatpersonen und Unternehmen. Höchststrafen: bis zu 2 Millionen Dollar und/oder Gefängnis.
1980
Interessenskonflikte im Gesundheitssystem
werden erstmals im medizinischen Bereich thematisiert. Und die Folgen, wenn die eigentlichen Ziele (Gesundheit) von sekundären Zielen (Geldzahlungen) beeinflusst werden:
RELMAN, Arnold S. (1980): The New Medical-Industrial Complex. In: New England Journal of Medicine 303, 963–970
Abstract: "The most important health-care development of the day is the recent, relatively unheralded rise of a huge new industry that supplies health-care services for profit. Proprietary hospitals and nursing homes, diagnostic laboratories, home-care and emergency-room services, hemodialysis, and a wide variety of other services produced a gross income to this industry last year of about $35 billion to $40 billion. This new "medical-industrial complex" may be more efficient than its nonprofit competition, but it creates the problems of overuse and fragmentation of services, overemphasis on technology, and "cream-skimming," and it may also excercise undue influence on national health policy. In this medical market, physicians must act as discerning purchasing agents for their patients and therefore should have no conflicting financial interests. Closer attention from the public and the profession, and careful study, are necessary to ensure that the "medical-industrial complex" puts the interests of the public before those of its stockholders."
1984
Die Diskussion um Interessenskonflikte im Gesundheitssystem geht weiter, und zwar in den USA und Großbritannien, wo mehrere weltweit wichtige und anerkannte medizinische Fachzeitschriften erscheinen. In den USA: das seit über 200 Jahren erscheinende “New England Medicine Journal” (NEJM) aus Boston, im Vereinigten Königreich: das “British Medical Journal” (BMJ) oder die Traditionspublikation "The Lancet", dessen Gründer bereits 1823 gegen Korruption und Vetternwirtschaft im Gesundheitswesen zu Felde zog.
Der Herausgeber des “New England Medicine Journal” aus den USA, Arnold Seymour RELMANN, fordert alle seine wissenschaftlichen Autoren auf, künftig etwaige Interessenskonflikte anzugeben. Hintergrund ist die wachsende Erkenntnis, dass (sehr) viele wissenschaftlichen Studien von Pharmaunternehmen in Auftrag gegeben werden, die eindeutige Interessen damit verfolgen - mit entsprechenden Konsequenzen für die veröffentlichten Ergebnisse. Dies weiß man inzwischen aus den (angeblich unabhängigen) Studien der Tabakindustrie und deren wissenschaftlichen Forschungsinstitutionen, aber auch aus dem Bereich der Asbestunternehmen.
RELMAN, Arnold S. (1984): Dealing with Conflicts of Interest. In: New England Journal of Medicine 310, 1182–83
1986
Im Vereinigten Königreich
wurde Anfang der 80er Jahre der am St. Thomas Hospital tätige Kardiologe Peter WILMSHURST aktiv. Er bezweifelte die Wirksamkeit eines Herzmedikamentes durch eigene Testreihen. Und stellte teilweise lebensbedrohliche Nebenwirkungen fest. Das Pharmaunternehmen Sterling-Winthrop hatte die Erfolge in einer eigenen Studie unter Mitwirkung der Harvard Medical School im New England Medicine Journal platziert. WILMSHURST teilte seine Ergebnisse mit der Herstellerfirma, die ihm daraufhin Geld anbot, wenn er diese Daten nicht veröffentlicht.
WILMSHURST weigerte sich, forschet weiter und hielt Vorträge auf Konferenzen über seine Ergebnisse. Sterling-Winthrop drohte mit Verleumdungsklagen, was WILMSHURST aber nicht abschreckte. Als das Unternehmen in Holland eine Lizenz beantragte, fälschte es die Unterlagen und verschwieg die durch WILMSHURST bekannt gewordenen Nebenwirkungen. Die Niederlande verweigerten die Lizenz und daraufhin auch die anderen europäischen Länder. 1984 hatte Sterling-Winthrop der US-amerikanischen FDA mitgeteilt, dass man das Produkt “Amrinon” weltweit aus dem Verkehr gezogen habe.
Was Sterling-Winthrop verschwieg: Nach wie vor hatte man es in den Entwicklungsländern vertrieben. WILMSHURST erfuhr davon zufällig, schaltete die NGO “Oxfam” ein, die Kaufbelege sammelte und bei der WHO einreichte. Die zwang das Pharmaunternehmen zur vollständigen Einstellung der Produktion.
1986 übergibt Peter WILMSHURST der britischen Zeitung “Guardian” ein entsprechendes Dossier, die alles veröffentlicht. WILMSHURST tut dies in einer bekannten Fachzeitschrift, die weltweit gelesen wird:
WILMSHURST, Peter (1986): Policing the drug industry. In: Lancet 1986; 328: 1280-1281
Realität in Deutschland Mitte der 80er Jahre: Berlin und Frankfurt/M:
In Berlin
mehren sich die Bauskandale. Eine Affäre nach der anderen. Wie immer: Bestechungsgelder gegen Baugenehmigungen.
Aber nicht nur dort: In Frankfurt/Main fliegt 1987 das Straßenbauamt auf. Sämtliche Angestellte haben dort die Hand aufgehalten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen über 100 städtische Bedienstete inkl. des Amtsleiters. Alle werden verurteilt. Nur einer nicht: der Amtsleiter. Ihm gelingt es mithilfe cleverer Anwälte und Hinhaltetaktiken sich aus der Schusslinie zu bringen.
