Das Schattenreich: Ein Monopol namens "DGUV e.V." organisiert das Kartell der Berufsgenossenschaften

Wer in „America first“ am Arbeitsplatz verunglückt oder berufsbedingt lebenslange Schädigungen davon trägt, muss seinen Arbeitgeber verklagen. Wenn der dann dabei nicht pleite geht, kann das gut ausgehen. Im schlechten Falle nicht.

In Deutschland ist das anders geregelt. Seit der BISMARCK’schen Sozialversicherungspolitik von vor über 130 Jahren (Unfallversicherungsgesetz 1884) sind Arbeitnehmer über ihren Arbeitgeber pflichtversichert. Wenn der dann zahlen müsste, nimmt ihm das die Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) ab. Die GUV wird deswegen ausschließlich von den Unternehmen über eine Umlage finanziert.

Diese Haftablöse kostet natürlich Geld, stellt einen Kostenfaktor dar. Im Gegensatz zur regulären  Krankenversicherung, deren Beiträge sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen, und die vergleichsweise teuer ist, kalkulieren die Unternehmen hier pro versichertem Arbeitnehmer weitaus weniger: im statistischen Mittel rund 25 Euro pro Monat.

Das ist nicht viel - für viele, die es bezahlen sollen, aber immer noch (viel) zu viel.

Andererseits: Wenn man krank am Arbeitsplatz wird, weil die Belastungen zu hoch oder nicht gerade ungefährliche Arbeitsstoffe mit im Spiel sind, ist es nur konsequent, dass dafür die Verursacher gerade stehen müssen. So will es die Politik – im Interesse der Menschen.

So verbleibt ein natürlicher Interessenskonflikt. Die einen wollen möglichst wenig zahlen, die Versicherten ausreichende Entschädigungen, wenn sie am Arbeitsplatz einen Unfall erleiden oder eine Berufskrankheit davontragen.

Das alles wird geregelt durch das System der gesetzlich vorgeschriebenen Unfallversicherung (GUV). Bzw. durch das System der sog. Arbeitsmedizin, die a) präventiv agieren soll und b) den Kranken zum Helfen verpflichtet ist. So sieht es der Hippokratische Eid vor, den jeder Mediziner ablegen muss.

Eigentlich.

Schaut man sich das Gesamtsystem näher an, kann man mehrere Beobachtungen machen:

  • Das System ist absolut intransparent – Interessen und Interessenskonflikte bleiben im Dunkeln.
  • Betroffene kommen in den seltensten Fällen zu ihrem Recht. Die durchschnittliche Anerkennungsquote im beruflich bedingten Krankheitsfall liegt bei 27%. Absolut: Im Jahr 2016 waren das 20.513 Fälle von insgesamt 75.375 Anzeigen. Das sind die offiziellen Zahlen.
  • Die tatsächlichen Ziffern sehen anders aus. Denn „anerkannt“ als Berufskrankheit bedeutet nicht, dass auch geleistet wird. Die Zahl der Leistungsfälle in Form von tatsächlichen Zahlungen, z.B. wegen geminderter Erwerbsfähigkeit, lag 2016 bei 5.365 Fällen. Das sind – bezogen auf die 75.375 Anzeigen – nur noch 7%. Die restlichen 20%-Punkte sind eine Alibi-Ziffer – die Heilbehandlungskosten werden nämlich den Gesetzlichen Krankenkassen überlassen.
  • Und noch ein Schönheitsfehler steckt in den offiziellen Zahlen. Experten, die nicht genannt sein möchten, weisen darauf hin, dass wenn die Erstmeldungen von einschlägigen Symptomen an die GUV - beispielsweise durch die Hausärzte - mit dem Hinweis beantwortet wurden, dass sie in keine der gelisteten Berufskrankheiten fallen, über 90% der Antragsteller bereits aufgeben. Und dass deswegen kein förmliches Feststellungsverfahren mehr eingeleitet wird - Hausärzte oder andere kennen sich nicht wirklich aus mit den spezifischen Usancen.  
  • Niemand, der davon nicht betroffen ist, will das wahrhaben. Schon garnicht der politische Apparat in Gestalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, die zuständigen Ausschüsse im Bundestag, das Bundestagsplenum oder der Bundesrat.

Wir haben dieses „Schattenreich“ rekonstruiert. Um zu schauen, wieso das so ist. Und warum sich nichts ändert. Bzw. warum so wenigen Anträgen auf Schadensausgleich statt gegeben wird. Und was man eigentlich reformieren müsste, wenn man den Betroffenen wirklich helfen wollte.

Und deswegen beginnt hier unsere Rekonstruktion dieses „Schattenreich“ von Gesetzlicher Unfallversicherung (GUV) und Arbeitsmedizin. 

Diesen kompletten Text, so wie Sie ihn hier finden, können Sie direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/DGUV. Die großen Schaubilder, die dieses Schattenreich abbilden, gibt es auch als zusammenhängendes PDF unter www.ansTageslicht.de/Schattenreich.

Betrachtet man das Ganze als Gesamtsystem, so besteht es aus mehreren ‚kleineren‘ Systemen. Jedes für sich stellt bereits ein eigenes Monstrum dar. Reiht man alle (relevanten) Institutionen auf, so kann man die nachfolgende (An)Ordnung des bundesdeutschen Unfallversicherungs- und Arbeitsmedizin-Systems erkennen. Wie das zusammenhängt, werden wir danach in einzelnen Schritten erklären. Hier ersteinmal der Überblick. Hinter jeder Grafik öffnet sich durch Anklicken ein hochaufgelöstes PDF:


Wir beginnen auf der linken Seite mit den

Berufsgenossenschaftenen (BG):

Die Unternehmen, die dieses System finanzieren, sind in 9 sog. Berufsgenossenschaften (BG’s) organisiert - in der nächsten Abbildung orange markiert. Beispielhaft wird hier auf die „BG Verkehr“ fokussiert bzw. den Teilbereich der Luftverkehrswirtschaft (gelb).

Alle deutschen Airlines, Flugzeugbaufirmen (z.B. Airbus), Flughäfen usw. zahlen in diese Berufsgenossenschaft ein. So wie andere einschlägige Firmen etwa die „BG ETEM“ (Energie – Textil – Elektro – Medienerzeugnisse) oder die BG Chemie unterhalten:

Die BG’s werden dabei paritätisch verwaltet: zu gleichen Teilen von Vertretern der Arbeitgeber und der versicherten Arbeitnehmer. In der Regel stammen die aus Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften.

