Deutsches Mesotheliomregister
Es ist eines der wichtigsten Einrichtungen der (Deutschen) Gesetzlichen Unfallversicherung in Sachen Asbest. Dort versucht man die Anerkennungsquoten zu kanalisieren. Die Zahlen der Schadensmeldungen von ehemaligen Asbestbeschäftigten sind in den letzten Jahrzehnten drastisch gestiegen. Und beim Verdacht auf asbestverursachten Lungenkrebs steigen sie immer noch.
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"Unabhängige medizinische Forschungseinrichtung"
„Aufgrund der Rechtsstellung, der Finanzierungskonstruktion in Stiftungsform sowie der Vernetzung im allgemeinen Wissenschaftsbetrieb handelt es sich um eine unabhängige medizinische Forschungseinrichtung“, sagt die Bundesregierung 2017 - in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE (Frage Nr. 55), die wissen wollte, inwieweit man "inhaltliche Einflüsse" auf die Georgius Agricola Stiftung ausschließen könne. Denn die verantwortet den Betrieb des Instituts für Pathologie am Uniklinikum Bochum und des mit ihm verbundenen Mesotheliomregisters. So die Bundesregierung bzw. das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Dieses Register ist die zentrale Instanz für praktisch alle medizinischen Fragestellungen und pathologischen Untersuchungen in Sachen Asbest. Die Berufsgenossenschaften schalten es gerne dann ein, wenn sie Anträge auf Anerkennung von asbestbedingten Berufskrankheiten nicht anerkennen (wollen). Und das kommt bekanntlich häufiger vor. "Forschung" ist nicht das zentrale Anliegen.
Zwar ist die Ablehnungsquote bei der "Asbestose" (BK 4103) mit 44% deutlich geringer als im Durchschnitt aller Berufskrankheiten (72%). Und ebenso beim "Mesotheliom"-Krebs (BK 4105) mit 25%, weil dieser besonders agressive Krebs eigentlich nur durch Asbest entsteht. Und es deswegen nur darum gehen kann, ob die Asbesteinwirkung beruflich oder nicht beruflich stattgefunden hat. Dafür ist die Ablehnungsquote aber beim asbestverursachten Lungen- und Kehlkopfkrebs (BK 4104) sehr viel höher: bei 84% aller beantragten Fälle.
Weil die (Deutsche) Gesetzliche Unfallversicherung praktisch immer nur diese eine, nämlich ihre eigene Institution beauftragt, hat sich das Mesotheliomregister zu einem regelrechten Monopol entwickelt. Und versucht auf diese Weise, die Deutungshoheit durchzusetzen, was a) als asbestbedingt und b) asbestbedingt am Arbeitsplatz verursacht zu gelten hat.
Mit seiner Monopolstellung hat sich das Mesotheliomregister zur größten Hürde für Asbestgeschädigte entwickelt.
Immer im Hintergrund: die Berufsgenossenschaft RCI
Seit der Gründung dieser Einrichtung ist die "BG Rohstoffe und chemische Industrie" (BG RCI) eine maßgebliche Akteurin des Mesotheliomregisters. Aus ihrer Branche stammen besonders viele Asbestopfer.
Damals, anfangs der 70er Jahre, war erstmals absehbar, dass die Zahlen der Asbestgeschädigten erheblich ansteigen würden - das Ende der Latenzzeit bei den Arbeitern des Wirtschaftswunders begann sich auszuwirken. Latenzzeit meint: Erst nach 20 bis 40 Jahren kommen die bis dahin verborgenen Schädigungen des menschlichen Körpers zum Vorschein. Dem galt es gegenzuhalten.
Der Aufbau eines zentralen Registers für die Begutachtung, ob berufsbedingt verursacht oder nicht, war eine von mehreren Maßnahmen. Eine andere: Die Asbestindustrie, die die Berufsgenossenschaften - "gesetzlich" festgeschrieben - finanzieren muss, hatte zuvor heimlich einen "Unabhängigen Wissenschaftlichen Beirat" gegründet, in dem der damalige 'Pabst' der deutschen Pathologen saß: Prof. Dr. Herbert OTTO. Dieser "Unabhängige Wissenschaftliche Beirat" sollte die öffentliche Diskussion um die in den Medien und der Öffentlichkeit aufkommende Asbestproblematik besser kontrollieren (mehr unter Warum es so lange gedauert hat, bis Asbest verboten wurde: die darauffolgenden 50 Jahre - Asbestchronologie Teil II).
