Asbest in den USA: Fake Science und ein Whistleblower

Die folgende Darstellung basiert überwiegend auf zwei Publikationen. Zum einen von David EGILMAN und Kolleg*innen aus dem Jahr 2013: MetLife and its corporate allies: dust diseases and the manipulation of scienceZum anderen eine Rückschau aus dem Jahr 1995 des Whistleblowers Gerrit SCHEPERS: Chronology of Asbestos Cancer Discoveries: Experimental Studies of the Saranac Laboratory.

In den USA gibt es eine medizinische Wissenschaftsdisziplin, die sich mit dem Zustandekommen (bzw. auch Nichtzustandekommen) von medizinischem Fortschritt befasst und nach den (Hinter)Gründen fragt. Sie diskutiert ebenso ethische Fragen. 

Einer der führenden Vertreter ist der Mediziner und Epidemiologe David EGILMAN, der lange Zeit auch Chefredakteur der Zeitschrift International Journal of Occupational and Environmental Health" war und der im Board of Directors der Alliance for Human Research Protection sitzt. Dieser Verband setzt sich kritisch mit aktuellen Themen und Problemen in der Medizin auseinander.

In diesem Zusammenhang werten Wissenschaftler auch Informationen und Dokumente aus, die im Kontext der vielen Asbest-Entschädigungsprozesse öffentlich werden. 

In Deutschland gibt es derartige Aktivitäten (leider) nicht. Und die Justiz ist hierzulande längst nicht so transparent wie sich dies in den USA seit Ende der 60er Jahre unter anderem als Folge des Freedom of Information Act entwickelt hat. Deswegen weiß man dort inzwischen sehr viel mehr, was sich vormals hinter den Kulissen abgespielt hat.

Dieser Text lässt sich auch direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Asbest-USA.


Dass die Verarbeitung von Asbest gesundheitliche Schädigungen für die Arbeitnehmer auslösen kann, wird um die Jahrhundertwende von 1900 zuerst im Vereinigten Königreich von Großbritannien bekannt. Zunächst in ersten offiziellen Regierungsberichten, und zwar in den "Annual Reports" des "Chief Inspector of Factories and Workers". Etwas später werden diese Beobachtungen auch in diversen medizinischen Journalen diskutiert. In Großbritannien wird Asbest in großem Umfang verarbeitet - mehr als in Deutschland. 

Diese Entwicklung ist beschrieben unter Warum es so lange gedauert hat, bis Asbest verboten wurde - die ersten 70 Jahre

Da die Veröffentlichungen in englischer Sprache sind, werden sie auch in den USA wahrgenommen. 

Auch dort wird inzwischen Asbest verarbeitet und in immer mehr Produkten eingesetzt, denn die Vorzüge dieses Minerals sind einzigartig: Feuer- und Hitzebeständigkeit, hohe Isolierungseigenschaften gegenüber Kälte, flexibles Verhalten der Fasern. Dazu ist Asbest vergleichweise billig, denn das Mineral lässt sich im Tagebau gewinnen.

Im Gegensatz zur Rechtslage im Deutschen Reich, wo es seit Otto von BISMARCK eine gesetzlich vorgeschriebene Unfallversicherung für die Unternehmen gibt, die dann einspringt, wenn Arbeiter am Arbeitsplatz verunglücken, etwa sich ein Bein brechen oder bei einer Explosion ums Leben kommen, müssen Arbeitnehmer in den USA ihren Arbeitgeber direkt auf Entschädigung verklagen. Machen das viele auf einmal, so kann ein Unternehmen dabei auch pleite gehen.

Die US-amerikanischen Unternehmen kaufen daher Versicherungspolicen und wälzen das finanzielle Risiko damit auf entsprechende Versicherungsgesellschaften ab. Eine, die sich darauf spezialisert hat und in wenigen Jahren weltweit das größte Versicherungsunternehmen wird, ist die Metropolitan Life Insurance Company, kurz MetLife. Für MetLife und andere ist dieses Geschäftsmodell so lange ein Geschäft wie die Ausgaben für Entschädigungen gering bleiben. 

Da die Latenzzeit von Asbest zwischen 20 und 40 Jahren beträgt, es also so lange dauern kann, bis sich die gesundheitlichen Schädigungen bemerkbar machen, gibt es auch hier einen time-lag. Erst zu Beginn der 20er Jahre machen sich die ersten Schadensersatzprozesse von kranken und nicht mehr arbeitsfähigen oder toten Arbeitern, deren Witwen klagen, für die Versicherer immer stärker bemerkbar. Die Ausgaben bedrohen die bisher satten Gewinnmargen. 

Im Gegensatz zu Großbritannien lag der Fokus zunächst nicht so sehr auf Asbest als auf dem Quarzstaub, der entsteht, wenn Gestein der unterschiedlichsten Arten verarbeitet wird: beim Straßenbau, in der Zementindustrie, bei der Verarbeitung von Glas, Keramik und Porzellan, beim Bau von Tunneln und anderem mehr. Der feine Staub und die darin freigesetzte Kieselsäure greift das Lungengewebe an. Es bildet sich eine sogenanannte Staublunge, die vielfach noch mit dem Krankheitsbild einer Tuberkolose verwechselt wird. 1912 bildet sich für die (Quarz)Staublunge der Begriff der "Silikose" heraus ("silicosis").

Wenige Jahre später, 1917, veröffentlicht Dr. Anthony LANZA zusammen mit seinem Kollegen Edwin HIGGINS die Ergebnisse einer Studie, die beide im Auftrag des U.S. Public Health Service (US PHS) durchgeführt hatten: Silikose-Fälle im Staatendreieck von Kansas, Oklahoma und Missouri, einem Minengebiet, aus dem rund 50% des in den USA geförderten Zinks stammen. HIGGINS und LANZA fanden erschreckende Staubbelastungen für die Arbeiter in den Minen vor. Und sie erkannten als erste einen klaren Zusammenhang zwischen dem Grad der Konzentration des Staubes und dem Ausmaß des Gesundheitheitsschadens. Ihre Einschätzung: mit weniger Staub durch geeignete Maßnahmen lässt sich das Erscheinungsbild der Silikose zwar nicht vollständig beseitigen, aber verringern.

Die US-Behörde Public Health Service (US PHS) kann zwar keine Vorschriften erlassen oder solche durchsetzen, aber sie genießt als Institution Anerkennung und was sie veröffentlicht, hat Gewicht. 

Der Plan

Um das zu nutzen und langfristig eine Chance zu haben, das eigene Versicherungs-Geschäftsmodell am Leben zu halten, aber auch keine Industriekunden zu verlieren, entwickelt MetLife einen Plan, für den sie einen Protagonisten aufbaut: Dr. Anthony LANZA, der gerade eine Untersuchung für den US PHS erstellt und veröffentlicht hat.

LANZA wird 1924 als "Assistant Medical Director" von der MetLife angeheuert. Seine Beziehungen zur US PHS sind so gut, dass MetLife über die Behörde künftig eigene Untersuchungen in Auftrag geben kann. Dafür übernimmt sie die Gehaltskosten einiger US PHS-Angestellter, die Studien über die Wirkungen von Staubbelastungen durchführen.

Der Plan, den MetLife aufstellt, soll in 4 Stufen funktionieren, wie das 2013 David EGILMAN rekonstruieren wird:

  1. Aufbau eines Image's in der Öffentlichkeit und der Politik als fachliche Autorität in allen Fragen der Gesundheit
  2. Zusammenstellen eines Netzwerks an medizinischen Wissenschaftlern, die beispielsweise vor Parlamenten und Gerichten als Gutachter auftreten (können)
  3. Beeinflussung der Wissenschaft durch eigene finanzierte Studien, um mit allen drei Strategien letztlich
  4. Einfluss nehmen zu können auf die politischen Entscheidungsprozesse.