1987
In Großbritannien
greift erneut der Mediziner und Whistleblower Peter WILMSHURST zur Feder:
WILMSHURST, Peter (1987): An investigation by the ABPI. In: Lancet. 1987; page 104
Mit ABPI ist die Association of the British Pharmaceutical Industry gemeint.
1989
In den USA
beschäftigt sich an der Suffolk University in Boston der Rechtsprofessor Marc RODWIN mit rechtlichen Fragen in der Medizin, im Gesundheitswesen ganz allgemein. Insbesondere ist sein Fokus auf Interessenmskonflikte und deren medizinischen Auswirkungen für die Patienten und der Öffentlichen Gesundheitsvorsorge (Public Health) gerichtet:
RODWIN, Marc A. (1989): Conflicts of Interest: The Limitations of Disclosure. In: New England Journal of Medicine, 321.1989, Vol. 20: 1405-1408
Diese Problematik wird ihn den Rest seines Lebens auf Trab halten.
1989
“Die Hohe Kunst der Korruption”
So lautet der Titel eines neuen Buches des ausgebildeten Mediziners und Psychoanalytikers Horst-Eberhard RICHTER, der eine Professur für Psychomatik an der Uni Gießen innehat. Er hat sich im Bereich der psychoanalytischen Forschung und der Familientherapie einen Namen gemacht, engagiert sich in der Anti-Atomkraftbewegung und veröffentlicht regelmäßig Bücher, z.B. "Patient Familie. Entstehung, Struktur und Therapie von Konflikten in Ehe und Familie" oder "Zur Psychologie des Friedens".
Der Untertitel seines neuen Buches “Erkenntnisse eines Politikberaters” macht deutlich, dass seine Perspektive zynisch gemeint ist. Denn „Korruption ist ein unentbehrliches Herrschaftsmittel der Führungsschicht... Ohne Verfilzung von Geld, ohne betrügerische Manipulation der Massen ist keine moderne Gesellschaft mehr regierbar", schreibt RICHTER. Titel und Buch sind daher als Warnsignal zu verstehen, weil sonst das Ende jeglicher Demokratie vorprogrammiert wäre.
Das Buch wird zum Bestseller und beflügelt die öffentliche Diskussion.
1990 + 1991
In Deutschland
nimmt erst die fachliche, dann auch die öffentliche Diskussion Fahrt auf:
ALEMANN, Ulrich von (1990): Begriff und Bedeutung der politischen Korruption in der Politikwissenschaft. Hagen: Fernuniversität/Gesamthochschule, FB Erziehungs-, Sozial- und Geisteswissenschaft, Lehrgebiete Politikwissenschaft, Politische Soziologie
BLANKENBURG, Erhard (1990): Korruption uud Skandal - zwei Seiten derselben Medaille, in: OSWALD,
Hans (Hg.): Macht und Recht. Festschrift für Heinrich Popitz zum 65. Geburtstag, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 141-154.
RENNSTICH, Karl (1991): Korruption: eine Herausforderung für Gesellschaft und Kirche. Stuttgart: Quell-Verlag
1991
Korruptionsskandale im In- und Ausland
Hierzulande gerät - mal wieder - die Siemens AG ins Rampenlicht staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Es geht um gigantische Bestechungsgelder bei der Beauftragung und beim Bau eines Klärwerks in München. Unter “Tango Corrupti” wird die Affäre diskutiert.
Zu dieser Zeit nimmt bei der FIFA, dem weltweiten Fußball-Spitzenverband, die Günstlingswirtschaft und das Bestechungswesen einen regelrechten Aufschwung: ohne Geldzahlungen geht dort nichts, jeder, der einen satt dotierten Posten oder sonstige Partikularinteressen durchsetzen möchte, muss vorher an die anderen Günstlinge zahlen. Einer der zentralen Akteure: Chuck BLAZER, intern bekannt als “Mr. 10 Prozent”. Er wird in seinen 20 Amtsjahren rund 26 Millionen $ über seine private FIFA-American Express-Kreditkarte als “Geschäftsausgaben” abrechnen. Öffentlich bekannt wird dieses Korruptionssystem erst zehn Jahre später: durch hartnäckige Recherchen von Journalisten (ausf. unter www.ansTageslicht.de/FIFA).
1993
An der Harvard Universität in Cambridge/USA
beschäftigt sich der Politik-, Demokratie- und Ethikforscher Prof. Dennis Frank THOMPSON erstmals mit “Conflicts if Interests”. Er war 1970 einer der ersten, der Demokratie-Theorien entwickelt hatte: “The Democratic Citizen: Social Science and Democratic Theory in the 20th Century.” Nach seiner Gründung eines “Ethic-Center” an der Universität (heute benannt nach der finanzierenden Stiftung: “Edmond & Lily Safra Center for Ethics”) gilt THOMPSON als einer der führenden Köpfe in den benannten Wissenschaftsdisziplinen.
In seinem Aufsatz
THOMPSON, Dennis F. (1993): Understanding Financial Conflicts of Interest. In: New England Journal of Medicine, 329(8): 573 - 576
definiert er Interessenskonflikte ("Conflicts if Interests") so:
“A conflict of interest is a set of conditions in which professional judgment concerning a primary interest (such as a patient's welfare or the validity of research) tends to be unduly influenced by a secondary interest (such as financial gain).”
Er stützt sich dabei auf Erkenntnisse von RELMAN (1980) und RODWIN (1989).