Konkret: Gespräche und Absprachen zwischen den BGen und der medizinischen Wissenschaft wurden als notwendig erachtet, "um zu verhindern, daß dieses Thema in der breiteren Öffentlichkeit durch Publikationsmittel in nicht vertretbarer Weise hochgespielt werde." So liest sich das in einem internen Protokoll auf S. 6 des Dachverbands der Gesetzlichen Unfallversicherung. Und ganz generell: Der Sinn von regelmäßigen (Röntgen)Untersuchungen von Beschäftigten der Asbestindustrie, wie von einigen gefordert, "sei keinesfalls darin zu sehen, den Versicherten, koste es was es wolle, zu einer möglichst hohen Rente zu verhelfen" (Protokoll auf S. 13).
OTTO erhielt daraufhin einen Auftrag für eine Studie. Sie wurde nie veröffentlicht. Deren Zweck wurde später indirekt bekannt: als der Spitzenverband der Gesetzlichen Unfallversicherung die Gründung eines "Mesotheliomregisters" bekannt gab. Dieses zentrale Register sollte nicht nur für den Mesotheliomkrebs zuständig sein, sondern auch für den Lungenkrebs.
Und so erhielten alle Berufsgenossenschaften ein Rundschreiben "92/73", in dem sich diese Aufforderung zu lesen war:
"Die BG-lichen Verwaltungen werden gebeten, den beauftragten, obduzierenden Pathologen darauf hinzuweisen, dass die Lunge des Verstorbenen nach Entnahme an das Institut von Herrn Prof. Otto zu senden ist, damit dort eine ergänzende Untersuchung zur Bestimmung der Menge und Qualität der in der Lunge eventuell abgelagerten Asbestpartikel erfolgen kann."
Der erste Schritt zum Monopol.
Neuer Standort Bochum
Der erste Chef des Mesotheliomregisters hieß demnach auch Prof. Dr. Herbert OTTO, zu dieser Zeit Pathologenchef an den Städtischen Kliniken in Dortmund.
Dem ersten altersbedingten Nachfolger von OTTO folgt 2006 eine Chefin: Neue Direktorin des Deutschen Mesotheliomregisters, längst in Bochum, wird Prof. Dr. med. Andrea TANNAPFEL. Sie ist zugleich Direktorin des dortigen Instituts für Pathologie und zusätzlich Professorin für Pathologie am "Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil" der Ruhr Universität Bochum.
Die Ruhr Universität Bochum (RUB) ist staatlich. Das "Berufsgenossenschaftliche Universitätsklinikum Bergmannsheil" gehört der Gesetzlichen Unfallversicherung. Eine einzigartige Konstruktion, die es sonst nirgendwo gibt in Deutschland. Universitätskliniken sind üblicherweise staatlich. Und unabhängig.
Und so wie das "Berufsgenossenschaftliche Universitätsklinikum Bergmannsheil" der Gesetzlichen Unfallversicherung gehört, so ist auch das Institut für Pathologie in der Hand des Berufsgenossenschaftlichen Systems. Bis 2005 komplett von den BGen finanziert, so wie das gesamte Universitätsklinikum "Bergmannsheil", ändert man 2006 ein wenig die Fassade: Das pathologische Institut wird jetzt von der Georgius Agricola Stiftung übernommen und nennt sich auch gleich so: "Georgius Agricola Stiftung - Institut für Pathologie."
Und eben dort ist auch das Mesotheliomregister untergebracht. Direktorin: Prof. TANNAPFEL.
Alleinvertretungsberechtigter Vorstand der Stiftung: Prof. TANNAPFEL. Direktorin des Instituts: Prof. TANNAPFEL. Ansprechpartner für die Stiftung: die "Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie".
So sieht die gesamte Konstruktion des Mesotheliomregisters, des Instituts für Pathologie bzw. die Georgius Agricola Stiftung sowie das GUV-eigene Universitätsklinikum an der Ruhr Universität Bochum aus:
Bereits die formale Rechtskonstruktion zeigt die Einbindung des Deutschen Mesotheliomregisters in das System der (Deutschen) Gesetzlichen Unfallversicherung.