MetLife - Strategie, Stufe I: Image-Aufbau

MetLife verkauft ihr Business bereits seit Jahren nicht nur als Versicherungsmodell, sondern auch als Wohlfahrtsprogramm: vor allem für die "Unterprivilegierten". In New York City, dem gegenwärtigen Sitz des Unternehmens, können kranke Arbeiter den kostenlosen Service von Krankenschwestern in Anspruch nehmen. Das kommt in der Bevölkerung gut an. Und auch bei einem amtierenden Mitglied des Senats von New York: Franklin ROOSEVELT. 

1921 überträgt MetLife dieses Modell auf Thetford-Mines, eine kleine Stadt im kanadischen Quebec, aber groß in Sachen Asbest: die Chrysotil-Asbest-Minen hier und in der Nachbarstadt Asbestos sind die größten weltweit. Die ganze Region lebt vom Asbest.

Mit dem Projekt will MetLife vor allem die Kindersterblichkeit reduzieren und auch das kommt gut an. Der Kanadische Ministerpräsident macht eine halbe Million Dollar locker, um mehrere Kliniken in der Region zu unterstützen. Dort liegen viele Kranke im Sterben.

Und natürlich hat sich MetLife eine umfassende PR-Strategie ausgedacht:

  • jährlich lässt Amerikas größter Versicherer rund 50 Millionen Broschüren zu Themen wie Erste Hilfe, Unfallverhütung oder Diät verteilen
  • erste kleinere Film-Strips werden produziert
  • MetLife schaltet Anzeigen in Magazinen
  • veranstaltet Ausstellungen
  • lässt eigene Sprecher in den Radiostationen auftreten
  • und schickt seine Versicherungsvertreter in Millionen von Haushalten.

MetLife ist kurz davor, das weltgrößte Versicherungsunternehmen zu werden. Die Aktiven in den Bilanzen liegen bei knapp vier Milliarden Dollar. Das ist, wie EGILMAN ausgerechnet hat, etwas mehr als das gesamte Steueraufkommen in den USA.

1928 wird Franklin ROOSEVELT Gouverneur von New York. Er hat ein positives Bild von MetLife in Erinnerung. Und beruft den MetLife-Präsidenten sogleich in eine seiner Kommissionen, der "Saratoga Springs Commission", mit der er sich über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Versicherungsprogramme austauschen wird, wenn ROOSEVELT als Gouverneur der größten Stadt in den USA die Folgen der Großen Weltwirtschaftskrise bewältigen muss, die mit dem Großen Börsencrash im Oktober 1929 beginnt.

Die öffentliche Wahrnehmung von MetLife ist groß. Das Versicherungsunternehmen ist omnipräsent.

MetLife - Strategie, Stufe II: ein Netzwerk von Sachverständigen und Gutachtern

Wer die anerkannten 'Größen' in der Welt der Medizin unter Vertrag hat, hat gute Chancen, eigene Forderungen als wissenschaftliche Botschaften an die Politik zu senden oder Auseinandersetzungen vor Gericht für sich zu entscheiden.

Letzteres wird für MetLife von Bedeutung, nachdem 1927 das Unternehmen Union Carbide and Carbon Corporation (U.C.C.C.) ein Infrastrukturprojekt in West-Virgina plant: ein großes Wasserkraftwerk, das seine Power aus einem riesigen Stausee beziehen soll, der vom New River gespeist wird. Dazu muss ein ein knapp 5 Kilometer langer Tunnel durch einen Berg gebohrt werden, um die Wasserkraft zu bündeln. Der Tunnel soll in 18 Monaten fertig gestellt sein: "The Hawk's Nest Tunnel".

Das Vorhaben wird zum größten Industrie-Desaster in den USA. Hunderte von Arbeitern, darunter viele Afro-Amerikaner, sterben aufgrund der Bohrarbeiten, konkret an einer Quarzstaubllunge, sprich an Silikose. Die Schätzungen belaufen sich auf rund 1.500 Tote.

138 Arbeiter wagen es zu klagen. Die Prozesslawine zieht sich über Jahre hin und MetLife wird dafür an die 100 Millionen Dollar berappen müssen: für die teuersten Anwälte, Gutachter und Gerichtskosten. Und einen kleineren Teil auch für die Entschädigungen. 

Um die Entschädigungszahlungen möglichst gering zu halten, braucht man jetzt die geeigneten Experten, die man vor Gericht als Gutachter auffahren kann.

Denn die Union Carbide Corporation, die gerade vor Gericht verklagt wird, erbittet sich dafür Hilfestellung von MetLife. Und Metlife liefert, denn eine Pleite von U.C.C.C. würde einen Großkunden weniger bedeuten. Und ein Sieg für die Arbeiter vor Gericht erhebliche Mehrausgaben für MetLife.

Prof. PANCOAST

MetLife bietet den bekanntesten Röntgenologen an, der zu MetLife's Netzwerk gehört: Prof. Henry PANCOAST. Er hatte den ersten Lehrstuhl für dieses Fachgebiet in den USA bekommen, lehrt und forscht jetzt an der Universität von Pennsylviania in Philadelphia. Nach ihm wird später ein spezieller Tumor benannt ("Pancoast Tumor"), den er entdeckt und analysiert hat.

PANCOAST tritt vor Gericht als Zeuge auf, gutachtet im Sinne seines Auftraggebers, indem er aufgrund seiner Anerkennung als medizinische Kapazität alle anderen Einschätzungen von weniger bekannten Medizinern in Grund und Boden redet: Auf den fraglichen Röntgenbildern seien keine akute Silikosen zu erkennen.

Das, was PANCOAST für die Richter interpretiert, steht in völligem Gegensatz dazu, was PANCOAST zusammen mit seinem Kollegen PENDERGRASS noch vier Monate zuvor in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung unter dem Titel publiziert hat, und zwar unter "The roentgenological aspects of pneumoconiosis and the medico-legal importance" auf S. 127 im "Journal für Industrial Hygiene" (1933, XV, 3). 

Das Verfahren geht gut aus für Union Carbide. Und MetLife.

Wie zufrieden Metlife mit seinem "Assistant Medical Director" Dr. LANZA und Prof. PANCOAST ist, zeigt ein Schreiben, das David EGILMAN in seiner Publikation 2013 wiedergibt - eine Art Empfehlungsschreiben der US Gypsum Corporation an ein befreundetes Unternehmen:

"Dr. Lanza of the Metropolitan Life Ins. Co. says he [Pancoast] saved a case in Milwaukee from going against the company, by his x-ray reading, which was contrary to all of the other doctor-witnesses. He [Pancoast] has recently testified in the West Virginia case brought against the subsidiary of Union Carbide Co. and is said to have caused a disagreement there in a case that would otherwise have gone clearly against the company.

His price for testifying is $1000 for the first day and $250 for every other day."

EGILMAN hat den "Preis" von Prof. PANCOAST auf heutige Verhältnisse umgerechnet: 10.000 $ für den ersten Tag, 2.500 für jeden weiteren.

Der "Club"

Das Netzwerk, das MetLife und insbesondere von Dr. LANZA aufgebaut wird, nennt sich "Konicide Club" und setzt sich aus illustren Namen zusammen:

  • neben dem bekannten Röntgenprofessor Dr. Henry K. PANCOAST
  • auch dessen Kollege Eugene PENDERGRASS.
  • Ebenfalls mit dabei: Der Kopf der Fakultät "Industrial Hygiene" an der Harvard School of Public Health
  • der Chefarzt des "US Bureau of Mines"
  • der Chef des Saranac Laboratory in New York, einer der bekanntesten Forschungseinrichtungen in den USA, Dr. Leroy GARDNER
  • ein hochrangiger Vertreter des US Public Health Service
  • und andere.
  • Und natürlich Dr. LANZA von MetLife.

Sie treffen sich je nach Bedarf, tauschen sich aus, diskutieren Strategien. Beispielsweise, wie man die vielen Ansprüche der Entschädigungsklagen der Hawk's Nest-Arbeiter abwehren kann. 

