ZEMENT: ein Branchenbild

Der Baustoff

Zement, gewonnen aus der Vermengung der Grundstoffe Kalkstein und Ton, ist – neben Kies, Sand und Wasser - das wichtigste Vorprodukt zur Herstellung von Beton. Rund die Hälfte des produzierten Zements wird zur Herstellung von Transportbeton verwendet. Ein Drittel entfällt auf die Herstellung von Betonfertigteilen. Praktisch einziger Abnehmer von Zement bzw. Beton: die Bauwirtschaft, die ebenfalls sehr gerne und immer wieder mit verbotenen Kartellabsprachen arbeitet. Der Zement landet also über das Zwischenprodukt Beton letztlich in Autobahnen, Strassen, Häusern und sonstigen Gebäuden.

Die Unternehmen

In Deutschland weist die Zementindustrie einen strukturellen Mix von Großunternehmen und industriellem Mittelstand auf. 38 Unternehmen, dominiert von sechs Großkonzernen tummeln sich auf dem Markt. Branchenprimus ist die Fa. Heidelberg Cement mit rund 25 Prozent Marktanteil, gefolgt von Dyckerhoff (16 %) und der Schwenk Zement KG aus Ulm (13%), die allerdings eng mit Heidelberg Cement verbunden ist. Dann folgen Readymix (11% Marktanteil), Holcim (8%) und alle anderen (Stand Anfang 2005).

Die Beschäftigten

Die Zahl der Beschäftigten in den 25 Mitgliedsunternehmen des Bundesverbandes der deutschen Zementindustrie (BDZ) mit ihren insgesamt 60 Werken ist aufgrund ständiger Betriebsschließungen permanent zurückgegangen. Im Jahre 2004 waren in dieser Branche rund 7.000 Personen beschäftigt. Ein Jahr zuvor waren es noch 8.500. In den letzten zehn Jahren ist damit fast die Hälfte aller Arbeitsplätze in der Zementindustrie verschwunden.

Die Branche und ihre Kartelle

Die Zementindustrie ist – ebenfalls wie das Transportbetongewerbe - unmittelbar von der konjunkturellen Entwicklung der Bauwirtschaft abhängig. Die Konjunktur verläuft dabei in größeren Zyklen. In dem einen Jahrzehnt geht es allen schlecht, dann folgt ein kurzer Boom (z.B. Bauboom nach der Wende in den Neuen Ländern und in der Hauptstadt Berlin) und danach geht es wieder abwärts. In den schlechten Zeiten sind die Produktionskapazitäten größer als die Nachfrage und deshalb versucht man gerne, tendenziell sinkende Preise mittels Preisabsprachen auf hohem Niveau zu halten.
Überhöhte Preise haben erhebliche Auswirkungen: Das Baugewerbe ist der größte Industriezweig. Der Anteil am gesamten Bruttoinlandprodukt (BIP) beträgt etwa 13-14%. Kartellierte Preise schlagen sich daher in dreistelligen Millionenbeträgen nieder.

Neben diesen Preiskartellen werden gleichzeitig oft auch Gebietskartelle praktiziert – Zement ist schwer, die Transportkosten hoch, man möchte deshalb nicht weit fahren. Ähnlich bei Transportbeton: der erstarrt nach wenigen Stunden – die großen Laster können daher nur in einem bestimmten Radius agieren. Aus solchen Gründen teilen sich die beiden Industriezweige gerne die Absatzgebiete auf. Technologisch ist das verständlich, ökonomisch aber unerwünscht, weil kein wirklicher Wettbewerb zustande kommen kann.