Register und Pathologieinstitut (hier violett) sind eng miteinander verbunden und Bestandteil des BG-eigenen Universitätsklinikums "Bergmannsheil". Das wiederum gehört zum größten Teil dem BG-eigenen Klinikverbund (rosa), der deutschlandweit 9 Akutkliniken unterhält, in denen rund 13.000 Beschäftigte arbeiten. Dies sind hochmoderne Unfallkrankenhäuser, die bestens ausgestattet sind und sehr hohe Qualitätsstandards haben. Gesellschafter dieses Klinikverbunds: 6 der insgesamt 9 Berufsgenossenschaften (hier gelb), allen voran die "BG RCI". Vier der BGen sind zudem direkt Mitgesellschafter wiederum am Klinikkonzerns - ein typisches Geflecht für enge Vernetzung.
Da die BGen ihr zentrales Dach in Gestalt der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung DGUV (rot markiert) finanzieren, die wiederum die BGen in allen relevanten Fragen berät, unterstützt und managt, unterliegt das Mesotheliomregister - letztlich und real gesehen - auch dieser Institution.
Das wird schon daran deutlich, dass die DGUV das Register finanziell "fördert", zusammen mit den BGen einen Großteil des Kuratoriums und des Stiftungsrats besetzt und sich die Jahresberichte "zur Prüfung" vorlegen lässt, wie uns Prof. TANNAPFEL telefonisch erklärt. Schriftlich gibt sie uns, dem DokZentrum ansTageslicht.de und der Süddeutschen Zeitung, allerdings dies zu Protokoll:
"Die Geldgeber [DGUV] nehmen keinen Einfluss auf die wissenschaftliche Arbeit des Instituts oder speziell geförderter Arbeiten. Die unabhängige wissenschaftliche Arbeit findet im Rahmen universitärer Forschung statt."
"Universitäre Forschung" indes, die in Bochum vom Gesamtsystem der GUV finanziert wird.
Das Mesotheliomregister wird zum Monopol
Auch als Prof. Dr. med. Andrea TANNAPFEL 2006 ihr neues Amt antrat, hatte die DGUV erneut alle BGen nochmals unmissverständlich darauf hingewiesen, dass in jenen Fällen, bei denen der vorzeitige Tod ursächlich auf die Folgen eines Asbestschadens zurückzuführen ist, die mit der Obduktion beauftragten Pathologen "darauf hinzuweisen [sind], dass das Lungengewebe an das Deutsche Mesotheliomregister gesandt wird." Zweck: für "eventuell erforderliche ergänzende Untersuchungen".
Außerdem sei damit die Möglichkeit verbunden, "die Ergebnisse der ergänzenden Untersuchungen durch das Deutsche Mesotheliomregister im Rahmen des [selbst] zu erstattenden Gutachtens zu verwenden". In derlei Fällen würden auch nur die üblichen Kosten in Rechnung gestellt, so dass dies das eigentliche Honorar des Pathologen nicht tangiert, aber mit deutlich weniger Arbeit verbunden sei.
Dieses Angebot an alle anderen pathologischen Institutionen tat seine Wirkung. Inzwischen verfügt das Mesotheliomregister über mehrere Zigtausende von Lungengewebeproben. Insgesamt "68.700 Datensätze zu asbestbedingten Krankheiten" sind dort archiviert, wie uns Prof. TANNAPFEL mitteilt. Keine andere Institution in Deutschland verfügt über einen derartigen Bestand.
Und nach wie vor wird von der Gesetzlichen Unfallversicherung dies kommuniziert:
Rund 2.400 Untersuchungen auf asbestbedingte Berufserkrankungen hin werden jährlich auf Betreiben der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen am Mesotheliomregister durchgeführt. Immer dann, wenn eine ausreichende Asbeststaub-Exposition angezweifelt wird. Und das ist nicht gerade eben selten.
Andere Institutionen erhalten solche Aufträge nicht, jedenfalls nicht von den Berufsgenossenschaften. So zum Beispiel Prof. Dr. med. Jürgen SCHNEIDER am Institut für Arbeits- und Sozialmedizin (IPAS) der Universität Giessen. SCHNEIDER ist Nachfolger von Hans-Joachim WOITOWITZ.