MetLife - Strategie, Stufe III: "Manipulating Science: Funding Research" -

so nennt es David EGILMAN in seiner Veröffentlichung von 2013.

Zum Buket, wie man unabhängige Wissenschaft konterkarieren kann, gehört auch das Nicht-Veröffentlichen von Ergebnissen, die den bisherigen Erkenntnisprozess bestätigen würden, aber den eigenen Zielen und Zwecken zuwiderlaufen, wenn man mit der eigenen 'Wissenschaft' andere Ziele verfolgt als neues Wissen zu generieren.

Damit hatte MetLife früh begonnen.

McGill University in Montreal, Canada

1926 investierte MetLife in die Gründung einer "Industrial Health Clinic" an der McGill Universität in Montreal - Canada ist das wichtigste Exportland von Asbest. Bei allen Untersuchungen, pathologischer und sonstiger Arten, behielt sich die Versicherung vor, darüber zu entscheiden, ob und wenn ja, was veröffentlicht werden durfte. Da staatliche Universitäten chronisch an finanziellem Ressourcenmangel leiden, freut sich jeder Dekan, wenn spendable Institutionen den wissenschaftlichen Fortschritt voranzubringen vorgeben und mit regelmäßigen Aufträgen den Ausbau der eigenen Fakultät und Arbeitsplätze für Wissenschaftler garantieren. 

Einer der so Geförderten ist Dr. Frank PEDLEY. Er ist fleißig, schreibt "Reports", die immer nur an Dr. LANZA adressiert sind. 1930 meldet er in seinem "Report of the Physical Examinations and X-Ray Examinations of Asbestos Workers in Asbestos and Thetford Mines", dass er bei 24 von 54 Minenarbeitern eine Asbestose diagnostiert hat. 

Das darf Dr. Frank PEDLEY natürlich so nicht veröffentlichen. Aber LANZA erlaubt ihm, das Folgende zu publizieren und zwar vier Jahre später in der medizinischen Fachzeitschrift "Canadian Public Health" auf S. 254, indem PEDLEY das 'Wording' jetzt auf den Fokus Weberinnen und Spinnerinnen in der Asbestverarbeitung legen muss:

"Since the reported cases of this disease have occurred largely among weavers and spinners it is possible that the mining and crushing of asbestos does not present a hazard."

Hier lässt sich Frank PEDLEY's zweiseitige Publikation nachlesen: Asbestosis.

Saranac Laboratory, New York

Wieder im Zusammenhang mit den Abwehrstrategien in Sachen Hawk's Nest setzt LANZA ein Schreiben auf. LANZA ist längst ein geachteter Mann. Er berät die australische Regierung in Sachen Arbeitsmedizin ("industrial hygiene"), er gehört dem "International Health Board" der Rockefeller-Stiftung an, ist "executice director" des "National Health Council", Mitglied des "Industrial Hygiene Committee of the American Medical Association" sowie der "US Chamber of Commerce und anderer Institutionen mehr. Und natürlich wichtigstes Mitglied im "Club Konicide", bei dem alle Fäden zusammenlaufen.

Diesesmal schreibt LANZA an den Chef der "Industrial Hygiene" von der Harvard School of Public Health an, in dem er ihm mitteilt, dass er jenem Manager von Union Carbide, der die Verteidigungsmaßnahmen koordiniert, empfohlen hat, die Dienste des Saranac Laboratory und dessen Chef Dr. Leroy GARDNER in Anspruch zu nehmen: GARDNER und der Industrial Hygiene-Mediziner sind (natürlich ebenfalls) Mitglieder im "Club":

"A number of suits have been filed on behalf persons now dead and I believe their lungs have been secured. I advised Mr. Davis to consult Dr.Gardner for this phase of the job. I shall be glad to give you any further dope if I have any."

Und so war es auch geschehen: Der US Public Health Service, eine staatliche Institution, die ebenfalls im hinter den Kulissen wirkenden "Club" vertreten ist, hatte zwei der Lungen requiriert und dem Saranac Laboratory zu Händen Dr. GARDNER geschickt. Gleichzeitig hatte GARDNER von einem Klägeranwalt 9 Lungen erhalten.

GARDNER, der alle seziert, diagnostiziert bei dreien der toten Arbeiter eine (einfache) Silikose und bei 6 eine schwere Silikose, in den 3 anderen Fälle eine Tuberkolose. 

Dr. Leroy GARDNER - eine der ganz großem 'Kapazitäten' - wird dies - ganz im Gegensatz zur üblichen Praxis des regelmäßigen und häufigen Publizierens auch von Ergebnissen kleinster Stichproben - nie veröffentlichen. Er wird dieses Ergebnis auch nie als Gutachter vor Gerichten erwähnen.

Stattdessen wird er noch im selben Jahr unter dem Titel "Pathology of so-called acute silicosis" im "American Journal of Public Health" (1933) auf den Seiten 1240-1249 etwas anderes öffentlich machen: Er habe 15 Fälle von Hawk's-Nest-Arbeitern untersucht und der Umstand ihrer Erkrankung sei darauf zurückzuführen, dass die "young negroes" von einer ausgeprägten Immunschwäche geprägt gewesen wären. Von einer Silikose also keine Spur.

"It will not be possible for you to publish these papers"

Was für Dr. Leroy GARDNER als Mitglied des "Clubs" selbstverständlich ist, muss Dr. LANZA anderen Mitarbeitern des Saranac-Laboratory erst deutlich machen - durch dezenten Druck:

"I talked it over with Sayers (of the USPHS) and he feels very strongly that if you and the Saranac Laboratory are going to stay in the consulting business with respect to the mining industry, it will not be possible for you to publish these papers, at least at the present time … it is going to be increasingly necessary for industry to have available a thoroughly scientific and impersonal establishment with which it can do business."

"The story of dusty lungs"

1938 will die John B. PIERCE-Stiftung, die mit der Yale-University zusammenarbeitet und heute u.a. eine  Non-Profit-Forschungsinstitut ("Lab") betreibt, eine Veröffentlichung über das Problem der Silicose zusammen stellen lassen. Beauftragt werden Lewis G. COLE sowie sein Sohn William G. COLE.

Die beiden COLE's wollen dazu die Vorgänge um das Desaster von Hawk's Nest aufgreifen und die Korrektheit der medizinischen Gutachter überprüfen. Es gelingt ihnen, einige der noch vorhandenen Röntgenaufnahmen und pathologischen Befunde aufzutreiben, allerdings nicht jene, die von Dr. GARDNER im Saranac-Laboratory gemacht wurden. GARDNER behauptet, sie würden nicht mehr existieren.

Die COLE's merken, dass GARDNER die Unwahrheit ausgesagt hat. Die Arbeiter sind nicht an Tuberkolose, sondern an einer Staublunge (Silikose) gestorben. Also an den Arbeitsbedingungen. Und sie kommen nach Gesprächen mit Überlebenden, Nachbarn, ehemaligen Arbeiskollegen zu dem Schluss, dass viele Betroffene gar keine Klagen erhoben haben, weil sie sich gegenüber der Macht der beiden Medizin-Kapazitäten GARDNER und PANCOAST und deren Aussagen in den Gerichtsverfahren, auf verlorenem Posten wähnten. So heißt es in ihrer Zusammenfassung, das die Stiftung als Buchveröffentlichung unter dem Titel "Pneumoconiosis (silicosis): the story of dusty lungs" auflegt:

Die Hawk's Nest-Arbeiter "died within a few years, but because they were unfortunate enough to have inhaled dust which did not cause typical roentgenological nodulation, they received no proper compensation. One boy who has since died of silicosis in tuberculosis received for his pains $18.50. Fate fed them dust which killed but which did not cause morbid changes conforming with a neat definition of the industrial hygiene committee of America."