THOMPSON's prinzipieller Ansatz hat sich bis heute in einigen Bereichen durchgesetzt. Er gilt insbesondere in der Medizin bzw. dem Gesundheitswesen. In vielen anderen Wissenschaftsdisziplinen und Wirtschaftsbereichen ist diese Sicht der Dinge bis heute (2024) noch nicht angekommen. Insbesondere auch nicht in der deutschen Rechtsprechung.
Der Originalaufsatz befindet sich im NEJM hinter einer Paywall. Der grundsätzlichen Bedeutung wegen haben wir ihn über eine andere Site verlinkt.
1993
Im selben Jahr veröffentlicht Marc RODWIN ein ganzes Buch. Auf 410 Seiten geht es über das Thema Interessenskonflikte und Korruption:
RODWIN, Marc A. (1993): Medicine, Money and Morals: Physician’s Conflicts of Interest. New York: Oxford Uni Press
Darin sind die Interessenskonflikte an konkreten Alltagssituationen beschrieben sowie der bisherige Umgang mit dem Problem durch die diversen Gesundheitsbehörden in den letzten 100 Jahren. Weiter beschreibt er die aktuellen Probleme und setzt sich mit den möglichen Einflussfaktoren und insbesondere Gefahren für ein effizientes Gesundheitssystem auseinander. In seinem letzten Kapitel “What Needs to Be Done?” schlägt er konkrete Handlungsoptionen vor.
1993
Im selben Jahr kommt es zur Gründung der NGO
Transparency International.
Der ehemalige Weltbank-Direktor Peter EIGEN, der jahrelang zusehen musste, wie Entwicklungskredite und öffentliche Gelder nicht nur in die dafür vorgesehenen Projekte fließen, sondern auch zu einem erheblichen Teil in den privaten Taschen von Autokraten und deren Günstlinge verschwinden, mag diesem Umstand nicht länger tatenlos zusehen. In der Weltbank selbst fand er wenig Gehör.
Peter EIGEN sucht sich Verbündete, darunter den ehemaligen US-Verteidigungsminister Robert McNAMARA und zuletzt Präsident der Weltbank, und gründet eine Antikorruptionsbewegung. Sie findet in vielen Staaten der Welt schnell Aufmerksamkeit und Akzeptanz, nicht zuletzt aufgrund des politischen Netzwerks von McNAMARA.
Mitte der 90er Jahre
kommt Bewegung auch in die politische Diskussion. Voraus gehen eine ganze Reihe von Veröffentlichungen zum Thema Korruption. Mehr populär aufgemachte Bücher stammen von
- GALTUNG, Frederic (1994): Zum Beispiel Korruption. Göttingen: Lamuv oder
- RÜGEMER, Werner (1995): Korruption in Staat und Wirtschaft. Köln: Verlag f. Demokratie, Dialektik und Ästhetik
- SCHOLZ, Reiner (1995): Korruption in Deutschland. Die schmutzigen Finger der öffentlichen Hand. Reinbek: rororo aktuell
- ROTH, Jürgen: Der Sumpf. München: Piper
In der Fachwelt erscheinen diese Publikationen:
- TONDORF, Günter (1995): Staatsdienst und Ethik: Korruption in Deutschland (Schriftenreihe Deutsche Strafverteidiger), Baden-Baden: Nomos
- RICKS, Sven (1995): Ökonomische Analyse der Wirtschaftskriminalität unter besonderer Berücksichtigung der Korruption und Bestechung, Berlin: Verl. für Wiss. und Forschung
- CLAUSSEN, Hans-Rudolf (1995): Korruption im öffentlichen Dienst Köln: Heymann
- PETER, Hans-Balz (1995): Korruption. Bern
- VAHLENKAMP, Werner / KNAUß, Ina / AHLFS, Ernst-Heinrich (1995): Korruption - ein unscharfes Phänomen als Gegenstand zielgerichteter Prävention: Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Wiesbaden: BKA
- HOLTZ, Uwe / KULESSA, Manfred (1995): Korruption als Entwicklungshindernis. Dokumentation eines Hearings. Verband der Diozösen Deutschlands
- und andere
1995
In Deutschland
veröffentlicht Transparency International zum ersten Mal den “Corruption Perception Index”, oft verkürzt als “Korruptionsindex” bezeichnet. Tatsächlich geht es um die Wahrmehmung von Korruption durch Betroffene, eine Art von indirekter Messung. Deutschland wird 2023 einen der vorderen Plätze auf Rangnummer 9 belegen.
Dieser Index, der anhand einer jährlich erscheinenden Rangliste die aktuelle Situation eines Landes in Sachen Korruption und die Veränderungen registriert, kommt insbesondere bei den Medien gut an, aber auch in der Öffentlichkeit und der Politik. Dort nimmt man das Problem inzwischen sehr viel ernster als je zuvor. Unter anderem auch, weil die OECD Vorgaben in Sachen Korruptionsbekämpfung macht.
In den USA
wartet der Harvard-Wissenschaftler Dennis THOMPSON mit einer neuen Buchveröffentlichung auf:
THOMPSON, Dennis Frank (1995): Ethics in Congress: From Individual to Institutional Corruption. Washington: The Brookings Institution
Darin hat er untersucht, welche Rolle Geldzahlungen, konkret Bestechungsversuche und quasi institutionalisierte Korruptionsmechanismen bei Entscheidungen im US-amerikanischen Kongress spielen. Bereits vorher hatte er andere Branchen unter diesem Aspekt unter die Lupe genommen: Banken, Pharmafirmen, staatliche Regulierungsbehörden. Die Ergebnisse waren in allen Fällen ernüchternd: mit Geld geht vieles. Bzw. fast alles.