Prof. SCHNEIDER verfügt über ein hochmodernes Elektronenmikroskop, mit dem sich nicht nur Asbestkörperchen nachweisen lassen, sondern auch Asbestfasern, die wesentlich kleiner sind als die Asbestkörperchen. Fasern aufzuspüren, ist wesentlich schwieriger und aufwendiger - es ist medizinische Detektivarbeit. Es setzt stundenlanges Veraschen voraus und dies über Tage, bevor man sich unterm Elektronenmikroskop auf die Suche machen kann. Letzteres macht man am Mesotheliomregister in der Regel nicht. Dort werden routinemäßig nur Asbestkörperchen gezählt, nur selten Fasern.
Doch um die Deutungshoheit aufrecht zu erhalten, sind eben alle BGen und Pathologen gehalten, Lungengewebeproben (nur) an das Mesotheliomregister zu senden.
Die Theorie (und Praxis) des Monopols
Die einseitige Interpretation und die Widersprüchlichkeit in der Praxis beim Deutschen Mesotheliomregister lassen sich verdeutlichen an einem Fall, den wir ausführlich dokumentiert haben: am Beispiel des Bierbrauers Helmut WAGENBLASST, der 30 Jahre lang u.a. mit Asbest zu tun gehabt hatte. Asbest wurde bis in die 80er Jahre beim Filtrieren des gebrauten Biers eingesetzt, damit es - von allen Schwebstoffen gereinigt - hinterher klar und appetitlich ausschaut: "Dem Ministerium stehen ... keine Weisungs- oder Aufsichtsrechte zu". Oder: Bier und Asbest.
Die zuständige BG N (Nahrungsmittel und Gaststätten) hatte dem ehemaligen Bierbrauer die Anerkennung einer Asbestose und eines asbestbedingten Lungenkrebses zunächst verweigert. Weil sich die Witwe damit nicht zufrieden gab und vor Gericht kämpfte, gleichzeitig aber auch die 'Hohe Politik' eingeschaltet hatte, gab die BG letztlich klein bei. Ihre Ablehnung stützte sich dabei auch auf eine gutachterliche Stellungnahme des Deutschen Mesotheliomregisters in Person von Prof. Andrea TANNAPFEL.
TANNAPFEL hatte - nach dem Tod des Bierbrauers - Asbestkörperchen gezählt, und zwar derer weniger als 10 pro 1 Gramm Lunge, und vermochte deswegen "keine Hinweise für eine vergleichsweise vermehrte Asbestbelastung" feststellen. Ergo keine Berufskrankheit.
Nun ist es bei den gefährlichen Fasern des Chrysotilasbests so, dass sie sich nach kurzer Halbwertzeit auflösen, weil beispielsweise die Magnesiumanteile der Fasern zerfallen. Die Fasern lassen sich nicht mehr nachweisen. Und nur sehr wenige Asbestfasern, die größer als 5 Mikrometer sind (1 Mikrometer = 1 Tausendstel Millimeter) überleben, wenn überhaupt, und werden zu Asbestkörperchen, wenn sie von Eiweißbestandteilen umgeben werden. Das Verhältnis liegt zwischen 100:1 und bis zu 1.000:1 (mehr dazu unter Asbest: die 4 tödlichen Schadensbilder).
Weil dies so Fakt ist und von der medizinischen Wissenschaft längst anerkannt wird - bis auf einige wenige, auf die wir gleich zu sprechen kommen - haben sich die unabhängigen Mediziner aus mehreren Fachgesellschaften, z.B. Arbeitsmediziner und Pneumologen, auf eine wissenschaftliche "interdisziplinäre Leitlinie" geeinigt, nach der sich aus solchen Zählungen keine verwertbaren Aussagen in Bezug auf eine eindeutige Asbeststaubbelastung treffen lassen. Dies lässt sich nur mittels einer Arbeitsanamnese (Rekonstruktion des Arbeitslebens und der Arbeitsbedingungen) machen.
