Gerichtstermin im Sozialgericht Fulda, Aktenzeichen S 8 U 120/05
Aber das will die Richterin am Sozialgericht Fulda in der Verhandlung nicht gelten lassen.
WOITOWITZ ist auf Bitten der Richterin nach Fulda gefahren, um seine Argumente nochmals coram publico zu erläutern und er hat auch gleich eine Präsentation mitgebracht, in der er nochmals deutlich macht, dass der tote Dachdecker in seiner arbeitstäglichen Situation mit bis zu 60 Millionen Asbestfasern pro Kubikmeter Atemluft pro Stunde ausgesetzt war. Seit 1976 hätte – eigentlich – ein Grenzwert von maximal 2 Millionen Asbestfasern gegolten. Und der sei dann nach und nach reduziert worden. Erst auf 1 Million seit 1985, dann auf 250.000 und seit 1995 gelte ein Maximalwert von nur noch 15.000 Fasern pro Kubikmeter Atemluft. Und all das hätte seinen Grund gehabt, dass man die Grenzwerte erst reduziert und dann, 1995, Asbest ganz verboten habe.
Die Richterin macht das, was fast alle Richter an den Sozialgerichten machen: den „Vollbeweis“ anzuzweifeln, weil das die geringste Arbeit macht. Schon deswegen, weil sich danach die Berufsgenossenschaft zufrieden gibt. Die dann auch keine weiteren Einsprüche geltend macht und das Gericht mit weiteren Schriftsätzen und gutachterlichen Stellungnahmen bombardiert.
Also schreibt sie in die Urteilsbegründung dies:
„Im Unfallversicherungsrecht müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen einschließlich Art und Ausmaß sowie die Erkrankung erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein, wobei kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der Tatbestandsmerkmale zweifelt. Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen.
Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Diese hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist.
Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben.
Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Feststellungslast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers.“
Und ein wenig entschuldigend fügt die Richterin hinzu:
„Die Kammer sieht wohl die erheblichen Belastungen, denen Dachdecker und all die anderen Berufsgruppen, die mit dem 'Wunderstoff' Asbest gearbeitet haben, ausgesetzt gewesen sind. Die Gefährlichkeit steht vollkommen außer Frage. Auch der Umstand, dass möglicherweise schon eine Faser zur Verursachung tödlicher Krankheiten ausreichen kann, ist der Kammer bewusst.
Allerdings muss sich die Kammer bei der Bewertung an die Vorgaben des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung halten. Dazu müssen die einwirkenden Umstände im Vollbeweis notwendig sein.“