Neu in dieser Publikation: Bisher hatte THOMPSON immer (nur) Von “Conflicts of Interest” gesprochen. Jetzt erweitert er seinen Blick und greift den von CAIDEN/CAIDEN geprägten Begriff “institutionelle Korruption” auf.
1996/1997
In Deutschland
tragen die Aktivitäten Von Transparency International (TI) und die Diskussionen in der Fachwelt und den Medien sowie in der Öffentlichkeit Früchte. Der Deutsche Bundestag unter der CDU/CSU und FDP-Regierung stimmt mehrheitlich für eine Verschärfung der Korruptionstatbestände im Strafrecht. SPD und GRÜNE hatten das schon länger gefordert.
1997
Die Diskussion um käuflichen Betrug in der medizinischen Wissenschaft geht weiter, und zwar in Großbritannien:
Peter WILMSHURST meldet sich erneut zu Wort. Seine These: Selbstregulierung in der medizinischen Wissenschaft wird nicht funktionieren (können). Dafür sprechen zu viele Beispiele. Und in Großbritannien gibt es keine angmessenen Strukturen bzw. Mechanismen, Betrugsvorwürfe klären zu untersuchen:
WILMSHURST, Peter (1997): The code of silence. In: Lancet. 349.1997: 567-569
WILMSHURST's eigene Zusammenfassung:
“In editorials on March 30, 1996, both The Lancet and the British Medical Journal called again for action on misconduct in medical research.’, 2 I contend that those who should uphold the ethics of medicine and medical research tolerate and help to conceal dishonesty. As a result, the entitlement of the profession to regulate itself must be questioned. This contention requires support from many cases, each of which must be properly evaluated, with the accused having the right to a defence. Unfortunately, in the UK at least, there is no adequate mechanism for the investigation of allegations of fraud in the medical sciences. I describe here just a few examples of dishonesty that were discussed at a seminar held at the British Medical Jourrzal on March 13, 1996, which prompted the editorials. The UIC cases reported here were corroborated by individuals present at the seminar but are also supported by documentary evidence. A recent highprofile case in the USA, involving a human-genome researcher, has demonstrated the need for continued action on fraud there.”
1999
Zwei wichtige Werke erscheinen ganz allgemein zum Thema Korruption:
HAMILTON, V. Lee / SANDERS, Joseph (1999): The Second Face of Evil: Wrongdoing in and by the Corporation. In: MILLER, Arthur G (Ed.): Perspectives on Evil and Violence. A Special Issue of personality and Social Psychology Review. 222-233.
3 Ebenen von “wrongdoing” werden unterschieden:
1) Agieren einzelner Personen
2) Personen, die innerhalb von Hierarchien agieren
3) die Institution selbst als moralischer bzw. unmoralischer AkteurThus, it provides fodder for discussions of where ‘institutional’ corruption lies. In particular, authors address the mindlessness with which evil acts can occur within organizations, how organizations (with their MBA, accounting, finance “expertise”) are expected to act with foresight but rarely do, and how the scope of the consequences of corporate wrongdoing are so large”, schreiben die beiden Autoren.
- PIETH, Mark / EIGEN, Peter (Hg.) (1999): Korruption im internationalen Geschäftsverkehr: Bestandsaufnahme, Bekämpfung, Prävention. Basel/Frankfurt am Main: Helbing und Lichtenhahn.
Mark PIETH ist Staatsanwalt in Genf, Peter EIGEN der maßgebliche Gründer von TI
2002
In Köln
fliegt ein größerer Parteispenden- und Bestechungsskandal auf, der sich um die Müllverbrennungsanlage dreht. Im Mittelpunkt: die Kölner SPD und deren “Klüngelwirtschaft”. Ihren Anfang hatte die Affäre bereits 20 Jahre zuvor beim Neubau. Zwar hatte der Kölner Journalist und Publizist Werner RÜGEMER 7 Jahre zuvor, 1995, mehrfach in der"StadtRevue" darüber geschrieben, wurde aber nicht ernstgenommen. Auch nicht von der in Köln dominierenden Tageszeitung “Kölner Stadtanzeiger” (KStA). Nur durch Zufall erfahren die KStA-Journalisten jetzt von den inzwischen aufgenommenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und berichten jetzt (ausf.: www.ansTageslicht.de/MVA).
2002
Peter WILMSHURST in Großbritannien:
Der längst zum Whistleblower gewordene Kardiologe bringt ein klassisches Beispiel für “institutionelle Korruption” in der Medizin ans Tageslicht, das er für symptomatisch hält, weil auch die akademischen Institutionen versagen:
WILMSHURST, Peter (2002): Institutional corruption in medicine. In: British Medical Journal, 325:2002: 1232 – 1235
In Deutschland
erscheint ein neues Standardwerk ganz allgemein zum Phänomen Korruption:
BANNENBERG, Britta (2002): Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle. Eine kriminologisch-strafrechtliche Analyse. Luchterhand (Schriftenrehe BKA)
2003 + 2004
USA:
Trotz zunehmenden Bewusstseins über die Auswirkungen von Interessenskonflikten exisitiert bisher keine zusammenfassende oder gar quantitative Auswertung über das mögliche Ausmaß der finanziellen Beziehungen zwischen Industrie, wissenschaftlichen Forschern und akademischen Einrichtungen, obwohl solche Verquickungen erheblichen Einfluss auf die Forschung haben können, beklagen die drei Autoren, die dazu die bisherige gesamte Literatur im Bereich der Biomedizin ausgewertet haben:
BEKELMAN, Justin / LI, Yan / GROSS, Cary P (2003): Scope and Impact of Financial Conflicts of Interest in Biomedical Research. A Systematic Review. In: JAMA; 289: 454-465.
