Süddeutschen Zeitung 2014/2015, 21.01.2014

von Bastian OBERMAYER, Uwe RITZER

Wer braucht denn so was?

Im Nachhinein wollen viele vieles schon vorher geahnt haben, nur die ADAC-Bosse beteuern ihre Arglosigkeit. 
Während der Verein durch die größte Krise seiner Geschichte schlingert, stellt die Autobranche jetzt die Sinnfrage 

Ein paar Tage lang hielt die Führung des ADAC ihren Verein mit Dementis über Wasser, dann war es geschehen. Die Hauptmeldung der Tagesschau am Sonntag war nicht die Demonstration in der Ukraine. Sondern „das Lieblingsauto der Deutschen“ – so heißt die Kategorie des ADAC-Autopreises, in der manipuliert wurde. Eine der größten deutschen Institutionen wird gerade erschüttert, und die Marke ADAC nimmt sehr großen Schaden, vor allem, wenn man bedenkt, um was es geht: Es ist kein Flugzeug abgestürzt, es ist kein Zug entgleist, es geht vordergründig nur um gefälschte Zahlen. 
  Aber wer sein Tun höher hängt, als es ist, und auch höher, als es notwendig wäre, der darf sich nicht wundern. 
  Politiker aller Couleur fordern nun markig Aufklärung – ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Volksvertreter das Volk nicht auf Seiten des ADAC wähnen. Allen voran, klar: CSU-Chef Horst Seehofer, der sich am Montag Mühe geben muss, nicht zu schadenfroh zu wirken. Er langt vor der Sitzung des CSU-Vorstands richtig zu. Er sei nicht überrascht von den Manipulationen, erklärt er. Er habe mit dem ADAC „in den letzten Monaten mit Zahlen und Ähnlichem eigene Erfahrungen gemacht“. Der ADAC kämpft gegen Seehofers Pkw-Maut für Ausländer, der Club hatte bezweifelt, dass damit genug Geld herein kommt. „Wir haben immer andere Zahlen gehabt, was das Aufkommen der Maut betrifft“, sagt Seehofer. „Irgendwas kann da nicht stimmen“, habe er sich gedacht. 
  Gut, kann man da sagen, so ist er, der Seehofer, der lässt diese Gelegenheit natürlich nicht ziehen. Aber auch aus anderen Ecken kommen nun die Vorwürfe, die FAZ gräbt einen 2005 vom ADAC gefälschten Reifentest aus, der nun dauerpräsente Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Uni Essen-Duisburg, erklärt, es müssten alle ADAC-Tests auf den Prüfstand, von der Pannenstatistik bis zu den Tunneltests. 
  Selbst die deutschen Automobilkonzerne finden die Gesellschaft des ADAC auf einmal unangenehm – obwohl dieser ADAC in den vergangenen Jahren oft eher als ihre Lobbyorganisation aufgetreten war als ein Interessenverband der Autofahrer. Aber es sind dies Tage, in denen die ersten Automanager auf Distanz zum ADAC und seinen Ritualen gehen. 
  „Wir haben dort eine falsche Welt aufgebaut“, sagt ein Manager, der nicht genannt werden will, „eine Welt, die wir immer als das Hochamt der Branche gesehen hatten“. Eine „Frage der Ehre“ sei es gewesen, dort zu sein. Und nun? Wünschen sich viele, sie wären in der vergangenen Woche nicht da gewesen. Die Bilder mit den ADAC-Pokalen in der Hand stolzer Manager, vorne auf der Bühne in der prachtvollen Münchner Residenz, sie wären nie entstanden. 