Nun möchte man meinen, die Arbeitnehmer hätten darüber ausreichend Einfluss, um die Interessen unfallgeschädigter oder berufskranker Kollegen zu vertreten. Gewerkschaften jedoch setzen an erste Stelle das Thema Arbeitsplätze. Gesundheit folgt immer erst danach. Kommt es zum Interessenskonflikt, ist der schnell entschieden. So war es bei Asbest und dem Thema „Passivrauchen am Arbeitsplatz“ - die maßgeblichen Entscheidungen musste der Gesetzgeber durchsetzen.

Es gibt weitere Gründe. Vertreter der versicherten Arbeitnehmer haben immer seltener konkrete Arbeitsplatzerfahrung. Nicht selten sitzen sie stattdessen in vielerlei Aufsichtsgremien, tragen nicht Blaumann, sondern Anzug und Krawatte. Beispielhaft sei das an der BG Verkehr dargestellt. Sowie an einem konkreten Fall, bei dem ein ehemaliger Pilot bisher vergeblich um seine Rechte, sprich Ansprüche kämpft (mehr unter Einmal Pilot - nie mehr Pilot).

Und: Regelmäßig finden internationale Arbeitsschutzkongresse statt. Mal in Hongkong oder Singapur, mal in Australien oder an anderen interessanten Orten unsrer schönen Welt. Da die Vertreter, egal ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, ihre Ehepartner auf diesen Reisen (kostenlos) mitnehmen dürfen: Wer möchte sich solche Privilegien schon verscherzen? 

Die Zentrale aller BGen: die DGUV:

Um sicher zu stellen,

  • dass alle BG’s an einem Strang ziehen
  • dass niemand aus der Reihe tanzt
  • dass in allen Prozessen von Geschädigten, die vor die Sozialgerichte gehen, auch juristisch einheitlich argumentiert werden kann
  • dass immer nur die gleichen „bewährten“ bzw. 'zertifizierten' Gutachter aus einem (einzigen) Pool von den Gerichten bestellt werden
  • und alles arbeitsmedizinische Know-how besser monopolisiert werden kann, weil man dadurch konkurrierende Forschung und andere unerwünschte Erkenntnisse wenn schon nicht zu verhindern, dann wenigsten auszubremsen im Stande ist,

haben alle BG’en ein einheitliches Dach, einen eingetragenen Verein, gegründet: die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V., kurz DGUV mit Sitz in Berlin und einer Verwaltungsstelle in St. Augustin bei Bonn (rot). Zusätzlich einverleibt hat sich die DGUV den Spitzenverband der öffentlich-rechtlichen Unfallkassen, über die Staasbedienstete am Arbeitsplatz versichert sind. Jetzt hat die DGUV auch die früher möglichen Einflussnahmen der Bundesländer 'im Sack' (DGUV hier rot):

Die Berufsgenossenschaften sind rechtlich gesehen „Körperschaften des Öffentlichen Rechts“. Sie unterliegen damit in ihren Aktivitäten und Geschäftsgebaren der parlamentarischen Kontrolle. Die DGUV als „eingetragener Verein“ ist eine privatrechtliche und privatwirtschaftliche Institution. Sie entzieht sich damit jeglicher demokratischen Kontrolle. 

So sind Transparenz und demokratische Philosophie absolut fehl am Platz. Stattdessen feilt die DGUV schon immer an ihrer exklusiven Monopolstellung. Insbesondere an der Deutungshoheit in allen arbeitsmedizinischen und sozialrechtlichen Fragen. "Sozialrechtlich" meint: vor den Gerichten.

So gesehen repräsentiert die DGUV das eigentliche Betriebssystem der Gesetzlichen Unfallversicherung, der atomare Kern sozusagen. Von hier aus wird alles koordiniert, gemanagt und intern kontrolliert.
Viele spezifische Aufgaben sind dabei eigenen Satelliten-Institutionen übertragen.

IPA-Institut:

So wie man seit Anfang 2018 weiß, dass die Firmen VW, Daimler Benz und Bosch mit einer eigenen „Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT)“ versucht haben, Gefahren aus den Dieselabgasen (Stickstoffdioxyde) durch Experimente mit (lebenden) Affen zu verharmlosen oder die Weltgesundheitsorganisation WHO von einer kritischen Untersuchung abzuhalten (Diesel-Emissionen als krebserregend anzusehen), so unterhält auch die DGUV für ähnliche Zwecke eine eigene „wissenschaftliche“ Einrichtung, das „Institut für Prävention und Arbeitsmedizin“, kurz IPA, ebenfalls in Bochum. Auch die Tabakindustrie oder die Asbestbranche finanzierten bekanntermaßen eigene – nach außen hin als ‚unabhängig‘ agierende – wissenschaftliche Forschungsinstitutionen, um darüber nachhaltig Einfluss auf Politik und öffentliche Meinung auzuüben.

Die IPA-Forschung ist – laut eigenen Angaben – z.B. auf die „Früherkennung von Krebserkrankungen“ und die „Mechanismen der Krebsentstehung als Folge von Schadstoffeinwirkungen“ ausgerichtet. Wie und was dabei herauskommt, werden wir uns später unter Asbest: vom Wunderstoff zum Todesbringer. Wie die "herschende Meinung" ein Problem negiert genauer anschauen.

Was an konkreten Forschungsvorhaben durchgeführt wird und was an Fragestellungen unter den Tisch fallen soll, darüber entscheidet der sog. IPA-Ausschuss. In dem sitzen vornehmlich die Vertreter der 9 Berufsgenossenschaften. Letztlich die Vertreter der Arbeitgeber(interessen). Weil deren Ziel es ist, möglichst wenig Geld auszugeben, und weil jeder BG-Vertreter weiß, dass „ein toter Arbeitnehmer am billigsten ist, weil er dann nichts mehr kostet“ (so hat uns das ein Vertreter einer der BGen wortwörtlich erklärt), lässt sich unschwer nachvollziehen, wie ‚unabhängig‘ das Buket der einzelnen Forschungsvorhaben sein kann.