Das "industrial hygiene committee of America, das ist die "American Industrial Hygiene Association" (AIHA), gibt es noch heute. Motto: "Protecting Worker Health"

"Mellon Institute of Industrial Research": Wie man genehme Standards strategisch vorbereitet

Wenn man nach außen hin geschlossen, aber korrekt auftreten und sich bei den politischen Entscheidungsträgern Gehör sichern möchte, geht dies nicht über einen im Stillen wirkenden Club, so effizient der auch arbeiten mag. Um offiziell Einfluss ausüben zu können, bedarf es eines seriös anmutenden Erscheinungsbilds.  

Eine solche Institution war schnell gefunden, gleich in Pittsburgh, wo PANCOAST und sein Kollege PENDERGRASS eine Professur innehaben. Passenderweise war die Einrichtung sogar an der Universität von Pittsburgh angebunden: das "Mellon Institute of Industrial Research", gegründet einst von einem Kohlemagnaten namens MELLON, der ebenso praktischerweise gleichzeitig Inhaber einer Bank war, die ebenfalls seinen Namen trug und noch heute besteht.

Dieses Institut, "incorporated as a nonprofit, independent research center", wie es sich heutzutage im englischsprachigen WIKIPEDIA liest, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, spezifische Lösungen für Probleme der Industrie zu erforschen, wie es auch auf dessen Website heißt. 

Weil klar wurde, dass die Politik irgendwie auf das Desaster von Hawk's Nest reagieren würde, mit neuen gesetzlichen Regelungen und möglicherweise Arbeitsschutzvorschriften, wollte man dem zuvorkommen: mit eigenen Standards, so dass sich die Mühen der Politik erübrigen würden. 

Zu diesem Zweck wird im Januar anno 1935 ein "Symposium on Dust Problems at the Mellon Institute of Industrial Research" einberufen, organisiert von Dr. LANZA. Es erscheinen Vertreter aus allen Branchen.

Zwei Tage zuvor trifft sich der "Club", um sich selbst abzustimmen, und als das große Meeting beginnt, alle Hotelzimmer in Pittsburgh ausgebucht sind, weiß keiner außer den Eingeweihten, dass hier ein branchenübergreifendes Industriesymposium stattfindet. Und dass es um das zentrale Problem an Arbeitsplätzen geht, der Staubbelastung. Egal, ob durch Quarz, Kiesel, Zement, Asbest, Kohle oder andere Erze und Gesteine.

Das Symposium endet mit einem wichtigen Ergebnis: der Gründung einer neuen Organisation, der Industrial Hygiene Foundation, aus der wiederum die "American Industrial Hygiene Association" hervorgehen wird. Vandiver BROWN, Vizepräsident und "General Attorney"  des größten Asbestunternehmens in den USA namens Johns-Manville, wird darüber schreiben, dass diese Institution eine Schöpfung der Industrie ist und "it's the one institution upon which employers can rely completeley for a sympathetic appreciation of their viewpoint."

"American Industrial Hygiene Association": Wie man genehme Standards strategisch durchsetzt

Die Unternehmen können sich, wie von Vandiver BROWN rapportiert, auf den neuen Verband AIHA (zunächst noch unter dem Label IHF - Industrial Hygiene Foundation) verlassen.

Es gelingt dem neuen Justitiar des IHF, Theodor WATERS, die Entschädigungsgesetze in fast allen US-Bundesstaaten zu beeinflussen. Beamte und Behörden sind dankbar, wenn ihnen Fachleute zu Hilfe eilen, die man erst garnicht rufen muss, weil sie von selbst kommen. Und die mit ihrem gebündelten Wissen und ihrer unendlichen Praxiserfahrung gleich ganze Kriterienkataloge für dieses und jenes Krankheitsbild und/oder gar Textformulierungsvorschläge mitbringen, die man sogleich übernehmen kann.  

WATERS "Ghostwriter", wie es LANZA von MetLife selbst beschreibt: Dr. LANZA.

Und so werden hier, da und dort diese und jene Ausschlusskriterien eingebaut, Voraussetzungen definiert und Auflagen gemacht. So gilt das Entschädigungsgesetz im Bundesstaat Pennsylvania nur dann, wenn jemand mindestens 4 Jahr dort schon gewohnt hat, aber auch nur innerhalb eines Zeitraums von 8 Jahren, innerhalb dessen die Silikose oder Asbestose ausbrechen muss. Wenn jemand den Arbeitsplatz verlassen hat, ist der Anspruch nach einem weiteren Jahr endgültig erloschen. Undsoweiter und so fort.

Die Ausschlussmechanismen widersprechen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen, den veröffentlichten und den nicht veröffentlichten, z.B. was die Latenzzeiten anbelangt. Aber das spielt bei den "Industrial Hygienists" keine Rolle. 

In einzelnen Fällen gelingt es sogar, da und dort, beispielsweise in Pennsylvania, die Entschädigungen dem Staat aufzuhalsen - mit der (natürlich 'wissenschaftlichen') Begründung, dass eine Staublunge eine "chronische" Krankheit sei und dass Arbeitnehmer nie ihr ganzes Leben an einem einzigen Arbeitsplatz verbrächten, mithin dies also eine gesamtgesellschaftliches Problem und daher Aufgabe der Gemeinschaft  sei. So wird das mehrere Jahre später beispielsweise der Pittsburgher Radiologe und Kollege von PANCOAST, Prof. Eugene PENDERGRASS, rechtfertigen:

"Since occupational pneumoconiosis is a chronic disease, and most workmen do not stay on the same job throughout their working lives, most of the claims are paid in full by the Commonwealth rather than by an insurance carrier or the industry responsible for the dust hazard."

MetLife - Strategie, Stufe IV: Einflussnahme auf Gesetze und Politik

Erste Vorbereitungen für einen genehmen Grenzwert

Dass mit den Entschädigungsgesetzen hat weitestgehend geklappt. Und auf Bundesebene hat MetLife inzwischen einen politischen Verbündeten. Denn jener, der erst als Mitglied im Senat von New York fungierte, dann Gouverneur der Millionenstadt wurde, in der sich MetLife als ausgesprochen spendabel zeigte, ist jetzt Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika: Franklin ROOSEVELT.  

Nun geht es darum, die Entschädigungsgesetze durch genehme Grenzwerte bei der gesundheitsschädlichen Belastung abzusichern. Je größer der erlaubte 'Dreck', umso geringer die Ausgaben von MetLife und parallel dazu: umso satter die Dividenden.

Um Anhaltswerte zu generieren hatte MetLife bzw. deren "Assistant Medical Director" Dr. LANZA schon Ende der 20er Jahre in 5 Asbesttextilfabriken 126 Arbeitnehmer untersuchen lassen, die mehr oder weniger zufällig ausgesucht wurden und die mindestens 3 Jahre dort schon gearbeitet hatten: mit medizinischen Checks und Röntgenuntersuchungen. Ergebnis: Mehr als die Hälfte litten an einer Asbestose, bei 39 war die Diagnose nicht ganz sicher. Von den Asbestosekranken hatten 9 in der Asbestspinnerei gearbeitet, wo die Asbeststaubbelastung als "relatively low" eingeschätzt wurde: "5 mppcf" bzw. 5 Millionen Partikel pro Kubikfuß.

5 Millionen Asbestfasern pro "cubic foot" entsprechen umgerechnet auf deutsche Maßeinheiten abgerundet 175 Millionen Asbestfasern pro Kubikmeter eingeatmeter Luft. Eine unvorstellbar extreme Staubbelastung.

Wenn in Deutschland vier Jahrzehnte später der Abbau der Asbest-Grenzwerte beginnen wird, startet man mit 2 Millionen pro Kubikmeter als absolute Obergrenze. Auch sie ist eigentlich schon viel zu hoch, weil man sie sonst nicht herunterfahren würde auf letztlich 250.000 bzw. 15.000. 

LANZA's Resümee: Asbest führt sehr viel leichter zu einer Staublunge als Quarzstaub wie er in der Keramik-, Glas-, Porzellan- und Zementindustrie vorkommt, auf Baustellen oder beim Bohren in Tunnelröhren.