  In den Kulissen der Automobilbranche herrscht große Unruhe. Mit dem Rücktritt des ADAC-Medienchefs Michael Ramstetter sei es nicht getan. „Dass der Chefkommunikator hier etwas tat, ohne dass es die Führung wusste, ist unrealistisch“, sagt ein Automanager. Aussprechen will es niemand, jedenfalls nicht laut: Das große Aufräumen beim ADAC hat erst begonnen. Ein Teilnehmer der Preisverleihung vom vergangenen Donnerstag erinnert sich: Es war der Moment, in dem ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung attackierte, von Zeitungen sprach, in die man seinen Fisch einwickle – da sei ein Raunen durch die Reihen der Gäste gegangen. „Wir haben uns alle peinlich berührt angeschaut“, sagt der Manager, „und wären am liebsten im Boden versunken“. 
  Dabei war die Verleihung des „Gelben Engels“ immer schon ein seltsames Ritual. „Die Hersteller wollen schon im Vorfeld wissen, welchen Preis sie bekommen“, heißt es in der Szene: „Davon hängt dann ab, wen sie zur Preisverleihung schicken.“ Das heißt: je größer der Preis, desto wahrscheinlicher, dass der Konzern ein wichtiges Vorstandsmitglied entsendet. Auch dies sei ein Kriterium – der ADAC lege Wert darauf, dass die Veranstaltung hochkarätig besucht sei. 
  Vor einem Jahr etwa, da kam es zu einem kleinen Eklat. Den großen ADAC-Preis bekam die A-Klasse von Mercedes, in Wolfsburg hatten viele wohl damit gerechnet, dass ihr Golf prämiert würde. Einige munkelten damals: Waren wichtige VW-Manager deshalb der Veranstaltung ferngeblieben? Oder, anders gesagt: Musste diesmal der Golf gewinnen, weil im vergangenen Jahr die Konkurrenz vorne lag? 
  Ein Vorstandsmitglied zur SZ: „Die Frage ist doch – nicht nur in unserer Branche – wie viele Preise brauchen wir denn? Sollen wir bei jedem Preis groß damit werben? Der Verbraucher ist nicht blöd. Der merkt doch, dass es hier zugeht wie beim Bambi, der Goldenen Kamera oder dem Sonderpreis der fleischverarbeitenden Industrie: Die Veranstalter brauchen uns eher als wir die Veranstalter.“ 
  Bei Volkswagen spricht man jetzt von einer „beschämenden Sache“. 
  „Wir müssen jetzt sehen, wie wir mit dem Preis umgehen“, heißt es dort. Fest stehe bereits, dass man nicht mit dem Gelben-Engel-Preis Werbeanzeigen schalten werde. „Das war vorbereitet, und das machen wir nun nicht“, so ein Sprecher. Inzwischen schließt VW nicht mehr aus, dass man den bereits 2009 gewonnen Preis zurückgeben werde: „Wir lassen das bewusst erst einmal offen.“ Erst wolle man sehen, wie der ADAC den Fall aufkläre. Einen Gelben Engel wie in den vergangenen Jahren werde es wohl kaum noch einmal geben – „der Gelbe Engel ist ganz klar beschädigt“. 
  Der ADAC selbst kommuniziert seit dem Bekenntnis Michael Ramstetters in einem für den Club außergewöhnlich demütigen Tonfall. Man bittet gleichwohl um Milde. Es sei ja nicht alles schlecht beim ADAC, das ist die Botschaft der Pressekonferenz am Montagnachmittag. Vor der Tür stehen Ordnungskräfte eines Wachdienstes, während der ADAC im Internet gegen einen Shitstorm historischen Ausmaßes kämpft. In der Firmenzentrale schildert Geschäftsführer Obermair derweil noch einmal, wie Ramstetter die Manipulationen gestanden habe. Ob er als Ramstetters Vorgesetzter persönliche Konsequenzen ziehen werde, will ein Journalist wissen. Obermair winkt ab: „Es gibt hier einen klaren Hauptverantwortlichen.“ 
  Mit Ramstetter möchte man nicht tauschen. Kurz bevor er am Sonntag in den Urlaub entfloh, fingen Fotoreporter der Bild ihn noch ab. Titelseite: Der Gelbe Bengel. 