Aber das hatte bereits Emil Julius GUMBEL 1923 in seinem Buch "Das Elend der Geistesarbeiter in Deutschland" zu Papier gebracht:
 „Wenn ein Chemieunternehmen ein Institut subventioniert, so hat dieses Resultate vorzuweisen, die dem Unternehmen dienen. Die Wissenschaft wird zu einer Art ideologischem Überbau der Industrie. … Die Wissenschaft selbst wird zu einem Anhängsel wirtschaftlicher Aktivitäten, ein Luxusobjekt, das man aushält, ein kleiner Pudel. Wehe dem, der zu bellen wagt! Schließlich wird die Wissenschaft zum Untertan der großen Industrie-Imperien.“

Um die eigene Unabhängigkeit aber lauter propagieren zu können, übernahm die DGUV, die sich vormals Hauptverband der Berufsgenossenschaften (HVBG) nannte, eine Idee, die auch die Tabak- und die Asbestindustrie bereits praktizierten: das eigene Forschungsinstitut als sog. An-Institut an eine Universität anzubinden. Eine richtige Hochschule bzw. die Medizinische Fakultät einer solchen im Hintergrund und auf dem Briefkopf – so etwas sieht einfach seriöser, sprich nach außen hin überzeugender aus:

Weil auch die Ruhr-Universität Bochum (RUB) an regelmäßiger Unterfinanzierung litt, zeigte sich die Medizinische Fakultät über ein solches Angebot hoch erfreut. Der Leiter des IPA-Instituts, Dr. med. Thomas BRÜNING, kann sich seither mit einem Professorentitel schmücken und das arbeitsmedizinische Gedankengut der Gesetzlichen Unfallversicherung dem Nachwuchs gleich mit auf den Lebensweg geben (siehe roter Pfeil):

Als Chef des IPA-Instituts gibt man sich nach außen hin als unabhängiger Ordinarius einer Universität,die sich auf das grundgesetzlich kodifizierte Primat der Freiheit von Forschung und Lehre stützen kann. Intern ist man vertraglich den Zielen und Vorgaben des interessensgebundenen Arbeitgebers verpflichtet:

IFA-Institut

Die Arbeitsteilung der DGUV ist gut organisiert. Macht das IPA gezielte Forschung und kommuniziert sie die der industriefinanzierten Unfallversicherung genehmen Ergebnisse regelmäßig in den IPA-Journalen, so ist das IFA – Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung mit Sitz in St. Augustin mehr auf die praktischen Aufgabenstellungen gerichtet: die Analyse und Bewertung von Gefahrstoffen, also Chemikalien, Stäuben, Gasen und Dämpfen sowie die Entwicklung von Messsystemen, Unfallverhütungsempfehlungen und Produktsicherheit. Das IFA unterhält das für den deutschsprachigen Raum wichtige Gefahrstoffinformationssystem GESTIS - eine umfangreiche und daher unverzichtbare Datenbank, was die Toxikologie von Stoffen, Grenzwerten und sonstige Informationen anbelangt. Außerdem gibt die DGUV über diese Tochtereinrichtung die Fachzeitschrift „Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft“ zusammen mit dem wissenschaftlichen Fachverlag Julius Springer und dem VDI (Verband Deutscher Ingenieure) heraus. Mit knapp 40 Beschäftigten ist das IFA vergleichsweise klein.

Weitere Satelliten der DGUV: IAG und HGU

Neben IPA und IFA gibt es noch ein IAG: Das „Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung“ mit Sitz in Dresden, das sich v.a. Weiterbildung und Beratung in diesem Bereich auf die Fahnen geschrieben hat und in kleinerem Umfang auch Grundlagenforschung betreibt. Ebenfalls richtet das IAG DGUV-eigene Kongresse und Tagungen in ihren sächsischen Räumlichkeiten aus. Mit 40 Beschäftigten zählt das IAG zu den kleineren Satelliten der DGUV.

Um sicher zu stellen, dass alle in dieser Branche Tätigen a) wissen worum es geht, b) dies auch einheitlich umsetzen und anwenden, c) Informationen nach außen inhaltlich abgestimmt kommunizieren, unterhält die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung DGUV eine eigene Hochschule in Bad Hersfeld und in Hennef: die „Hochschule der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (HGU)“. Hier rechts oben die HGU-eigene Präsentation.

Dort gibt es einen Bachelorstudiengang „Sozialversicherung, Studienschwerpunkt Unfallversicherung“, einen Zertifikatsstudiengang Rehabilitationsmanagement und einen Master „Public Administration (MPA)“. Insgesamt über 20 Professoren, Dozenten und wissenschaftliche Angestellte kümmern sich um den Nachwuchs, trimmen die Studierenden mit sozialjuristischem Know-how, Verwaltungsfragen oder Medizinökonomie.

So ist sichergestellt, dass jeder Absolvent, der später als Sachbearbeiter oder in höheren Funktionen über Anerkennungsanträge entscheidet, das passende Wissen parat und die richtige Unfallversicherungs- bzw. Anerkennungs-Kultur verinnerlicht hat.

Mesotheliom-Register

Heute nicht mehr DGUV bzw. unmittelbar den BG’en-eigen, aber weiterhin eng damit kooperierend arbeitet das Deutsche Mesotheliomregister, das alles Wissen um Asbest und alles dazugehörige „biologische Material“ hier konzentriert, sprich ebenfalls im Auftrag der Berufsgenossenschaften die herrschende Meinung monopolisiert. Es ist an Institut für Pathologie der Ruhr-Universität Bochum angebunden, also dort, wo auch das DGUV-eigene IPA-Institut domiziliert. Chefin: Prof. Dr. Andrea TANNAPFEL

Ursprünglich in den 70er Jahren als BG-Einrichtung gegründet, wird das Mesotheliom-Register seit 2013 von der Georgius-Agricola-Stiftung unterhalten, die als "gemeinnützig" anerkannt ist. Die Stiftung wiederum wird von der "Berufsgenossenschaft Rohstoffe und Chemische Industrie (RCI)" verwaltet. Chefin der RCI-dominierten Stiftung: Prof. Dr. Andrea TANNAPFEL.

Auf diese Institutionen gehen wir noch detaillierter ein - im Zusammenhang mit Berufskrankeiten, insbesondere Krebs durch Asbest und die Unabhängigkeit der Asbestforschung: www.ansTageslicht.de/Mesotheliomregister.