Deutschland:
Der bekannte Staats-, Partei- und Bürokratiekritiker an der Hochschule in Speyer, Prof. Dr. Hans Herbert von ARNIM, veröffentlicht einen Sammelband, in dem bekannte Persönlichkeiten schreiben, die gegen Korruption angehen: Peter EIGEN (TI), der investigative Journalist Hans LEYENDECKER, der Frankfurter Staatsanwalt Wolfgang SCHAUPENSTEINER sowie der “Kölner Klüngel”-Spezialist Prof. Erwin SCHEUCH:
von ARNIM, Hans Herbert (Hg., 2003): Korruption: Netzwerke in Politik, Ämtern und Wirtschaft.
Es ist eine Sammlung diverser bekannt gewordener Fälle.
Einige Monate später geben die Korruptionsforscherin Prof. Dr. Britta BANNENBERG und Staatsanwalt Wolfgang SCHAUPENSTEINER gemeinsam ein Buch zum Thema heraus:
BANNENBERG, Britta / SCHAUPENSTEINER, Wolfgang (2004): Korruption in Deutschland. München: C.H. Beck
Ebenfalls vorwiegend eine Sammlung bereits bekannter Fälle, darunter auch der Korruptionsskandal im Frankfurter Straßenbauamt (siehe Eintrag Mitte der 80er Jahre).
2004
Realität im Hessischen Rundfunk (ARD) in Frankfurt/M:
Auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist nicht gegen Geldgier und Bestechung gefeit. Ausgerechnet der Sportdirektor Jürgen EMIG, der in seiner Dissertation geschrieben hatte, dass “die Ware Sport also hohen Profit abwirft” und dass “die Abhängigkeiten zwischen Sport und Geld als Synonym für Medien, Markt und Werbung sind vielfältig und oft nur schwer durchschaubar” sind, fliegt auf. Er verkauft seit langem Sendezeiten gegen Geld. Wer nicht zahlt, kommt nicht ins Fernsehen. Die Zeitung “Hessisch-Niedersächsische Allgemeine” hat das recherchiert. Der Sender, der zuvor mehrere Hinweise erhalten hatte, hatte diese alle negiert (ausf.: www.ansTageslicht.de/Emig).
2004
Riesengewinne der Pharmaindustrie
Die frühere Chefredakteurin des New England Medicine Journal, Marcia MARCELL, rechnet vor, dass die kombinierten Gewinne der 10 größten Pharmaunternehmen aus der “Fortune 500”-Liste mit 35,9 Mrd. $ höher waren als die Gewinne aller restlichen 490 Firmen zusammen mit 33,7 Mrd. $. Sie betrachtet die Pharmaunternehmen vorranig als gut geölte Marketingunternehmen, die teilweise zweifelhafte Produkte herstellen und von ihrem eigentlichen Ziel, neue Präparate gegen Krankheiten zu entwickeln, weit entfernt sind. Stattdessen nutzen sie ihre (finanzielle) Macht, alle Institutionen, die ihren Bestrebungen zuwiderlaufen, egal ob US-Kongress, die FDA oder medizinische Zentren unter ihren Einfluss zu bringen:
ANGELL, Marcia (2004): The Truth about the Drug Companies. www.wanttoknow.info
2005
“Vergnügungsreisen" mit dem Energiegiganten e.on: Realität in Ddeutschland
Dass die in Deutschland oligopolisierten Energieunternehmen, die sich den Markt mehr oder weniger aufgeteilt haben, ihre Abnehmer, beispielsweise Lokalpolitiker und Chefs kommunaler Stadtwerke, ebenfalls mit Geld oder schönen Reisen gefügig halten, hätte man sich denken können. Und Vorsorgemaßnahmen ergreifen können. Dass dies auch beim Energieriesen “e.on” gang und gäbe war, bringt ein Lokaljournalist des “Bergischen Boten” ("Westdeutsche Zeitung") an den Tag. Nach Bekanntwerden seiner Recherchen löst dies eine juristische Lawine aus, in der die Gerichte klären müssen, ob Geschäftsführer und Aufsichtsräte von Stadtwerken “Amtsträger” sind oder nicht. Insgesamt werden rd. 150 solcher Ermittlungsverfahren bei der Kölner Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt, die gegen 800 Personen ermitteln wird. Die meisten Verfahren werden gegen Geldauflagen eingestellt. Der BGH wird 2006 entscheiden, dass ein gewählter “Stadtrat” kein “Amtsträger” ist (ausf.: www.ansTageslicht.de/eon).
2005
In Deutschland
legt die NGO TI ein Positionspapier über Transparenzmängel, Korruption und Betrug im deutschen Gesundheitswesen vor. Wie gehabt geht es dabei nicht um die Darstellung von Einzelfällen, was vornehmlich die Aufgabe von Medien und Staatsanwäten ist. TI will “die Intransparenz dadurch aufhellen, dass das komplizierte Wechselspiel im Gesundheitswesen allen Beteiligten deutlich wird. Wir wollen damit erreichen, dass kritische, leistungs- wie kostenbewusste Patienten, Ärzte, Apotheker, sonstige Leistungserbringer, Versicherer und die gesamte Öffentlichkeit wehrhafter den offensichtlichen Missständen begegnen können”:
Transparency International Deutschland (2005): Transparenzmängel, Korruption und Betrug im deutschen Gesundheitswesen - Kontrolle und Prävention als gesellschaftliche Aufgabe. Berlin
In Großbritannien
veröffentlicht zur gleichen Zeit das Englische Parlament den Bericht einer eingesetzten Untersuchungskommission zum Einfluss der Pharamzeutischen Industrie auf das Medizin- und Gesundheitssystem:
House of Commons (2005): Health - Fourth Report. London
Die Zusammenfassung der Ergebnisse und die darauf abgeleiteten Empfehlungen sind in Kapitel 9 dargestellt.