Zwar hat die (Deutsche) Gesetzliche Unfallversicherung diese Wissenschaftliche Leitline zum größten Teil in ihrer sogenannten Falkensteiner Empfehlung übernommen, aber eben auch in ihrem Sinn modifiziert und erweitert. "Die Untersuchung von Gewebeproben ist der Ausnahmefall", schreibt uns dazu die DGUV. Was sie genau unter "Ausnahmefall" versteht, erklärt die DGUV nicht. Der letzt verfügbare (März 2019) Jahresbericht für 2014 weist allerdings 2.584 solcher Lungenstaubanalysen auf. Bezogen auf die Verdachtsanzeigen sind das 28%. "Ausnahmefälle"?
Wie auch immer: Uns liegen mehrere Gutachten vor, in denen genau dieser "Ausnahmefall" am Mesotheliomregister praktiziert wird. Und so auch im Fall des Bierbrauers Helmut WAGENBLASST.
Diese Praxis soll offenbar die herrschende Theorie am Deutschen Mesotheliomregister abstützen. Denn die besagt - vereinfacht zusammengefasst: Wenn sich keine Asbestkörperchen (bzw. Fasern) finden lassen, weil sie "Fahrerflucht" begehen, können sie auch keinen Schaden anrichten.
Die Mehrheit der Wissenschaft sieht das anders. Allerdings ein wenig komplizierter: Die Fasern lösen sich größtenteils auf, nachdem sie den Schaden angerichtet haben - unabhängig davon, wieviele von den Asbestfasern als Asbestkörperchen 'überleben', die man dann auch zählen kann. Und das kann von Person zu Person immer ein bißchen unterschiedlich ausfallen. Denn die Menschen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer genetischen Anlagen, in ihren Arbeits- und Lebenssituationen sowie deren Wechselspiel auf die eigene Gesundheit. Bzw. Krankheit.
Über den (Aus)Gang dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung, und warum es überhaupt eine ist, informieren wir unter Warum um Asbest immer noch geschachert wird: der Showdown bis heute
Widerlegung von Prof. TANNAPFEL/Mesotheliomregister durch Prof. BAUR
Das arbeitsmedizinische "Zusammenhangsgutachten" im Fall des inzwischen verstorbenen Bierbrauers Helmut WAGENBLASST (Link siehe oben), das die Argumente des Mesotheliomregisters aushebelt, stammt von Prof. Dr.med. Xaver BAUR. Der war in den 90er Jahren Chef des DGUV-eigenen (heutigen) IPA-Instituts, bis er dort das Handtuch warf und an das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ("UKE") ging - er hatte zu oft im Sinne der Berufskranken entschieden. Nach seinem altersbedingten Ausscheiden aus dem "UKE" ging BAUR zur Charite in Berlin, machte sich dort ebenfalls bald unbeliebt: u.a. aus den gleichen Gründen. BAUR weiß: Wer unabhängig arbeitet und sich von niemandem beeinflussen lässt, eckt in der auf Mainstream getrimmten Branche Arbeitsmedizin an.
BAUR's Gutachten liest sich fundiert. Er argumentiert auf 43 Seiten. Drei Dinge stellt er in den Fokus, die im Fall des Bierbrauers den Ausschlag geben werden, gleichzeitig aber auch die theoretischen Fundamente des Mesotheliomregisters angreifen:
- Die sogenannte Faseranalytik, also das Zählen von Asbestkörperchen ist 'out' und längst überholt. TANNAPFEL's Methode wegen nicht ausreichender Asbestkörperchen im Rückschluss auf eine mangelnde Asbestbelastung zu schließen, ein "Fehlschluss".
- Genau deswegen sei nach den inzwischen anerkannten "interdisziplinären Leitlinien" zur Diagnostik und Begutachtung (vgl. Kapitel 4.5) von asbestbedingten Berufskrankheiten die Aussage der Faseranalytik "eindeutig limitiert". Sprich: völlig antiquiert.
- Eine Asbestbelastung lässt nur mittels einer profunden Arbeitsanamnese über den gesamten beruflichen Zeitraum unter Berücksichtigung aller relevanter Schadstoffbelastungen rekonstruieren.
Im übrigen sei es auch längst so, dass auf der zweiten Ebene der Sozialgerichtsbarkeit, den Landessozialgerichten, die Einsicht in diese Zusammenhänge gewachsen sei: "Der Nachweis von Asbestkörperchen ist nicht unverzichtbar. Astbestkörperchen sind nicht als notwendiges Glied der kausalen Verbindung zu Fibrose und Tumor erwiesen", hieß es bereits vor 20 Jahren in einem der LSG-Urteile.