Zusammengefasst:

Die Deutsche Unfallversicherung ist ein riesiges Konglomerat diverser Einzelsysteme, die zentral dirigiert und gemanagt werden durch die DGUV. Die grundsätzlichen Aufgaben nicht wirklich gesetzlich kodifiziert. Im sog. Sozialgesetzbuch (SGB, Siebter Abschnitt) finden sich nur rudimentär klare Vorgaben. Deshalb ist alles in der DGUV-Satzung geregelt. Und die gibt sich die DGUV selbst. Anders gesagt: Der Gesetzgeber hat die eigene legislative Kompetenz an die DGUV abgegeben. Und die kann deshalb ihren eigenen Kosmos gestalten. 

Nur quasi formal muss sich die DGUV mit ihren Wünschen, Erwartungen und Forderungen an die dem Parlament vorgelagerten staatlichen Instanzen wenden. Zuständig: das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), hier in der Farbe ocker hervorgehoben: 

Das BMAS und seine sieben Gremien – zuständig für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

Von links nach rechts sind das die folgenden Einrichtungen, die sich aus externen Vertretern zusammensetzen. Diese "Ausschüsse" sind direkt den jeweiligen Fachreferaten beim BMAS zugeordnet und arbeiten diesen zu:

  • ABAS = Ausschuss für Biologische Stoffe
  • ABS = Ausschuss für Betriebssicherheit
  • AfAMed = Ausschuss für Arbeitsmedizin
  • AfPS = Ausschuss für Produktsicherheit
  • AGS = Ausschuss für Gefahrstoffe
  • ASTA = Ausschuss für Arbeitsstätten
  • SVBR BK = Ärztlicher Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“

Die sieben Ausschüsse werden geschäftsführend moderiert durch die „Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund mit weiteren ‚Filialen‘ in Berlin, Dresden und Chemnitz. Und alle sind als Beratungs- und Diskussionsgremien konzipiert, die – fachlich begründete - Entscheidungshilfen dem Ministerium vorlegen sollen. Konkret: Ihre Aufgabe besteht darin, vorhandenes Know-how und wissenschaftliche Erkenntnisse zu bündeln und dies in eine klare Empfehlung für den politischen Prozess einmünden zu lassen.

Die Politik und deren Exekutive sind darauf angewiesen, sich auf objektives Expertenwissen verlassen zu können. Dieses Expertenwissen ist Herrschaftswissen der DGUV. Wer also in diesen Ausschüssen sitzt, hat also viel Einfluss und Macht, die spezifische Sicht aller Dinge auf diesem Weg politisch durchsetzen zu können.

MAK-Kommission 

„MAK“ (hier grau markiert) steht für „Maximale Arbeitsplatz-Konzentration“. Gemeint: wie hoch dürfen oder sollen oder können die maximale Grenzwerte von potenziell gefährlichen, weil giftigen Stoffen am Arbeitsplatz sein?

Antworten werden in dieser 36köpfigen Kommission entschieden, die teilweise vorbereitend einzelne Fragen und Probleme in einer der darunter gelagerten sieben „Arbeitsgruppen“ diskutieren und vorbereiten lässt.  Es gibt eine „AG Luftanalysen“, eine für „Analysen in biologischem Material“ (gemeint: Blut, Urin usw.), eine andere beschäftigt sich dann mit der „Aufstellung von Grenzwerten in biologischem Material“, wieder eine andere heißt „AG Aufstellung von MAK-Werten“, deren Ergebnisse später in der Großen MAK-Kommission vorgetragen und vorentschieden werden, bevor die Vorlagen als Empfehlungen dann ans BMAS und/oder einer der 7 BMAS-Ausschüsse weitergereicht werden.:

Die „MAK“ ist daher eine wichtige Instanz. Wenn bestimmte Gefahrstoffe schon nicht verboten werden (sollen, können, dürfen), weil damit die Eigentumsrechte jener Unternehmen verletzt werden, die damit Umsatz und Gewinn generieren, dann getraut sich die Politik bzw. deren arbeitsmedizinische Vorinstanzen in Gestalt der MAK und ihrer AGs allenfalls, die Höchstwerte an zulässiger Belastung („Exposition“) am Arbeitsplatz in Gestalt sogenannter Grenzwerte festzulegen. Jedenfalls solange, wie ein Verbot politisch (noch) nicht opportun erscheint. Zwei Beispiele:

Perchlorethylen (PER), auch bezeichnet als Tetrachlorethylen oder verkürzt Tetrachlorethen:

Eingesetzt als Lösungsmittel beispielsweise beim Entfetten und Reinigen von Metallteilen und insbesondere bei der chemischen Reinigung. Der Stoff wird inzwischen unter der Rubrik „K 3“ geführt, was bedeutet, er gilt als „krebserzeugend“. Allerdings liegen, so die DGUV wenig überraschend in ihrem „BK-Report 2/2007“ mit dem Titel „BK 1317“ auf Seite 87, noch „nicht genügend Informationen für eine befriedigende Beurteilung vor“.

1958 vermochte sich die MAK-Kommission erstmals zu einem Grenzwert durchringen: 1.350 mg pro Kubikmeter Innenraumluft. 1960 wurde dieser Grenzwert halbiert: auf 670 mg/m3. Und 22 Jahre nach der ersten Grenzwertfestlegung, im Jahr 1982, wurde der Grenzwert auf 345 mg/m3 nochmals herabgesetzt, jetzt auf ein Viertel. Nach 24 weiteren Jahren, also im Jahr 2006 (bzw. rund 50 Jahren nach der ersten MAK-Aktion), wurde er ganz ausgesetzt. Konkret: allgemein verboten. Er darf nur noch unter hohen Sicherheitsauflagen eingesetzt werden, die ein Austreten der Gase aus geschlossenen Systemen und Einwirken auf den Menschen völlig ausschließen.

Wieviele Berufstätige oder Selbstständige, die in den Jahrzehnten zuvor solchen Expositionen – ab 1958 dann mit abnehmenden Grenzwertbelastungen – ausgesetzt waren, ist nicht bekannt. Sie sind oft gesundheitlich ruiniert, und meistens auch finanziell, denn ihre Erkrankungen wurden – bisher – nicht als berufsbedingt bzw. berufsverursacht anerkannt. Bekannt ist allerdings der Fall Inge KROTH und ihrer Chemischen Schnellreinigung in Koblenz, den wir hier aufgreifen unter "Organisierte Falschdarstellung". Organisierte Kriminalität? Die Geschichte einer Berufskrankheit "BK 1317"

Quecksilber:

Bis 1971 galt ein beruflich bedingter Grenzwert am Arbeitsplatz von 250 Milligramm pro ausgeschiedenem Liter Urin. Weil man von der Gefährlichkeit dieser Substanz schon sehr sehr lange weiß, wurde dieser Wert heruntergesetzt auf 100 Milligramm. Heute liegt er bei 30 mg. Bevor er aber auf diesen niedrigen Wert gepegelt wurde, hatte man ihn von 100 ersteinmal wieder auf 200 verdoppelt. Grund: Einen höheren Grenzwert einzuhalten ist für ein Unternehmen bequemer und billiger als in Prävention zu investieren. Mehr dazu in einem konkreten Fallbeispiel unter Die Erlanger VALENTIN-Schule. Wie man die "herrschende Meinung" organisiert.   