Parallel dazu erscheinen neue Publikationen
- aus politischer Perspektive:
ALEMANN, Ulrich von (Hg) (2005): Dimensionen politischer Korruption. Wiesbaden: VS - Eine ökonomische Betrachtung führen durch u.a. der ‘Erfinder’ des TI-“Corruption Perception Index”
LAMBSDORFF, Johann Graf / TAUBE, M. / SCHRAMM, M. (Eds) (2005): The New Institutional Economics of Corruption. London: Routledge - sowie der Versuch, das Problem generell zu quantifizieren:
SAMPFORD, Charles / SHACKLOCK, Arthur / CONNORS, Carmel / GALTUNG, Frederik (Eds) (2005): Measuring corruption. Hampshire: Ashgate.
2006
Korruptionsskandal bei Siemens -
ein weiteres Mal.
Bekannt wird, dass der Konzern, der bereits vor einigen Jahren deswegen ins Blickfeld geraten war, ein geheimes internes System von Geldzahlungen installiert hat, um damit Aufträge im In- und vor allem im Ausland ans Land ziehen zu können. Mindestens 1,3 Mrd. Euro sind in den letzten Jahren geflossen. Bis die Affäre aufgearbeitet ist, juristisch und innerhalb des Konzerns, werden mehrere Jahre vergehen. Kosten wird das Ganze das Unternehmen knapp 3 Milliarden Euro: Bußgelder, Gerichts- und Anwaltskosten, Beraterhonorare und Steuernachzahlungen. Die Affäre bestätigt erneut, dass sich Korruption weder gesamtwirtschaftlich oder gesamtgesellschaftlich rechnet und oft auch nicht für das Korruptionsunternehmen selbst.
2006 - 2009
Die nächsten Jahre wird das Phänomen Korruption vor allem auch aus der ethischen Perspektive heraus diskutiert, insbesondere im “Journal of Business and Ethics”.
Parallel dazu erscheinen für den medizinischen und Gesundheitsbereich diese Veröffentlichungen:
in den USA
eine Gemeinschaftsveröffentlichung mehrerer Wissenschaftler verschiedener Universitäten und Einrichtungen in den USA: der Harvard Medical School in Boston (BRENNAN, BLUMENTHAL), dem Institute on Medicine an der Columbia-Universität (ROTHMAN, CHIMONAS, GOLDMAN), der Association of American Medical Colleges in Washington/DC (COHEN, BLANK), der Tufts University School of Medicine in Boston (KASSIRER), der University of Washington School of Medicine in Seattle (KIMBALL), der Alliance Medical Group and University of California San Francisco School of Medicine, San Francisco (NAUGHTON) sowie der University of California in Berkeley (SMELSER). Sie wollen damit dem Thema Aufmerksamkeit und fachliches Gewicht verleihen sowie ganz pragmatische Vorschläge machen:
Health Industry Practices That Create Conflicts of Interest. A Policy Proposal for Academic Medical Centers. In: JAMA 2006;295:429–433
Und auch Dennis THOMPSON meldet sich zu Wort:
THOMPSON, Dennis F. (2009): The Challenge of Conflict of Interest in Medicine. In: Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, Vol. 03, Issue 3, 2009, Pages 136-140
In Deutschland
ist es vor allem
KLEMPERER, David (2008): Interessenkonflikte. Gefahr für das ärztliche Urteilsvermögen. In: Deutsches Ärzteblatt, 105(40): A-2098 / B-1797 / C-1757
Diese Publikation ist deshalb wichtig, weil sie das Thema a) erstmals in deutscher Sprache und b) über das Medium in einer großen Reichweite kommuniziert.
KLEMPERER, Prof. für Sozialmedizin und Public Health an der Hochschule in Regensburg veröffentlicht dies zusätzlich im Deutschen Selbsthilfegruppen-Jahrbuch.
In Großbritannien
meldet sich erneut der Kardiologe und Whistleblower Peter WILMSHURST zu Wort, inzwischen am Royal Shrewsbury Hospital in Shrewsbury tätig:
WILMSHURST, Peter (2008): Procedure for investigation of research misconduct – active treatment or sham intervention? In: Journal of the Royal Society of Medicine, 2008: 101: 524–525
und in den USA
legt das Institute of Medicine der National Academies ein über 400seitiges Buch vor, in dem mehrere medizinische Wissenschaftler ihr Wissen und ihre Vorschläge zusammenfassen:
Institute of Medicine (2009): Conflict of Interest in Medical Research, Education, and Practice. Washington/DC
2009
Die Bundeszentrale für politische Bildung
hat jetzt ebenfalls das Thema auf ihrem Radar. Die “Zeitschrift aus Politik und Zeitgeschichte” als Beilage zur Wochenzeitung “Das Parlament” wird insbesondere auch von Abgeordneten in den Parlamenten, Lehrern in den Schulen und anderen an politischen Fragen Interessierten gelesen:
Bundeszentrale für politische Bildung (2009): Korruption. In: APuZ 2009, H. 3-4
Erstmals wird hier auch das Thema Lobbyismus in Verbindung mit Korruption thematisiert (S. 33-38)
2010
AWMF in Deutschland: Definition “Interessenskonflikte”
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) übernimmt ab sofort die Definition Conflict of Interest und gibt dies als Empfehlung vor. Sie übernimmt 1:1 die Definition, die THOMPSON 1993 geprägt hat: “A conflict of interest is a set of conditions in which professional judgment concerning a primary interest (such as a patient's welfare or the validity of research) tends to be unduly influenced by a secondary interest (such as financial gain)."