Eine Zusammenfassung schickt LANZA auch einen der Auftraggeber, an Vandiver BROWN, den Vizepräsidenten von Johns-Manville, mit dem MetLife eng zusammenarbeitet. Beide verbindet das gleiche Interesse, Schadensersatzklagen gering zu halten.

Dr. Anthony LANZA betont in seinem Begleitschreiben, dass die Studie selbstverständlich vertraulich sei und - wie vereinbart - in dieser Form nicht veröffentlicht würde. LANZA empfiehlt, die Staubkonzentration, also den Grenzwert von Asbest jener der Quarzstaubbelastung gleichzusetzen. 

Das missfällt Johns-Manville. Es würde alle Bemühungen zunichte machen, die aktuellen Gesetzesvorbereitungen in New Jersey entsprechend beeinflussen zu können. Vandiver BROWN schreibt daher zurück:

"We have consistently argued that there is a substantial difference between silicosis and asbestosis – both as to the clinical nature of the disease and as to the reasonable probability of its incidence, and you will also recall that in particular, we have urged that asbestosis should not at the present time be included in the list of compensable diseases, for the reason that it is only within a comparatively recent time that asbestosis has been recognized by the medical and scientific professions as a disease — in fact one of our principal defenses in actions against the company on the common law theory of negligence has been that the scientific and medical knowledge has been insufficient until a very recent period to place upon the owners of plants or factories the burden or duty of taking special precautions against the possible onset of the disease to their employees."

Und er bittet - bzw. fordert LANZA auf - , entsprechende Passagen in seiner beabsichtigten Veröffentlichung wegzulassen:

"…All we ask is that all of the favorable aspects of the survey be included and that none of the unfavorable be unintentionally pictured in darker tones than the circumstances justify. I feel confident we can depend upon you and Dr. McConnell to give us this ‘break’ and mine and Mr. Hobart’s [Rechtsanwalt von Johns-Manville] suggestions are presented in this spirit."

Und obwohl LANZA und sein Arbeitgeber MetLife inzwischen wissen, dass eine Belastung bzw. Staubkonzentration von "5 mppcf" - umgerechnet 175 Millionen Asbestfasern pro Kubikmeter eingeatmeter Luft - Asbestose verursachen können, lässt Anthony LANZA in seiner 12seitigen Veröffentlichung die entsprechenden Zahlen und Ergebnisse einfach weg. Resümee auf Seite 11: Die Asbestarbeiter sollten spätestens alle 2 Jahre untersucht werden. Und ansonsten solle sich die Industrie einfach des Problems gewahr sein.

Hier ist die "wissenschaftliche" Veröffentlichung von Dr. Anthony LANZA (bzw. MetLife) im Original nachzulesen: In den "Public Health Reports", die der Public Health Service herausgibt, Januar 1935, Heft 1: "Effects of the Inhalation of Asbestos Dust of Asbestos Workers".

Die offizielle Bestätigung des Grenzwertes

1938 will der US Public Health Service - aus welchen Gründen auch immer - zu den bisherigen Erkenntnissen, die größtenteils aber nicht öffentlich gemacht wurden - eine sogenannte epidemiologische Untersuchung durchführen. Das heißt, mit Asbeststaub belastetet Arbeitnehmer zu vergleichen mit solchen, die keinerlei Asbestbelastungen ausgesetzt sind. Bei sorgfältig vorbereiteten und statistisch sauber ausgeführten Auswertungen kann man die Risiken abschätzen, mit denen Asbestarbeiter eher von arbeitsbedingten Krankheiten betroffen sind als alle anderen.

An der Studie sind vor allem 3 US PHS-Leute beteiligt:

  • der Chefmediziner der Behörde, Dr. Waldemar DREESSEN
  • ein weiterer Mitarbeiter
  • und der Pathologe vom Health Service, der ganz offiziell auf der Pay-roll von MetLife steht. 

Geplant ist, rund 700 Arbeitnehmer von 4 verschiedenen Asbest-Textilfirmen mit jenen der restlichen Bevölkerung zu vergleichen. Doch das gelingt nicht: die Unternehmen entlassen vorher Mitarbeiter - jene, die am längsten in den Betrieben mit Asbest gearbeitet haben. 

So muss die "Study of Asbestosis in the Asbestos Textile Industry" konzedieren: Das Ergebnis "did not represent the true incidence because some 150 employees had been discharged 15 months before the study was made."  

Dafür kann Dr. LANZA mit einer eigenen Buch-Publikation aufwarten: "Silicosis and Asbestosis", die im Oxford University Press-Verlag erscheint. Dort bestätigt er den jetzt praktizierten und auf diese Weise (durch)gesetzten Grenzwert von "5 mppcf" für Asbest. Obwohl er anmerkt, dass die Hälfte der Asbestarbeiter, die dieser Staubbelastung ausgesetzt sind, alle eine Asbestose bekommen haben.

"5 mppcf" oder umgerechnet 175 Millionen Fasern pro Kubikmeter sind eine Größenordnung, die man - eigentlich - nur als absolut menschenverachtend ansehen kann - eine Schadstoffbelastung, die ein Mensch nur eine begrenzte Zeit durchhält. 

Aber Papier ist geduldig. Und der Grenzwert jetzt längst (durch)gesetzt. 

Und er wird sich halten. Bis 1970.

Wie viele Arbeiter dies mit ihrer Gesundheit und meist auch mit ihrem Leben bezahlen, hat unseres Wissens niemand gezählt.

Doch jetzt gerät ersteinmal die Welt aus den Fugen. Das Deutsche Reich beginnt einen "totalen Krieg" gegen die halbe Welt und die USA muss seine britischen Freunde unterstützen: mit Kriegsmaterial und Schiffen, und die werden mit viel Asbest verbaut. Das Mineral ist feuer- und hitzebeständig. Und das kann ein (kleiner) Vorteil sein, wenn die vielen US-amerikanischen Versorgungsschiffe im Atlantik von deutschen U-Booten zwecks totaler Vernichtung beschossen werden.

Asbest ist raus aus der politischen Wahrnehmung.

Nach dem großen Krieg

Im Deutschen Reich, das gerade untergegangen ist, wusste man, dass Asbest auch Lungenkrebs erzeugen kann. Völlig unabhängig vom Tabakrauchen. Da bei Zigarettenrauchern das Erkrankungsrisiko um ein mehrfaches steigt, hatte man bei der Anerkennung eines asbestbedingten Lungenkrebses auch das gleichzeitige Vorliegen einer Asbestose zur Voraussetzung gemacht. Aber Lungenkrebs durch Asbest kann eben auch bei Nichtrauchern entstehen.

Diese Erfahrung machen inzwischen die ersten US-Firmen, insbesondere die Werften, die Heerscharen von Arbeitern beschäftigen bzw. beschäftigt haben. Die "Industrial Hygiene Foundation (IHF)", das Dach der "American Industrial Hygiene Association (AIHA)", konstatiert 1947 in einer Veröffentlichung, die auf LANZA's Veröffentlichung von 1935 "Effects of the Inhalation of Asbestos Dust on the Lungs of Asbestos Workers" basiert. Die IHF schreibt, dass

"the maximum permissible dustiness for asbestos is commonly taken to be five million particles per cubic foot. This represents good attainment in the dust control program. It is emphasized, however, that the dust elimination to this extent does not positively insure that no asbestosis will develop in some workers after a long working life ..."

Man weiß also, dass dieser Wert "5 mppcf" absolut schädlich ist. Die Männer des "IHF" (keine Frauen) werden diese Erkenntnis nie veröffentlichen. Stattdessen bestärkt man sich gegenseitig, dass diese "5 mppcf" ein "safe level of exposure" seien.