Die Liste ist unendlich. „REACH“, die Chemikalienverordnung der EU („Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“), zählt inzwischen rund 30.000 gelistete Stoffe. Darunter viele Substanzen, denen Menschen am Abeitsplatz oder in der Umwelt ausgesetzt sind.
  
Wie lange es dauert, bis man die Gefährlichkeit eines solchen Stoffes zu regulieren beginnt, was Auswirkungen auf die Gesundheit und das Leben unzähliger Menschen hat, darüber entscheiden die MAK-Mitglieder. Deren Votum wird in der Regel von der Politik bzw. den vorgelagerten 7 „Ausschüssen“ beim BMAS übernommen. Die Verantwortung dieses Gremiums ist daher groß.

Die (arbeitsmedizinische) Wissenschaft

Wissenschaft hat den eigenen Anspruch, objektiv zu sein, will den jeweiligen Stand von Erkenntnissen („state of the art“) wiedergeben und für neues Wissen probate Methoden entwickeln. Die medizinische Wissenschaft geht sogar einen Schritt weiter, setzt den Hippokratischen Eid, inzwischen als „Genfer Gelöbnis“ aktualisiert, als Orientierungsmarke ein für das ärztliche Tun: Helfen steht im Vordergrund. Der wissenschaftliche Fortschritt soll dem Menschen dienen.

Darauf verlassen sich alle - die Kranken und die Gesunden. Und die Politik und deren Behörden.

Wenn das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) medizinische Gelehrte in einen ihrer „Ausschüsse“ beruft, die sich über Gefahrstoffe, Produktsicherheit, arbeitsmedizinische Fragen oder Berufskrankheiten Gedanken machen sollen und wie man das am besten organisieren kann, dann will sich auch die Exekutive auf diese wissenschaftliche Disziplin der Arbeitsmedizin (hier grün) genau darauf verlassen:

Wir haben hier uns einige der wichtigen Vertreter herausgesucht, die u.a. an 26 Universitäten das Fach der Arbeitsmedizin vertreten. Namen, die in Klammern stehen, sind inzwischen emeritiert, spielen aber nach wie vor eine Rolle. U.a. hier in diesem Kontext.

Von den mehreren Hundert Arbeitsmedizinern, die als Wissenschaftler arbeiten, also entweder an Hochschulen oder Forschungsinstitutionen tätig sind, haben wir uns auf 15 Namen fokussiert, die wir näher beleuchten wollen: Um zu analysieren, wie unabhängig die arbeitsmedizinische Wissenschaft - bereits formal gesehen - agiert.

In alphabetischer Reihenfolge steht hier Prof. Dr. med. Thomas BRÜNING, Ordinarius an der Ruhr-Universität Bochum, gleichzeitig Direktor des DGUV-eigenen IPA-Instituts in Bochum. Bereits weiter oben haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass dies eine Doppelrolle ist: unabhängiger Wissenschaftler auf der einen Seite, der sich auf die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre berufen kann, auf der anderen Seite den Interessen des anderen Arbeitgebers, nämlich der Gesetzlichen Unfallversicherung und damit letztlich den Industrie-Wünschen verpflichtet. Eigentlich ein glasklarer Interessenskonflikt.

Allerdings muss man bei solchen potenziellen Interessenskonflikten konzedieren: die wissenschaftliche Unabhängigkeit gestattet es auch, dass man sich – einseitig – spezifischen Interessen verdingt.

Schon BRÜNING’s Doppelfunktion deutet auf eine hohe Arbeitsbelastung hin. BRÜNING hat weitere Ämter inne, wie sich auf der Website des IPA-Instituts nachlesen lässt. So sitzt BRÜNING u.a. in zwei „Ausschüssen“ beim BMAS. Auch in der MAK-Kommission ist er reguläres Kommissionsmitglied. In der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin, dem Dach- und Lobbyverband aller Arbeitsmediziner (DGAUM), sitzt er im Vorstand. Nebenher zeichnet er für das „IPA-Journal“ verantwortlich, in dem die DGUV ihre Sicht aller Dinge flächendeckend kommunizieren lässt:

Ähnlich ausgelastet dürfte sein Kollege Prof. Dr. med. Hans DREXLER mit zwei Facharztausbildungen (Dermatologie, Arbeitsmedizin) von der Universität Erlangen sein, der Geburtsstätte der VALENTIN-Schule. DREXLER ist ebenfalls in zwei von sieben BMAS-„Ausschüssen“ vertreten und in drei Gremien der „MAK“: in der großen Kommission und zwei weiteren Arbeitsgruppen. In der „AG Aufstellung von Grenzwerte in biologischem Material“ führt er den Vorsitz:

Als Redaktionsmitglied der für die Arbeitsmedizin zentralen Fachzeitschrift „ASU - Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin. Zeitschrift für medizinische Prävention“ und als Chefredakteur der „International Archives of Occupational and Environmental Medicine” gestaltet DREXLER die wissenschaftliche Agenda. Eine seiner wichtigsten Funktionen in Deutschland: DREXLER ist Präsident der DGAUM, der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin. Nur über diesen Berufsverband kann man in dieser Disziplin etwas werden.

 

Die DGAUM - Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin

Das Selbstverständnis der DGAUM ist ausgeprägt. 1985 wählte die Mehrheit der bundesdeutschen Arbeitsmediziner ausgerechnet jenen Mann zum Vorsitzenden, den man – vom Oberlandesgericht Hamburg abgesegnet - als „Experten für Unbedenklichkeit“ bezeichnen durfte: den Zweiten Mann der bundesdeutschen Arbeitsmedizin nach Helmut VALENTIN, Prof. Dr. med. Dr. h.c. Gerhard LEHNERT.

