Zementierte Strukturen

Gegen die Tendenz zur Zusammenarbeit in der Zementindustrie sind die Kartellbehörden machtlos. Mit einem Bußgeld bestraften sie jetzt allerdings den Versuch mehrerer Zement-Produzenten, die billigeren polnischen Importe unter Kontrolle zu bringen.


Die „Baitrader“, ein Küstenmotorschiff aus Stettin, löschte jährlich im Hamburger Hafen bis zu 120000 Tonnen Zement aus Polen - zum Ärger des norddeutschen Branchenführers, der über östliches Dumping schimpfte. Doch die Methode, mit der das Problem beseitigt werden sollte, gibt mehr Aufschluss über die Kartell-Mentalität der Zementhersteller als über die Gefahren billiger östlicher Importe.

Peter von Foerster, Vorstandsvorsitzender der vor allem betroffenen Hamburger Alsen-Breitenburg Zement- und Kalkwerke GmbH, fand nämlich solidarische. aber nicht ganz einwandfreie Hilfe bei der eigenen Konkurrenz. Die Hanseaten und neun weitere deutsche Zement- und Baustofffirmen gründeten einträchtig eine ZEM Beteiligungsgesellschaft mbH. die aus der Sicht des Bundeskartellamts nur einen Zweck hatte: dem Alleinimporteur für polnischen Zement, einer HGS Baustoffe GmbH, eine mindestens 50prozentige Beteiligung abzukaufen. Drei Millionen Mark wollte die ZEM berappen, um die Importe aus Polen kontrollieren und die Preise der Ost-Konkurrenz nach oben treiben zu können.

Ein cleveres Spiel — aber das Bundeskartellamt verbot das Kartell der Zementhersteller. Diese bestritten zwar die Vorwürfe, legten aber gegen ein im April dieses Jahres verhängtes Bußgeld von 100.000 Mark gar nicht erst Widerspruch ein. Dass Firmen gerade in der Zementbranche einen solchen Plan ausgeheckt haben, ist für Kartellamt-Berichterstatter Gerhard Harms keine Überraschung: „Das ist eine Branche mit Kartell-Geschichte.“

Die Zementindustrie war tatsächlich schon im Dritten Reich aus militärischen Gründen - Hitler brauchte Beton für Bunker und Autobahnen - zwangskartelliert worden. Doch die Firmen fanden auch nach dem Krieg mehr Gefallen an einem wohlgeordneten Miteinander als an marktwirtschaftlicher Konkurrenz.

Wettbewerbshüter und Gerichte mussten in jahrzehntelanger Kleinarbeit die zementierten Strukturen aufbrechen: Erst wurden regionale Preiskartelle verboten, dann sogenannte Verkaufsagenturen, die als Gemeinschaftsunternehmen mehrerer Firmen die Aufgaben der Kartellzentralen fortführten. Doch auch heute noch haben die Zementproduzenten gemeinsame Abrechnungszentralen - wie etwa die Zema Zementabrechnung GmbH in Hannover oder das Zementkontor Unterelbe GmbH & Co. in Hamburg.

Sie stellen im Auftrag mehrerer Hersteller Rechnungen aus, treiben Geld ein und leiten die Beträge weiter. Diese Form der trauten Einigkeit ermöglicht einen so intensiven Informationsfluss, dass die Transparenz dieses Marktes — wer liefert an wen wieviel zu welchem Preis — von Kritikern für vollkommen gehalten wird. Vom Kartellamt verboten ist solcher Einblick in die Geschäftsbeziehungen der Konkurrenten zwar. Aber so ganz traut Kartellamt-Experte Harms den Inkasso-Stellen nicht: „Wir beobachten das mit Argwohn.“

Schuld an einem so leidenschaftslosen „Wettbewerb“ ist aber auch die Tücke des Objekts. Zement ist so schwer, dass es sich nicht lohnt, ihn über weite Strecken zu transportieren. Folge: Ein Radius von 100 bis 500 Kilometern gilt als natürliche Grenze für Konkurrenten. Nur in wenigen Regionen, in denen Zementproduzenten in engerer Nachbarschaft existieren — wie etwa im Münsterschen Kreidebecken kam es zeitweise zu wirklichem Wettbewerb.

