So liefen die Recherchen in Sachen Zementkartell

 

Erinnerungen von Frank SEIDLITZ

Prolog

Alles begann vor acht Jahren am Niederrhein. Genau gesagt in Neuss, einer Stadt am Rande Düsseldorfs. 150.000 Einwohner groß, ein Fußballclub, ein Schützenfest und jede Menge Geschichte. Damals arbeitete ich noch als Freier Mitarbeiter neben meinem Studium bei einer Lokalzeitung vor Ort. Investigative Artikel standen hier nicht unbedingt auf der Tagesordnung, sondern mehr deskriptive Berichterstattung. Analytische oder investigative Texte fanden nur wenig Widerhall im Blatt. In Neuss schlugen schon die Römer ihre Zelte auf. Später kam auch Napoleon vorbei, dann die Alliierten. Und deshalb finden sich noch heute bei Bauvorhaben Relikte aus diesen Epochen. Mal sind sie mehr, mal weniger wertvoll.

Eines dieser Artefakte war der Ausgangspunkt für meine damalige Recherche. Es sollte ein Stück über historische Bodenfunde werden. Das Relikt führte mich direkt zu einem der wichtigsten Tipp-Geber in der späteren Zement-Recherche.Damals ging es aber noch gar nicht um die Zementbranche, nicht um Readymix, nicht um Heidelberg Cement, nicht um Kartellverfahren und nicht um Zerschlagungs-Konzepte. Vielmehr ging es um einen relativ gut erhaltenen Ton-Krug, den mein späterer Tippgeber gefunden hatte. Ich wollte einen Artikel daraus machen und traf mich deshalb mit dem rüstigen Rentner, der aus einer anderen Gegend stammte. Er wäre ein typischer Rheinländer geworden, wenn er in dieser Region geboren wäre. Will heißen, er hörte sich gerne selbst reden. Man gab ihm ein Stichwort und brauchte nie wieder eine Nachfrage zu stellen. Anekdote reihte sich an Anekdote. Und eher beiläufig wurde wohl auch noch die Realität ein wenig gedehnt, damit die Wunschvorstellungen meines Gesprächspartners auch noch Platz fanden.

Während des Gespräches fielen mir die ganze Zeit die Unmengen von Aktenordner auf, die eine der Wände verzierten. Alle mit Beschriftungen, die wohl irgend etwas mit Zement und Beton zu tun hatten. Aktenordner mit Firmennamen, Ordner mit den Zusätzen „Organisations-Strukturen“, „Absprachen“. Auch Ordner mit Fach-Kürzeln, die mir so nichts sagten: „BT“ war am häufigsten vertreten.Ich unterbrach ihn und lenkte das Gespräch auf die Aktenordner. Er stutzte, setzte aber nach kurzer Unterbrechung wieder an und erzählte mir aus seinem Berufsleben. 30 Jahre hatte er in der Zementbranche verbracht, bei zwei Firmen und in unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Was er erzählte war erstaunlich. Ein Krimi, dachte ich mir. Ein durchgeknallter Krimi, den es wohl in der Realität kaum geben würde.

Denn wenn es so wäre, wie er es schilderte, so dachte ich mir weiter, wäre das ein riesiger Skandal. Und warum sollte da nicht schon längst einer drauf gekommen sein. Ein Reporter vom SPIEGEL etwa oder der Süddeutschen. Statt dessen ein freier Mitarbeiter einer Lokalzeitung aus Neuss? Wohl kaum! Zumal ich Zweifel daran hatte, dass meine Chefs mir diese Story abkaufen würden. Herr X. wollte ja seine Unterlagen auch nicht rausgeben. So verwarf ich die Geschichte trotz der kleinen Umrisse, Namen, Beispiele und Strategien, die er mir gegeben hatte. So blieb die Geschichte nur in meinem Block. Dann verlor ich Readymix und die Zementbranche aus den Augen – bis zum September 2002. Dann waren die Erinnerungen wieder da. Sie waren eine gute Hilfestellung bei den Recherchen.