AWMF - Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (2010): Empfehlungen der AWMF zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Fachgesellschaften. GMS Mitteilungen aus der AWMF 7: Doc 8
Die AWMF-Übersetzung der THOMPSON-Formel lautet auf deutsch:
„Interessenskonflikte sind definiert als Gegebenheiten, die ein Risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen oder Handeln, welche sich auf ein primäres Interesse beziehen, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst werden“.
Ziel dieser Regelung: “Die Integrität der professionellen Urteilsfähigkeit zu schützen und das Vertrauen der Öffentlichkeit zu bewahren”.
Bedeutet: Interessenskonflikte sollen fortan nach diesen 4 Prinzipien offengelegt werden:
- Trennungsprinzip: Entgeltliche oder unentgeltliche Zuwendungen müssen unabhängig von Entscheidungen bzw. Geschäften sein.
- Transparenzprinzip: Jede entgeltliche oder unentgeltliche Zuwendung muss offengelegt werden. Alle Leistungen an eine medizinische Einrichtung, an einen Arzt oder an einen anderen Mitarbeiter im Gesundheitswesen müssen dem Arbeitgeber mitgeteilt, schriftlich fixiert und genehmigt werden.
- Äquivalenzprinzip: Leistung und Gegenleistung müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen.
- Dokumentationsprinzip: Alle Leistungen müssen schriftlich festgehalten werden. In den schriftlichen Vereinbarungen wird detailliert festgelegt, welcher Art etwa die Zuwendung ist, welchen Zweck sie hat und welche Leistungen konkret erbracht werden.
Weiter heißt es:
"Die Offenlegung individueller und institutioneller Interessenkonflikte ist ein notwendiger erster Schritt, aber nicht hinreichend. Alle folgenden Empfehlungen beruhen auf den von Steinbrook ausgewählten und modifizierten Vorschlägen des „Institute of Medicine“ (IOM)."
Damit findet auch die (Vor)Arbeit des in den USA ansässigen “Institute of Medicine of the National Academies” ein Jahr zuvor Eingang in das deutsche Verständnis von Interessenskonflikten und Korruption im Gesundheitsbereich.
2011
In Deutschland
erscheint das erste Buch, das sich ausschließlich mit Interessenskonflikten im Medizin- und Gesundheitsbereich befasst und die bisherige Diskussion in den angelsächsischen Ländern mit einbezieht:
LIEB, Klaus / KLEMPERER, David / LUDWIG, Wolf-Dieter (2011) (Hg.): Interessenkonflikte in der Medizin: Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten. Berlin: Springer
Das Buch wird zum Standardwerk, weshalb wir hier das Inhaltsverzeichnis vorstellen. Da es sich um ein Fachbuch handelt und praktizierende Ärzte in der Regel solche nicht lesen, veröffentlichen die Autoren ihre wichtigsten Thesen, Forderungen und Empfehlungen auch im Deutschen Ärzteblatt:
LIEB, Klaus / KLEMPERER, David / LUDWIG, Wolf-Dieter / OLLENSCHLÄGER, Günter (2011): Interessenskonflikte in der Medizin: mit Transparenz Vertrauen stärken. In: Deutsches Ärzteblatt, H. 6, A 256-261.
Angehängt ein Formular als Vorschlag, wie man Interessenskonflikte dokumentieren kann.
Parallel dazu legt Marc A. RODWIN in den USA ein neues Buch vor, in dem er die Länder USA, Frankreich und Japan miteinander vergleicht:
RODWIN, Mark A. (2011): Conflicts of Interest and the Future of Medicine. The United States, France, and Japan. Oxford: University Press.
Eine Rezension zu diesem Buch findet sich hier.
Eine ganz andere Veröffentlichung legt der US-amerikanische Verfassungsrechtler und Harvardprofessor Lawrence LESSIG vor: ein 400seitiges Buch. LESSIG war Gründer des “Center for Internet and Society” und gilt als geistiger Vater der “Creative Commons”-Initiative:
LESSIG, Lawrence (2011): Republic, Lost. How Money Corrupts Congress - and a Plan How to Stop It. New York: Hachette.
LESSIG wird sich in Kürze mit dem Thema “institutionelle Korruption” befassen.
2012 + 2013
In Deutschland
erscheint ein weiteres Buch über Korruption, in dem der Begriff “institutionelle Korruption” nicht vorkommt. Die deutsche Korruptionsforschung allgemein hinkt der angelsächsischen wieder mal hinterher, ausgenommen der Medizin- und Gesundheitsbereich:
GRAEFF, Peter & RABL, Tanja (2012): Was ist Korruption? Begriffe, Grundlagen und Perspektiven gesellschaftswissenschaftlicher Korruptionsforschung. Baden-Baden: Nomos
Anders in den USA,
wo Lawrence LESSIG 2013 jetzt den Begriff “Institutionelle Korruption” aufgreift und sich dabei auf die Vorabeiten von CAIDEN / CAIDEN aus dem Jahr 1977 stützt:
LESSIG, Lawrence (2013): „Institutional Corruption“ Defined. In: Institutional Corruption and the Pharmaceutical Industry, Journal of Law, Medicine & Ethics, Herbst 2013, S. 2-4
Der Begriff bzw. diese Sicht der Realitäten, dass Institutionen von ihrem eigentlichen Zweck abweichen (können), beginnt sich durchzusetzen. RODWIN nimmt sich die Pharmazeutische Industrie unter diesem Aspekt vor:
RODWIN, Marc A. (2013): Institutional Corruption and the Pharmaceutical Policy. In: Journal of Law, Medicine and Ethics, Vol. 41, p, 544, 2013; Suffolk University Law School Research Paper No. 13-25
Die Publikation fasst die Ergebnisse eines Symposiums der Zeitschrift zusammen, auf der 16 Autoren die Branche unter den Aspekten a) grundsätzliche Probleme, b) medizinische Forschung, c) medizinisches Wissen und dessen Anwendung, d) Marketingpraktiken und e) Patientenrechte.