Nach Einschätzung von (unabhängigen) Experten hat die Zementbranche durch solche Preisabsprachen sowie durch die Marktaufteilung (Gebietskartelle) notwendige strukturelle Anpassungsprozesse verzögert, also den Abbau von Arbeitsplätzen und die Schließung von (überflüssigen) Werken. Die großen Zementhersteller hierzulande fielen dann auch immer wieder durch spektakuläre Kartellverfahren auf:

Bereits Ende der achtziger Jahre verhängte das Bundeskartellamt ein Bußgeld in Höhe von 230 Millionen DM gegen ein Kartell in der deutschen Zementindustrie. 1994 flog dann ein europaweites System an Preis- und Quotenabsprachen auf, als Ermittler im Jackett eines Vorstandsmitglieds des Branchenprimus, die Fa. Heidelberg Cement, einen Zettel fanden, auf dem handschriftlich die Aufteilung von Liefermengen zwischen allen Zementherstellern festgehalten war. Im Büro des damaligen Konzernchefs stieß man darüber hinaus auf Briefe des französischen Zementproduzenten Lafarge, in denen sich die beiden Konzerne verpflichteten, sich gegenseitig nicht in den jeweils eigenen Absatzregionen zu stören.

Nachdem in erster Instanz ein Bußgeld in Höhe von 250 Millionen Euro gefordert wurde, endete das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, in dem über 40 Hersteller aus 16 Ländern der Kartellbildung beschuldigt wurden, schließlich 2004 mit einer Gesamtstrafe von rund 110 Millionen Euro.
Damit nicht genug: 1999 verhängte das Bundeskartellamt im größten Verfahren seiner Geschichte ein Bußgeld von 255 Millionen Mark gegen 33 Unternehmen der Beton-Branche: Praktisch alle führenden Unternehmen der Branche hatten Quoten miteinander vereinbart. Schwerpunkt der Absprachen war Berlin in den Jahren 1995-1998, z.B. auf Europas damals größter Baustelle, dem Potsdamer Platz.
Dass die Kartelle ausgerechnet während des Bau-Booms Hochkonjunktur hatten zeigt, dass Kartelle kein Kind der Not sind, sondern auch und gerade dann besonders gut funktionieren, wenn es etwas zu verteilen gibt.

Anfang 2002 verkündete der neue Vorsitzende der Readymix-Gruppe, Stephan Brock, das alte System der Preis- und Quotenabsprachen müsse aufgegeben werden. Seinen Worten folgten Taten: Er trat in einem spektakulären Schritt aus allen Branchenverbänden aus und zettelte – so sahen es jedenfalls die Mitbewerber – einen für die Branche ruinösen Preiskampf an.

Zur Jahresmitte 2002 schlug das Kartellamt dann erneut zu. Bundesweit wurden 30 Unternehmen durchsucht und kistenweise belastendes Material sichergestellt. Um die absehbar drakonische Strafe der Wettbewerbshüter zu mindern, kooperierte Readymix frühzeitig mit dem Kartellamt und zog sich so weiteren Unmut der Branche zu.

Im April 2003 verhängte das Kartellamt schließlich eine Rekordbuße in Höhe von 660 Millionen Euro gegen die sechs deutschen Großkonzerne – die höchste Strafzahlung in der Geschichte des Amtes. Alle bis auf Heidelberg Cement - vom Kartellamt als Anführer und Anstifter des Kartells ausgemacht - gestanden die Vorwürfe, zogen allerdings gegen die Höhe des Bußgeldes vor Gericht. Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf hierzu steht noch aus und wird für 2006 erwartet.

Es folgte die von „WELT“-Autor Frank Seidlitz aufgedeckte „Operation Stinktier“, in der der unliebsame Konkurrent und Nestbeschmutzer von der Heidelberg Cement erst übernommen und dann zerschlagen werden sollte. Der Plan flog auf und wurde begraben, noch ehe das Kartellamt über das Zusammengehen der beiden Branchengrößen entscheiden konnte.

Aktuelle Entwicklungen

Nach dem Scheitern der Operation Stinktier wurde die britische Readymix-Mutter RMC Anfang 2005 von der mexikanischen Firma Cemex übernommen. Die Branche hat wieder geschlossen zu höheren Preisen gefunden, was die Aussichten der Unternehmen trotz weiter sinkenden Bauvolumens derzeit leicht verbessert. Der Preis je Tonne Zement liegt mittlerweile wieder bei ca. 60 Euro, auf dem Höhepunkt des Preiskampfes 2003 war er auf fast 30 Euro je Tonne gefallen.


(JL)