LEHNERT, damals noch  Ordinarius in Hamburg und Chef des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin, hatte den Dioxin-Unfall bei der Firma Boehringer Ingelheim im Hamburger Werk Moorfleet arbeitsmedizinisch zu begutachten. Und hatte dafür ein Mustergutachten entwickelt („Unfallversicherungsrechtliche Beurteilung“), das inhaltlich und methodisch so viele Fehler und Schwächen enthielt, dass es schon damals den wissenschaftlichen Kritiken nicht standhielt (mehr unter Von PCP zu Dioxin: der Arbeitsmediziner Prof. Dr. LEHNERT, Experte für "Unbedenklichkeit"). 

Die GRÜNEN-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft hatten ihn als „Experten für Unbedenklichkeit“ bezeichnet, wogegen sich LEHNERT vor Gericht wehrte, jedoch nicht durchsetzen konnte. LEHNERT hatte den besorgten Anwohnern der Hamburger Giftfabrik schriftlich mitgeteilt, dass „nach dem gegenwärtigen Informationsstand mit einer gesundheitlichen Gefährdung der Bevölkerung – selbst bei den in der Nähe wohnenden Mitbürgern  - nicht zu rechnen“ sei.

Das Gegenteil war richtig. Boehringer Ingelheim musste bisher rund 164 Millionen Euro für die Sanierung des Werksgeländes, des Bodens und des Grundwassers aufwenden. Und noch heute befinden sich ehemalige Arbeiter (soweit sie noch am Leben sind) in ärztlicher Behandlung.

LEHNERT musste danach in Hamburg abtreten. Doch trotz dieser nicht zu leugnenden Makel: LEHNERT wurde Chef der DGAUM. Für ganze zehn Jahre. Für die DGAUM kein Problem. DREXLER ist Nachfolger von LEHNERT an dessen späterer Wirkungsstätte, der heutigen Einrichtung namens „Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin (IPASUM)“ an der Universität Erlangen. 

Ebenfalls im Vorstand der DGAUM und Redaktionsmitglied der wichtigsten Fachzeitschrift „ASU - Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin. Zeitschrift für medizinische Prävention“: Prof. Dr. med. Thomas KRAUS in Aachen. Nur in zwei „Ausschüssen“ beim BMAS aktiv, hat sich KRAUS vor allem aufs Forschen konzentriert. Seine Forschungsbuket ist breit. Von Asbest oder psychischen Belastungen am Arbeitsplatz angefangen, über „Cortisol und Cortison im menschlichen Haar als Biomarker für chronische Gesundheitsgefährdung“ bis hin zur „elektromagnetischen Umweltverträglichkeit“ oder Partikelforschung, egal ob aus Braunkohlebergwerken oder Dieselmotoren: Die dafür notwendigen Gelder fließen vor allem aus drei Quellen: der Deutschen Unfallversicherung DGUV, einzelnen Berufsgenossenschaften und direkt aus der Industrie.

Neuerdings kennt man den Namen KRAUS aus einem anderen Zusammenhang: Vor den Anfang 2018 bekanntgewordenen Versuchen mit Affen ließ KRAUS an seinem arbeitsmedizinischen Institut 25 freiwillige Probanden 2013 an einem Experiment teilnehmen und freiwillig Dieselabgase, sprich Stickstoffdioxyde einatmen, um Kenntnisse über niedrige Expositionen zu erlangen (lesen Sie hier SPIEGEL ONLINE).

Die Rekonstruktion der Ämter, Funktionen, Mitgliedschaften und wissenschaftlichen Zirkeln – man könnte auch von wissenschaftlichen Seilschaften sprechen - liesse sich unendlich verlängern. Wir haben bisher nur drei von über mehreren Hundert Arbeitsmedizinern betrachtet. Nehmen wir einen vierten hinzu, auf den wir später noch eingehen werden (siehe 1 Gutachter - 2 Meinungen) und der ebenfalls im Vorstand der DGAUM aktiv ist, Prof. Dr. med. Dr. Ing. Stephan LETZEL von der Universität Mainz und betrachten die jeweiligen Einflusslinien dieser vier Arbeitsmediziner zusammen, dann bietet sich folgendes Bild:

Von diesen vier Arbeitsmedizinern sind alle Verbindungslinien bei Prof. BRÜNING in rot gesetzt: Um deutlich zu machen, dass der IPA-Institutsdirektor (zumindest auch) in dieser Funktion sein wissenschaftliches Gewicht in den diversen Gremien in die Waagschale wirft. Die rote Verbindungslinie zwischen Der DGUV und Prof. KRAUS dokumentiert die finanzielle Auftraggeberschaft, wobei die Forschungsaufträge seitens einiger Berufsgenossenschaften hier gar nicht eingezeichnet sind.

Ohnehin sind praktisch alle Arbeitsmediziner gleichzeitig auch Auftragnehmer der Berufsgenossenschaften und/oder der DGUV: als Gutachter in strittigen Anerkennungsverfahren vor den Sozialgerichten. So gesehen müsste in diesem Schaubild eine ganze Kanonade an roten Pfeilen von links aus direkt in die rechte Bildhälfte in den Wissenschaftsbetrieb hinein laufen. Wir haben hier – der Übersichtlichkeit wegen – darauf verzichtet. Für wissenschaftliche Unabhängigkeit spricht das nicht.

Aufschlussreich ist es zudem, wenn man zu diesen nur vier Professoren und ihren Funktionen in nur diesen hier in dieser Grafik abgebildeten Gremien zusätzlich die vielfältigen Einflussnahmen der DGUV in eben diesen Gremien abbildet:

Das Schattenreich von Arbeitsmedizin und Gesetzlicher Unfallversicherung - (vermutlich unvollständig) komplett:

Die Deutsche Unfallversicherung hat ihren Einfluss in allen relevanten Gremien nach und nach zielgerichtete ausgebaut. Die angestellten hauptberuflichen Mitarbeiter, vom Abteilungsleiter bis hin zum Ordinarius oder Honorarprofessor, verrechnen ihre Tätigkeiten mit ihrer regulären Arbeitszeit einer 40-Stundenwoche, sind dafür eigens abgestellt. Sie haben ausreichend Ressourcen, um beispielsweise gezielt vorher Tischvorlagen anzufertigen, über die dann in den Gremien geredet werden kann.