Von der Asbestose zum Lungenkrebs

Bereits 1934 hatte sich MetLife zum ersten Male mit einer Entschädigungsklage wegen Lungenkrebs durch Asbest konfrontiert gesehen. Ein Mitarbeiter des Bremsenherstellers Raybestos-Manhattan (siehe Foto) hatte mit Erfolg auf Schadensersatz geklagt und MetLife wiederum musste das versicherte Unternehmen schadlos halten. Die beiden für das Unternehmen tätige Ärzte vom "Medical College of the State of South-Carolina", Kenneth M. LYNCH und W. Atmar SMITH, hatten diesen Fall bereits 1935 im "American Journal of Cancer" beschrieben: "Pulmonary Asbestosis III: Carcinoma of Lung in Asbestosis-Silicosis". Der Zusammenhang war also grundsätzlich bekannt.

Ein Jahr darauf zeigen sich mehrere Bremsenhersteller einsichtig, die alle ihre Produkte mit hohen Asbestanteilen versehen, und teilen sich die Kosten einer Untersuchung, die Dr. Leroy GARDNER am Saranac-Labor im Staate New York durchführen soll. Diesesmal geht es ja nicht so sehr um die eigenen Beschäftigten. Diesesmal geht es um Hunderttausende von Kunden.

GARDNER soll anhand von Experimenten von Tieren, die Asbestdämpfen ausgesetzt werden, einschlägige Ergebnisse sammeln. 

GARDNER akzeptiert, LANZA hat alles vermittelt, unter anderem die Konditionen: Die Ergebnisse würden (geistiges) "Eigentum" der Wissenschaftlern sein, aber Veröffentlichungen gäbe es nur nach vorheriger Erlaubnis seitens der Unternehmen. Durchgesetzt hatte dies Vandiver BROWN, stellvertretender Chef und Justitiar des weltgrößten Asbestherstellers Johns-Manville, dem auch die größten Asbestminen in Canada gehören.

Dies alles zieht sich einige Jahre hin, denn das Saranac-Labor ist bestens ausgelastet, es gehört zu den angesehensten medizinischen Forschungsinstitutionen in den USA. Und Dr. LANZA, der auch den immer noch existierenden "Club" managt, sitzt inzwischen auch im Beirat des Saranac-Labors, der alles überwacht und steuert. Und ist obendrein zum Direktor des "Instituts für Industriemedizin" der New Yorker Universität aufgestiegen.

1942 beendet GARDNER seine Experimente und schreibt kurz darauf an Vandiver BROWN von Johns-Manville, dass sich der Krebsverdacht von Asbest bedeutend höher sei, als er erwartet habe. Konkret:

Von 11 Mäusen, die großen Asbestfasern zwischen 15 und 24 Jahren ausgesetzt waren, hatten

  • 8 Lungentumore entwickelt
  • 3 Mäuse Tumore in anderen Organen.

Ergebnis: "The incidence rate of 81,8% is excessive"

Außerdem teilt GARDNER dem Asbestmann mit, dass inzwischen mindestens 16 Lungenkrebsfälle bei Asbestarbeitern in der Medizinliteratur bekannt geworden seien. Und er würde, selbstverständlich, diese Ergebnisse geheim halten, würde aber gerne weitere Untersuchungen anstellen und dafür Gelder beim "National Cancer Institute (NCI)" aquirieren wollen.

Letzteres gelingt nicht. GARDNER versucht es nochmals mit dem Hinweis "we cannot afford to neglect the matter much longer", erhält aber erneut keine Antwort - dem NCI ist das offenbar zu teuer und man zweifelt dort an der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen. 

GARDNER schreibt daraufhin wieder an Vandiver BROWN und erbittet Zugang zu den Röntgenbildern der Johns-Manville-Arbeiter. Dort wird unermüdlich weiter Asbest abgebaut und verwertet.

GARDNER erhält keinen Zugang zu den medizinischen Informationen der Asbestarbeiter. Allerdings die Zusage, dass er seine Mäuse-Studie veröffentlichen darf, aber ohne jeglichen Hinweis auf "Krebs".

Auch dazu kommt es nicht mehr, GARDNER stirbt 1946. Ein Foto dieses Medizinmanns bei der Arbeit kann man bei Getty Images anschauen.

Saranac Laboratory (heute: Trudeau-Institut), State New York

Das Saranac-Lab, direkt am Ufer des landschaftlich sehr schönen "Saranac Lake"platziert, liegt im Bundesstaat New York, knapp hundert Kilometer unterhalb der kanadischen Grenze. Es wird sich weiter zu einem der bedeutensten medizinischen Vertuschungs-Lokalitäten weltweit entwickeln. So wie honorige Medizinmänner im Dritten Reich ohne jeglichen Skrupel an Menschen, egal ob tot oder lebendig, herumexperimentiert hatten. Und später nicht darüber reden wollten.

Nachdem GARDNER tot und seine geplante Veröffentlichung nicht mehr veröffentlicht wurde, wird Dr. LANZA wieder aktiv, inzwischen einer der wichtigsten Männer im Beirat der Trudeau-Foundation. Er übergibt GARDNER's Unterlagen dem Dekan des "Medical College" der staatlichen Universität von South-Carolina mit der Bitte um Prüfung und der gibt grünes Licht: "To submit his manuscript for publication practically as he has it written, with an explanation, would be to properly represent him. He undoubtedly meant to add to the manuscript, but it is worthy as it stands." 

Dr. LANZA gibt diesen Vorschlag weiter an das Saranac-Lab, jetzt an Arthur VORWALD, den Direktor der Forschungsabteilung, gleichzeitig Pathologe und Spezialist für Staub(lungen)krankheiten. LANZA macht im September 1948 allerdings eine Auflage: "It was the feeling of this group that all references to cancer or tumors should be omitted.

Und VORWALD tut, wie ihm geheißen. Er überarbeitet den Text, streicht alles raus, was irgendwie einen Hinweis auf Krebs oder Tumore geben könnte. Den wichtigsten Abschnitt Nr. 92 streicht er gleich ganz mit unübersehbarem "out": 

Und genau so (manipuliert) wird es im Januar 1951 in den "Archives of Industrial Hygiene and Occupational Medicine" erscheinen, und zwar mit folgender Betonung: Diese Veröffentlichung "presents for the first time a complete survey of the entire experimental investigation".

Hier gibt es ein abstract zur gefakten Veröffentlichung von Arthur VORWALD et al: "Experimental studies of asbestosis". Einen Hinweis auf "Fake" gibt es da - natürlich - nicht. Bis heute nicht.

Der Whistleblower: Dr. Gerrit SCHEPERS aus Südafrika

Während in Canada der Weißasbest (Chrysotil) abgebaut wird, ist es in Südafrika der Braunasbest und der Blauasbest. Beide Asbestarten sind härter und deren Staub löst ebenfalls die typischen Krankheitsbilder aus, insbesondere Krebs und das Mesotheliom. Nur geht es meist schneller als bei Weißasbest, was man aber in der Apartheidrepublik noch nicht weiß.

Weil inzwischen erstmals Weißasbest gefunden und abgebaut wurde, und beim Abbau ganz schnell viele (schwarze) Arbeiter erkrankt waren, hatte die Apartheid-Regierung die Mine geschlossen. Man wollte in dem an Bodenschätzen sehr reichen Land (Gold, Diamanten, Chrom, Platin, Mangan, Vanadium u.a.m.) ersteinmal weniger gefährdende Abbaumethoden entwickeln. Über Weißasbest gibt es in Südafrika kein Know-how.

Dies ist Anlass dafür, dass das "Miners Phthisis Medical Board" in Johannesburg einen seiner klügsten und engagiertesten Mediziner, Dr. Gerrit SCHEPERS, 1949 in die USA beordert. SCHEPERS ist 35 Jahre alt, interessiert sich für fast alles, hatte sich in seiner Heimat bereits auf politischer Ebene für Entschädigungsregelungen für Minenarbeiter eingesetzt, und nimmt diese Aufgabe dankbar an: Es würde sein Blickfeld erweitern.