Konkrete Beispiele, wie institutionelle bzw. systemische Korruption zu unerwünschten Forschungsergebnissen und anschließend daraus abgeleiteten Produkten führen kann, hat inzwischen ein dänischer Medizinforscher aufgelistet und beschrtieben:
GOTZSCHE, Peter (2013): Deadly Medicines and Organised Crime: How big pharma has corrupted healthcare. New York: Radcliffe
Was man bisher über “institutionelle Korruption” weiß und wie man das theoretisch zusammenfassen und begründen kann, bringt ei “Fellow” am “Safra Center for Ethics” in Boston, zu Papier:
NEWHOUSE, M.E. (2013): Institutional Corruption: A Fiduciary Theory. In: 23 Cornell J. L. & Pub. Pol'y 553 (2013-2014)
2015 und danach
Die Erfahrungen in Irland
fasst 2015 ein irischer Mediziner zusammen, die er künftig in den medizinischen Leitlinien verankert sehen möchte:
SCHÜNEMANN, Holger (2015): Principles for Disclosure of Interests and Management of Conflicts in Guidelines: Desirable and Undesirable Action and Consequences. In: Annals of Internal Medicine, 163.2015: 548-553
In Deutschland
nimmt das Thema nur sehr zögerlich Fahrt auf. Die deutsche Korruptionsforschung zeigt sich immer noch sehr fokussiert auf den bisherigen klassischen Blickwinkel.
2016 erscheint zunächst ein Tagungsband:
HOVEN, Elisa / KUBICIEL, Michael (2016): Korruption im Gesundheitswesen. Baden-Baden: Nomos
U.a. veröffentlicht der Kriminalitätsforscher Ralf KÖLBEL zusammen mit anderen einen Aufsatz:
KÖLBEL, Ralf, HEROLD,Nico, LUBNER, Saskia Marieke (2016): Institutionelle Korruption im Pharmavertrieb. In: HOVEN, Elisa / KUBICIEL, Michael (2016): Korruption im Gesundheitswesen. Baden-Baden: Nomos, 191-222
2019 erscheint die 2. Auflage des 2012 erschienenen Sammelbandes:
GRAEFF, Peter / RABL, Tanja (Hg) (2019): Was ist Korruption? Begriffe, Grundlagen und Perspektiven gesellschaftswissenschaftlicher Korruptionsforschung. 2. überarb. Aufl., Baden-Baden: Nomos
Jetzt taucht der Begriff der institutionellen Korruption - im Gegensatz zur ersten Auflage - immerhin ein erstes Mal, aber nur auf einer einzigen Seite (288) auf. Auf die von CAIDEN übernommene Formel durch Lawrence LESSIG geht das Buch nicht ein.
2020 wird eine Dissertation an der Ui Tübingen veröffentlicht, die die strafrechtlichen Aspekte abhandelt:
PFOHL, Dorothee (2020): Korruption im Gesundheitswesen. Berlin: Duncker & Humblot
2023 ist es Karlhans LIEBL, ehem. Professor für Kriminologie an der Hochschule der Sächsischen Polizei, der die wichtigsten Strömungen der Korruptionsforschung seit 1945 rekonstruiert:
LIEBL, Karlhans (2023): Korruption in Deutschland: Ein Überblick über den Stand der Korruptionsforschung seit 1945 (Forum für Verwaltungs‐ und Polizeiwissenschaft). Wiesbaden: VS - Springer
Parallel zu den Diskussionen auf wissenschaftlicher Ebene übernehmen in der deutschen medizinischen Wissenschaft zwar immer mehr medizinische Fachgruppen zumindest das Konzept der Interessenskonflikte in ihren Leitlinien, so wie es die Dachorganisation AWMF im Jahr 2010 vorgegeben hat. Die Erkenntnis, dass Interessenskonflikte aber einen ex-ante-Zustand beschreiben und nicht etwaiges Handeln im Nachhinein, hat sich hingegen (noch) nicht durchgesetzt.
So bestätigt sich ein weiteres Mal, was der bekannte Forscher und Wissenschaftler Max PLANCK zum wissenschaftlichen Fortschritt bereits vor längerer Zeit gemeint hat:
“Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass ihre Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.”
Das mag ernüchternd klingen, entspricht aber vielfach den Realitäten. Und denen kann man kaum ausweichen.
(JL)
Dieser Text ist Bestandteil des (übergeordneten Themenkomplexes Wissenschaft und Wissenschaftskriminalität.
Dazu gehören derzeit
- das vorgestellte Konzept einer “Allianz ‘saubere Wissenschaft’”
sowie
- eine Geschichte über potenzielle Plagiate bei Doktorarbeiten an der Universität Leipzig
Der Themenkomplex befindet sich im permanenten Aufbau