Für Hochschullehrer, die Lehre und Forschung betreiben, Seminare und Vorlesungen abhalten, Bachelor- und Masterarbeiten oder gar Dissertationen betreuen und überdies regelmäßig publizieren wollen und müssen, nebenher ehrenamtlich dann auch noch in den diversen Gremien agieren und für die eine 60-Stundenwoche plus X die Regel ist, sind dankbar, wenn andere vorarbeiten. So sorgt auch hier die Macht der faktischen Arbeitszeitverteilung dafür, dass der Einfluss der Gesetzlichen Unfallversicherung und die von ihr vertretenen Interessen weit nachhaltiger abgesichert ist als die Möglichkeiten der Wissenschaftler. Sofern sie unabhängig arbeiten wollen.

Beispiel Beratervertrag mit einer BG:

Ganz anders, wenn diese ihre Interessen – direkt oder indirekt - in den Dienst der Gesetzlichen Unfallversicherung stellen - dann ist die Symbiose perfekt. Finanzielle Abhängigkeiten über Gutachteraufträge oder Forschungsgelder sind das eine. Vertragliche Bindungen als "Beratungsärzte" für eine BG das andere. So sehen die vertraglichen Abmachungen aus, wenn sich jemand beispielsweise an die "BG Holz und Metall" bindet - jeder wird auf absolute Geheimhaltung verpflichtet (Anklicken des Faksimile's öffnet das gesamte Vertragswerk).

Die Symbiose von Gesetzlicher Unfallversicherung und arbeitsmedizinischer Branche schlägt sich auch in dem wichtigsten Standardwerk nieder: dem (sozial)juristischen Kommentar „Arbeitsunfall und Berufskrankheit: rechtliche und medizinische Grundlagen für Gutachter, Sozialverwaltung, Berater und Gerichte“, im Jahr 2017 in 9. Auflage mit 1.397 Seiten erschienen. Schon der Buchtitel stellt die Zielrichtung klar.

Die maßgeblichen Autoren:

  • Der bundesdeutsche Begründer der bundesdeutschen Arbeitsmedizin, Helmut VALENTIN als Namensgeber, dem wir das Kapitel Die Erlanger VALENTIN-Schule. Wie man die "herrschende Meinung" organisiert gewidmet haben
  • Prof. Dr. jur. Gerhard MEHRTENS, bis 2009 Hauptgeschäftsführer der BG Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
  • Dr. jur. Alfred SCHÖNBERGER, stellv. Hauptgeschäftsführer der BG Chemie

So sind die

  • Intransparenz dieses Schattenreichs von Unfallversicherung und Arbeitsmedizin, das Interessenskonflikte nach außen völlig verdeckt
  • die Einseitigkeit der faktischen Einflussnahme in den der Politik vorgelagerten Gremien durch die Berufsgenossenschaften und deren Finanziers, den Unternehmen

strukturbildende Elemente dieses gesamten Systems. Die Auswirkungen dieses Systems bestehen in einer seltenen Konzentration von Zuständigkeiten in einer Hand. Diese 4 Funktionen sind im Apparat der DGUV gebündelt:

  1. Definitionshoheit. Z.B. darüber, was eine Berufskrankheit ist
  2. Feststellungs- und Ermittlungskompetenz bei Anträgen auf Anerkennung einer "BK"
  3. Interpretation durch eigene vertragliche gebundene Gutachter ("Beratungsärzte") und/oder bewährte Gutachter, denen man regelmäßig Aufträge zukommen lässt
  4. potenzielle Kostenträgerschaft

Ein solchermaßen geschlossenes System, das für alle Kosten aufkommen muss, kann nur ein Interesse haben: Die Kosten so gering wie möglich zu halten. Und die erstgenannten 3 Funktionen genau daraufhin zu optimieren. 

Zurückführen lässt sich das auf den Kardinalfehler des Systems. Eigentlich ist die originäre Aufgabe der Gesetzlichen Unfallversicherung bzw. der Berufsgenossenschaften die Prävention: 

  • die Prävention von Arbeitsunfällen durch entsprechende Vorkehrungen und Kontrollen. 
  • die Prävention von Berufskrankheiten durch aktuelle Informationen an die Unternehmen, ggfs. Auflagen und ebenfalls Kontrollen. 

Dies geschieht aber nicht. Bzw. wenn doch, dann in absolut unzureichendem Maße. Die GUV müsste dafür viel mehr Leute haben, wie Insider sagen. Mehr Personal würde aber wieder mehr Geld kosten. Weitaus kostengünstiger ist es jedoch, genau dies nicht zu tun und dafür die Anerkennungsquote gerade bei Berufskrankheiten möglichst gering zu halten. Und dazu bedarf es der Arbeitsmedizin.

Wie ein "Schutzschild für die Industrie" wirkt das System, sagt Hans-Joachim WOITOWITZ, emeritierter Arbeitsmediziner der Universität Gießen, selbst ein VALENTIN-Schüler, der aber im Gegensatz zu seinen Kollegen unabhängig geblieben ist.

System und Akteure 

Systeme, deren Ziele, Aufbau und Strukturen sind das eine. Akteure das andere. Denn Systeme werden von Menschen aufgesetzt, organisiert und am Laufen gehalten. So bedarf der Blick in das Schattenreich auch einer Würdigung seiner Akteure. Dazu betrachten wir zum Schluss an dieser Stelle - beispielhaft - fünf Namen, die im weiteren Kontext eine Rolle spielen.