SCHEPERS schreibt sich an der New Yorker Universität als "Student" ein: beim "Institut für Industriemedizin". Dessen Direktor: Dr. Anthony LANZA. Niemand weiß, dass SCHEPERS im Auftrag der südafrikanischen Republik unterwegs ist - sozusagen "undercover".

LANZA erklärt ihm frei, dass er fast alles über Asbestose wisse, aber wenig über asbestbedingten Krebs, er aber davon gehört habe. Gelesen natürlich nicht, denn nirgendwo in den USA gab es da etwas zu lesen. Nur in Großbritannien.

Da hatte zwei Jahre zuvor, 1947, Dr. E.R.A. MEREWETHER, Mediziner und "Chief Inspector of Factories" 230 Krebsfälle aus der Asbestindustrie untersucht und festgestellt, dass 13,2 % der untersuchten Asbebstose-Arbeiter zusätzlich einen Lungenkrebs entwickelt hatten. Im Gegensatz zu den Silikose-Kranken, bei denen es nur 1,3 % waren. MEREWETHER, der sich mit Asbest bereits Ende der 20er Jahre beschäftigt hatte (siehe Warum es so lange gedauert hat, bis Asbest verboten wurde - die ersten 70 Jahre), hat diese Ergebnisse ganz offiziell dem Britischen Parlament mitgeteilt. Und da Südafrika dem Britischen Commonwealth angehört, landete dieser Bericht auch ganz offiziell in Südafrika, weshalb man einfach mehr über Weißasbest und Lungenkrebs wissen möchte.

Deswegen ist SCHEPERS in New York und Dr. LANZA schickt ihn als "intern", also als Praktikanten bzw. Assistenzarzt nach Saranac Lake - ins Saranac Laboratory zu Dr. VORWALD, dem Chef der Forschungsabteilung. VORWALD ist gerade mit 'Fake Science' zugange, überarbeitet das Manuskript von GARDNER, das demnächst veröffentlicht werden soll. 

SCHEPERS, der die nächsten Wochen über in VORWALD's Haus wohnen darf, fragt ihn ganz unverblümt, was man denn über den Zusammenhang zwischen Asbest und (Lungen)Krebs wisse. SCHEPERS notiert sich die Antwort so: "He [VORWALD] said none had been attempted, none was contemplated, and none was needed." Und Krebs könne durch Staub überhaupt nicht entstehen, siehe seine Veröffentlichung aus dem Jahre 1938. 

SCHEPERS darf sich alles ansehen, was GARDNER hinterlassen hat. Und stößt auf Fotos bzw. Diabilder, auf denen Mäuse zu sehen sind. Alle beschädigt. Keine Asbestose, sondern Krebs. So ist es dort notiert und so kann man es auch sehen: Tumore. Alle Mäuse waren über viele Monate Weißasbeststaub ausgesetzt gewesen. SCHEPERS findet auch GARDNER's Protokollnotizen zu den 11 Mäusen. Außerdem: Dias zu 9 Lungenkrebsfällen und 2 Mesotheliomen. Diese stammen von Menschen. GARDNER hatte alles zusammengefasst in einer Akte abgelegt. Aufschrift: "Quebec Asbestos Workers".

VORWALD will sich nicht zu dem (wohl nicht geplanten) Fund äußern. 

SCHEPERS will mehr wissen, denn der weiße Chrysotilasbest, mit dem die Mäuse traktiert worden waren, stammt aus der Quebec-Region in Canada. Ebenso die sezierten Lungen der Arbeiter. Also fährt er für die  nächsten Wochen dorthin. Er will sich mit der Asbestfirma, Regierungsvertretern und Behörden und Gewerkschaften unterhalten.

In den Minen dort, in der Stadt Asbestos und Thetford Mines und Umgebung ist gerade die Hölle los, denn die Asbestarbeiter machen etwas, was sie noch nie gemacht haben: sie streiken. Über ein ganzes Viertel Jahr werden sie das machen. Sie sind aufgebracht. Die Zeitung  "Le Devoir" hatte berichtet, dass sie die ganzen Jahre angelogen worden seien, denn Asbeststaub sei ungemein schädlich. Und meistens auch tödlich.

Jetzt fordern die Arbeiter, dass solche dramatischen Folgen als 'Berufskrankheit' ("industrial disease") anerkannt werden.

SCHEPERS befragt Ivan SABOURIN, den für Johns-Manville zuständigen Anwalt. Und der gibt ganz unbefangen zu, die fraglichen Lungen von toten Arbeitern a) heimlich und b) ohne Zustimmung der Nachfahren der Toten gefragt zu haben, ins Saranac-Lab gebracht zu haben. So ganz wohl sei ihm aber dabei nicht gewesen, meint der Asbest-Anwalt. 

SCHEPER's beschreibt einen Teil dieser Konversation so:

SCH: “Why do you do this? Why do you oppose the rights of asbestos workers to claim compensation after their lungs have become all screwed up?” 

S: “Because I’m paid to do so” 

SCH: “So, you’re telling me you’re a crook?”

S: “That’s right” 

SCH: “I’ve seen it happen. I’ve worked in the hospitals. I’ve seen them die and seen their families go to the dogs from poverty. How could you be so unmerciful? I know you’re a Catholic. It’s the Christian belief that you help the man who has fallen down. You don’t step on him. You give him your hand and help him up.”

S: “I go to church every Sunday and say my prayers every night. But I can’t reverse what I’ve done.

Als nächstes kann SCHEPERS die betreuenden Ärzte befragen. Sie zeigen sich überrascht. Krebs? Sie wissen von nichts, spielen die Probleme herunter. Und argumentieren, wie man das so macht, wenn man ertappt wird, aber nichts wirklich zugeben darf:

  • Sie führen Krankheitsfälle auf die genetisch minderwertige ("genetically inferior") Gesundheitskonstitution zurück: "So these were silly little French-Canadian who were dying before they should."
  • "It was the same attitude in South Afriva. I'd heard hundreds of times that the mines were quite safe. It was just these damn black fellows, who didn't have strong lungs and disgraced the industry by going and dying."

So wird sich SCHEPERS an die Gespräche mit den Ärzten erinnern.

So ungewöhnlich ist diese Begründung nicht. In Deutschland wird zwei Jahrzehnte später der Doyen der bundesdeutschen Arbeitsmedizin, Prof. Dr. Helmut VALENTIN aus Erlangen, ähnlich argumentieren. Allerdings muss er es - in der Ära nach dem "Tausendjährigen Reich" - ein wenig vorsichtiger ausdrücken und kann nicht auf Rasse oder Minderwertigkeit abstellen. Er wird es regelmäßig "schicksalshafte Erkrankung" nennen (mehr in einem etwas anderen Kontext unter www.ansTageslicht.de/Valentin).

Drei Wochen bleibt SCHEPERS in der Quebec-Region. Zurück im Saranac Lab ist die gesamte Akte "Quebec Asbestos Workers" verschwunden. Einfach weg. Und die Atmosphäre ist frostiger geworden. SCHEPERS wird als "Ausländer" tituliert.

SCHEPERS reist ab nach New York. Dort fordert LANZA ihn auf, sofort einen "Report" über seine Erkenntnisse in Canada zu erstellen, und zwar noch vor Abgabe seiner schriftlichen Arbeit. 

Nachdem Gerrit SCHEPERS beides erledigt hat, fordert Dr. Anthony LANZA SCHEPERS auf, sich zusammen mit ihm und dem Beirat des Saranac Labs sowie Vandiver BROWN von Johns-Manville zu treffen. 

Vandiver BROWN rastet aus und wird laut. Er hat - natürlich - eine Kopie von beidem. Will, dass SCHEPERS ("murder and hell") den Report und die Diplomarbeit zurückzuzieht.

SCHEPERS bleibt ganz ruhig. Er kann es nicht. Und offenbart: Sein Report und eine Kopie seiner Abschlussarbeit seien bereits auf dem Weg nach Südafrika. Er habe hier in den USA Recherchen über Weißasbest anstellen wollen.