Die Initialzündung 

Im Sommer 2002 ging das Bundeskartellamt in einer großangelegten Razzia gegen die gesamte deutsche Zement- und Transport-Branche vor. Mehr als 30 Firmen, Wohnungen und sonstige Objekte wurden durchsucht. Kiloweise Beweismaterial beschlagnahmt. Das Spektakulärste darunter: das Konzept für die „Operation Skunk“, die geheime Verdrängungsstrategie der Branchenkonkurrenz gegen Readymix. Zuerst wußten die Ermittler aber mit dem Papier gar nichts anzufangen. Ihnen fehlte das wirtschaftliche Verständnis und das Know-how, um die Brisanz des Papiers zu erkennen. Doch auf der Vorstandsetage von Heidelberg Cement (HC) gingen schon die Alarmglocken. Per Anwalt forderte HC die Herausgabe des Papiers, weil es sich bei der Operation Skunk um ein Geschäftsgeheimnis handelte. Das Gesetz hatte der Konzern auf seiner Seite, denn auf Geschäftsgeheimnisse, die nichts unmittelbar mit dem Verfahren zu tun haben, hat das Kartellamt keinen Zugriff. Zugegeben eine sehr enge Auslegung und die Behörde hätte es sicherlich auf eine juristische Überprüfung ankommen lassen können. Aber die Wettbewerbshüter gaben das Papier freiwillig raus. Von hier an dauerte es noch mehr als ein Jahr, bis ich das Konzept in den Händen hielt.

Nach der Großrazzia suchte ich als erstes den Kontakt zu meinem Neusser Informanten, allerdings vergeblich. Zwei Jahre zuvor verstarb der rüstige Rentner – und mit ihm verschwanden auch seine Unterlagen. „Die habe ich auf den Müll geworfen. War doch nur Papier“, sagte mir seine Witwe. Wahrnehmungen können manchmal sehr auseinanderklaffen, dachte ich. Mußte also weiter suchen.

Doch die Suche nach Informationen über das Ausmaß des Kartells (Operation Skunk war noch gar nicht in meinem Fokus) stellte sich als äußerst schwierig und mühsam heraus. Die Beschuldigten blockten und beim Kartellamt herrschte ein eisiges Schweigen. Der direkte Zutritt war also verwehrt. Ich brauchte einen Umweg – und der fand sich in Informant Nummero Zwei.

Ein Jahr nach der Razzia kam der Informant durch die zahlreichen Artikel, die ich bis zu diesem Tag über das Zement-Kartell geschrieben hatte, auf mich zu. Viele meinen bis heute, daß dies der Readymix-Chef selbst gewesen sei. Dies ist falsch. Der Informant fragte mich, ob ich glaube, daß ich auf dem richtigen Weg bei den Geschichten wäre? Denn in Wahrheit stecke doch eine noch viel größere Story hinter dem Rekordbußgeld von 660 Mio. Euro, das das Kartellamt im April 2003 erlassen hatte.

Er übergab mir das geheime Papier. Und wie jeder Informant hatte er auch sehr triftige Gründe für die Übergabe. Es war eine ungeheuerliche Geschichte, die ich dort in dem Papier eines Bankhauses las. Ich begann sofort mit der Überprüfung der Fakten. Innerhalb von zwei Monaten kontaktierte ich meine Informanten bei Behörden, Unternehmen, Banken und Branchenexperten. Das Ergebnis war relativ eindeutig, obwohl auch einige Informanten mich auf die falsche Fährte schicken wollten. Aber das Papier war echt. Und noch brisanter: Es wurde seit einiger Zeit Schritt für Schritt umgesetzt. „Operation Skunk“ – die „Operation Stinktier“ - lief auf Hochtouren.