  • Da ist zunächst der Einfluss der sogenannten Erlanger VALENTIN-Schule. Helmut VALENTIN war der Begründer dieses medizinischen Bereichs in den 60er Jahren, bekam seine Prägung von altgedienten NS-Medizinern, die ihre medizinische Erbgut-Philosophie über ihn weitergeben konnten: Dass es weniger die Arbeitsbedingungen sind, die berufsunfähig machen, sondern die individuelle Veranlagung, die krank macht. Dies war sein Credo und so trägt denn auch das wichtigste und einzig kritische Buch über ihn, das die frühere Direktorin des arbeitsmedizinischen Instituts in Frankfurt, Gesine ELSNER, verfasst hat, den Titel „Konstitution und Krankheit. Der Arbeitsmediziner Helmut VALENTIN (1919-2008) und die Erlanger Schule“.
    Die wichtigsten Informationen haben wir gebündelt unter Die Erlanger VALENTIN-Schule: Wie man die herrschende Meinung organisiert.
    VALENTIN war das Urgestein der Branche. Und prägt diese bis heute. Zum Beispiel über seine Schüler, die bundesweit die relevanten Toppositionen an den medizinischen Fakultäten innehatten und innehalten. In der folgenden Grafik sind einige von ihnen, die wir uns näher angeschaut haben,  rot markiert: 
  • VALENTIN's Nachfolger in Erlangen wurde Prof. Dr. Gerhard LEHNERT. Von ihm war vorhin bereits die Rede - im Zusammenhang mit der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM).
    LEHNERT hatte im Holzschutzmittelprozess Anfang der 90er Jahre als Gutachter für das angeklagte Unternehmen Desowag, einer Tochter des BAYER-Konzerns ausgesagt. Gleichzeitig stand er auf der Pay-roll dieses Unternehmens (mehr in einem anderen Kontext unter www.ansTageslicht.de/Holzschutzmittel). Ihn störte das nicht. 
    Geld von der Tabakindustrie, für die er die Nichtgefährlichkeit des Passivrauchens predigte, nahm er (natürlich) auch. Mehr dazu unter Von PCP zu Dioxin: der Arbeitsmediziner Prof. Dr. LEHNERT, "Experte für Unbedenklichkeit" .
    So hatte LEHNERT es wohl von seinem Lehrmeister, Helmut VALENTIN gelernt, der auf der einen Seite Gutachten für die Berufsgenossenschaften, aber gegen Berufskranke erstellte und gleichzeitig für die Tabak- und Asbestindustrie tätig war
  • Prof. KONIETZKO von der Uni Mainz hatte Ende der 90er Jahre als Mitglied des BMAS-Ausschusses „Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten“ ein wissenschaftliches Merkblatt verfälscht, das den früheren Arbeitsminister Norbert BLÜM (CDU) dazu brachte, von „Organisierter Falschdarstellung“ zu sprechen - mehr unter Kapitel „Organisierte Falschdarstellung“. Organisierte Kriminalität?
  • Gerhard TRIEBIG aus Heidelberg war einer der fleißigsten Gutachter der Branche, v.a. im Bereich der chemischen Schadstoffe mit auffälliger Nähe zur chemischen Industrie, und brachte es in einem Jahr auf 259 Gutachten, die „teilweise auch gravierend von falschen Tatsachen ausgegangen“ waren, wie die Heidelberger Staatsanwaltschaft konstatierte, den fleißige Ordinarius aber quasi ‚freisprechen‘ musste – trotz der Leichen im Keller des Professors, wie das Magazin Fokus einst titelte.
  • Wie einfach es ist, ein Gutachten umzuschreiben, wenn es denn sein muss, dokumentieren wir an einem anderen VALENTIN-Schüler: 1 Gutachter - 2 Meinungen: Prof. Dr. Stephan LETZEL. Es macht die Beliebigkeit klar, was Gutachten - oder besser gesagt: Schlechtachten - wert sind.

Und andere Schüler mehr. Die Erlanger VALENTIN-Schule ist bundesweit vertreten: an den medizinischen Fakultäten, innerhalb des Systems der Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und in den Unternehmen (z.B. der BASF).

Wie zufriedenstellend - offenbar auch für die Bundesregierung - dieses System funktioniert, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Auftrag der Bundesregierung Ende August 2018 im Rahmen einer Parlamentarischen Anfrage (S. 4 unten) selbst zu Protokoll gegeben: Die Statistik der Sozialgerichte, die über verweigerte Anerkennungen durch die BGen entscheiden, untermauere

"die Qualität der eingesetzten Gutachterinnen und Gutachter sowie der Verwaltungsverfahren der Unfallversicherung, da seit Jahrzehnten in ca. 90 Prozent der Sozialgerichtsverfahren die Entscheidungen der Unfallversicherungsträger bestätigt werden."

Der frühere Frankfurter Staatsanwalt Erich SCHÖNDORF, der in den 80er Jahren nach 7jähriger Ermittlungsarbeit den Holzschutzmittelprozess zum Laufen brachte (siehe www.ansTageslicht.de/Holzschutzmittel) und sich mit mehreren Gutachtern auseinandersetzen musste, hatte schnell gelernt, wie Gutachter „einfach falsch begutachten“, indem sie „nicht irren, sondern lügen“, und zwar „mit Kalkül, immer zugunsten des am Verfahren beteiligten wirtschaftlich Mächtigen, des Unternehmens, des Konzerns, des Herstellers. Nie zum Vorteil der kranken Kläger. Sie bestreiten den Zusammenhang zwischen Schadstoff und Schaden, setzen zumindest entsprechende Zweifel in die Welt. Und die genügen, um den Prozeßerfolg des Opfers zu vereiteln.“

SCHÖNDORF hatte dies nicht nur ein seinem Buch „Von Menschen und Ratten. Über das Scheitern der Justiz im Holzschutzmittel-Skandal“ beschrieben, sondern auch in einem SPIEGEL-Essay: „Die Lügen der Experten“. Kurz gesagt, ging es ihm darum, "Wissenschaftskriminalität“ im Gutachterwesen zu entlarven.

Dies übertragen auf die Branche der Arbeitsmedizin: Könnte, sollte, müsste man da  – zumindest in vielen Bereichen – sogar von „Organisierter Wissenschaftskriminalität“ sprechen?

 

(JL)


Hinweis: Die wichtigsten Schaubilder sind kompakt zusammengefasst in einem PDF: Das Schattenreich_Arbeitsmedizin+DGUV.

Die Systemfehler des GUV-Systems haben wir in einem etwas anderen Zusammenhang analysiert unter www.ansTageslicht.de/GUV.

Die aktuellen Entwicklungen auf weitere Nachfragen und Recherchen unsererseits hin werden seit Sommer 2018 dokumentiert unter www.ansTageslicht.de/wieweiter. Angeteasert wird dies in einem Blog mit dem Namen Aerotoxisches Logbuch: www.ansTageslicht.de/ATLB.

Der Text, den Sie hier lesen, gehört zum Themenkomplex

Krank durch Arbeit.

Weitere Bestandteile sind diese Themenschwerpunkte:

Ebenso dazugehörig, aber an anderer Stelle bei uns platziert:

Alle diese Themenschwerpunkte bestehen aus mehreren (ausführlichen) Texten, die wir "Kapitel" nennen. Den gesamten Themenkomplex im Überblick können Sie direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/krankdurcharbeit.