Und was vor über 20 Jahren zunächst am Landessozialgericht von Nordrhein-Westfalen begonnen hatte, nämlich die Ablehnung der am Deutschen Mesotheliomregister praktizierten Usancen (erstes Urteil am 13. Mai 1997: Az: L 15 U 55/93), setzt sich bis heute fort. Zuletzt (Stand Anfang 1019) hat das LSG Niedersachsen/Bremen im September 2018 diese Methoden verworfen (Az L 14 U 48/18 v. 6.9.2018).
Was die soziologische Wissenschaft zu Interessenskonflikten und Abhängigkeiten sagt
Kurz gesagt, sind es diese zwei Dinge:
- Abhängigkeiten können auf vielerlei Weise entstehen. Wer ein Geschenk annimmt, den überfällt oft das Gefühl, sich revanchieren zu müssen. Wer einen Super-Arbeitsplatz erhält, fühlt sich schnell verpflichtet: dem gegenüber, der ihn finanziert. Im Volksmund gibt es dafür die Begrifflichkeit "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing." Die Soziologen sprechen von "Reziprozität".
- Das Problem von Interessenskonflikten - bzw. von Unabhängigkeit - ist natürlich dieser Konflikt an sich. Aber noch schwerer wiegt der Umstand, dass die Betroffenen dieses Problem nicht sehen (können und/oder wollen). Aber selbst glauben, dass sie das Dilemma erkennen und dementsprechend - in ihrer Eigenwahrnehmung - auch unabhängig handeln können. Konkret: Man redet sich eine solche Situation 'schön', blendet alles andere aus - der Fall einer klassischen "kognitiven Dissonanz", wie es in der soziologischen Fachbegrifflichkeit heißt.
So wird es nachvollziehbar, dass man auch am Deutschen Mesotheliomregister dieses Problem nicht sieht. Auf unsere Frage, warum sich die Einrichtung als "unabhängig" bezeichnet, obwohl z.B. die DGUV die Jahresberichte "absegnet", antwortet uns Prof. Dr. med. TANNAPFEL dies:
"Die Geldgeber nehmen keinen Einfluss auf die wissenschaftliche Arbeit des Instituts oder speziell geförderter Arbeiten. Die unabhängige wissenschaftliche Arbeit findet im Rahmen universitärer Forschung statt.
Die medizinischen Diagnosen des Instituts sind unabhängig vom Auftraggeber."
Hilfreich für das Verständnis um die Rolle des Deutschen Mesotheliomregisters ist auch die Lektüre der folgenden Texte bzw. Kapitel:
- Das System der (Deutschen) Gesetzlichen Unfallversicherung. Wie es gedacht war. Und was daraus wurde. Und warum
- Das Schattenreich: Das Schattenreich: Arbeitsmedizin und Gesetzliche Unfallversicherung
Wer sich für den wissenschaftlichen Streit zwischen unabhängigen Arbeitsmedizinern und den interessensgebundenen Vertretern der Industrie interessiert, findet eine kleine Übersicht unter BERNSTEIN-ROGGLI + TANNAPFEL et al gegen den Rest der Welt.
Die gesamte Thematik um Asbest, zu der auch dieses Kapitel gehört, lässt sich direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Asbestkrimi
(JL)
Online am: 05.03.2019
Aktualisiert am: 28.12.2022
Inhalt:
Asbest - ein Krimi mit Millionen von Toten. Seit 120 Jahren. Bis heute.
- Asbest - Wunderfaser und Killerstaub. Noch heute
- Asbest: die 4 tödlichen Schadensbilder
- Warum es so lange gedauert hat, bis Asbest verboten wurde: die ersten 70 Jahre
- Warum es so lange gedauert hat, bis Asbest verboten wurde: die darauffolgenden 50 Jahre
- Warum um Asbest immer noch geschachert wird: der Showdown bis heute
- 36 Jahre: 11 Asbest-Gutachter, 30 Gutachten und kein Ende
- "Dem Ministerium stehen gegenüber den Berufsgenossenschaften fachlich wie dienstrechtlich keine Weisungs- oder Aufsichtsrechte zu"
- Asbest in den USA: Fake Science und ein Whistleblower
- Deutsches Mesotheliomregister
- Was kann man tun bei Asbest
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