Zudem: Zement ist ein ausgereiftes Massenprodukt, bei dessen Herstel¬lungsprozess keine Wettbewerbsvorteile mehr herauszuholen sind. Und der Absatz ist mit dem Abschlaffen des Baumarktes zurückgegangen: von 42 Millionen Tonnen 1972 auf derzeit 24 Millionen Tonnen.
Auch dieses Problem löst die Familie der knapp 20 Firmen mit 69 Zementwerken weitgehend solidarisch: Man schrumpft gemeinsam. Störend sind nur billige Importe aus der DDR, der Tschechoslowakei oder Polen - laut Kartellamt „das einzige den Wettbewerb belebende Element in der Branche“ (Harms).

Peter Schuhmacher hingegen, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Zementindustrie, gibt im Monatsrhythmus gleichlautende Presseerklärungen heraus: „Zementindustrie fordert Schutz gegen Ostblockdumping.“ Dabei setzen die drei sozialistischen Konkurrenten derzeit nur 800000 Tonnen Zement in der Bundesrepublik ab.

Das anscheinend ungestörte Miteinander in der Branche bewirken aber auch familiäre Querverbindungen, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Wichtige Fäden in der deutschen Zementszene zieht der weltweit größte Baustoffproduzent, die schweizerische Holderbank Financière Glarus AG, unter ihrem Hauptaktionär und Konzernchef Thomas Schmidheiny. Holderbank- Töchter sind nicht nur die drittgrößte deutsche Zement-Gruppe Alsen-Breitenburg (nach der Heidelberger Zement AG und der Dyckerhoff Zementwerke AG). Auch Niedersachsens Branchenerster Nordcement AG führt Gewinne nach Glarus ab. Über 75 Prozent des norddeutschen Marktes dürften die Schweizer im Griff haben.

Die wahre Stärke der Holderbank wird auch nach der Generalversammlung am 26. Juni ein Geheimnis sein. Ihr Einfluss zeigt sich aber beispielsweise auf dem Berliner Markt. Dort gibt es eine Zementvertrieb Berlin Verwaltungs- GmbH, die im Berliner Westhafen mit zwei Angestellten residiert. Die elf Gesellschafter sind allesamt westdeutsche Firmen, die Zement nach Berlin liefern. Doch 50 Prozent der Stimmen in der Gesellschafterversammlung gehören Holderbank-Töchtern. Sie störte es nicht, dass die Berliner Firma neben Inkassodiensten eine Aufgabe hatte, die mit der Anti-Dumping-Kampagne des Zement-Verbandes kaum zu vereinbaren ist: Sie war Alleinimporteur für DDR-Zementlieferungen nach West- Berlin. Die DDR kündigte den Vertrag, weil sie Alsen-Breitenburg und den neun anderen West-Produzenten den Einstieg in das Polen-Geschäft übelnahm. Die Versammlung unter Alsen-Breitenburg- Chef und Holderbank-Statthalter Foerster beschloss: Zementvertrieb Berlin mäkelt nun polnischen Zement.

Ähnlich hat von Foerster sein eigenes Polen-Problem gelöst. Weils kartellrechtlich ja untersagt wurde, kontrollieren im norddeutschen Raum nun nicht mehr zehn Firmen die polnischen Importe, sondern eine einzige: Alsen-Breitenburg. Kartellamt-Mitarbeiter und Zement-Experte Harms: „Das ist natürlich bitter, weil es den Wettbewerb behindert. Aber mit kartellrechtlichen Mitteln ist da nichts zu machen.“


(Johannes LUDWIG in Wirtschaftswoche Nr. 27 v. 26.6.1987)