Der Showdown

Am 1.Oktober 2003 deckte DIE WELT den geheimen Stinktier-Plan auf. „Heidelberg Cement will Readymix übernehmen“ lautete die Überschrift (siehe dazu unter „Die Berichte“). Detailliert wurde dort geschildert, wie das Ratinger Unternehmen vom Markt verdrängt werden und damit eine Strafe für die uneingeschränkte Kooperation mit dem Kartellamt erhalten sollte. Dazu sollte Readymix von der britischen Mutter RMC an eine anonyme Zwischengesellschaft (SPC) verkauft werden, hinter der mittelbar Heidelberg Cement und andere Konkurrenten standen. Diese Scheingesellschaft sollte dann die Vermögenswerte ausschlachten und an die beteiligten Konkurrenten verkaufen, der Rest sollte dann in die Insolvenz geschickt werden. Ein Großteil der 4000 Readymix-Mitarbeiter wäre in die Arbeitslosigkeit getrieben worden. Die Kosten für die Übernahme wollten sich die Readymix-Konkurrenten teilen. Seit Monaten liefern die Verhandlungen zwischen Heidelberg Cement und RMC, die Zerschlagung der deutschen Tochter war RMC allerdings nicht bekannt. Die Briten wollten sich lediglich von einem Verlustbringer trennen. Offen bleibt, ob RMC die Gespräche auch geführt hätte, wenn sie den Stinktier-Plan gekannt hätten.

DIE WELT entschloss sich auch, in der gleichen Ausgabe das Vorhaben zu kommentieren und forderte das Kartellamt auf, die Übernahme abzulehnen. Denn würde das Kartellamt den Kauf genehmigen, wäre es ein Präzedenzfall, nach dem sich kein Kronzeuge mehr bei Kartellverfahren zur Verfügung stellen würde. Kartelle könnten sich sicher sein, daß keiner aus ihren Reihen den Weg nach Bonn suchen würde. Für die freie und soziale Marktwirtschaft ein nicht hinnehmbarer Rückschlag.

Mit dieser Argumentation gab DIE WELT zugleich die Linie vor, nach der in den folgenden Tagen auch alle anderen Zeitungen unabhängig von einander kommentierten. An der Börse sorgte die Veröffentlichung des Plans für ein Kursfeuerwerk: Die Papiere von RMC legten deutlich zu. Mehr als eine Mrd. Euro wurde an diesem Tag durch den WELT-Artikel an den weltweiten Börsen bewegt.

In der Folgezeit überschlugen sich die Ereignisse. Immer mehr Informationen und Details tauchten auf: DIE WELT fand die Investmentbank heraus, die den Plan ausarbeitete und deckte die Strategie von Heidelberg auf, das deutsche Kartellamt über die EU-Behörde in Brüssel zu umgehen.

Gleichzeitig rückte die Zeitung auch die wahren Hintergründe des Preiskriegs auf dem deutschen Zementmarkt und des Kartellverfahrens in den öffentlichen Fokus. Die Branche behauptete stets, Readymix habe das Kartell verlassen, um einen Preiskrieg anfachen zu können. Das Gegenteil war der Fall: Der Preiskrieg war der erste Versuch, Readymix wieder „auf Linie“ zu bringen. Die Kosten teilten sich führende Konzerne im Zuge von „burden-sharing“. Allerdings scheiterte dieser Versuch, da Readymix den Wettbewerb aufnahm – und damit den Zementpreis noch mehr in den Keller trieb.

Auch die Behauptung, der Readymix-Chef hätte freiwillig beim Kartellamt ausgepackt und damit die ganze Branche verraten, stellte sich als falsch heraus. Vielmehr war es so, dass das Kartellamt den Chef des Ratinger Unternehmens derart unter Druck setzte, dass dieser eine weitreichende Kooperation mit den Bonner Wettbewerbshütern eingegangen ist. Hätte er dies nicht gemacht, wäre Readymix durch die Bußgelder in die Pleite getrieben worden. Die Vorwürfe waren Teil der Abwehr-Strategie der Branche, um auch die kleineren und mittleren Unternehmen auf ihre Seite zu ziehen. Es funktionierte auch.

Nach und nach spitzte sich die Lage politisch zu: 500 wütende Readymix-Mitarbeiter demonstrierten vor dem Kartellamt, die NRW-Landesregierung schaltete sich ein. Knapp drei Wochen dauerte die Hoch-Zeit des Skandals. Dann zog RMC die Verkaufspläne zurück. Die Übernahme scheiterte am wachsenden Widerstand der Wettbewerbshüter aus Brüssel und Bonn, weil auch der öffentliche Druck stetig zunahm. Nach und nach ließ auch die Euphorie am Kapitalmarkt für den Stinktier-Plan nach, weil Heidelberg Cement einen hohen Preis für die Readymix-Übernahme und die anschließende Zerschlagung zahlen würde.