Vandiver BROWN steigt ins nächste Flugzeug. Ein Treffen mit Vertretern der Minenbehörde kommt nicht zustande. Man reagiert auf sein Ansinnen nicht. Als Vandiver BROWN um ein Gespräch mit dem Generalgouverneur der "Südafrikanischen Union" bittet, kommt auch das nicht zustande.

Vandiver BROWN gibt auf. Er fliegt zurück. Nach Schottland. Er lässt sich auf der Stelle in den Ruhestand versetzen. Und taucht ab. Man wird nie wieder etwas von ihm hören.

Jetzt ist es raus: Asbest kann auch Krebs verursachen. Niemand kann dieses Wissen mehr aufhalten, nachdem es jahrelang in den USA gedeckelt, sprich verheimlicht wurde. Stattdessen hatte man immer wieder nur auf die Asbestose abgestellt. Aber auch erst dann, als dieses Krankheitsbild nicht mehr zu verleugnen war. Vorher war alles nur "Silikose". 

Nun muss auch Dr. Anthony LANZA einlenken, fordert Arthur VORWALD auf, GARDNER's experimentelle Studien weiter fortzuführen. Da LANZA inzwischen zum Vizepräsidenten der Trudeau-Stiftung aufgestiegen ist, bleibt VORWALD keine andere Wahl. Zwischen 1951 und 1953 setzt er 179 Mäuse Chrysotilstaub in einer Konzentration von "5 mppcf" aus. nach 14 Monaten haben 9,5% Lungenkrebstumore. In der Kontrollgruppe mit 181 Mäusen, die keiner Belastung ausgesetzt waren, sind es nur 5,5%. Das gegenseitige Risikoverhältnis ("risk ratio = RR") beträgt demnach 1,73 (9,5 zu 5,5). Der Aufforderung, die Studie zu Ende zu bringen und zwar wie geplant erst nach 24 Monaten abzuschließen, kommt VORWALD nicht mehr nach. Weil sein Vertrag ausgelaufen ist, geht VORWALD und nimmt eine Stelle an der Wayne State University an. Und nimmt alle Unterlagen mit.

LANZA braucht einen Nachfolger. Da sich der Wind gedreht hat, muss er sich anpassen. Gerrit SCHEPERS wird zum neuen Forschungsdirektor im Saranac Lab ernannt. Die fraglichen Mäuse sind inzwischen alle tot. Ein Mäuseleben währt nicht ewig.

SCHEPERS Bitte an VORWALD, seine bisherigen Erkenntnisse aus der Mäusestudie zu veröffentlichen, verhallt. Auch als der Saranac-Statistiker dem neuen Forschungsdirektor die letzten Zahlen zeigt, nach denen das Risikoverhältnis (RR) auf 5,7 gestiegen ist, gelingt es SCHEPERS nicht, VORWALD zu überzeugen. VORWALD gehört offenbar zu jenen Wissenschaftlern, die über keinerlei Mumm verfügen.

Stattdessen wird VORWALD zusätzliche Einnahmen generieren. Er stellt sich ab sofort Asbestunternehmen zur Verfügung, wenn die sich wegen Schadensersatzklagen vor Gericht verteidigen müssen. 

Gleiches macht Gerrit SCHEPERS, nachdem er drei Jahre später das Saranac Lab verlässt. Er tritt als Zeuge und Gutachter für die Asbestopfer auf.

Das nicht endende Ende

In den USA entsteht nach und nach eine Prozesslawine, die schnell ins Rollen kommt. Schon deswegen, weil der extrem hohe Grenzwert der Asbeststaubbelastung von "5 mppcf", der umgerechnet 175 Millionen Asbestfasern pro Kubikmeter eingeatmeter Luft erst 1970 abgeändert wird. Der Grenzwert heißt inzwischen "Threat Limit Value" (TLV). Eine derart extreme Belastung bleibt nicht ohne Folgen.

So häufen sich die Schadensersatzklagen. Und ab Ende der 70er Jahre gehen die ersten Firmen in Konkurs. Insbesondere dann, wenn sie nicht ausreichend versichert waren.

Johns-Manville, das größte Asbestabbau- und Asbestverarbeitungsunternehme mit seinen riesigen Minen in der Stadt Asbestos und Thetford Mines (und anderswo) erwischt es 1982. Andere folgen.

Aber nicht nur die Asbestfirmen gehen in die Knie. Die deutsche Allianz AG beispielsweise muss mit fast einer Milliarde US Dollar einspringen. Am heftigsten wird die sagenumwobene Institution "Lloyds of London" getroffen, ein Versicherungsmodell, das von privaten (und sehr reichen) Investoren getragen wird, die gerne mit Risiken und hohen Gewinnen spekulieren . Weil sie nicht bedacht haben oder es nicht wissen wollten, wie es um die Gefährlichkeit von Asbest steht, haben sie keine ausreichenden Rücklagen auf die Seite gelegt. Die Rückversicherungsforderungen erwischen "Lloyds of London" auf kaltem Weg: Die weltweit bekannte Institution "Lloyds of London" geht sang- und klanglos unter.  

Bis zur Jahrtausendwende um 2000 werden knapp 700.000 Klagen gezählt - von 2,5 Millionen Arbeitnehmern. Die meisten enden in einem Vergleich. Teilweise mit hohen Summen. Der US-amerikanische Think Tank RAND Corporation hat diese Zahlen ermittelt: 

70 Milliarden Dollar wird das Asbestdesaster in den USA kosten:

  • 40 Milliarden davon gehen für die Durchführung der Gerichtsverfahren drauf, der geringste Teil für die Gerichtskosten. Das größere Stück vom Kuchen sichern sich die vielen "law firms" und die Gutachter, die sich alle gigantische Honorare einverleiben.
  • 30 Milliarden verbleiben für die Asbestopfer.

Noch heute werden neue Klagen vor die US-Gerichte getragen. Die Latenzzeit bei Asbest kann bis zu 40 Jahren dauern. Und ab und an entdecken Verbraucher Asbest in alltäglichen Produkten des Konsums. 

Die medizinische Wissenschaft und der Umstand, dass sie sich - gegen Geld - für andere Ziele als medizinische Aufgaben hat einspannen lassen, trägt wohl - moralisch gesehen - den größten Teil an diesem Desaster.

Asbest und Donald TRUMP

Natürlich ist Asbest längst auch in den USA verboten. Und Kanada hat die noch vorhandenen Reste seiner  Asbestminenindustrie verstaatlicht.

Doch die Zeiten können sich immer ändern und mit dem 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika geschieht es auch.

Nachdem TRUMP die ihm als völlig überflüssig erscheinende Behörde EPA (Environmental Protection Agency) mit Männern seines Geschmacks in den wichtigsten Leitungsfunktionen neu besetzt hat, gibt es auch bei Asbest eine Neuerung: Asbest darf jetzt wieder - zumindest für bestimmte Zwecke - importiert und verarbeitet werden. Da Kanada als Lieferant in größerem Umfang ausfällt, kommt der Weißasbest (Chrysotil) jetzt aus Russland. Die Firma Uralasbest.zeigt auf ihrer facebook-Seite unter dem 25. Juni 2018 ganz stolz die großen Paletten - versehen mit dem Konterfei jenes Mannes, dem sie das zu verdanken hat: Donald TRUMP 


Wie sich das Problem Asbest und dessen gesundheitliche Folgen in Europa, insbesondere in Deutschland entwickelt hat und in die öffentliche Wahrnehmung geraten ist, finden Sie in einer chronologischen Rekonstruktion in 3 Teilen:

Andere Informationen dazu lassen sich auf der rechten Navigationsleiste abrufen (Smartphone: ganz am Ende unten).

Die gesamte Asbest-Dokumentation ist direkt aufrufbar und verlinkbar unter www.ansTageslicht.de/Asbestkrimi.