  Schon am Sonntag führte ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair zerknirschte Telefonate, auch mit der Süddeutschen Zeitung . Tenor auch hier: Das alles habe niemand geahnt, es habe auch niemand ahnen können. 
  Ist das wirklich so? Auch wenn man annimmt, dass die Fälschungs-Gerüchte die Führungsebene nie erreicht haben, bleibt die Frage, wie Geschäftsführer Obermair bei der Gala zum „Gelben Engel“ am Donnerstag so ungerührt alle Vorwürfe abstreiten konnte – von denen er schon fast eine Woche wusste. 
  Und wo ist der ADAC-Präsident Peter Meyer? An diesem Montag meldet er sich telefonisch bei der Süddeutschen Zeitung , auch er gibt sich zerknirscht. Das Manipulationsgeständnis Ramstetters sei für ihn persönlich „wie der Fall aus dem heilen Himmel“ gewesen. Auch Meyer bleibt dabei: Er habe nie etwas geahnt, nie etwas gewusst. Hinweise auf eine tatsächliche Manipulation an den Abstimmungsergebnissen habe er erstmals am Donnerstag nach der Preisverleihung erhalten. Zu diesem Zeitpunkt habe es ein „intensives Gespräch“ mit Michael Ramstetter und Karl Obermair gegeben, in dem Ramstetter 
„widersprüchliche Aussagen“ gemacht habe. Daraufhin hätte Meyer „eine umgehende, vollständige Offenlegung der tatsächlichen Zahlen verlangt“. Das sei am nächsten Tag geschehen. 
  Interessant ist: Geschäftsführer Obermair hatte der SZ noch am Sonntag wieder und wieder versichert, mit Ramstetter habe es am Donnerstag keine derartigen Gespräche gegeben. Vielleicht auch, weil dadurch offensichtlich ist: Man war offenbar nicht so völlig ahnungslos, als in der Allerheiligen-Hofkirche die Preise verliehen wurden. 
  Und gleichzeitig fahnden ADAC-Leute hinter den Kulissen fiebrig nach der Quelle, die diese Missstände ans Licht gebracht hat. Eine Art Sondereinheit recherchiert Verbindungen von ADAC-Mitarbeitern zu SZ-Journalisten, es werden die Namen ehemaliger Mitarbeiter gehandelt, es wird hier angerufen und dort nachgefragt. Warum eigentlich, wenn doch ein untragbarer Zustand endlich behoben wurde? 
  Das ist dann wieder der alte ADAC, der Verein, der seine vermeintlichen Gegner mit aller Macht angeht. Egal, ob es Politiker, Journalisten oder die eigenen Mitarbeiter sind. 
  Eines ist klar: Längst geht es für den ADAC um mehr als nur ein paar Zahlentricksereien. Es geht um den Kern, um seine Glaubwürdigkeit. „Der ADAC muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden“, sagt Auto-Professor Dudenhöffer: „Bisher kontrolliert doch niemand diese älteren Herren an der Spitze, die alle hauptsächlich neben der Kanzlerin sitzen wollen, um sich in ihrer Bedeutung noch mehr nach oben zu schrauben.“ 
  Unter den vielen Forderungen, die jetzt an den ADAC herangetragen werden, ist eine, die nicht so falsch klingt. Sie kommt von Dudenhöffer und lautet: Man soll den ADAC entzweischlagen. Hier den Verein, der sich um Pannenhilfe, Flugrettung, Autotests und andere ehrbare Aufgaben kümmert. Und dort der Konzern – der bislang mit dem guten Image des Vereins Umsatz macht. Die Verquickung von Verbraucherschutz und Geschäftsinteressen sollte der ADAC beenden, fordert Ferdinand Dudenhöffer. 
  Dann könnte für den Verein, der ADAC heißt, irgendwann wieder der alte Leitspruch gelten: „Im Mittelpunkt steht das Mitglied.“